Das System Zalando
von Vanessa Materla und Carmen Maiwald
Die Zeit vom 02.03.2023
Der Artikel entlarvt das Versprechen des Online-Modehändlers Zalando, seine Retouren klimaneutral wieder zu verkaufen, als Greenwashing. GPS-Tracking und ausführliche Recherchen in Logistikzentren, der Unternehmenszentrale und bei Entsorgungsspezialisten ergeben, dass nicht nur ein Großteil der Kleidung vernichtet wird, sondern auch, wie die Lkws faktisch zum Lagerraum werden.
Sie sehen hier den reinen Text in der anonymisierten Form für die Jury. Bilder, Layout oder multimediale Umsetzung sind beim Deutschen Journalistenpreis kein Bewertungskriterium. Allein das Wort zählt. Tabellen und Grafiken werden in einem separaten PDF zugänglich gemacht.
Das System Zalando
Im polnischen Gardno ist es seltsam still. Das Dorf liegt keine zehn Kilometer hinter der deutschen Grenze. Von den grün-gelb-rot gestrichenen Wohnhäusern aus der Sowjetzeit blättert der Putz. 1100 Menschen sollen hier leben, aber es ist kaum etwas von ihnen zu sehen. Schwarze Vorhänge verdunkeln die Fenster. Wer nachts arbeitet, muss tagsüber schlafen. Und gearbeitet wird hier viel.
Nach Gardno hat uns ein grauer Babystrampler geführt. Wir haben ihn bei Zalando bestellt, dem größten Online-Modehändler Europas. Dann haben wir ihn zurückgeschickt, als Retoure, mit einem kleinen eingenähten Sender darin. Jetzt funkt der Sender ganz aus der Nähe. Und wir fahren den Signalen hinterher.
Sehr viele Menschen in Gardno arbeiten für einen Logistikdienstleister – und damit indirekt für Zalando. Sie sind es, die das System des Fast-Fashion-Riesen am Laufen halten. Bis zu 480 Bestellungen gehen bei Zalando pro Minute ein. Die Hälfte der Pakete wird wieder zurückgeschickt. Irgendwo muss das alles verarbeitet werden. Einer dieser Orte ist Gardno. Hier werden die Retouren sortiert.
Unklar ist, was mit den Retouren danach passiert. Glaubt man dem Konzern, werden 97 Prozent der retournierten Modeartikel "nach entsprechender Prüfung sowie sorgfältiger Aufarbeitung wieder über den Zalando Shop verkauft". Vernichtet würden "weniger als 0,05 Prozent". Kann das stimmen?
Wir fahren hin. Das Logistikzentrum, ein grauer Betonklotz, liegt etwa einen Kilometer außerhalb von Gardno. Das neonorangene Zalando-Logo ist von Weitem zu sehen. Mehr als 50 Männer und Frauen stehen oder hocken vor dem Zentrum auf dem Boden. Vor ihnen liegen kleine Häufchen Zigarettenstummel, hastig weggeraucht. Wir versuchen, mit den Arbeitern während ihrer Pause ins Gespräch zu kommen, wollen wissen, wie man im Logistikzentrum mit unserem grauen Strampler und den anderen Retouren umgeht. Aber niemand will mit uns darüber sprechen. Zwei Frauen verraten uns auch, warum: Ihr Arbeitsvertrag verbiete es ihnen. Dann ertönt ein blecherner Gong, und die Menschen strömen zurück in den Betonbau. Vor der gläsernen Schiebetür ist für uns Schluss. Zurück bleibt eine Frage: Wenn der Konzern seine Retouren so vorbildlich im Griff hat, warum macht er dann ein Geheimnis daraus?
Es ist von Anfang an eine ungewöhnliche Recherche. Zehn Kleidungsstücke hat [das Medium] zusammen mit dem Investigativ-Format [anderes TV-Medium] und dem Hamburger Recherche-Start-up Flip quer durch Europa verfolgt. Wir haben Hunderte von Signalen ausgewertet, konnten interne Unterlagen einsehen und mit aktuellen und ehemaligen Mitarbeitern sprechen – alles, um zu verstehen, was mit den Retouren geschieht und wie ausgerechnet der Fast-Fashion-Riese Zalando zu einem grünen Konzern werden will.
Die Geschichte des Unternehmens beginnt 2008 in Berlin. Zwei Studienfreunde, Robert Gentz und David Schneider, beginnen online mit Schuhen zu handeln. Bald darauf kommt Kleidung dazu, das Unternehmen wächst und wächst, auch dank eines großen Versprechens an die Kunden: Bestellt erst mal, ihr könnt ja alles zurückschicken, wenn es euch doch nicht gefallen sollte! Zalando hat dieses sorglose Shoppen im Netz mit etabliert und davon profitiert. Heute kaufen 50 Millionen Kunden bei dem Modehändler. Allein 2021 stieg der Umsatz um 30 Prozent auf über zehn Milliarden Euro.
Je mehr die Kunden bestellen, desto besser für Zalando. Der Konzern ist ein Knotenpunkt der Modeindustrie, die auch wegen Retouren für mehr CO₂ verantwortlich ist als alle Flugzeuge und Schiffe dieser Welt zusammen.
Und dieser Konzern will nun grün werden. Schon 2019 verkündet Zalando das Ziel, "eine nachhaltige Mode-Plattform mit einer netto-positiven Auswirkung auf Mensch und Erde" zu werden. Den Kunden verspricht man dafür: klimaneutrale Retouren, einen Reparaturservice, den Wegfall von Einwegplastik und eines der größten Sortimente an nachhaltiger Mode überhaupt. "Wir wollen eine transparentere, nachhaltigere Zukunft der Mode schaffen", so Zalando.
Man kann das als PR-Floskeln abtun. Doch Zalando lässt sich darauf ein, dass [das Medium] das Unternehmen dabei begleitet, hinter die Kulissen blickt und an Meetings teilnimmt. Es klingt nach einer mutigen Operation am offenen Herzen der Fast-Fashion-Industrie. Bis zum Beweis des Gegenteils.
In Zalandos verglastem Hauptquartier in Berlin-Friedrichshain treffen wir Laura Coppen. Sie ist das Gesicht des Wandels, lange blonde Haare, breites Lächeln. "Welcome", sagt die Britin und streckt die Hand aus. Ihr Lebenslauf sagt: Diese Frau will Dinge verändern. Als Modedesign-Studentin im englischen Nottingham entwirft sie eine Kollektion, die Körper vor immer heißeren Temperaturen schützen soll. Später arbeitet sie für H&M und will die Idee einer Kreislaufwirtschaft etablieren. 2020 wird sie vom globalen Nachrichtensender CNN als "Stimme des Wandels" ausgezeichnet. Kurze Zeit später avanciert sie zu Zalandos Kreislaufchefin. Man müsse die großen Unternehmen verändern, um einen großen Unterschied zu machen, sagt Coppen. Und: Es gebe kein Zurück mehr.
Doch beim Thema Retouren, dieser wohl größten Herausforderung auf dem Weg zum nachhaltigen Unternehmen, reagiert Coppen wortkarg. Allein 2021 wurden in Deutschland 440 Millionen Modebestellungen retourniert, knapp ein Drittel davon geht auf Zalandos Konto. Das Problem sind dabei nicht nur die zusätzlichen Transportwege von Online-Modehändlern. Laut einer Marktstudie der Branchenvereinigung Händlerbund finden sich in fast jeder fünften Rücksendung Textilien, die beschädigt oder getragen sind. Insgesamt könnten sogar 44 Prozent der zurückgesendeten Waren nicht mehr zum ursprünglichen Preis verkauft werden. Und laut der Forschungsgruppe Retouren-management der Universität Bamberg landen jedes Jahr etwa 20 Millionen Retouren direkt in der Müllverbrennungsanlage.
Da möchte man schon gerne wissen, wie Zalando es schafft, jene angeblichen 97 Prozent der zurückgesendeten Waren wieder im eigenen Shop zu verkaufen und fast gar nichts zu vernichten. Und wo das Unternehmen dieses Wunder vollbringt.
Laura Coppen, begleitet von einem Pressesprecher, weicht aus. Das finde großflächig im gesamten Logistiknetz statt. Als wir später darum bitten, die Retourenzentren besuchen zu können, lehnt Zalando aus "organisatorischen Gründen" ab. Ähnlich reagiert der Modehändler bei anderen Themen. So will er angeblich die Lebensdauer von 50 Millionen Kleidungsstücken verlängern, unter anderem durch den Reparaturservice und den Verkauf von gebrauchter Kleidung. Wie viele Menschen diesen Service nutzen, wie viel gebrauchte Kleidung Zalando bereits verkauft hat? Zalando will es nicht verraten. Ein weiteres Gespräch mit Laura Coppen allein wird abgelehnt.
Das ist der Moment, in dem wir zehn Kleidungsstücke bei Zalando bestellen: einen Babystrampler, zwei Westen, einen Winterparka, ein Kleid, zwei Hosen, einen Bikini, ein Top und eine Fake-Lederjacke in Türkis. In die Kleidung nähen wir kleine GPS-Sender ein, sogenannte Tracker. Dabei unterstützt uns das Investigativ-Team von Greenpeace, das viel Erfahrung beim Tracking hat, ansonsten aber nicht in unsere Recherche eingebunden ist. Mit 57 Gramm sind die Sender nicht schwerer als ein Hühnerei. In einem dicken Parka, einer festen Cargohose oder einer Daunenweste fallen sie nicht auf.
Für ein leichtes Sommerkleid oder ein Bikinioberteil aber sind sie noch zu schwer. Deswegen verstecken wir in fünf der Kleidungsstücke Bluetooth-Tracker, die gerade mal zwölf Gramm wiegen. Wir trennen Säume auf, kleben die Tracker mit Textilkleber fest, lassen sie in Taschen, im Innern eines Bikinioberteils und im Ärmel des Babystramplers verschwinden. Dann nähen wir alles wieder zu. Nur wer die Kleidung gründlich absucht oder sie anprobiert, wird die Tracker noch bemerken. Wir schicken alles als Retouren zurück an Zalando.
Um nachzuvollziehen, wohin sich die Tracker bewegen, legen wir für jedes Kleidungsstück eine Datei an. Die Liste füllt sich Tag um Tag, Zeile um Zeile mit Koordinaten. Gibt man sie auf Google Maps ein, entsteht langsam ein Bild voller Zickzacklinien. Die Kleidungsstücke reisen kreuz und quer durch Europa. Immer drängender wird sich die Frage stellen: Warum macht Zalando das?
Vier Tage nachdem wir die Kleidungsstücke zurückgeschickt haben, erreichen uns die ersten Signale. Sieben der zehn Kleidungsstücke senden aus Polen. Ein möglicher Grund dafür findet sich in einem Gesetz, das 2018 das Bundesumweltministerium auf den Weg brachte, um die Vernichtung neuwertiger Waren und Retouren zu verbieten. Das Ministerium führte damals auch Gespräche mit Zalando-Vertretern.
Kurz darauf, im März 2019, beginnt Zalando, große Teile seiner Retourenabteilung am Standort Erfurt ins Ausland zu verlegen, so erzählt es uns ein Mitglied des Betriebsrates. Auch einige lokale Medien berichten von der Auslagerung. Als das Gesetz 2020 in Deutschland in Kraft tritt, ist der Umbau längst abgeschlossen. Viele Zalando-Retouren sind nun außer Reichweite der deutschen Justiz.
Was dort mit ihnen geschieht? In Gardno spricht schließlich eine Frau mit uns, die mehr darüber weiß. Nennen wir sie Zuzanna. Die Mutter eines kleinen Kindes sagt, dass sie bis 2020 bei Fiege angestellt gewesen sei, der deutschen Logistikgruppe, die das Zentrum in Gardno für Zalando betreibt.
Pro Retoure bleibe den Arbeitern keine Minute, weil sie 68 Kleidungsstücke in der Stunde sortieren sollten, erzählt sie nun. Und das heißt: auspacken, anschauen, aufarbeiten, einpacken und weglegen. Es gebe insgesamt vier Stapel, sagt Zuzanna. Auf dem ersten lande die einwandfreie "A-Ware". Auf die restlichen drei Stapel komme die dreckige, offensichtlich getragene oder kaputte Kleidung, je nach Verschmutzungsgrad sortiert in B-, C- und D-Ware. Diese Entscheidung müsse blitzschnell getroffen werden. Fiege bestätigt, dass es eine Zeiterfassung gibt, bestreitet aber die Vorgabe von 68 Artikeln pro Stunde. Die Arbeiter würden Bonuszahlungen erhalten, wenn sie die tatsächlichen Richtwerte "erfüllen oder übertreffen".
Wir wollen von Zuzanna wissen, was mit der aussortierten Ware passiert. "Wir brachten die Ware zur Teamleaderin, und sie entschied dann", antwortet sie. "Höchstwahrscheinlich wurde sie entsorgt."
Auch mit einer solchen Teamleiterin sprechen wir in Gardno. Sie war bis 2021 im Zentrum und erzählt, dass Kleidung, die dreckig war oder gerochen habe, aber auch Neuware, bei der ein Barcode fehlte, in großen Kartons in den hinteren Teil des Logistikzentrums geschleppt worden sei. Dort seien Schachtöffnungen an der Wand angebracht gewesen; in diese hätten sie die Kartons mit der wegsortierten Kleidung ausgekippt. Sie sagt: Auf der anderen Seite der Öffnungen befinde sich ein Schredder. Dann beschreibt sie, wie die Schächte aussehen: blau – von außen als Röhren erkennbar. Auch wir haben diese Röhren beim Besuch des Logistikzentrums gesehen. Sie enden in großen blauen Containern mit der Aufschrift "Stena Recycling". Die schwedische Firma entsorgt Papier, Pappe und auch Textilien.
Zalando bestätigt, mit Stena zusammenzuarbeiten. Allerdings recycle das Unternehmen für Zalando fast nur Verpackungsmaterial. Lediglich 0,22 Prozent der Materialien seien Textilien, die aus gesundheitlichen Gründen vernichtet werden müssten. Zudem wiederholt Zalando wie ein Mantra seine Aussage, dass Retouren "sorgfältig in einem Standardverfahren" geprüft und nur zum kleinsten Teil vernichtet würden. Zalando dementiert also, dass seine Ware so vernichtet wird, wie es uns beschrieben wurde. Auch andere, für das Unternehmen tätige Logistikfirmen hätten dazu keine Befugnis und würden entsprechend kontrolliert.
Mit den Aussagen der Frauen vor Ort ist das nur schwer zusammenzubringen. Und dass es sein Retourenmanagement an externe Firmen wie Fiege auslagert, erzählt auch etwas über das System Zalando. Das Unternehmen macht seinen Kunden große Versprechen und suggeriert, dass sorgloses Shoppen in Zeiten des Klimawandels möglich sei. Mit dem Ergebnis dieses Versprechens, den Millionen zurückgeschickten Kleidungsstücken, will es aber direkt nur wenig zu tun haben.
Was zum großen Versprechen nicht passt, behält Zalando für sich. So weist das Unternehmen auf seiner Website darauf hin, dass Artikel, die nicht mehr verkauft werden könnten, etwa weil sie kleine Mängel hätten, in den Zalando-Outlets angeboten oder an einen Verein gespendet würden. Von der Zusammenarbeit mit Händlern wie Mohammad Marmar aber steht auf der Website: nichts.
Wir treffen Marmar in einem Industriegebiet in Senden bei Münster. Sein Reich ist eine 4000 Quadratmeter große Lagerhalle. Auf dem Parkplatz steht sein Porsche Taycan Turbo. Der Mann mit Glatze, einem quadratischen Unterlippenbart und sauber gezupften Augenbrauen hat einen lebensgroßen Pappaufsteller von sich vor seinem Büro aufstellen lassen. Darunter steht der Name der RTL-Fernsehsendung Die Retourenprofis, bei der Marmar eine Expertenrolle einnimmt. Seit 2007 ist er im Restposten-Geschäft. "Wir sind die Müllabfuhr der großen Unternehmen", sagt er.
Marmar weiß, was seine Vertragspartner von ihm erwarten: Die Retouren sollen vom Kernmarkt in Westeuropa verschwinden. Das sei die einzige Auflage. "Meine Kunden wollen nicht, dass ein Artikel, den sie für 200 Euro in ihrem Shop verkaufen, online irgendwo für 50 Euro auftaucht. Das macht das Geschäft kaputt." Was nach dem Abverkauf aus der Ware werde, interessiere seine Kunden ansonsten nicht mehr. Zu seinen Geschäftspartnern gehören Discounter, Baumärkte und große Online-Marktplätze. Auch Zalando-Ware hat Marmar kürzlich verramscht. Ein Zwischenhändler, der direkt mit dem Unternehmen zusammenarbeite, habe ihm, so erzählt er es, Kleidung und Schuhe des Unternehmens verkauft. Marmar hat die Ware dann an Händler außerhalb Europas weiterverkauft.
Was das im Klartext bedeutet, beschreibt Michael Braungart, der wissenschaftliche Leiter des Hamburger Umweltinstituts. Solche Ware reise oft Tausende Kilometer nach Afrika oder Asien, wo es vielfach keine Entsorgungsstrukturen gebe und die Kleidung irgendwann, wenn sie auch dort keiner haben will, auf Deponien oder einfach in der Umwelt landeten.
Mit den Recherchen konfrontiert, räumt Zalando ein, mit Großhändlern wie Marmar zusammenzuarbeiten. Jedoch nur mit ausgewählten Partnern, deren Hauptsitz sich innerhalb der EU befinde und die somit auch an geltendes europäisches Recht gebunden seien. Man werde nun "intern diskutieren und prüfen, ob und inwiefern es sich hierbei um eine Information handelt, die zukünftig in diesem Detailgrad auch für unsere Corporate Website interessant ist".
Je länger wir recherchieren, desto rissiger wird das Nachhaltigkeitsversprechen von Zalando. Die grüne Fassade blättert ab wie der Putz an den Häuserwänden von Gardno. Zum Vorschein kommt darunter ein fein gesponnenes Spinnennetz: Zalando hat sein Geschäft in etliche kleinere und größere Tochtergesellschaften unterteilt und teilweise an Drittanbieter, Subunternehmen und Partner ausgelagert. Rund 40 Tochtergesellschaften und über 1600 Partner hat dieses Netz, in dem sich unsere Kleidungsstücke verirren.
Etwa die Cargohose. Seit Wochen sendet der Tracker Signale aus der Einöde eines Industriegebiets in Waibstadt nahe Karlsruhe. Das Erstaunliche: Zalando hat die khakifarbene Männerhose längst aus dem Sortiment genommen, nur wenige Wochen nachdem wir sie zurückgeschickt hatten.
Auf dem Retouren-Etikett der Hose steht auch gar nicht die übliche Zalando-Adresse, sondern die Anschrift eines Modeunternehmens namens Sunshine Fashion GmbH. Aus dessen nächster Nähe sendet mittlerweile der Tracker seine Signale. Drei weitere Tracker zeichnen ein ähnliches Bild: Die Kleidungsstücke werden schon nach kurzer Zeit nicht mehr im Zalando-Shop angeboten. Sie landen auch gar nicht bei Zalando selbst, sondern bei Händlern, die ihre Ware im Zalando-Shop anbieten.
Dieses Partnerprogramm nennt Zalando das "Rückgrat" seiner Strategie. Die Partner machen knapp ein Drittel des Gesamtumsatzes im Shop aus. Das ist nicht ungewöhnlich für eine Modeplattform. Nur: "Je größer dieses Netzwerk aus Partnern ist, desto weniger Einfluss hat Zalando darauf, was nach der Retoure mit der Ware passiert", sagt Tristan Jorde von der Verbraucherzentrale Hamburg: "Es kann meist gar nicht wissen, wie seine Partner wirklich mit der Ware umgehen."
Im Licht unserer Recherchen gibt Zalando zu, dass die versprochenen 97 Prozent jene Artikel gar nicht einschließen, die von Partnern über Zalando verkauft und von ihnen als Retoure auch direkt abgewickelt werden: "Diese Partner verkaufen im eigenen Namen Kleidung über Zalando und nehmen die ggf. anfallenden Retouren wieder in ihren eigenen Bestand zurück, um sie wieder über unsere Plattform oder auch eigene oder alternative Kanäle anzubieten." Im Klartext: Zalando hat keine Ahnung, was mit diesen Retouren geschieht. "Das Nachhaltigkeitsversprechen steht aber über der gesamten Marke Zalando", sagt Tristan Jorde, "natürlich geht man dann davon aus, dass es für alle dort bestellten Produkte gilt. Die Kunden werden von Zalando getäuscht."
Manchmal scheint sich sogar Zalando selbst in seinem komplizierten Geflecht zu verheddern. Der Konzern will nicht nur klimaneutral, sondern sogar "netto-positiv" werden. Konkret hieße das: Mit jeder Zalando-Bestellung schont man nicht nur die Umwelt, man rettet sie. Doch wie groß ist der CO₂-Fußabdruck des Unternehmens überhaupt? Für 2019 kommuniziert Zalando 262.511 Tonnen CO₂-Äquivalente. Ein Jahr später korrigiert es die Emissionen rückwirkend auf über 3,8 Millionen Tonnen. Das ist etwa 15-mal so viel.
Zalando erklärt das so: Man habe nun die Emissionen der gesamten Wertschöpfungskette berechnet, weshalb sie sich vervielfacht hätten. Das heißt: Zalando hat die Emissionen vieler Partner sowie die Auswirkungen von Lieferungen und Retouren über Jahre gar nicht mitberechnet.
2021 hat Zalando nach eigenen Angaben sogar über 5,5 Millionen Tonnen verursacht, mehr als doppelt so viel wie ganz Island. Auch bei dieser Berechnung aber fehlen, wie sich auf Nachfrage herausstellt, noch die Emissionen von etlichen Partnern: "Werden die Retouren innerhalb der Logistikprozesse unserer Partner bearbeitet, fließen diese nicht in unsere Kalkulationen ein und werden demnach auch nicht in unserer Kompensation berücksichtigt", teilt der Konzern schriftlich mit.
Trotzdem verspricht Zalando pauschal eine klimaneutrale Retoure. Die Emissionen würden kompensiert, unter anderem durch die Aufforstung von Naturwäldern in Äthiopien. Wobei eine Recherche [des Mediums] und [anderes britisches Medium] kürzlich zeigte, dass Zalando auch auf Zertifikate setzt, die viel weniger CO₂ einsparen als versprochen.
Umso wichtiger wäre es, die tatsächlich ausgestoßenen Emissionen so gering wie möglich zu halten. Doch ein Blick auf die Karten mit den Trackerdaten zeigt irrwitzige Transportwege. Für den Babystrampler etwa geht es von Gardno zunächst in nordöstlicher Richtung nach Danzig – und dann wieder zurück nach Swinemünde im äußersten Nordwesten von Polen. Von dort wird er nach Malmö in Schweden verschifft und weiter nach Stockholm gefahren. Wenige Tage später geht es über Dänemark zurück nach Deutschland. Und dann wieder nach Polen. Von der Küste nimmt der Strampler noch einmal das Schiff nach Schweden. Er hat jetzt knapp 7000 Kilometer zurückgelegt.
Auch die grüne Weste reist innerhalb von zwei Monaten rund 7000 Kilometer durch Europa. Eine Strecke, fast so weit wie von Berlin nach Chicago. Insgesamt waren die zehn Kleidungsstücke, die wir retourniert haben, 28.822 Kilometer unterwegs. Warum?
An einem grauen Januartag sitzen wir in einem Seminarraum der Uni Bamberg mit Björn Asdecker, einem der wenigen Wissenschaftler, die zum Thema Retouren forschen. Er hält weltweit Vorträge, das Interesse ist groß. Jetzt scheint sogar er ein bisschen aufgeregt. Als er die ausgedruckten Routen der Tracker auf einem Tisch liegen sieht, stürzt er sich sofort darauf. Solche Daten, sagt Asdecker, gebe es bisher nicht.
Der Forscher weiß, wo die Retouren zunächst landen, er kennt Gardno und andere Retourenzentren. Was danach passiert, blieb bisher ein Geheimnis von Online-Händlern wie Zalando. Doch Asdecker hatte eine Vermutung. Und unsere Tracker liefern einen Beweis dafür.
Die Ursache für die Irrwege unserer Retouren nennt Asdecker predictive analytics, also vorhersagende Analytik. Jede Fahrt mit dem Lkw beruhe auf einer Spekulation, wo das Kleidungsstück als Nächstes am ehesten bestellt werden könnte. Die Vorhersagen treffe ein Algorithmus, der darauf programmiert sei, für eine möglichst schnelle Lieferung zu sorgen. Die Transporter kreisten dafür ständig durch ganz Europa. Zalando bestätigt diese Vorgehensweise. Man stütze sich dabei etwa auf Daten zum Kaufverhalten der 50 Millionen Kunden sowie auf fast 15 Jahre Erfahrung.
Wegen der hohen Rücksendequoten seien Retourenzentren von Mode-Onlinehändlern mitunter überfüllt, sagt Björn Asdecker. Was nicht mehr reinpasst, werde daher schnell wieder in einen Lkw verfrachtet und auf eine Reise quer durch die Absatzmärkte geschickt. "Die Lkw dienen im Endeffekt als Lagerräume für Zalando", sagt Asdecker.
Zalando gibt an, die Kapazitäten der Zentren zu prüfen, bevor man Artikel dorthin liefere. An dem wilden Zickzackkurs vieler Kleidungsstücke ändert das nach unseren Daten aber nichts. "Ökologisch ist das eine Katastrophe", so Asdecker. "Es finden Tausende Kilometer an Transport statt, die nicht sein müssten – erst recht nicht, wenn sich ein Unternehmen Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreibt."
Von unserem Babystrampler erhalten wir nach drei Monaten das letzte Signal. Der Akku unseres Trackers ist leer. Wir können den Strampler nicht weiter verfolgen. Gut möglich, dass er noch immer durch Europa tourt.