Wie die Zukunft wachsen kann
von Joshua Kocher
Geo vom 15.01.2024
Weil Sizilien besonders unter den Folgen des Klimawandels leidet, wird es zum experimentellen Zukunftslabor der Landwirtschaft: Statt Zitronen und Oliven werden in Europa beliebte tropische Früchte oder speziell angepasste Weizensortenmischungen angebaut, sparsame Bewässerung und neue Dünger ausprobiert. Problematisch seien vor allem Wasserversorgung und Wetterextreme, ein Umdenken der Landwirte vor allem durch finanzielle Anreize erreichbar.
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Wie die Zukunft wachsen kann
An der Nordküste Siziliens, wo die Wolken an den Gipfeln der Monte Nebrodi hängen, greift der Bauer Pietro Coccin in seinem Garten nach dem Messer. Er sticht in die pinke Hülle der Frucht, die vor ihm auf dem Baumstumpf liegt und teilt sie in vier Stücke. Weißes Fleisch schimmert hervor, durchzogen von schwarzen Punkten. „Drachenfrucht“, sagt Pietro Coccin, „mein neuestes Projekt.“
Der hagere 65-Jährige in Jeans und Cowboystiefeln schabt mit den Zähnen das Fruchtfleisch von der Schale. Dann richtet er sich auf, steckt das Messer in die Hosentasche und läuft durch seinen Obstgarten. Er duckt sich unter Bananenstauden hindurch, schiebt die Blätter riesiger Monstera-Pflanzen beiseite und inspiziert einen Litschi-Baum, er streichelt die Schale einer Avocado und pflückt eine Acerolakirsche. Ein Urwald voller Tropenfrüchte — bloß auf Sizilien, nicht in Panama.
Seit einigen Jahren gedeihen Avocado, Mango und Papaya, Bananen und Guave, ja inzwischen sogar Kaffee auf der größten Mittelmeerinsel, die immerhin fast 4000 Kilometer nördlich des Äquators vor der italienischen Stiefelspitze liegt.
Die Insel heizte sich in den vergangenen Jahrzehnten so stark auf, wie kaum eine andere Region. Seit den 1960er Jahren stieg die Temperatur hier im Schnitt um 0,2 Grad pro Jahrzehnt und damit 54 Prozent schneller als das globale Mittel. Die Winter werden immer milder und im Sommer 2021 maßen Meteorologen im Süden der Insel eine Lufttemperatur von unglaublichen 48,8 Grad Celsius — das war der höchste jemals erfasste Wert in Europa.
Wenn Deutschland sich noch durch die ersten Kapitel der Klimakrise kämpft, dann hat Sizilien längst den Höhepunkt erreicht. Stauseen trocknen aus, große Teile der Insel drohen zu Wüsten zu werden, Fluten und Wirbelstürme demolieren die Küsten, Waldbrände dringen bis in die Hauptstadt Palermo vor, die Hitze lässt Stromkabel schmelzen und schneidet so ganze Städte von der Energie- und Wasserversorgung ab. Der Weltklimarat sieht Sizilien und den Mittelmeerraum als einen der globalen Brennpunkte der Erderwärmung.
Keine Branche wird davon so sehr herausgefordert wie die Landwirtschaft. Auf Sizilien haben Bäuerinnen und Bauern deshalb schon vor Jahren begonnen, ihre Produktion umzustellen.
Im Norden riss Pietro Coccin die Zitronenbäume seines Vaters aus der Erde und pflanzte Mango und Avocado an.
Im Zentrum verlegte Rocco Amantia wassersparende Schläuche, die für den Wüstenboden Israels entwickelt wurden.
Im Süden säte Maria Elena Massimino Weizensorten, die sonst in den kargen Böden Syriens wachsen.
All diese Landwirtinnen und Landwirte versuchen, sich bestmöglich an die Widrigkeiten der Klimakrise anzupassen — mit innovativen Techniken und mutigen Entscheidungen, teilweise auch mit riskanten Methoden. Ihre Bemühungen zeichnen eine Blaupause für Landwirte in ganz Europa. Denn was sie gerade herausfordert, die Trockenheit, die Hitze, das bedroht auch die Felder in Spanien und in zehn Jahren in Griechenland, Albanien und Nordmazedonien — in abgeschwächter Form auch in Mitteleuropa. Eine Reise durch das Testfeld Sizilien soll zeigen, was dabei auf die Landwirtinnen und Landwirte des Kontinents zukommen wird — und welche Lösungen es geben könnte.
Wenige Kilometer entfernt von Pietro Coccins Dschungelgarten lebt der Mann, von dem es heißt, er habe die Tropenfrüchte unter das sizilianische Volk gebracht. Sie nennen ihn: den Pflanzenjäger.
Natale Torre, 73, die Furchen seiner Hände schwarz vor Erde, läuft auf einem schmalen betonierten Weg durch seine Gärtnerei. Links stehen Gewächshäuser voller Avocado- und Mango-Bäume, rechts wächst unter einem riesigen Netz Hibiskus, daneben Südseemyrten und Drillingsblumen.
Nach seinem Studium der Agrarwissenschaften reiste Natale Torre fast den gesamten Äquator ab und brachte statt Souvenirs die Samen und Wurzeln exotischer Pflanzen mit nach Hause: schwarze Kaki aus Mexiko, die Baumstammkirsche Jabuticaba aus Brasilien, Mango aus Costa Rica. Auf Sizilien, wo ihm sein Vater eine Gärtnerei vermachte, begann er Ende der 1980er Jahre gemeinsam mit seiner Frau Maria die Tropenfrüchte erst im Gewächshaus zu ziehen und sie dann langsam unter freiem Himmel zu akklimatisieren.
Im Katalog seiner Gärtnerei sind heute Papaya gelistet, Avocado, Mango, Litschi, Passionsfrucht, Pecanuss, Macadamia und Guave. Mehr als 2000 verschiedene Pflanzen hat Natale Torre in seinem Leben aus den Tropen importiert und auf Sizilien ausgebaut.
Lange scherten sich nur wenige Bäuerinnen und Bauern um seine Früchte. Eher verkaufte er exotische Blumen an Gartencenter in ganz Europa. Vor 15 Jahren wuchsen in seinem Gewächshaus noch 500 und keine 20.000 Mangobäume. Doch dann sei die Nachfrage explodiert. „Die Leute verreisten immer mehr, aßen unterwegs Avocados, Mangos oder Papayas und wollten diese plötzlich auch zu Hause haben“, sagt Natale Torre.
Schon immer war Siziliens Landwirtschaft geprägt von Einflüssen anderer Kulturen, von Eroberern und fremden Herrschern. Die Phönizier brachten den Olivenbaum, die Römer den Weizen, die Araber die Zitronen und die Spanier den Mais und die Tomaten. Dass sich nun die Tropenfrüchte so stark auf Sizilien verbreiten, liegt aber nicht an neuen Eroberern, auch nur indirekt an den milden Wintern, sondern vielmehr am Geld. Ein Kilo Avocado bringt bis zu zehnmal so viel ein wie ein Kilo Zitronen, ein Kilo Mango sogar noch mehr. „Ich muss gerade einige Landwirte ausbremsen“, sagt Natale Torre. „Das ist alles viel zu groß geworden.“
Angetrieben von der Nachfrage der europäischen Märkte nach exotischen Früchten, die nicht tausende Kilometer über die Ozeane verschifft werden müssen, soll sich deren Anbaufläche in Süditalien in den letzten fünf Jahren verdreifacht haben, schätzt der Landwirtschaftsverband Coldiretti. Alleine auf Sizilien sollen sie auf mehr als 1000 Hektar Land wachsen. Die Anbaufläche für Zitronen, einst der ganze Stolz der Inselbewohner, sei in den vergangenen 15 Jahren hingegen um die Hälfte geschrumpft — das Geschäft lohnt sich nicht mehr.
Was der Boom der Tropenfrüchte aber auch zeigt, ist, dass sich die sizilianischen Landwirte nicht einfach klagend zurückziehen und auf Finanzhilfe vom Staat warten — sondern ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.
Dennoch hält Andrea Passanisi, der Präsident der Region Catania des Landwirtschaftsverbandes Coldiretti, den Boom für ein riskantes Spiel. Dabei ist er selbst einer der größten Produzenten von Avocado auf Sizilien. Doch er sagt: „Die Unberechenbarkeit des Klimas bringt Unsicherheiten und Schwierigkeiten mit sich — auch für den Anbau der Tropenfrüchte.“ Denn diese seien für die Extremwetterlagen der letzten Jahre sehr anfällig. Wann gebe es in den Tropen schon Tage, an denen die Temperatur den Gefrierpunkt oder die 40-Grad-Marke überschreite? Hier auf Sizilien gibt es das regelmäßig. Und dann ist da noch die Sache mit dem Wasser.
Professor Christian Mulder fläzt sich in einem Universitätsgebäude in Catania in seinen Bürostuhl. Seit Jahren erforscht der Biologe auf der ganzen Welt, wie sich Trockenheit auf Insekten und Gräser auswirkt. Er reiste dafür nach Botswana, wo das Okavango-Delta zunehmend mit Dürre zu kämpfen hat, in die Wüste Namib und in die Kalahari-Steppe nach Namibia, wo Hitze das Gleichgewicht der Natur bedroht. „Hier auf Sizilien“, sagt er, „findet gerade etwas Vergleichbares statt.“
Zwei Drittel der Insel sind laut des Nationalen Forschungsrats so trocken, dass sie ernsthaft davon bedroht sind, zur Wüste zu werden. „2030 werden große Teile Siziliens aussehen wie Tunesien“, sagt Christian Mulder.
Während er spricht, zeigt das Thermometer draußen in Catania 30 Grad Celsius. Am 31. Oktober. Letztes Jahr war es selbst eine Woche vor Weihnachten noch so warm.
Die Hitze allerdings bereitet Christian Mulder weniger Sorgen als die Niederschläge. „Wir haben hier immer weniger, dafür umso stärkere Regentage“, sagt er. „Unvorhersehbare Wasserbomben“ nennt er die Starkregenereignisse, die Sizilien seit einigen Jahren heimsuchen. Im Mai 2023 hatten Sturzfluten nicht nur die Region Emilia-Romagna im Norden Italiens verwüstet, sondern auch Sizilien. Es werde, sagt Professor Christian Mulder, immer schwieriger, das Regenwasser aufzufangen. Große Mengen würden einfach ungenutzt ins Mittelmeer fließen. Das bedrohe Landwirte auf der ganzen Insel.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die Regierung der Insel begonnen, zahlreiche Stauseen und Talsperren zu bauen. Doch die Pegelstände sind in den vergangenen Jahren bedrohlich gesunken. Der größte Stausee Siziliens enthielt im März 2023, am Ende der Regensaison, sechs Millionen Kubikmeter Wasser. Angelegt wurde er für 150 Millionen Kubikmeter.
Bauern müssten deshalb ihr Wasser aus immer tieferen Brunnen selbst fördern, sagt Christian Mulder. Wasser, das am Ende in den Städten fehlen werde. Er findet es deshalb absurd, dass einige von ihnen nun Tropenfrüchte anbauen. „Es herrschen auf Sizilien inzwischen in Sommer zwar die gleichen Temperaturen wie in Kolumbien oder in Ecuador. Das ist aber noch lange kein Grund jetzt Avocados, Papayas und Kaffee anzubauen — denn wir haben schlicht nicht genügend Wasser dafür“, sagt er. Für ein Kilo Avocado braucht es gut 1000 Liter Wasser. Die Bauern, findet Mulder, sollten besser auf Sorten zurückgreifen, die weniger Wasser benötigen.
Maria Elena Massimino begann gemeinsam mit ihrem Bruder Salvatore schon vor 15 Jahren, mit alten Weizensorten zu experimentieren. Denn auf ihren 50 Hektar Feldern an der Westküste Siziliens herrschen Ausnahmebedingungen. Nicht weit entfernt, in Syrakus, wurden 2021 die historischen 48,8 Grad Celsius gemessen. Pro Jahr fallen hier im Schnitt 500 Millimeter Regen. Das ist gar nicht so viel weniger als zum Beispiel in London. Nur: In London regnet es im Schnitt an 106 Tagen pro Jahr. Bei den Massiminos nur an zehn.
2019 wagten sie sich deshalb an ein ungewöhnliches Projekt. Initiiert wurde es von Paolo Caruso, einem Weizenforscher der Universität Catania. Dieser verteilte an fünf Höfe auf Sizilien, jeder in einer anderen Klimazone, die Weizenmischung Furat. Sie bestand aus 2000 Weizensorten, welche sein Kollege Salvatore Cecarrelli über Jahrzehnte in Syrien gesammelt hatte — Sorten, die selbst bei trockensten Bedingungen überlebt hatten. Über einen Zeitraum von fünf Jahren würden von diesen 2000 Sorten diejenigen überleben, welche mit den Bedingungen vor Ort am besten klarkommen. Evolutionäre Pflanzenzüchtung nannte Weizenforscher Cecarrelli dieses Vorgehen.
Normalerweise entscheiden sich Landwirte für eine einzige Weizensorte, die ihnen ihr Saatguthändler empfiehlt. Sie säen die Körner aus und passen die Böden mit entsprechenden Düngern an die Bedürfnisse der Pflanze an. „In diesem Projekt läuft es genau andersherum“, sagt Paolo Caruso. „Die Pflanzen passen sich an den Boden an.“
Auf fünf Hektar ihrer Felder säte Maria Elena Massimino die Furat-Mischung aus. Tatsächlich wuchs diese ganz gut an. „Interessanterweise hat sie neben der Resistenz gegen Dürre und Hitze noch viele weitere Vorteile gezeigt“, sagt Massimino. Weil viele verschiedene Sorten auf einem Feld wachsen, seien die einzelnen Pflanzen widerstandsfähiger gegen Parasiten, Viren und Pilze. Außerdem sei das Mehl sehr schmackhaft, wie ein Testversuch mit einem Pizzabäcker aus Catania ergeben habe. „Ich sehe darin wirklich ein fundamentales Werkzeug, mit dem ich die Probleme des Klimawandels angehen kann“, sagt Massimino.
In ein paar Jahren sollen auch die Erträge mit denen ihrer anderen Feldern mithalten können. Die ersten Ernten seien noch ausbaufähig: anderthalb Tonnen Korn drosch Massimino aus einem Hektar Feld. Der Durchschnitt der anderen Felder mit den alten Sorten liegt bei zwei Tonnen, bei modernem Weizen sind bis zu vier Tonnen möglich. Die Furat-Mischung brauche noch etwas, bis sie sich wirklich ertragreich an die Felder angepasst habe.
„Weil die Erträge geringer sind, zögern gerade noch viele Bauern bei der Umstellung“, sagt der Weizenforscher Paolo Caruso. „Doch in ein paar Jahren werden sie froh sein, wenn sie überhaupt Erträge einholen.“
Tatsächlich wird der Klimawandel sehr wahrscheinlich die Erntemengen in vielen Gebieten der Welt verringern, prognostiziert der Weltklimarat. Die höheren Temperaturen verkürzen die Wachstumsperiode, milde Winter begünstigen Schädlinge und Krankheiten, Starkregen und Hagel zerstören ganze Felder. Auf der ganzen Welt suchen Landwirte deshalb nach Lösungen, ihre Felder und Pflanzen an die Folgen der Erwärmung anzupassen.
Helfen könnte ihnen die Idee von Roberto Giovenco. Der kleine Mann in Anzug greift in einer Fabrikhalle in Villafranca an der Nordküste Siziliens mit seinen Händen in einen Plastiksack. Er ist gefüllt mit einem groben, braunen Pulver. „Ein Mix aus Schwefel, Bentonid und Orangenschale“, sagt Roberto Giovenco. Ein organischer Dünger, mit dem sein Arbeitgeber, die Firma SBS aus Mailand, Wüstenboden wieder fruchtbar machen will.
Der Schwefel stammt aus einer Ölraffinerie auf Sizilien und die Orangenschalen fielen als Abfälle in einer Saftfabrik an — ein geschlossener Kreislauf.
Hinter Roberto Giovenco hängt an der Wand ein Plakat mit einer Weltkarte. Umkringelt sind darauf die Gebiete, die drohen, zur Wüste zu werden. Subsahara-Afrika, der Nahe Osten, Australien, die westliche Hälfte der USA, Brasilien — und das Mittelmeer. Der Süden Siziliens leuchtet grellrot. „Für all diese Regionen wäre unser Dünger interessant“, sagt Giovenco.
Gefördert von der Europäischen Union testet das Unternehmen mit Forschenden der Universität Reggio di Calabria den Dünger seit drei Jahren auf Feldern mit Brokkoli, Zucchini und Zwiebeln. Sie teilten die Testfelder dafür in vier Zonen auf. Eine Zone wurde gar nicht gedüngt, eine mit chemischem Dünger, eine mit Viehmist und eine mit dem organischen Dünger von SBS. „Auf dem Feld mit unserem Dünger zeigten sich die größten Erntemengen und die besten Qualitäten“, sagt Giovenco.
Nächstes Jahr soll der Dünger auf den Markt kommen. Anfragen gebe es bereits aus der Türkei, aus Indien und Moldawien. Sie alle wollen von den Erfahrungen aus Sizilien profitieren.
Es ist die Mischung aus neuen Technologien und alten Methoden, die helfen soll, die Landwirtschaft auf Sizilien und im Rest Europas fit für ein neues klimatisches Zeitalter zu machen. Auf der einen Seite klingen moderne Dünger erfolgversprechend. Und auch die Verheißungen der modernen Gentechnik, mit denen Forschende dürreresistente Pflanzen einfach im Labor züchten könnten. Die EU-Kommission will dafür rasch die Hürden senken. Doch es geht eben auch anders, wie die sizilianischen Bäuerinnen und Bauern beweisen: mit Methoden, die sich in anderen Teilen der Welt schon lange bewährt haben.
Rocco Amantia läuft durch eine Reihe seiner Orangenbäume, hin zu einer Stelle, wo zwei Schläuche aus dem Boden kommen. Sie verlaufen links und rechts der Baumreihen. Am Stamm einer der Bäume haben die Schläuche eine feuchte Stelle hinterlassen. Am Morgen lief hier die Bewässerung.
Tropfen für Tropfen, einer alle halbe Sekunde, versorgen die Schläuche die Orangenbäume mit Wasser. Jeder einzelne der 100.000 Bäume im Hinterland der Insel könnte so mit 1,6 Litern Wasser pro Stunde befeuchtet werden.
Das zugrundeliegende Bewässerungssystem wurde schon vor einem halben Jahrhundert für den Wüstenboden Israels entwickelt. Roccos Vater Ernesto und sein Onkel Vito, denen die Plantage gehört, haben es vor zehn Jahren gekauft. Nach eigenen Angaben sparen sie damit 60 Prozent Wasser ein, im Vergleich zur Bewässerung mit dem Sprinkler.
Aus seiner Hosentasche zieht Rocco Amantia sein Smartphone und klickt eine App an. Auf dem Bildschirm öffnet sich eine Leiste. „Bewässerung aktiv“, steht dort in roter Schrift neben dem Namen seiner Farm. Nach einem weiteren Klick sieht er, dass gerade sieben Kubikmeter Wasser pro Stunde durch die kilometerlangen Leitungen fließen.
Dann wischt er über den Bildschirm. Jetzt zeigt eine Übersichtsseite die lokalen Wetterdaten an: 25,5 Grad Celsius Lufttemperatur, 56 Prozent Luftfeuchtigkeit, 0 Millimeter Regen. Die Daten stammen von seiner eigenen Wetterstation. Der Zustand der Böden der 200 Hektar großen Plantage der Amantias wird zudem von Sensoren erfasst, die über Funk miteinander kommunizieren. „Wir können damit sehr genau sehen, was unsere Bäume brauchen.“ Je nach Trockenheit springt das Bewässerungssystem automatisch an.
Das Wasser stammt aus drei Brunnen auf ihrem Grundstück. Auf die öffentliche Versorgung können sie sich nicht verlassen. Ihr Hof liegt ganz am Ende des Rohres, die ihre und die benachbarten Farmen mit dem nächsten Stausee verbindet. Doch bei ihnen komme kaum etwas von dem Wasser an, sagt Rocco Amantia. „Die Rohre sind in einem sehr schlechten Zustand.“ In Italien, schätzt das staatliche Statistikamt, versickere 42 Prozent des Leitungswassers einfach im Boden. Auf Sizilien soll es sogar noch mehr sein.
Als die Amantias ihr Bewässerungssystem vor zehn Jahren verlegten, waren sie noch Vorreiter. Heute arbeiten sie als Dienstleister für die Herstellerfirma und verlegen das System in ganz Sizilien. Einige ihrer Kollegen würden weiterhin auf die verschwenderischen Sprinkler setzen, doch die meisten Orangenbauern tun es inzwischen den Amantias gleich. „Dieses System lässt einen sehr, sehr viel Geld sparen, es wäre dumm, es nicht einzusetzen“, sagt Rocco Amantia.
In den meisten Fällen sind es finanzielle Motive, die Bauern dazu bewegt, sich an das verändernde Klima anzupassen. Manche geben aus diesen Gründen ihre Felder jedoch auch ganz auf oder verkaufen ihre Grundstücke an Energieversorger, die darauf große Photovoltaik-Flächen bauen. Allein zwischen 2010 und 2020 verschwand ein Drittel aller Bauernhöfe. Zu groß wurden die Herausforderungen, gerade im Landesinneren, wo aus Erde Wüstensand wird.
Es gibt diese typische Handbewegung, die einem bei fast allen sizilianischen Bäuerinnen und Bauern begegnet. Ein schmunzelndes Abwinken, dazu der Spruch: „cammafà?“, was sollen wir schon tun?
Man könnte die Geste als Resignation verstehen — oder als gesunden Realismus. Wer überleben will, darf nicht stehen bleiben. Die Geschwister Massimino beginnen gerade, mit urigem sizilianischem Hartweizen zu experimentieren. Die Orangenbauern Amatnia bauen testweise Pfirsich an. Und Pietro Cuccin mit seinem Dschungelgarten hat inzwischen genug von der Avocado, zu groß sei die Konkurrenz. Kürzlich pflanzte er alte sizilianische Feigenbäume.