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Der wahre Preis des Lidl-Kleids

von Felix Rohrbeck, Karolin Arnold, Konrad Ringleb und Christian Salewski
Flip vom 07.12.2023

Eine Lidl-Kampagne verspricht nachhaltige und günstige Mode, das entsprechende Kleid ist mit dem Grünen Knopf des Bundesentwicklungsministeriums (Siegel garantiert Lieferkettengerechtigkeit und hohe Standards) ausgezeichnet. Die Recherche zeigt, dass das in der Militärdiktatur Myanmar hergestellte Produkt trotzdem unter ausbeuterischen Bedingungen hergestellt wird und ausländische Unternehmen die Regierung indirekt unterstützen. Lidl, konfrontiert mit der Recherche, zieht sich zurück. Der Grüne Knopf entspringt einem undurchsichtigen Verweissystem aus Zertifizierungsstellen, in dem sich keiner zuständig fühlt.

Sie sehen hier den reinen Text in der anonymisierten Form für die Jury. Bilder, Layout oder multimediale Umsetzung sind beim Deutschen Journalistenpreis kein Bewertungskriterium. Allein das Wort zählt.

Der wahre Preis des Lidl-Kleids

Die Lidl-Mitarbeiterinnen sind aufgeregt. Wie Models posieren sie in einem Instagram-Spot, strahlen in die Kameras, schütteln Hände. Eine von ihnen erzählt, wie es dazu gekommen ist. Für die neue Lidl-Kollektion habe das Unternehmen Mitarbeiterinnen für die Kampagne gesucht. „Und wir drei“, so erzählt sie es im Spot, „durften dabei sein!“. Dann schwenkt die Kamera hinüber zu einer Stange, an der rote, gelbe und blaue Kleider hängen. „Was wir da tragen?“, fragt das Mitarbeiterinnen-Model und antwortet prompt: „Besonders nachhaltige Kleidung, die sogar vom Grünen Knopf zertifiziert wurde.“ Am Ende des Spots taucht dann auch noch TV-Moderatorin Barbara Schöneberger auf, knipst ein paar Fotos von den Mitarbeiterinnen und ruft: „Ja, zeigt mir was drinsteckt in der Grünen-Knopf-Kollektion. Nachhaltigkeit will ich sehen!“

Ein Kleid aus der Nachhaltigkeits-Kollektion, die im Spot beworben wird, gibt es im Sommer dieses Jahres für 8,99 Euro. Nur ein paar Meter von unserem [Medium]-Büro in [Ort] ist eine große Lidl-Filiale. Dort sehen wir ein Plakat, das Werbung für das Kleid macht. Darauf steht: „Mehr Nachhaltigkeit. Mehr Sparen. Mehr Lidl.“ Das klingt, als würde das alles zusammenpassen. Als sei nachhaltige Mode keine Frage des Geldes, sondern bei Lidl für jeden erschwinglich.

Auch auf dem Plakat prangt das Logo des “Grünen Knopf”, dem offiziellen Textilsiegel der deutschen Bundesregierung. Ins Leben gerufen hat es der frühere Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU), als Antwort auf das bisher größte Unglück in der Geschichte der Textilindustrie. Beim Brand in der Fabrik Rana Plaza in Bangladesch starben 2013 mehr als 1000 Näher:innen. Die Welt war geschockt, viele Menschen begriffen, wer den wahren Preis für ihre Kleidung zahlt. Die Politik beschloss: Nie wieder Rana Plaza!

Im Jahr nach dem Unglück rief Müller das Bündnis für nachhaltige Textilien ins Leben. Aus ihm ging später der Grüne Knopf hervor. Er soll Kund:innen zeigen, dass die Kleidung nach hohen sozialen und ökologischen Standards hergestellt wurde. Es gehe um “mehr Menschlichkeit” und um “Gerechtigkeit” in den Lieferketten, sagte Müller zur Einführung des Grünen Knopfs 2019. Mittlerweile ist das Vertrauen in das Siegel laut einer Gfk-Umfrage mit 67 Prozent außergewöhnlich hoch. Insgesamt wurden bis Mitte 2022 mehr als 260 Millionen Artikel verkauft, die den Grünen Knopf tragen.

Nicht nur das Unternehmen und Barbara Schöneberger behaupten also, dass das Kleid für 8,99 Euro nachhaltig und fair ist. Auch das Siegel der deutschen Bundesregierung bescheinigt das. Gibt es echte Nachhaltigkeit also wirklich zum Spottpreis?

Als wir das Kleid zu Recherche-Zwecken kaufen, steht auf der Packung “Esmara”, das ist die Lidl-Eigenmarke “für preisbewusste Fashionfans”, wie es auf der Website heißt. Wo das Kleid produziert wurde, steht nicht auf der Packung. Also packen wir es aus und suchen das weiße Etikett im Innern. Wir sind ziemlich baff. “Myanmar” steht dort klein gedruckt. Myanmar, das früher Burma hieß, ist eigentlich ein wunderschönes Land. Es gibt Bilderbuch-Strände, buddhistische Tempel und malerische Reisterrassen. Noch vor ein paar Jahren empfahl der Lonely Planet das südostasiatische Land als eines, das man unbedingt besuchen sollte. Spätestens seit einem Militärputsch im Februar 2021 ist das aber unmöglich. Die Minderheit der Rohinga wird gnadenlos verfolgt, im Kampf gegen die Opposition werden auch Zivilisten von der Militärjunta massakriert. Mehr als 60.000 Häuser hat sie nach UN-Angaben niederbrennen lassen.

Auch die Arbeitsbedingungen verschlechtern sich rasant. Im Demokratieindex des Economist liegt das Land weltweit auf dem vorletzten Platz, noch hinter Nordkorea. Ein Bericht der Ethical Trading Initiative (ETI), in der auch Lidl Mitglied ist, stellte bereits im September 2022 systematische Zwangsarbeit, Ausbeutung und Unterdrückung von Gewerkschaften in Myanmars Textilsektor fest. Es sei für ausländische Konzerne in Myanmar nicht mehr möglich, die Einhaltung von Menschenrechten zu garantieren. Immer mehr Unternehmen ziehen sich deshalb aus dem Land zurück.

Und ausgerechnet hier, in diesem Unrechtsstaat, soll das Lidl-Kleid nach hohen ökologischen und sozialen Standards produziert worden sein? Wie will der Konzern das sicherstellen? Und: Wie wurde es vom Grünen Knopf, dem staatlichen Siegel, überprüft?

Verloren im Siegel-Dschungel

Wir beginnen unsere Recherche beim Grünen Knopf. Das Siegel gehört dem Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ). Dieses, so hat es der frühere Minister Gerd Müller formuliert, garantierte, dass der Grüne Knopf wirklich nur fair und nachhaltig produzierte Kleidung auszeichne – und zwar zu 100 Prozent. Man könnte daher denken, dass eine Heerschar von Beamt:innen im Ministerium über das Siegel wacht. Doch so ist es nicht. Das BMZ hat den Grünen Knopf quasi outgesourct.

Versucht man nachzuvollziehen, an wen, kann einem schwindelig werden. Es gibt eine sogenannte Vergabestelle, die vom Kennzeichnungs-Dienstleister RAL betrieben wird. Dann gibt es Prüfstellen wie den TÜV Rheinland, die für die Audits, also die Kontrollen in den Unternehmen zuständig sind. Die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS) wiederum kontrolliert als „Prüferin der Prüfer“ die Prüfstellen, zumindest in der Version Grüner Knopf 2.0, die seit vergangenem Jahr schrittweise den Grünen Knopf 1.0 ablöst. Und dann gibt es noch eine Geschäftsstelle des Siegels, die von der GIZ betrieben wird, der deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit. Dorthin nehmen wir Kontakt auf.

Unsere Frage ist simpel: Wie ist das Siegel auf das Lidl-Kleid gekommen? Das Gespräch aber dauert über eine Stunde – ohne dass wir eine Antwort auf unsere Frage bekommen. Sprechen wollen die Mitarbeiter:innen von der Geschäftsstelle nur im Hintergrund. Das bedeutet: Wir dürfen aus dem Gespräch nicht zitieren. So viel aber wird klar: Der Grüne Knopf ist ein hochkomplexes Konstrukt. Die konkrete Antwort auf unsere Frage kennen die Mitarbeiter:innen offenbar selber nicht. Das kann man ihnen nicht vorwerfen. Das ganze System ist so organisiert. Egal, mit wem man spricht, alles bleibt immer abstrakt, es geht um Standards, Synchronisierungen und Sorgfaltspflichten. An vermeintlich einfachen und konkreten Nachfragen wie denen zu unserem Lidl-Kleid aber scheint das System zu scheitern.

Im Kern handelt es sich um ein Zwei-Säulen-Modell. Die erste Säule ist die Prüfung des Unternehmens, also Lidls. Tatsächlich führt uns ein Link auf der Verpackung des Kleides zu einem entsprechenden Zertifikat. Dort wird Lidl bescheinigt, die Anforderungen des Grünen Knopfes “an die Umsetzung unternehmerischer Sorgfaltspflichten” zu erfüllen. Unterschrieben hat es eine Mitarbeiterin von Control Union, einem internationalen Zertifizierungsunternehmen, das auch Standorte in Deutschland hat. Wir rufen sie an. Es ist ein kurzes Gespräch. Später schreibt sie per Mail, man prüfe lediglich die “Managementanforderungen” des Grünen Knopfes. Dazu gehört etwa, ob ein Unternehmen eine “Grundsatzerklärung” abgegeben hat und seine Lieferketten-Risiken analysiert. “Wir prüfen aber nicht die Herstellung der Produkte in den Ursprungsländern, da dies ja bereits geschehen ist”, schreibt die Mitarbeiterin von Control Union.

Wer aber macht das dann? Nun wird es noch komplizierter. Denn der Grüne Knopf ist ein Meta-Siegel. Das heißt: Dort, wo es konkret wird, bei der Überprüfung vor Ort, verlässt er sich auf andere Siegel, die die Bundesregierung für glaubwürdig hält. Im Fall des Kleides ist das unter anderem der Global Recycle Standard (GRS). Er soll sicherstellen, dass Produkte aus recycelten Materialien ökologisch und unter fairen Arbeitsbedingungen hergestellt wurden. Als wir mehr über das Siegel lesen, sind wir überrascht. Denn: Entwickelt wurde es von Control Union, jener Organisation, mit der wir schon zu tun hatten. Sie hat die Rechte an dem Siegel 2011 an eine andere Organisation übertragen, führt als Zertifizierer aber nach wie vor Prüfungen durch. Auch im Fall des Lidl-Kleids lautet die Nummer des GRS-Zertifikates: CU 851646. CU steht für Control Union. Wir landen also doch wieder beim Zertifizierungsunternehmen, dessen Mitarbeiterin uns erklärt hat, die Herstellung der Produkte in den Ursprungsländern nicht zu prüfen, da dies bereits geschehen sei. Wir drehen uns im Kreis.

Eine letzte Mail an die Geschäftsführerin von Control Union Deutschland. Wie genau wurde das Lidl-Kleid zertifiziert? Wer war vor Ort, in welchen Fabriken? Wie will Control Union in einem Land wie Myanmar sicherstellen, dass die Vorgaben des GRS und damit auch des Grünen Knopf eingehalten werden? Eine Antwort auf unsere Mail bekommen wir nicht. Der Grüne Knopf, der Verbrauchern:innen Transparenz verspricht, bleibt selbst nach hartnäckiger Recherche eine Black Box. Es ist ein System aus Siegeln und Meta-Siegeln, aus Audits und ausgelagerten Zertifizierungen, in dem sich am Ende niemand zuständig fühlt.

Am liebsten würden wir nun selbst nach Myanmar reisen. Doch das geht nicht. Dort frei zu recherchieren, lässt das Militär nicht zu. Auch für Gewerkschaften ist es kaum noch möglich, sich dort zu organisieren. Sie werden willkürlich verhaftet, entführt, misshandelt, gefoltert und ermordet, heißt es in einem Bericht von Sonderermittlern der Internationalen Arbeitsorganisation ILO.

Im Bonner Exil gegen die Militärjunta

Das ist auch der Grund, weshalb Khaing Zar Aung in Bonn gestrandet ist. In ihrer kleinen Wohnung in der Innenstadt stehen überall Blumen, davor fährt die Straßenbahn. Man könnte die zierliche, kleine Frau mit ihren langen, dunklen Haaren leicht für eine Gaststudentin halten. So falsch ist das auch gar nicht. Khaing Zar Aung kam zum Studieren nach Bonn. Allerdings war sie da schon eine mächtige Gewerkschafterin, Präsidentin der Industrial Workers Federation of Myanmar. In Deutschland, dem Land der Gewerkschaften, wollte sie von den Besten lernen. Nun kann sie nicht zurück. In Myanmar liegt ein Haftbefehl gegen sie vor.

Zum Studieren aber kommt Khaing Zar Aung auch nicht mehr. Seitdem das Militär sich in Myanmar an die Macht geputscht hat, ist zu viel zu tun. Ständig klingelt während des Gesprächs ihr Telefon. Khaing Zar Aung vertritt in Myanmar zehntausende von Arbeiter:innen. Doch ihre Gewerkschaft kann nur noch verdeckt arbeiten. Aus dem Exil hilft sie ihren Kolleg:innen, sich vor dem Militär in Sicherheit zu bringen. Das klappt nicht immer. “So viele wurden verhaftet, so viele getötet”, sagt Khaing Zar Aung. Einige seien auf Demonstrationen erschossen worden, andere bei Angriffen des Militärs auf ihre Dörfer ums Leben gekommen. Auch Amnesty International berichtet von solchen Gräueltaten.

Für Khaing Zar Aung ist klar, dass Marken, die weiter in Myanmar produzieren lassen, die Militärjunta indirekt unterstützen. Die Fabrikbesitzer seien gezwungen, ausländische Währungen bei Banken umzutauschen, die unter Kontrolle des Militärs stehen. “All die Milliarden werden dann genutzt, um neue Waffen zu beschaffen.” Europäische Unternehmen, die das in Kauf nehmen, seien “mitverantwortlich für all das Töten und die Verhaftungen.”

Wegen der katastrophalen Menschenrechtslage haben Unternehmen wie der Zara-Mutterkonzern Inditex, C&A und H&M ihre Lieferantenbeziehungen zu Myanmar bereits beendet oder angekündigt, dies zu tun. Auch Tchibo ist diesen Schritt gegangen. Man habe nicht mehr sicherstellen können, “dass in unseren Fabriken wirklich Menschenrechte und Arbeitsrechte eingehalten werden”, so Julia Thimm, Nachhaltigkeitsmanagerin bei Tchibo.

Wo das Kleid produziert wurde, will Lidl nicht verraten

Lidl geht einen anderen Weg. Im November diesen Jahres veröffentlicht das Bündnis für nachhaltige Textilien einen Fortschrittsbericht des Konzerns, in dem es heißt: “Wir haben uns und unsere Lieferanten verpflichtet, auch weiterhin keine Aufträge aus Myanmar zurückzuziehen.” Lidl kündigt also an, auch weiterhin in der Militärdiktatur fertigen zu lassen und begründet dies auch mit seiner Mitgliedschaft in der Initiative ACT, einem Zusammenschluss großer Textilmarken und Gewerkschaften, der sich für bessere Arbeitsbedingungen einsetzt. Damit will der Konzern zeigen, dass es noch möglich sei, in Myanmar die Rechte der Näherinnen zu schützen. Was Lidl offenbar nicht mitbekommen hat: ACT ist schon seit Dezember 2021 nicht mehr in Myanmar aktiv. Auf Nachfrage [von Medium und anderem Medium] begründet die Initiative den Rückzug aus Myanmar damit, dass Gewerkschaften “unter den gegebenen Umständen nicht länger in der Lage sind, frei zu arbeiten”.

Das weiß Khaing Zar Aung nur zu gut. Viele Mitglieder ihrer Gewerkschaft sind vor dem Regime nach Mae Sot geflohen, einer Grenzstadt in Thailand. Dorthin reisen nun auch wir. Es ist eigentlich eine schöne Stadt. Für Kyi Kyi Tun, Ma San San und Ko Myo Min, drei der geflüchteten Gewerkschafter:innen aus Khaings Team, ist es aber ein gefährlicher Ort. Sie sind illegal hier. Sollten sie in eine Polizeikontrolle geraten, droht ihnen Gefängnis und die Rückführung nach Myanmar. Immer wieder schauen sie sich misstrauisch um, als wir mit ihnen über einen blinkenden Nachtmarkt zu einem Buddha-Tempel laufen. Sie wollen für ihre Kolleg:innen in der Heimat beten. Hier zeigen wir ihnen das Kleid. “Von Esmara haben wir schon gehört”, sagt Kyi Kyi Tun. “Seit zwei Jahren erhalten wir Beschwerden über Arbeitsrechtsverletzungen.”

In ihren Listen haben sie eine ganze Reihe von Verstößen gefunden, die ihnen Arbeiter:innen aus Lidl-Zulieferer-Fabriken gemeldet haben. Dabei geht es um Lohneinbehalt, um Akkordarbeit bis tief in die Nacht und um schwangere Frauen, die bis kurz vor der Entbindung arbeiten müssen. Mehrfach bitten wir Lidl um ein Interview – vergeblich. “Aus organisatorischen Gründen” sei dies nicht möglich. Wo genau das Kleid produziert wurde, will Lidl auch nicht verraten. Stattdessen schickt der Konzern eine Liste mit hunderten von Zulieferern. 30 davon sitzen in Myanmar.

Eine wacklige Verbindung nach Myanmar

Über die geflohenen Gewerkschafter:innen kommt es zu einem Video-Call mit Arbeiter:innen in Myanmar, bei dem wir extrem vorsichtig sein müssen, um niemanden zu gefährden. Die Verbindung ist wackelig und reißt immer wieder ab. Nach und nach aber erscheinen Näher:innen auf dem Bildschirm, die für Lidl-Zulieferer arbeiten. Eine von ihnen kommt gerade von einer Spätschicht. Ein anderer sitzt in einer dunklen Wellblechhütte und spricht leise in sein Headset.

Die Näher:innen berichten von einem Lohn, der “nicht mal fürs Essen” reicht, von Drohungen, Einschüchterungen – und von einer Zusammenarbeit zwischen Fabrik und Militär. “Wenn der Arbeitgeber den Arbeitern etwas sagen möchte, um sich unmissverständlich auszudrücken, dann lädt er das Militär ein”, erzählt eine der Arbeiter:innen. Wenn dieses dann in die Fabrik komme, müssten die ehemaligen Gewerkschaftsführer antreten. “Es wirkt dann, als würden sie die Arbeiter erschießen, sobald sie sich bewegen, wenn sie auch nur einen Mucks machen.”

Wir wollen wissen, ob gegen diese Zustände etwas unternommen wird. Eine Arbeiterin berichtet, dass sich eine Gruppe bei der Fabrikleitung beschwert habe, weil der gesetzlich vorgeschriebene Urlaub nicht in vollem Umfang gewährt wurde. Als diese nicht reagierte, geriet die Geschichte über Medien der Opposition an die Öffentlichkeit. Tatsächlich sei dann jemand von Lidl in der Fabrik erschienen, erzählt die Arbeiterin. “Doch bevor wir den Lidl-Mann treffen konnten, rief uns der Chef zusammen. Er drohte uns. Wenn ihr die Wahrheit sagt, verlieren wir den Auftrag und ihr alle eure Jobs. Dem Lidl Vertreter wurden dann gefälschte Dokumente gezeigt. Ich weiß nicht, ob er etwas mitbekommen hat.”

Lidl macht eine 180-Grad-Wende

Ein letztes Mal schreiben wir Lidl, wollen dem Konzern die Möglichkeit geben, sich dazu zu äußern. Die Antwort erstaunt uns alle. Lidl habe beschlossen, sich bis 2025 aus dem Verkauf von Textilien, die in der Militärdiktatur Myanmar produziert wurden, zurückzuziehen. Weiter teilt das Unternehmen mit, die von uns aufgedeckten Zustände in einer der Fabriken untersuchen zu wollen. „Bis zum Abschluss der Untersuchung werden keine neuen Aufträge für die Produktion von Lidl Ware an die Produktionsstätte vergeben.“ Es ist eine 180-Grad-Wende. Und ein Eingeständnis: Wer in Myanmar produziert, kann nicht sicherstellen, dass dort unter fairen Bedingungen gearbeitet wird. Dass Kleidung aus Myanmar trotzdem mit dem Grünen Knopf ausgezeichnet wird, hält die Grünen-Politikerin Renate Künast für falsch und irreführend. “Ich finde, der Grüne Knopf verspricht etwas, was er nicht einhält.”

Nur die Bundesregierung sieht offenbar keinen Handlungsbedarf. Angeblich nachhaltige und faire Kleidung aus Myanmar wird es wohl auch weiterhin mit dem staatlichen Siegel geben. Eine Sprecherin des Bundesentwicklungsministeriums schreibt, dass “kein Land pauschal frei von Umwelt- und Menschenrechtsverstößen” sei. Insofern setze man sich dafür ein, dass die Unternehmen ihren Sorgfaltspflichten nachkommen. Dies müssten sie beim Grünen Knopf nachweisen und werde von Zertifizierungsstellen überprüft. Der Versuch eines persönlichen Interviews mit der zuständigen Staatssekretärin Bärbel Kofler (SPD) ist zuvor gescheitert. Keine Zeit. Als wir sie dennoch am Rande einer Bundestagssitzung auf das Thema ansprechen und ihr das Lidl-Kleid zeigen, reagiert sie genervt. “Was habe ich damit zu tun?” Dann geht sie davon.