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Der Chefpilot

von Martin U. Müller und Alexander Kühn
Der Spiegel vom 06.04.2024

Porträt des Lufthansa-Vorstandsvorsitzenden Carsten Spohr: der erfolgreiche Manager sei bei Aktionären beliebt, Kunden dagegen bemängelten den schlechten Service. Charakteristisch seien sein meist charmanter und leutseliger Führungsstil und gutes Krisenmanagement, im Tagesgeschäft agiere er tlw. ungenau. Neue Fluglinien und Zukäufe sollen Gewerkschaften aushebeln, Spohr will die Lufthansa-App vereinfachen und während Corona entlassenes Personal wieder aufstocken.

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Der Chefpilot

Er fährt nicht ins Büro, er fliegt. Flugzeuge hat er genug, als Vorstandsvorsitzender der Lufthansa. Die Zentrale des Konzerns befindet sich auf dem Frankfurter Airport. An diesem Freitagmorgen Ende März hebt Spohr von München aus ab, wo er mit seiner Familie wohnt.
8.45 Uhr, Terminal 2, eine Viertelstunde vor Abflug von LH99. Spohr trifft an Gate 16 ein. Anzug, Krawatte, Aluköfferchen. Er gibt einem nicht einfach die Hand, sondern läuft mit ausgestrecktem Arm auf einen zu. Siegerlächeln. Spohr sagt, er habe eben noch mit seinen Töchtern gefrühstückt, das sei der Vorteil an diesem 9-Uhr-Flug, »haben Sie auch Kinder?«.
Er kann das: Nähe herstellen, Leuten ein gutes Gefühl geben. Dennoch ist er schwer zu greifen. Menschen, die eng mit ihm zusammengearbeitet haben, sagen: Spohr strahle mitunter eine Kälte aus, die selbst für einen Konzernlenker ungewöhnlich sei. Sobald er jedoch im Mittelpunkt stehe, sei er mit seinem Ruhrpott-Charme unschlagbar. Und Spohr steht gern im Mittelpunkt. Nach dem Kranich ist er das zweitwichtigste Maskottchen der Lufthansa, nach außen wie nach innen.
»Haben Sie alles im Griff?«, ruft er der Lufthansa-Mitarbeiterin am Gate zu. Die Frau bejaht. Spohr, gönnerhaft: »Das wusste ich doch, dass Sie alles im Griff haben!« Sie zeigt auf einen jungen Mann hinter sich: »Das ist mein Sohn.« Spohr fragt: »Sind Sie auch bei der Lufthansa?«
Der Sohn antwortet, er mache eine Ausbildung zum Übersetzer und sei zu Besuch hier. Eine Ausbildung sei wichtig, ruft Spohr, »ich selbst habe zwei«. Er ist Ingenieur und Pilot. »Machen Sie Ihre Ausbildung zu Ende, und dann kommen Sie zu uns!«
Spohr steigt als einer der Letzten ins Flugzeug ein. Sein Personenschützer, bislang unsichtbar, sitzt bereits auf Platz 6D, Businessclass. Spohr hat 6C. Bevor er sich hinsetzt, wechselt er ein paar Sätze mit den Flugbegleiterinnen, auch im hinteren Teil der Maschine, und schaut ins Cockpit.
Spohr sagt, jeder Lufthanseat repräsentiere das Unternehmen. »Bei obersten Führungskräften wie ein Staatschef, der sein Land vertritt. Oder wie ein Chefarzt bei der Visite.« Das verlange Disziplin. Während des Flugs liest er Akten und trinkt Orangensaft.
Spohr ist die Lufthansa. Die Lufthansa ist Spohr. Fast 750 Flugzeuge, rund 100.000 Mitarbeiter, 300 Beteiligungen und Tochterunternehmen. Darunter allein 13 Fluglinien: Swiss, Austrian Airlines, Brussels Airlines oder der Billiganbieter Eurowings. Nur die Hälfte der Flugzeuge gehört noch zur Kernmarke.
Im Mai ist der 57-Jährige seit zehn Jahren im Amt. Sein Vertrag wurde im März 2023 vorzeitig verlängert, um weitere fünf Jahre. Sollte Spohr ihn bis zum Ende erfüllen, wird er der am längsten Amtierende auf diesem Posten sein. Die Altersgrenze von 60 Jahren wird damit außer Kraft gesetzt.
Spohr gilt derzeit als alternativlos. Nicht nur, weil gute Airline-Chefs schwer zu bekommen sind, aufgrund der erforderlichen Spezialkenntnisse. Sondern weil Spohr liefert. Die Coronajahre ausgenommen, in denen der Konzern aus dem Dax flog, erwirtschaftete er oft Rekordgewinne. Im vergangenen Jahr waren es knapp 1,7 Milliarden Euro, immerhin das drittbeste Ergebnis in der Firmengeschichte. Ein erheblicher Teil des Gewinns stammt nicht aus dem Reisegeschäft, sondern von Töchtern wie Lufthansa Technik, dem Weltmarktführer für Flugzeugwartung.
Aus Sicht der Aktionäre mag Spohr der ideale Konzernchef sein. Nicht jedoch für die Fluggäste. Die Lufthansa, einst eine bundesrepublikanische Institution, ist zum natio­nalen Ärgernis geworden. Flugzeuge sind verspätet oder heben gar nicht erst ab, weil Piloten fehlen. Hinzu kommen Kofferchaos und Streiks. Die Internetseite hängt sich auf, das Callcenter ist überfordert. Die Ticketpreise sind hoch wie lange nicht, der Service an Bord war zuletzt bescheiden.
Vielflieger lästern über »Carsten Spar« und seine »Spohrmaßnahmen«, wenn an Bord mal wieder die Milch aus ist. Es kommt auch vor, dass ein Aufsichtsrat von einem Flughafen aus bei Spohr anruft und es »zum Kotzen« findet, dass sein Gepäck nicht da ist.
Vieles, was schiefläuft, sind Nachwehen der Coronazeit. Damals entließ Spohr 30.000 Mitarbeiter, nun sucht er hände­ringend welche. Jeden Monat stellt er mehr als 1000 Leute ein.
Während der Pandemie zählte einzig das Überleben des Konzerns, alles andere blendete Spohr aus, insbesondere das Wohl des Kunden. 2022 verlor die Lufthansa in einem der wichtigsten Airline-Rankings ihren fünften Stern, eine Auszeichnung, auf die Spohr immer stolz gewesen war.
Hinzu kommen Mängel, für die das Unternehmen nicht immer etwas kann. Triebwerke machen Probleme. Weil die Hersteller nicht hinterherkommen, fehlen Sitze und ganze Maschinen. 280 neue Flugzeuge sind bestellt.
Spohr gibt zu: »In den vergangenen beiden Jahren konnten wir nicht immer durchgängig ein Premium-Erlebnis bieten.« Anfang Fe­bruar appellierte er an seine Belegschaft: 2024 müsse das Jahr werden, »in dem wir die Kundenzufriedenheit wieder nach oben bringen«. So oder ähnlich sagt er das alle paar Jahre. Erstmals 2014, als er Lufthansa-Boss wurde.
Nun sollen 100 Minimaßnahmen die Kunden versöhnen: ein Aperitif auf Langstrecken, eine zweite warme Mahlzeit, Schokolade. Es ist lange her, dass die Lufthansa weltweit Standards setzte, wie vor 20 Jahren, als sie als erste Airline Internet in Flugzeugen anbot.
In Wahrheit war der einzelne Passagier für Lufthansa nie sonderlich wichtig. Andere ­Airlines hätscheln ihre Stammgäste mit ­Upgrades. Spohr sagt: »Wenn Sie das zu häufig machen, schüren Sie nur falsche Erwartungen.«
Der ehemalige Lufthansa-Manager Thomas Sattelberger maulte vor einigen Jahren auf Facebook, die Airline behandle ihre besten Kunden »wie #Vieh«. Manchmal trifft Spohr aber auch auf Fans.
Es ist kurz vor 10 Uhr, als LH99 in Frankfurt landet. Sobald die Anschnallzeichen erloschen sind, dreht sich ein Reisender in Reihe 4 zu Spohr um: »Are you Mister Carsten?« Er sei ein Geschäftsreisender aus Singapur, verbringe einen Großteil seiner Zeit in Flugzeugen. Spohr sagt: »You can feel my life.« Der Herr bittet um ein Selfie, für die Freun­de in der Heimat. Spohr lacht in die Handykamera.
Weil die Maschine zu früh gelandet ist, dauert es eine Weile, bis die Gangway für den Ausstieg herangerollt wird. Das ist nicht Aufgabe der Airline, sondern des Flughafens. Spohr ist genervt.
Auf die Passagiere warten Busse, auf Spohr ein schwarzer Van. Sein Personenschützer nimmt auf dem Beifahrersitz Platz, Spohr hinten rechts. Im Getränkehalter liegen Erfrischungstücher, er steckt einige davon ein. Sein Pressesprecher, der ihn ebenfalls begleitet, überreicht ihm eine dunkelblaue Mappe mit Kranichlogo, darin ein Redemanuskript. Als Spohr sie öffnet, fällt ihm eine Packung Fisherman’s-Friend-Pastillen entgegen. Die legt sein Vorzimmer bei, wenn er irgendwo länger sprechen muss, wie gleich im Digital Hangar. Dem Ort, an dem die Lufthansa an ihrer Zukunft arbeitet.
Laut Eigen-PR will sie dort »neue digitale Maßstäbe setzen mit spürbarem Effekt für unsere Kund:innen«. Oder, weniger pathetisch: Das Unternehmen versucht die Digitalisierung nachzuholen, die es bislang verschlafen hat. Dabei verkauft die Lufthansa jedes zweite Ticket online, eine halbe Million Menschen nutzt täglich die App, alle zwei bis drei Minuten füllt sich virtuell ein A380.
Spohr geht durch die Büros, Mitarbeiter scharen sich um ihn. Spohr sagt: »Es wurde höchste Zeit, wir waren zu langsam im Digitalen.« Er klingt noch immer überrascht, wenn er erzählt, wie er für seine Familie vor zwei Jahren eine Reise in die USA buchte. Und von dort über Island und London zurück nach Deutschland, mit Lufthansa, British Airways und United Airlines.
Die Apps der Wettbewerber seien deutlich einfacher zu bedienen gewesen. »Unsere eigene hatte zu viele Unterpunkte. Ich konnte genau sehen, wie zu viele Abteilungen bei der App mitgeredet hatten.« Das Merkwürdige an der Anekdote: Spohr erzählt sie, als hätte er mit alldem nichts zu tun. Als wäre er ein normaler Lufthansa-Kunde und nicht der oberste Chef. Nun soll die App so simpel werden wie die von Uber. Mit ihr hat Spohr gute Erfahrungen gemacht.
Unten in der Halle haben sich mehr als 200 Mitarbeiter versammelt. Spohr betritt die Bühne, überfliegt seinen Spickzettel, spricht dann frei. Er schwört die Menge ein wie ein amerikanischer Fernsehprediger. Es geht nach vorn, doch der Weg ist weit, das ist ungefähr der Inhalt seiner Rede.
Spohr spaziert auf und ab, fuchtelt, scherzt, trinkt Wasser in großen Schlucken. Als eine Frau in der ersten Reihe ihre Cola umkippt, hechtet Spohr zu ihr und bringt ihren Rucksack in Sicherheit.
Nach einer halben Stunde zieht er sein Sakko aus. Zwei Mitarbeiter wollen es ihm abnehmen, er legt es lieber selbst über einen Stuhl, das wirkt nicht so bossig.
Wie er im weißen Hemd vor der Menge steht, erinnert er an den SPD-Wahlkämpfer Gerhard Schröder, der sich auf Marktplätzen die Stimme wund schrie. Einmal raunzte der ermattete Schröder: »Hol mir mal ’ne Flasche Bier, sonst streik ich hier.« Spohr hat noch Kraft, aber keinen Ton. Er ruft seinem Digitalchef zu: »Also, ein paar Mikros können Sie noch kaufen, Herr Schmitt, auf meine Kostenstelle!«
Spohr stammt aus Wanne-Eickel. Den Heimatslang hat er abgelegt, die Direktheit ist geblieben. Wenn er staunt, ruft er: »Hammer!« Geht er zur Toilette, sagt er: »Ich muss mal für kleine Mädchen.«
Sein Vater war Ingenieur, er arbeitete in einer Baufirma und flog viel. »Es war ein schönes Gefühl, wenn mein Vater nach zehn Tagen Südamerika wieder nach Hause kam«, sagt Spohr. Schon damals habe er Flugzeuge geliebt.
Spohr war Schulsprecher, später Sprecher des Pilotenlehrgangs. Seit 1994 ist er durchgängig bei der Lufthansa. Weggefährten sagen, er habe bereits damals ausgestrahlt, dass er ganz nach oben wollte. Ein Vor­gesetzter riet ihm, seine Brust nicht ganz so stolz zu schwellen.
Spohr war Assistent des damaligen Vorstandsvorsitzenden Jürgen Weber, der als sein Ziehvater gilt. Später verantwortete er Kooperationen mit anderen Fluglinien und leitete das Frachtgeschäft. Als 2011 ein neuer Konzernboss gesucht wurde, fiel die Wahl jedoch auf den damaligen Swiss-Chef Christoph Franz. Spohr wurde lediglich Chef der Airline Lufthansa. Er war vorerst ausgebremst.
In dieser Zeit soll er einen »gnadenlosen Korpsgeist« entwickelt haben, erzählt einer, der dabei war. Spohr habe sich mit Leuten umgeben, die ihm für seine Karriere nützlich erschienen. Wir gegen die. Wer für mich ist, wird belohnt. Jeder andere ist mein Gegner. Spohrs Büro lag nahe dem Flight Operations Center (FOC). Das Kürzel hatte bald eine neue Bedeutung: Friends of Carsten. »Das war mein Team im Airline- Vorstand«, sagt Spohr. »Eine eingeschworene Truppe.«
2014 wurde Spohr doch noch Vorstandschef, nach monatelanger Suche. Manchen galt er als Verlegenheitskandidat. Kein Jahr später ereignete sich das Unglück, das ihm seinen Ruf als Krisenmanager einbrachte. Ein psychisch kranker Pilot der Tochter-Airline Germanwings ließ ein Flugzeug willentlich abstürzen. Die Maschine zerschellte in den französischen Alpen, 150 Menschen starben. Spohr zeigte Gesicht, kümmerte sich um die Angehörigen, redete nichts schön.
Jemand, der mit ihm im Krisenstab saß, sagt: Spohr sei sichtlich betroffen gewesen. Es sei ihm nicht um seine Karriere gegangen, sondern um die Sache. Doch als er die Krise gemeistert hatte, sei ihm anzumerken gewesen, wie unantastbar er nun war. »Er glaubte, er könne fortan übers Wasser gehen.«
Dass er Krise kann, bewies er auch in der Coronazeit. Um den Konzern vor der Pleite zu bewahren, stieg der Bund als Aktionär ein, hinzu kam ein Rettungspaket in Milliardenhöhe. Spohr zahlte das Geld vorzeitig zurück, noch bevor die Pandemie zu Ende war. Die Lufthansa war wieder unabhängig, was bei den übrigen Anteilseignern gut ankam.
»Wenn er im Krisenmodus frei schwimmen muss, ist Spohr brillant«, sagt ein Insider. Im täglichen Business wirke er weniger inspiriert, bisweilen erstaunlich ungenau.
Als mehrere Vorstände sich zuletzt wegen Budgetfragen überwarfen, hätte man sich ein Machtwort von Spohr gewünscht. Spohr gelingt das Kunststück, bodenständig zu wirken und doch über den Dingen zu schweben.
Seine Achillesfersen, heißt es intern, seien seine Eitelkeit und verletzter Stolz. Wie neulich, als ein Gewerkschafter ihm vorhielt, Spohr habe vor Mitarbeitern gesagt: Trotz des Streiks sitze er abends »entspannt« in seiner »Villa« auf der Couch. Spohr schaute sich daraufhin das Video von seinem Auftritt an. Der Funktionär habe ihn falsch zitiert, sagt er. Er habe »erschöpft« gesagt. Und auch nicht »Villa«. Spohr sagt, er habe das als »derartiges kulturelles Foul« empfunden, dass er sich beinahe bei dem Mann gemeldet hätte. Irgendwer muss ihm am Ende davon abgeraten haben.
Dann zeigt Spohr einem noch Halle 5, wo alles begann. »Hier hatte ich meinen ersten Job als Praktikant.« In der Mitte stehen zwei Flugzeuge. Die Boeing 747-8 »Bayern« wird repariert, weil sie auf dem Rückflug von Buenos Aires vom Blitz getroffen wurde. Die 787-9 »Kiel« wird durchgecheckt.
Spohr nimmt einen mit ins Cockpit, man soll ihn dort aber nicht fotografieren. Solche Bilder können unglücklich wirken, wenn der Börsenkurs im Sinkflug ist oder mal wieder die Piloten streiken. Als das Kindermagazin [anderes Medium] ihm einmal ein Fotoshooting mit Kapitänsmütze vorschlug, lehnte er ab.
Das Cockpit ist ein Ort, wo ein Pilot sich mächtig fühlen kann. Und an dem er seine große Verantwortung spürt. »Jeder meiner 11.000 Pilotenkollegen kann eines dieser komplexen Flugzeuge fliegen«, sagt Spohr. Und jeder von ihnen sei kurzfristig durch einen Kollegen ersetzbar. Zugleich sei »diese Tätigkeit einzigartig und führt deshalb zu einem Elite-Bewusstsein, auch bei ihrer Gewerkschaft«. Man kann das so verstehen: Die Piloten und ihre Funktionäre sollen sich mal nicht so wichtig nehmen.
Die Gewerkschaften zählen zu Spohrs größten Gegnern. Eine Gruppe streikt immer: die Piloten, die Flugbegleiter oder wie zuletzt das Bodenpersonal und die Lufthansa Technik.
Die Streiks sind nicht nur ärgerlich, sondern auch teuer. Anfang März bezifferte die Lufthansa die Kosten auf 100 Millionen Euro, Ende März bereits auf 250 Millionen. Spohr sagt: »In meiner Position darf man sich nicht erpressen lassen.« Es seien schon Airlines pleitegegangen, »weil sie den Forderungen der Gewerkschaften nachgegeben haben.« Später ergänzt er: »Lieber ein paar Tage ohne Lufthansa als irgendwann ganz ohne Lufthansa.«
Auch um die Gewerkschaften auszuhebeln, hat er den Konzern umgebaut. Es ist der womöglich radikalste Eingriff seit der Privatisierung des Staatskonzerns vor drei Jahrzehnten, er soll dafür sorgen, dass die Milliardengewinne weiterhin verlässlich fließen. Was keineswegs sicher ist.
Spohr schrumpft die Kernmarke und gründet neue Fluglinien. Damit umgeht er die zementierten üppigen Gehälter der Lufthansa-Crews. Im jüngsten Ableger, Lufthansa City Airlines, sollen die Lohnkosten pro Flugzeug jährlich ein bis zwei Millionen Euro unter denen der Lufthansa liegen. Discover Airlines hat nicht einmal einen eigenen Tarifvertrag.
Spohrs zweite Säule sind Zukäufe. Aktuell will er sich die italienische Fluglinie ITA einverleiben, ein weiteres Übernahmeziel ist die portugiesische TAP. Beide sind schwer angeschlagen und werden von ihren jeweiligen Regierungen unterstützt. Allein wären sie kaum überlebensfähig, als Teil der Lufthansa womöglich schon.
Spohr nennt das einen »dezentralen Ansatz«. Dass davon längst nicht jeder so überzeugt ist wie er, zeigt die vergleichsweise maue Bewertung des Konzerns an der Börse. Auch der größte Anteilseigner ist skeptisch.
Karl Gernandt, die rechte Hand des Milliardärs Klaus-Michael Kühne, dem 17,5 Prozent an der Lufthansa gehören, lobt Spohrs Fähigkeiten als Manager. Seine Strategie sei jedoch »nicht ohne Fragezeichen«: »Das simple Addieren von Airline-Marken allein halten wir noch nicht für ein Konzept. Die einzelnen Flugbetriebe könnten sich wie ein Sammelsurium aus Einzelkönigreichen entwickeln.« Ein Konzern müsse führbar bleiben. Dann wird Gernandt wieder opti­mistisch: »Gerade das Führen kann Spohr.«
Ob Spohrs Kalkül aufgeht, wird sich womöglich erst herausstellen, wenn er nicht mehr im Amt ist.
Raum C6 9.09, Spohrs Büro. Von dort aus ist der Blick frei aufs Vorfeld. Ein Bildschirm an der Wand zeigt eine Weltkarte, darauf sind im Wechsel minutengenau die aktuellen Flugbewegungen der Airlines zu sehen. Lufthansa: 104 Flüge, rund 20.000 Passagiere. Swiss: 53 Flüge, 5.300 Passagiere. Und so weiter.
Wie wird Spohr damit umgehen, eines Tages nicht mehr Mister Lufthansa zu sein? Hat er Angst vor der Leere? Spohr verneint. Er zeigt auf ein Foto auf seinem Schreibtisch, darauf seine Frau und seine Töchter. Soll bedeuten: Es gibt noch ein Leben neben dem Beruf. Und danach.
Im Umfeld des Konzerns heißt es: Karl-Ludwig Kley, der Vorsitzende des Aufsichtsrats, habe es versäumt, einen Nachfolger für Spohr aufzubauen. Im Vorstand ist kein Kronprinz in Sicht, niemand, der aus dem Stand heraus übernehmen könnte, zumal gerade vier von sechs Mitgliedern das Unternehmen verlassen.
»Herr Kley wird einen Namen im Kopf haben, wenn die Nachfolge ansteht«, sagt Spohr. Außerdem fördere man junge Leute, setze sie auf anspruchsvolle Jobs.
Wäre das Unternehmen reif für eine Frau an der Spitze? Spohr sagt: »Bis 2025 wollen wir 25 Prozent weibliche Führungskräfte haben.« Aber Ingenieurwesen studierten auch heute leider noch mehrheitlich Männer.
Jemand, der mal im Aufsichtsrat saß, sagt: Spohr sei bislang nicht als großer Frauenförderer aufgefallen. »Das Thema Diversität passt zu ihm wie eine Kuh zum Fahrradfahren.«
Wenn es doch einmal eine Frau in den Vorstand schaffte, hielt sie sich dort nicht lange. Traditionell ist es so: Frauen sind Assistentinnen oder Flugbegleiterinnen. Spohr nennt sie bis heute manchmal »Stewardessen«, ein Wort aus der Zeit, als man noch »Fräulein« oder »Friseuse« sagte.
Es ist ein bisschen wie in alten »James Bond«-Filmen: Der Mann ist der Held, die Frau nur Beiwerk.
Spohr ist 007-Fan. Er hat alle Filme gesehen, mehrmals. Auf Flügen schaut er sie sich trotzdem immer wieder an. Sein Lieblings-Bond ist Roger Moore. »Der hatte die meiste Selbstironie.« Man möge aber nicht von Bond auf seine Rolle bei der Lufthansa schließen. Wobei: Eines verbinde beide.
»Bond ist größer als der jeweilige Darsteller, so ist das natürlich auch mit der Lufthansa und ihrem Chef«, sagt Spohr. Zum ersten Mal an diesem Tag klingt er fast ein wenig demütig.