Russendisco
von Martin Greive, Moritz Koch, Catiana Krapp, Mareike Müller, Julian Olk und Klaus Stratmann
Handelsblatt vom 01.12.2023
Der Artikel schildert detailliert, wie Russland über die deutsche Gazprom-Tochter die deutsche Gasversorgung im Frühjahr 2022 angreifen wollte - und wie dies durch zwei russische Whistleblower und Verstaatlichung verhindert wurde. Es wird beleuchtet, wie Deutschland blauäugig in die Abhängigkeit von russischem Gas rutschte, und dass eine ähnlich gefährliche Abhängigkeit von Huaweis Mobilfunkmasten und damit von China besteht.
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Russendisco
Ende März 2022. Seit mehreren Wochen tobt der russische Eroberungsfeldzug in der Ukraine, doch der Sturm auf Kiew stockt, Russland erleidet hohe Verluste. Wladimir Putin beschließt, eine Waffe einzusetzen, die Moskau selbst im Kalten Krieg niemals angewendet hat.
Das Ziel dieser Waffe ist Deutschland.
Für den Angriff muss der Kremlchef keine Soldaten abkommandieren. Alles, was er braucht, steht schon bereit. Gazprom Germania, die Deutschland-Tochter des russischen Gaslieferanten Gazprom, hat sich tief in die kritische Infrastruktur der Bundesrepublik eingegraben. Das Unternehmen gleicht einem wirtschaftlichen Sprengsatz. Der soll jetzt hochgehen.
Was in den nächsten Tagen geschieht, führt die Bundesrepublik an den Rand einer wirtschaftlichen Katastrophe. Die Geschehnisse waren bisher nur bruchstückhaft bekannt, [das Medium] kann sie nun erstmals auf Basis von Gesprächen mit Regierungsvertretern, Managern und Insidern detailliert nachzeichnen. Die Recherche enthüllt, dass Deutschland im Frühjahr 2022 flächendeckende Stromausfälle drohten. Sie belegt, dass die Energieversorgung ganzer deutscher Regionen kurzzeitig in der Hand einer Untergrundfigur aus Moskau lag. Sie dokumentiert, wie deutsche Spitzenbeamte unter Zeitdruck um eine Lösung rangen.
Und sie zeigt die beiden eigentlichen großen Figuren jener Tage: zwei russische Manager, die zu Whistleblowern wurden und die Bundesregierung vor der Attacke warnten. Ohne den Mut dieser beiden hätte Deutschland den russischen Angriff auf die Energieinfrastruktur kaum so abwehren können. "Sie sind die wahren Helden dieser Geschichte", sagt ein Beteiligter. Die beiden müssen dafür bis heute um ihr Leben fürchten. Daher sollen sie hier anonym bleiben.
Dank der Whistleblower kann die Bundesregierung gerade noch rechtzeitig handeln. Gazprom Germania wird zunächst unter Treuhänderschaft gestellt und dann verstaatlicht, ein in der deutschen Wirtschaftsgeschichte bis dahin einmaliger Vorgang.
Die Rekonstruktion der entscheidenden Tage im März und April 2022 ist ein Lehrstück über die Folgen, die auftreten, wenn sich ein Staat in allzu große wirtschaftliche Abhängigkeit von einer Diktatur begibt. Diese Lehren sind aktueller denn je. An China hat sich Deutschland ökonomisch noch enger gekettet als einst an Russland. Der chinesische Konzern Huawei ist der wichtigste Lieferant für 5G-Komponenten im deutschen Mobilfunknetz. Wie schon im Fall Gazprom fehlt es auch hier nicht an Warnungen in Richtung Bundesregierung. Wie schon im Fall Gazprom hört sie nicht richtig hin.
1. Treffen im Ritz Carlton
Die Geschäftsführung von Gazprom Germania ist im März 2022 angespannt. Den Managern ist klar: Der Krieg setzt alles aufs Spiel, was sie in Deutschland aufgebaut haben. Aber noch fließt das Gas, Geschäft ist Geschäft, so scheint es.
Bis zum 30. März.
Eine ominöse Anweisung erreicht das Führungsteam von Gazprom Germania: Im Berliner Luxushotel Ritz Carlton am Potsdamer Platz sollen die Manager fünf Russen treffen. Die Russen geben an, sie seien von der Gazprom-Zentrale in St. Petersburg autorisiert und kämen im Auftrag der neuen Eigentümer von Gazprom Germania.
Die Gazprom-Germania-Manager, so werden sie es der Bundesregierung später schildern, können kaum fassen, was sie da hören: Das Unternehmen, für das sie arbeiten, gehöre nicht mehr dem russischen Mutterkonzern Gazprom, es sei von nun an im Besitz einer Firma, die praktisch niemand kennt. Ihr Name: JSC Palmary. Die Russen übergeben den Managern einen Liquidationsbeschluss. Gazprom Germania soll dichtgemacht werden. Das ausdrückliche Ziel dieses Schritts: Hunderte Stadtwerke in Deutschland von der Versorgung mit russischem Gas abzuklemmen.
Die neuen Eigentümer von Gazprom Germania hätten offen zugegeben, mit der Aktion "größtmöglichen wirtschaftlichen Schaden" in Deutschland anrichten zu wollen, berichtet ein Eingeweihter. "Die Russen hätten es am liebsten gesehen, wenn die Gasversorgung in Deutschland zusammengebrochen wäre und die Menschen auf die Straßen gegangen wären." Es ist ein Komplott gegen die Bundesrepublik. Und die Quittung für das blinde Vertrauen in die Energiepartnerschaft mit Russland. Die Energiewaffe, so das Kalkül des Kremls, soll die deutsche Unterstützung für die Ukraine brechen.
Doch zwei russische Manager von Gazprom Germania tun etwas, das in Putins Plänen nicht vorgesehen war. Sie nehmen Kontakt zur Bundesregierung auf. Man müsse sich treffen. Sofort. In ihrer Heimat gelten die Männer fortan als Verräter.
2. Ein DJ als Strohmann
Dmitrij Zepljaew tritt in der Moskauer Klubszene unter den Namen "DJ Five" oder als "Dmitry Five" auf, seinen Stil bezeichnet er als "Progressive House". Zepljaews Arme sind tätowiert, bei Auftritten trägt er bisweilen eine rote Mütze mit der Aufschrift "Switzerland". Neben seiner Tätigkeit als DJ verdient Zepljaew Geld im Autohandel. In den Tagen vor dem 30. März 2022 nimmt das Leben des Nachtschwärmers eine Wendung: Die Energieversorgung Hunderttausender Haushalte in Deutschland liegt plötzlich in Zepljaews Händen.
Kurz zuvor, am 25. März hatte der Gazprom-Konzern das Eigentum seiner Tochter Gazprom Germania an die Gazprom Export Business Services LLC (GPEBS) übertragen. In einem zweiten Schritt reicht GPEBS wenige Tage später 0,1 Prozent der Anteile, aber 100 Prozent der Stimmrechte an die Firma JSC Palmary weiter. Deren Chef: Dmitrij Zepljaew.
Der DJ kontrolliert, zumindest auf dem Papier, eine Firma, die pro Jahr einen Umsatz in zweistelliger Milliardenhöhe erzielt und eine Milliarde Euro verdient. Ein Unternehmen mit mehr als 1500 Mitarbeitern, das knapp die Hälfte der gesamten deutschen Gasimporte abwickelt. Ziel der Aktion ist es offenbar, die wahren neuen Eigentümer hinter Gazprom Germania zu verschleiern.
Am Freitagnachmittag des 1. Aprils werden zwei Gazprom-Germania-Manager um kurz vor 17 Uhr in den Raum D 2061 des Wirtschaftsministeriums geleitet, eine kleine Gruppe von Beamten erwartet sie. Die Regierungsvertreter halten die Schilderungen der Manager zunächst für einen Aprilscherz. Bis sie realisieren: Ihnen bleiben gut 50 Stunden, um eine Katastrophe zu verhindern.
Nun herrscht Alarmstimmung in der Bundesregierung. Kanzleramtsmitarbeiter Frank Wetzel informiert Jörg Kukies, den Wirtschaftsberater des Kanzlers. Kukies meldet sich bei Olaf Scholz. "Versuch, die Sache zu verstehen, und halt mich auf dem Laufenden", so dessen Auftrag. Die anderen Beamten setzen Robert Habeck ins Bild.
Hektik bricht aus. Eine Beamtin, die Geburtstag feiert, wird zurück ins Ministerium beordert. Wirtschafts-Abteilungsleiter Philipp Steinberg ist noch im Haus, er wird das Ministerium an diesem Wochenende nur noch einmal verlassen. Zum Joggen, um kurz den Kopf freizukriegen. Steinberg bildet mit Wirtschafts-Staatssekretär Udo Philipp, dem damaligen Unterabteilungsleiter Ulrich Benterbusch und Wetzel aus dem Bundeskanzleramt den Kern der Krisenrunde, die an diesem Wochenende im Wirtschaftsministerium eine Lösung finden muss.
3. Der Krisenstab im Esszimmer
Ihr Augenmerk richtet sich aber erst einmal auf die Whistleblower von Gazprom Germania. Seit Beginn des Angriffs auf die Ukraine sind bereits mehrere russische Manager mit Verbindungen zu Gazprom unerwartet zu Tode gekommen. Auch die Gazprom-Germania-Manager werden von den neuen Eigentümern bedroht. Um die beiden Whistleblower zu schützen, werden die Gespräche mit ihnen fortan ausschließlich im Speisezimmer des Ministers geführt, dem einzigen abhörsicheren Raum im Wirtschaftsministerium. Handys müssen draußen bleiben. Gut möglich, dass die Telefone abgehört werden.
Schnell zieht die Bundesregierung auch externen Sachverstand hinzu, Unternehmensberater von Boston Consulting, Wirtschaftsprüfer von PwC, Anwälte der Kanzlei CMS. Die Lage ist zu komplex, um sie in so kurzer Zeit allein überblicken zu können. Nicht nur die neuen Eigentümer von Gazprom Germania und deren Absichten geben Rätsel auf. Auch das Unternehmen selbst ist mit seinen weit verzweigten Geschäftsbeziehungen ein Mysterium. Auf Blättern malen die Beamten die Eigentümerverhältnisse auf, die Marktstrukturen, vollziehen nach, wo Gazprom Germania mit der deutschen Energieinfrastruktur verflochten ist.
Gazprom Germania hat zu dieser Zeit in Deutschland etwa 500 Kunden, die Hälfte davon aus der Industrie, die andere Hälfte sind Stadtwerke. Machen die neuen Eigentümer mit ihren Plänen ernst und besiegeln das Aus für Gazprom Germania, wird ein Dominoeffekt eintreten: Die Stadtwerke müssten sich aus anderen Quellen zu extrem hohen Preisen kurzfristig Gas beschaffen, was ihre Existenz gefährden würde. Sie müssten ihre Gaskraftwerke runterfahren, mit denen sie Strom und Wärme produzieren - und könnten womöglich Hunderttausende Haushalte in Deutschland nicht mehr mit Erdgas beliefern. Das ist die Lage am Freitagabend, dem 1. April 2022. Und es ist kein Aprilscherz.
Die damalige Führung von Gazprom Germania hat von alldem angeblich nichts gewusst. Für Rückfragen ist sie nicht erreichbar.
4. Das Rennen gegen die Zeit
Nicht mehr Konjunkturverläufe oder Corona-Infektionszahlen, sondern Füllstände von Gasspeichern sind im Frühjahr 2022 der Krisen-Seismograf der Bundesrepublik. Der Gasspeicher im niedersächsischen Rehden ist der größte in Deutschland - und er gehört Gazprom Germania. Am 1. April ist der Speicher Rehden nur noch zu 3,32 Prozent gefüllt. Der Kreml hat Vorsorge für seinen Angriffskrieg getroffen, hat Deutschland erpressbar gemacht.
In der EU-Kommission kursieren damals verschiedene Szenarien für die Versorgungssicherheit Deutschlands im kommenden Winter. Jedes von ihnen sagt eine Gasmangellage vorher. Im Wirtschaftsministerium fällt die Einschätzung genauso dramatisch aus: Das Gas reicht nicht.
Zeitgleich wächst täglich der Druck auf die Regierung, sämtliche Gasimporte aus Russland unverzüglich einzustellen. Deutschland finanziere mit seinen Milliarden für russisches Gas das russische Morden in der Ukraine, so die Kritik.
In der Nacht auf den 8. März 2022 veröffentlicht eine Ökonomen-Gruppe eine viel beachtete Studie. Ihre Schlussfolgerung: Deutschland kann sich ein Energieembargo angeblich leisten. So würde im Falle eines sofortigen Gas-Stopps die deutsche Wirtschaftsleistung kurzfristig nur um 0,5 Prozent bis drei Prozent zurückgehen und damit weniger stark als befürchtet. Das Kanzleramt gerät noch stärker in die Defensive.
Zwei Tage später fordert Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) im Bundestag, russische Gaslieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 sofort zu stoppen. Das halten sie im Kanzleramt damals für einen hochgradig gefährlichen Vorschlag. Nach den eigenen Analysen braucht Deutschland ab jenem Datum noch Monate, um die Energieversorgung so unabhängig von Russland zu machen, dass es bei einem Lieferstopp nicht zu einer Gasmangellage kommt.
Die Regierung spielt deshalb auf Zeit. Und im Fall Gazprom Germania läuft ihr die Zeit davon.
Im Wirtschaftsministerium ist inzwischen der Samstag angebrochen. Um 9.45 Uhr kommt die Krisenrunde zu einer Vorbesprechung zusammen. Um 11.40 Uhr treffen die Regierungsvertreter unter Leitung von Staatssekretär Philipp im abhörsicheren Raum die beiden Gazprom-Whistleblower. Wie lässt sich das Schlimmste verhindern? Die Beamten spielen verschiedene Insolvenzszenarien für Gazprom Germania durch. Eine Insolvenz würde es erleichtern, das Unternehmen unter staatliche Kontrolle zu bringen. "Das war die Idee, die wir zuerst verfolgt haben", heißt es im Wirtschaftsministerium.
Parallel stimmt sich die Bundesregierung ab 13 Uhr auf Arbeitsebene mit der britischen Regierung ab. Denn Gazprom Germania mit Sitz in Berlin thront als Holding über 45 Gesellschaften, und eine ganz zentrale davon sitzt in London. Die Tochter dort wickelt im großen Stil den Gashandel in der EU und weltweit ab.
Scholz' Wirtschaftsberater Kukies macht an diesem Wochenende mit der Familie eine lang versprochene Fahrradtour im Taunus, hält aber eine Standleitung ins Wirtschaftsministerium und zum Kanzler. Fast verursacht er einen Unfall, als er auf dem Fahrrad mit dem Telefon hantiert.
5. Quittung für einen Irrweg
In die dramatische Lage, in der die Bundesregierung in diesen Stunden steckt, hat sich Deutschland über fast drei Jahrzehnte selbst hineinmanövriert. Die Vorgänger-Regierungen haben nicht nur zugesehen, wie Gazprom in der deutschen Energiewirtschaft zu einem systemrelevanten Akteur aufstieg. Sie haben den Machtzuwachs sogar befördert.
1990 tritt Gazprom in den deutschen Markt ein und schließt mit der BASF-Tochter Wintershall eine langfristige Vereinbarung über die Vermarktung von russischem Erdgas in Deutschland. 1993 wird die "Wingas" als Joint Venture zwischen Wintershall und Gazprom gegründet.
Zum bedeutenden Faktor wird Gazprom in den 2010er-Jahren. 2015 geht der gesamte Erdgashandel der Wintershall in russischen Besitz über. Hunderte Stadtwerke in Deutschland hängen nun an Lieferungen von Gazprom und ihren Tochterunternehmen.
Und noch einen Teil der kritischen Energieinfrastruktur legt Deutschland in die Hände des Kremls: 2013 erhält Gazprom von BASF die Wintershall-Anteile an den deutschen Erdgasspeichern. Im September 2015 winkt die Bundesregierung den Deal durch - obwohl Russland sich im Vorjahr die Krim-Halbinsel einverleibt hat und damit die militärische Aggression gegen die Ukraine offenkundig geworden ist.
In Berlin kann oder will man die imperialen Absichten des Kremls nicht durchschauen. "Die Versorgungssicherheit ist nicht gefährdet", teilt die Regierung mit. 20 bis 25 Prozent der Gas-Speicherkapazität in Deutschland gehören nun Tochtergesellschaften von Gazprom.
Erst sechs Jahre später, als sich russische Truppen an der ukrainischen Grenze formieren, findet ein Umdenken statt. Noch vor seinem offiziellen Amtsantritt wird der künftige Kanzler Olaf Scholz im November 2021 von der US-Regierung über die Lage in der Ukraine unterrichtet. Die USA haben praktisch keinen Zweifel mehr: Putin wird die Ukraine überfallen.
Die neue Bundesregierung beginnt, die Investitionen russischer Unternehmen in die deutsche Infrastruktur zu hinterfragen. In Kanzleramt und Wirtschaftsministerium werden Analysen erstellt, wo sich welche russischen Unternehmen in der Energieinfrastruktur eingenistet haben, wie die Lieferverträge der in Deutschland tätigen russischen Energieunternehmen aussehen. So erwischt das Gazprom-Germania-Manöver die Bundesregierung zwar auf dem falschen Fuß, aber zumindest nicht völlig unvorbereitet.
Am Samstagnachmittag trifft sich der Krisenstab ein weiteres Mal mit den beiden Managern von Gazprom Germania. Trugen die Beamten zu Beginn ihrer Beratungen noch Masken, haben sie diese nun abgelegt, man sitzt eh zu lang zu nah beieinander. Am Ende des Wochenendes werden sich alle mit dem Coronavirus infiziert haben.
Einigkeit über das weitere Vorgehen innerhalb der Regierung besteht am Samstag noch nicht. Viele Beamte wollen Gazprom Germania so schnell wie möglich unter Kontrolle des Staates stellen. Einige halten aber dagegen: Moskau habe doch immer Gas geliefert. Man dürfe die Chance auf eine Einigung mit Putin nicht verbauen.
Dabei häufen sich seit September 2021 Auffälligkeiten bei den Gaslieferungen Russlands. Die Russen schicken deutlich weniger als in den Vorjahren durch ihre Pipelines Richtung Westen, die Füllstände der deutschen Gasspeicher in Gazprom-Besitz sinken.
Im Bundeswirtschaftsministerium gab man sich lange mit den russischen Erklärungen zufrieden. Nach einem Feuer in einem Gasfeld habe es technische Probleme bei der Gasförderung gegeben. Ende Oktober 2021 meldet sich dann Putin persönlich zu Wort: kein Grund zur Sorge, die europäischen Speicher würden beliefert, sobald die eigenen voll seien. "Wir waren naiv", sagen die Leute im Wirtschaftsministerium heute.
Diese Naivität hat die deutsche Energiepolitik lange geprägt - und bietet vielleicht eine Erklärung dafür, warum Russland bei der geplanten Abwicklung von Gazprom Germania keineswegs so clever agierte, wie es der dubiose Eigentümerwechsel wirken lässt. Der Angriff aus Russland war heimtückisch, aber gleichzeitig amateurhaft.
Als Investor von außerhalb der EU hätten die Russen den Eigentümerwechsel nämlich der Bundesregierung melden müssen, da Gazprom Germania Betreiber kritischer Infrastruktur ist. Genau das haben sie aber nicht getan. Damit ist der Eigentümerwechsel schwebend unwirksam. Der Vertrag hat also quasi nur den Wert einer Absichtserklärung, das Wirtschaftsministerium kann unter Berufung auf das Außenwirtschaftsgesetz der Übernahme von Gazprom Germania einen Riegel vorschieben. Das ist zwar noch keine Lösung, macht die Sache aber zumindest einfacher.
Immer wieder fragen sich die Beamten an diesem Wochenende, warum die Russen so schlampig vorgehen, wenn sie doch laut den Whistleblowern "der deutschen Wirtschaft maximalen Schaden zufügen" wollen. Warum nimmt der Kreml den Umweg über den Eigentümerwechsel und weist Gazprom Germania nicht einfach an, alle Lieferungen an Stadtwerke und Industriekunden sofort einzustellen?
Die wahrscheinlichste Erklärung: "Die Russen" gibt es nicht, sondern verschiedene Fraktionen, im Kreml und innerhalb Gazproms. Der Mutterkonzern in Russland sollte offenbar durch den Sabotageakt nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Deshalb versuchten die Russen wohl auch, sich an deutsches Recht zu halten. Nur bei der Meldepflicht sei ihnen ein Fehler unterlaufen.
6. Noch immer Angst vor Putin
Inzwischen ist es im Wirtschaftsministerium Samstagabend, 19.30 Uhr. Die nächste Krisensitzung beginnt. Die Beamten stellen sich die Frage, wie viel Zeit ihnen noch bleibt. Über das Wochenende können die neuen Eigentümer von Gazprom Germania wenig ausrichten. Wenn sie etwa billig große Mengen Gas verkaufen wollen, brauchen sie Finanzinstrumente, die erst am Montag verfügbar sind, wenn in London die Banken und Börsen wieder öffnen. Und dann ist da auch die Frage, welche Handelspartner mit Gazprom Germania in dieser Lage überhaupt im großen Stil Geschäfte machen würden.
Am Montagmorgen werden deshalb nicht sofort Heizungen und Lichter in Deutschland ausgehen, selbst wenn keine Lösung bis dahin gefunden würde. Aber es besteht eine andere Gefahr: dass Gazprom Germania über Nacht erhebliche Vermögensanteile nach Russland transferiert, etwa Rechte an künftigen Gaslieferungen oder Liquiditätsreserven. Dann hätte die Bundesregierung darüber mit Russland verhandeln müssen.
Die Beamten diskutieren weiter über die Möglichkeit einer technischen Insolvenz. Doch sie bekommen Zweifel, ob das die Lösung ist. Es sei unklar, wie Banken, Kunden und Lieferanten reagieren würden. Im Falle einer Insolvenz wäre es daher wohl schwierig, die Gasversorgung komplett aufrechtzuerhalten. Auch könnten russische Schadensersatzforderungen drohen.
Wer die politische Verantwortung trägt, falls die ganze Operation schiefgeht, ist jedenfalls allen Mitgliedern der Krisenrunde am Ende dieses langen Samstages klar: der für Energiesicherheit zuständige Wirtschaftsminister Habeck.
Und mit noch einem weiteren Gedanken im Kopf gehen die Beamten ins Bett, um wenigstens ein paar Stunden Schlaf zu bekommen: Wie reagiert Putin, wenn Deutschland ein russisches Unternehmen einfach in die Insolvenz schickt? Zu diesem Zeitpunkt strömt noch russisches Gas durch Nord Stream 1. Stoppt Putin das Gas, wenn Deutschland Gazprom Germania quasi enteignet?
Einen Vorgeschmack darauf, wie eine mögliche Reaktion aussehen könnte, gab es bereits einen Tag zuvor. Als die Whistleblower die Bundesregierung gerade über die Gazprom-Pläne informieren, tritt Kremlsprecher Dmitri Peskow in Moskau vor die Presse. In Deutschland fände gerade eine "gangsterartige Übernahme russischen Eigentums" statt, poltert er.
Vorangegangen war ein Bericht [des Mediums] vom 31. März, wonach die Bundesregierung eine Verstaatlichung Gazprom Germanias durchspiele, weil das Unternehmen in Finanzproblemen stecke. Dass Russland in diesen Stunden Gazprom Germania einsetzen will, um Stadtwerke von der Gasversorgung abzuklemmen - von diesem Komplott wusste [das Medium] damals noch nichts.
Bereits gut zwei Wochen zuvor, am 18. März, haben sich Igor Fedorov, Geschäftsführer von Gazprom Germania, und Maxim Lovlev, Fedorovs Stellvertreter, mit Wirtschaftsstaatssekretär Philipp getroffen. Zunächst hatten die beiden russischen Manager erste Kontakte mit dem Ministerium geknüpft und Gespräche auf Arbeitsebene geführt. Die Gespräche verstetigen sich, man tauscht sich nun täglich telefonisch aus.
Grund für die Treffen sind Gazprom Germanias Liquiditätsprobleme, die wiederum auf Sanktionsängste vieler Banken zurückgehen. Zwar ist das Gasgeschäft mit Russland nicht sanktioniert, aber Banken wollen nicht ins Visier der US-Behörden geraten. Insbesondere internationale Geldhäuser mit Amerika-Geschäft meiden Unternehmen, die eine russische Mutter haben.
Die Gazprom-Zentrale in St. Petersburg interveniert nicht, schickt kein Geld zur deutschen Tochter. Vielmehr wächst der Druck aus der Gazprom-Zentrale: Die Konzernspitze will erreichen, dass ihre Deutschland-Geschäftsführer keinen Kontakt mit deutschen Behörden aufnehmen. Gazprom treibt die Liquidation des Deutschland-Geschäfts voran, es kursieren Pläne für den Verkauf wichtiger Tochterfirmen.
Auch liefert Russland nicht die vereinbarten Gasmengen. Um seine Lieferverpflichtungen dennoch erfüllen zu können, muss Gazprom Germania kurzfristig Gas zu extrem hohen Preisen dazukaufen. Die Liquidität des Unternehmens schwindet rapide.
Doch St. Petersburg lässt die Tochter in Berlin zappeln. Erst Ende März, als die Geschäftsführung von Gazprom Germania ins Ritz Carlton einbestellt wird, stellt sich heraus, wieso.
7. Die rettende Idee
Am Sonntagmorgen um zehn Uhr treffen sich Regierungsvertreter erneut mit den beiden Managern von Gazprom Germania. Auch über die Idee eines Beamten wird gesprochen: Die Regierung könnte nicht nur die Übernahme Gazprom Germanias verbieten. Sie könnte das Außenwirtschaftsgesetz auch anwenden, um Gazprom Germania unter treuhänderische Verwaltung zu stellen.
Treuhänderische Verwaltung heißt: Der bisherige Eigentümer bleibt formal Eigentümer, hat aber keine Möglichkeit mehr, über sein Unternehmen zu verfügen. "Wenn man etwas enteignet, muss man es eigentlich entschädigen. Bei treuhänderischer Verwaltung braucht man sich um dieses Thema erst einmal nicht zu kümmern", erläutert der Anwalt Christian von Hammerstein von der Kanzlei Raue die Vorteile der Idee.
Wann genau die Treuhand-Lösung ins Spiel kommt, darüber gibt es unterschiedliche Schilderungen. Einige Beteiligte sagen, sie sei bereits früh am Wochenende aufgekommen. Andere sagen, dies sei erst später am Sonntag der Fall gewesen. Die Treuhand-Lösung scheint jedenfalls eine Möglichkeit zu sein, um eine halbwegs sanfte Landung hinzubekommen.
Die Bundesregierung berät sich in den nächsten Stunden vor allem mit ihren Anwälten. Eingehend wird die Treuhand-Option geprüft. Der Montagmorgen rückt immer näher. Jetzt darf nichts schiefgehen.
Um 17.15 Uhr kommt im Büro von Staatssekretär Philipp die Krisenrunde zusammen, um eine Entscheidung zu treffen. Um 18 Uhr sind sich zumindest alle am Tisch einig: Gazprom Germania soll nicht in die Insolvenz geschickt werden, sondern unter einer Treuhand-Konstruktion weiterarbeiten. Kurz nach 18 Uhr ruft Staatssekretär Philipp seinen Minister Habeck an und legt ihm die Optionen zur Entscheidung vor. Der wägt kurz ab. Nach 20 Minuten gibt er grünes Licht: "Wir machen die Treuhandschaft." Kukies kontaktiert Scholz. Auch der Kanzler gibt sein Go.
"Im Nachhinein wirkt die Entscheidung einfach, doch damals war sie extrem schwer", sagt Wirtschafts-Abteilungsleiter Steinberg. Ein ausländisches Unternehmen unter Treuhandschaft zu stellen war ein bis dahin einmaliger Vorgang. Ist alles rechtssicher? Die Beamten glauben ja. Hundertprozentig sicher können sie sich aber nicht sein. "Das war völlig neues Terrain, das wir damals betreten haben", so Steinberg.
Am Montag, dem 4. April, wird Gazprom Germania auf der Basis des Außenwirtschaftsgesetzes offiziell unter die Treuhandschaft der Bundesnetzagentur gestellt. Statt mit einem windigen DJ verhandelt die Bundesregierung nun mit Klaus Müller, dem Chef der Bundesnetzagentur, über die Zukunft des Unternehmens.
Die Gazprom-Germania-Manager unterstützen die Entscheidung. Auch sie wollen, dass der Laden weiterläuft. Bei der Konzernspitze in St. Petersburg sind sie längst in Ungnade gefallen. Am Ende des denkwürdigen Rettungswochenendes bietet das Kanzleramt den beiden Whistleblowern Personenschutz an. Heute haben beide die deutsche Staatsbürgerschaft. An deutschen Staatsbürgern, so die vage Hoffnung, werde sich Russland nicht so schnell vergehen.
Mit der Treuhand-Lösung ist das Kapitel Gazprom Germania aber nicht beendet. Sie ist nur eine Zwischenlösung. Zunächst aber richten sich die Augen auf Putin. Wie wird er reagieren?
8. Schwelendes Risiko
Am 5. April, einen Tag nachdem Gazprom Germania unter Treuhandschaft gestellt wurde, meldet sich der Kremlchef zu Wort. Er verweist auf "brachiale Maßnahmen einschließlich des Verwaltungsdrucks auf unser Unternehmen Gazprom in einigen europäischen Ländern". Am 11. Mai lässt Putin jegliche Geschäfte von russischer Seite mit Gazprom Germania verbieten.
Kurz darauf drosselt Russland die Gaszufuhr nach Deutschland. Angeblich verhinderten die westlichen Sanktionen Wartungsarbeiten an der Nord-Stream-Pipeline in der Ostsee. Ende August lässt der Kreml die Deutschen wissen, Russland werde seine Gaslieferungen dauerhaft einstellen.
Die Pipeline Nord Stream 1 ist damit außer Betrieb, als sie, gemeinsam mit ihrer Schwester-Pipeline Nord Stream 2, am 29. September 2022 detoniert. Die Umstände bleiben mysteriös. Die deutsch-russische Energiepartnerschaft liegt nun auch physisch in Trümmern. Das Vertrauen, auf dem sie beruhte, war schon vorher zerstört.
Hat sich die Bundesregierung mit Gazprom Germania ein Sicherheitsrisiko ins Haus geholt? Diese Frage beschäftigt die Beamten jetzt. Der amtierende CEO spricht kein Deutsch. Ist er womöglich ein Doppelagent des Kremls? Die Bundesregierung tauscht ihn aus, der deutsche Manager Egbert Laege übernimmt als CEO. Aber in einem Unternehmen mit 1500 teils über Jahre erfahrenen Angestellten kann man nicht mal eben die gesamte Belegschaft auswechseln.
Berater warnen die Bundesregierung, es gebe Zweifel an der Loyalität vieler Beschäftigter. Aus dem Unternehmen heißt es heute, diese Gefahren hätten sich nicht bestätigt. Leute mit ausgeprägter Russland-Connection hätten das Unternehmen bereits im Februar 2022 verlassen, sagt ein Insider. Aber natürlich beschäftige das Unternehmen viele Menschen mit Drähten nach Russland. Man brauche die Leute und ihr Fachwissen.
Ein paar Wochen nach Beginn der Treuhandschaft ist allen im Unternehmen klar: Das Band nach Russland ist endgültig zerschnitten. Gazprom Germania wird im Juni in "Securing Energy for Europe (Sefe) umbenannt. Doch die wirtschaftlichen Probleme lassen sich damit nicht aus der Welt schaffen. Da die russischen Gaslieferungen ausfallen, muss Sefe das Pipelinegas durch erheblich teureres, auf den Rohstoffmärkten eingekauftes Gas ersetzen, um seine Lieferverpflichtungen zu erfüllen.
Die Finanzlage verschlechtert sich dramatisch. Im Juni 2022 stützt die Bundesregierung Gazprom Germania mit einem Darlehen in Höhe von neun bis zehn Milliarden Euro. Ende August belaufen sich die Verluste des Unternehmens auf mehr als drei Milliarden Euro, dem steht ein Eigenkapital von lediglich knapp einer Milliarde Euro gegenüber.
Bald ist klar: Die Fortführung der operativen Geschäftstätigkeit des Gazprom-Germania-Nachfolgers ist gefährdet - und damit abermals die Gasversorgung in Deutschland . Am 14. November 2022 verstaatlicht der Bund Sefe schließlich. Das Wirtschaftsministerium teilt mit: Da der Wert des Unternehmens negativ sei, sei man der festen Überzeugung, dem bisherigen Eigentümer Gazprom Germania keinen Schadensersatz für die Enteignung zahlen zu müssen.
"Der Bundesregierung ist es gelungen, das Unternehmen nach einem sehr turbulenten Jahr 2022 in stabiles Fahrwasser zu bringen", sagt Steinberg. "In einer absoluten Krisenlage haben wir die Versorgungssicherheit für die Bürgerinnen und Bürger gewährleistet und das frühere Gazprom Germania auf eine neue und solide Geschäftsgrundlage gestellt."
Ein finanzielles Risiko war die Verstaatlichung wegen des undurchsichtigen Firmengeflechts dennoch. Scholz' Wirtschaftsberater Kukies war Co-Deutschlandchef von Goldman Sachs und versteht als ehemaliger Investmentbanker viel von Bilanzen und Finanzderivaten. Selbst Kukies kann - nachdem er sich über Monate mit Gazprom Germania beschäftigt hat - noch immer nicht ausschließen, dass infolge der Verstaatlichung Milliardenforderungen auf die Bundesregierung zukommen könnten.
Im April 2022 sei Deutschlands Energieversorgung an einem kritischen Punkt gewesen, betonen Regierungsquellen. Doch am Ende geht alles gut. Putins Plan geht nicht auf. Die Tatsache, dass Russland in den entscheidenden Monaten umständlich agiert und die Gasversorgung nicht einfach rigoros abgeklemmt hat, verschafft der Bundesregierung die Zeit, die sie braucht, um die Speicher zu füllen und die Energieversorgung zu sichern.
9. Die Schadenbilanz
Am 31. Dezember 2022, die Verstaatlichung von Gazprom Germania liegt erst ein paar Wochen zurück, zeichnet der Kanzler seine Neujahrsansprache auf. Scholz spricht über den "imperialistischen Angriffskrieg", den Putin "mitten in Europa" führe. Die Auswirkungen spüre jeder - "beim Einkaufen im Supermarkt, an der Tankstelle oder wenn wir die Strom- oder Gasrechnung bezahlen".
Aber: Die Wohnungen sind warm. Im Rücken des Kanzlers funkelt der Christbaum vor dem Reichstag. Scholz betont: "Wir sind nicht eingeknickt, als uns Russland den Gashahn zugedreht hat." Er verrät nicht, wie knapp es war. Und darin liegt vielleicht schon die nächste Gefahr.
Berlin vor zwei Wochen, im Auswärtigen Amt tritt Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ans Podium. Stoltenberg erinnert an die drastischen Folgen, weil man sich bei der "Energieversorgung auf Russland verlassen" habe - und er warnt: "Wir sollten diesen Fehler nicht wiederholen, indem wir uns bei der Technologie für unsere kritischen Netze auf China verlassen."
Es ist kein Zufall, dass Stoltenberg diesen Satz in Deutschland sagt.
Der chinesische Technologieanbieter Huawei ist der Hauptausstatter der deutschen Mobilfunknetze. Etwa 60 Prozent der hochmodernen 5G-Komponenten stammen von Huawei, schätzt der dänische Mobilfunkanalyst John Strand. In Berlin, Deutschlands Machtzentrale, sind es sogar 100 Prozent. "Der Marktanteil von Huawei ist in Berlin größer als in Peking", sagt Strand.
Erneut hat es die Bundesregierung zugelassen, dass sich ein Konzern, der in letzter Instanz den Anweisungen einer Diktatur unterliegt, in Deutschlands kritische Infrastruktur eingenistet hat. 5G ist eine Schlüsseltechnologie, sie soll Energienetze steuern und eines Tages selbstfahrende Autos über die Straßen leiten. Wenn Chinas Führung dem Beispiel des Kremls folgt und Huawei als Waffe gegen Deutschland einsetzt, wären die Folgen unkalkulierbar.
Die USA, die Nato, die EU, die deutschen Nachrichtendienste: alle warnen vor Deutschlands 5G-Risiko. Auch das Bundesinnenministerium sieht eine "erhebliche strukturelle Abhängigkeit" von Huawei, die im "eklatanten Widerspruch zur nationalen Sicherheitsstrategie" stehe. Es gehe darum, "einen zweiten Fall Nord Stream" zu verhindern, der "weitaus gravierendere Folgen" hätte.
Doch das für die Netze zuständige Bundesverkehrsministerium hält dagegen. Die Risiken würden überzeichnet, urteilt man im Hause von Volker Wissing (FDP) - so wie es auch lange in der Bundesregierung hieß, Gazprom stelle keine Gefahr für die Versorgungssicherheit dar.
Sicherheitsexperten treibt die Blockade zur Verzweiflung. "Russland ist der Sturm, China der Klimawandel", versucht Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang den Regierungsspitzen einzubläuen. Dabei hat sich die Regierung extra eine China-Strategie zugelegt und sich dem Konzept des "Deriskings" verschrieben, des schrittweisen Abbaus von wirtschaftlichen Verwundbarkeiten. In der Praxis geschieht eher das Gegenteil.
Es ist wichtig, die zentrale Lehre aus dem Fall Gazprom zu betonen: Es waren nicht die deutschen Sicherheitsorgane, die Putins Blackout-Plan durchkreuzten. Es war das Geschick einiger Spitzenbeamter, die eine Lösung für die akute Bedrohungslage fanden. Und es waren vor allem der Mut und die Aufrichtigkeit zweier russischer Manager, die Deutschland vor Schlimmeren bewahrten.
Noch einmal auf die Heldentaten Einzelner vertrauen? Das ist keine Strategie, das ist Fahrlässigkeit.