Waldbrandland
von Katrin Groth
brand eins vom 26.05.2023
Porträt der erfolgreichen Unternehmensberaterin Christina Henkel (ehem. Carsten), die im fortgeschrittenen Alter von 60 ihre Geschlechtsumwandlung vollendete. Geschildert werden Laufbahn, inneres und äußeres Coming-Out sowie Transition. Besonderer Fokus liegt auf Geschlechterrollen im Arbeitskontext sowie Kommunikationsstrategien.
Sie sehen hier den reinen Text in der anonymisierten Form für die Jury. Bilder, Layout oder multimediale Umsetzung sind beim Deutschen Journalistenpreis kein Bewertungskriterium. Allein das Wort zählt.
Waldbrandland
Um 13.15 Uhr löst die Leitstelle in Brandenburg an der Havel Alarm aus. Olaf Fetz, Stadtwehrführer der Feuerwehr von Treuenbrietzen, greift nach dem Pieper an seinem Hosenbund und liest: „Brand Wald Frohnsdorf Richtung Lüdendorf unklare Rauchentwicklung.“ Er steigt in seinen feuerwehrroten Dacia und fährt los. Fünf Einsatzfahrzeuge folgen mit jaulenden Martinshörnern.
Vier Jahre zuvor hatte es hier schon mal gebrannt, 400 Hektar Bäume wurden vernichtet. Nun brennt es wieder. Es ist Freitag, der 17. Juni 2022. 170 Hektar Wald werden an diesem Wochenende in Flammen aufgehen.
Der Wald bei Frohnsdorf ist fast so groß wie die Insel Norderney. Das angrenzende Dorf dagegen ist klein, ein Ortsteil der Stadt Treuenbrietzen, Brandenburg. Das Land flach, die Forstwege wie mit dem Lineal gezogen. Ein Teil des Waldes gehörte der Kommune. Der ehemalige Stadtförster Dietrich Henke hatte vor Jahren begonnen, ihn umzubauen, von der Monokultur zum Mischwald.
Im August 2018 brannte es zum ersten Mal. Henke holte sich danach Rat bei der Wissenschaft: Man wollte gemeinsam herausfinden, wie Wälder widerstandsfähiger werden können. Der Name des millionenschweren, auf fünf Jahre angelegten Projektes: „Pyrophob“, feuerabweisend. Die Idee: weniger Kiefern, mehr Laubbäume. Tote Bäume ließ man liegen, sie sollten Schatten spenden, den Boden feucht halten. Die privaten Waldbesitzer ringsum räumten das Totholz ab, forsteten mit Kiefern auf.
Anfang 2022 verkaufte die klamme Kommune den größten Teil des Stadtwaldes für 20 Millionen Euro an ein Unternehmen. Dann, im Juni, brannte der Wald erneut.
Wie konnte zweimal an fast der gleichen Stelle ein Feuer ausbrechen? Haben Henke und die Forscherinnen und Forscher fahrlässig gehandelt? Ist das Totholz schuld? Und vor allem – ist der Waldumbau gescheitert?
Klassische und moderne Forstlehre ringen seitdem um Deutungshoheit. Ökonomie versus Ökologie. Förster, Waldbesitzer und Forscher, sie zerren am Wald wie Eltern an einem Scheidungskind.
Als der Wald zu brennen anfängt, erledigt Peer-Marten Kopp Bürokram. Er ist der neue Förster, hat nur wenige Wochen zuvor den Job übernommen. Er sagt: „Der Zustand des Reviers war unterirdisch.“
Sein Vorgänger Dietrich Henke – im Jahr 2022 als Förster des Jahres ausgezeichnet – ist frustriert. „Ich bin immer für den Wald da. Ich habe nur ein Problem mit dem da.“ Er meint Kopp, den er nur „das Försterchen“ nennt.
Der Vorsitzende der örtlichen Waldgenossenschaft, Wolfgang Seehaus, mäht Gras für seine Kaninchen, als das Feuer ausbricht. Die Gemeinschaft privater Waldbesitzer verlor beim Feuer 2018 viel Wald. Er sagt: „Henke hat zweimal verbrannte Erde hinterlassen und dafür auch noch einen Preis bekommen.“
Jeanette Blumröder wertet Daten aus, als der Brand beginnt. Die Biologin begleitet die Wiederwaldwerdung für die Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde, sie koordiniert das Projekt Pyrophob seit Mai 2020. Dafür werden Flächen der privaten Genossenschaft genauso untersucht wie im kommunalen Stadtwald.
Der neue Förster und der Waldbesitzer auf der einen, die Biologin und der ehemalige Förster auf der anderen Seite. Sie lästern unverhohlen übereinander – und streiten über die Zukunft des Waldes. Aber erst mal brennt es.
Der Feuerwehrmann
Olaf Fetz erinnert sich genau, wie er an jenem Freitag sein Auto über sandige Forstwege jagt. Es gilt Waldbrandstufe 4, die zweithöchste. Als er in einer Allee aus Roteichen hält, steht der Wald schon in Flammen. Er fordert Verstärkung. Um 14.08 Uhr vibrieren die Pieper von Dutzenden Feuerwehrleuten im Umkreis: „Brand. Wald. Groß.“
Dunkel qualmt es vom Fuß des Hanges, der Rauch setzt sich in der Kleidung fest. Es habe wie am Lagerfeuer gerochen, sagt Fetz, aber auf der unangenehmen rauchigen Seite. Das Feuer frisst sich den Hang hinauf, Wind aus Südwest treibt es an. Bald stehen 100 Hektar in Flammen. An der Bundesstraße auf der Hügelkuppe löschen Wasserwerfer aus Berlin, Bundeswehrhubschrauber lassen Wasser vom Himmel fallen, Bauern karren in Gülle-Anhängern Wasser heran. Mehrmals sind Detonationen zu hören.
Die Brandstelle ist ein alter Spreng- und Übungsplatz. Fünf Granaten fand die Feuerwehr im Wurzelteller einer umgekippten Kiefer. Das Problem: Wo Munition liegt, kommt die Feuerwehr nicht an den Brandherd heran und muss von den Waldwegen aus löschen. Oder aus der Luft.
Tonnen von Bomben, Granaten und Munition gibt es in den Brandenburger Wäldern, Überbleibsel von Weltkriegen und Truppenübungen. 585000 Hektar gelten als Kampfmittelverdachtsflächen, bundesweit der höchste Wert. 2022 wurden im Auftrag des Landes gerade einmal 39 Hektar Wald geräumt. Brandenburg ist ein Pulverfass.
Bis zu 15000 Euro pro Hektar kostet die Räumung. Bezahlen müssen das die Eigentümerinnen und Eigentümer. Für das Forschungsprojekt wurden 13 Hektar geräumt, die Kosten von 170000 Euro vom Projekt bezahlt.
Im Wald wirken alte Kampfmittel mitunter wie Brandbomben. Zum Beispiel Phosphorgranaten. Regen, Sonne, Kälte nagen am Metall, es rostet, gibt den Phosphor frei. 34 Grad Celsius reichen, und das Pulver zündet. Es klinge, sagt die Feuerwehr, wie das Zischen eines Streichholzes.
Ob sich die Munition in Frohnsdorf selbst entzündete? Unklar. Brandstiftung, glauben viele. Der Staatsanwaltschaft fehlen dafür Anhaltspunkte, das Verfahren wurde mangels Tatverdachts eingestellt. Zwölf weitere Waldbrände zählt die Feuerwehr an diesem Wochenende in Brandenburg, der nächste Großbrand ist nur 20 Kilometer entfernt. Sonntagmorgen gegen halb neun überspringt das Feuer die Bundesstraße, die sich durch den Wald zieht. „Waldbrand bei Treuenbrietzen wieder außer Kontrolle“, titelt [anderes Medium]. Sonntagmittag evakuiert die Polizei Frohnsdorf. Bis auf 1000 Meter kommt das Feuer ans Dorf heran. Eine Strecke, die es laut Feuerwehr in zehn Minuten überwinden kann.
In der Nacht zu Montag prasselt es vom Himmel, die Feuerwehr bekommt den Brand unter Kontrolle. Die Bilanz: fünf Millionen Liter Löschwasser, mehr als 600 Feuerwehrleute, rund 1,2 Millionen Euro Kosten – nur für den Feuerwehreinsatz.
* * *
Peer-Marten Kopp, der neue Förster, sagt: „Das viele Totholz hat die Feuerwehr behindert und den Brand groß gemacht. Pyrophob ist ein Schuss in den Ofen.“
Dietrich Henke, der Vorgänger, sagt: „Das ist doch schwachsinnig. Nimm mal ein Stück Holz und halte ein Feuerzeug drunter. Das dauert, bis das brennt.“
Wolfgang Seehaus, der Chef der Waldgenossenschaft, sagt: „Ich habe das viele trockene Holz gesehen. Wenn hier einer zündelt, dann geht
das ab, dachte ich. Und genau so ist es gekommen. Aber man durfte ja nüscht sagen.“
Jeanette Blumröder, die Wissenschaftlerin, sagt: „Sie geben gerne dem Totholz die Schuld. Und bringen das mit uns in Verbindung. Ich sage
auch nicht: Ich baue keine Häuser mehr, weil die abbrennen könnten, oder?“
Der Förster
Ein weißer Pick-up schaukelt über eine Sandpiste. Peer-Marten Kopp drückt aufs Gaspedal, jagt den kahl gebrannten Hang hinauf. Er ist seit Mai 2022 im Dienst. Der Wald bei Frohnsdorf ist sein erstes eigenes Revier. Kopp ist angestellt bei der Muhr’schen Forstverwaltung, die den Wald gekauft hat. Sie gehört zur Unternehmerfamilie um Thomas Muhr, dieser leitet einen Autozulieferer mit mehr als 14000 Beschäftigten.
Wo stehen Sie politisch? Grün? Das ist das Erste, was Kopp von [ReporterIn] wissen will. Dann legt er los. Die Wissenschaftler hätten mit Existenzen gespielt. „Wenn das ein Vollfeuer – welches bis in die Kronen klettert – geworden wäre, dann wäre das Dorf weg. Das hätten die – das sind ja qualifizierte und angesehene Forscher – wissen müssen.“ Es seien keine waldbrandvorbeugenden Maßnahmen getroffen worden, sagt Kopp, und sein Vorgänger sei nur durch die Forscher und den Hype um Peter Wohlleben auf den Thron „Förster des Jahres“ gehievt worden. Wohlleben, Förster und bekannt durch seinen Bestseller „Das geheime Leben der Bäume“, plädiert seit Langem für eine ökologischere Forstwirtschaft.
Nur: Bis zum Verkauf galt der Stadtwald als Paradebeispiel für den Waldumbau. Der Stadtförster Henke lichtete die Kiefern, die fast 90 Prozent ausmachten, pflanzte und säte Eichen, brachte Laub aus den örtlichen Parks in den Wald, damit sie Humus bilden, ließ tote Bäume liegen, damit sie sich vollsaugen wie ein Schwamm.
„Das funktioniert nur, wenn es genug Niederschlag gibt – und der fehlt“, sagt Kopp. Er ist 29 Jahre alt, Forstwirt und Berufsjäger. Sein T-Shirt leuchtet in Warnwestenorange, ansonsten trägt er Waldgrün. Der Pick-up hüpft über die Schlaglöcher. Hier ist alles tot, sagt Kopp und drosselt das
Tempo nicht. Er jagt den Pick-up die Waldschneisen entlang. Dann bremst er und steigt aus.
Odin, Kopps Jagdhund, eine Alpenländische Dachsbracke, pinkelt an eine Pappel. Kopp schabt mit der Schuhspitze über den Boden. Es staubt. „Der Boden ist sauer. Da lebt kein Regenwurm drin, der fängt an zu schreien“, sagt er. Schwarzes Holz auf schwarzem Sand, die Szenerie erinnert an einen Horrorfilm. Wie knochige Finger ragen Stämme aus der Erde. Runzelig ihre Haut, zerfressen von den Flammen. Eine geschmolzene Insektenfalle baumelt im Wind. Auch fünf Wochen nach dem Brand liegt Ruß in der Luft.
Ein paar Schritte weiter blühen Kanadisches Berufkraut und Landreitgras. Der Wind weht Pappelsamen her, Eichelhäher bringen Eicheln; Samen, die lange im Boden lagern und sich gegen die Konkurrenz nicht durchsetzen konnten, keimen jetzt. Der Wald erneuert sich selbst, das zeigen Untersuchungen vom Forst Brandenburg. Auf einer ehemaligen Brandfläche südöstlich von Berlin war der Wald nach acht Jahren wieder da. Ganz von selbst.
Kopp geht das zu langsam. Er möchte aufforsten, umgehend. Er malt kleine Vierecke in die Luft. Schachbrettmuster. Ein Block Kiefern, ein Block Eichen, höchstens drei Baumarten. Kleinteilige Monokultur, so stellt er sich den Wald vor. So lasse es sich „wirtschaftlich darstellen“. Ein
Wald, der ins Sägewerk passt.
Kopp redet und redet. Es geht um Festmeterpreise, den Holzmarkt, die Kosten für die Holzerntemaschine. Der finanzielle Druck ist groß für private Waldbesitzer. „Ich bin kein Förster, der jedes Fitzelchen Wirtschaftlichkeit sieht oder den Wald ausbeutet“, sagt Kopp. Die Industrie sei es, die gleichförmige Bäume wolle. Und der derzeitige Holz-Boom verlangt nach immer mehr Material. Vor allem Nadelholz. „Wenn ich CO2 speichern will, muss ich höhere Leistung fahren“, sagt er und ruft nach Odin. Kopp will weiter, sein Hund schnuppern. „Sportsfreund“, sagt Kopp mahnend.
Der Vorgänger
Dort, wo Kopp jetzt das Sagen hat, war 20 Jahre lang das Reich von Dietrich Henke. Der 55-Jährige stapft an der Brandfläche entlang. 70 Jahre alte Kiefern ragen in den Himmel, ermüdend endlos reihen sie sich aneinander. Die Kronen braun, die Stämme schwarz. Auch hier wälzte sich das Feuer durch. Die Bäume sind tot, das Kambium, die lebenswichtige Wachstumsschicht zwischen Rinde und Holz, verletzt. Ein Friedhof der Bäume.
„Wie kann man als Stadt so dämlich sein“, poltert Henke los. „Warum wird eine gemeinnützige Fläche für einen eigennützigen Zweck verkauft?“ Die Stadt behielt nur 80 Hektar Wald, zwei Windräder drehen sich dort. 80000
Euro Pacht bringen sie jedes Jahr. Einen Förster braucht man dafür nicht.
Henke trägt Wanderschuhe, Funktionshose, Karohemd. Eine hölzerne Armbanduhr links, eine Smartwatch rechts. Um den Hals ein Band, an dem ein silbernes Reh baumelt, aufgehängt an den Läufen. Jagen, sagt er, sei Teil der Naturverjüngung. Zu viel Wild verbeiße die jungen Triebe. Er knöpft sein Hemd zu. Kiefernplantage, Windkraftanlagen, Henkes Horrorszenario. „Warum sollte sich ein Millionär Wald kaufen? Zur Geldanlage.“ Die Stadt sei seit der Wende pleite, sagt der Bürgermeister. Mit dem, was Henke mit dem Wald rwirtschaftete, stopften sie Löcher im Haushalt.
Als Stadtförster baute er den Wald naturnah um. Sogar die Bundeslandwirtschaftsministerin kam, um sein Konzept zu bestaunen. Im Frühjahr 2022 wurde er von einem Online-Portal der Forstbranche als Förster des Jahres ausgezeichnet. Henke wird nicht müde, das zu betonen.
Henke sei leidenschaftlich, habe quasi im Wald gewohnt, sagen die einen. Ein Besserwisser, sagen die anderen. „Manchmal will ich mit dem Kopf durch die Wand“, sagt er selbst. Mit dem Bürgermeister steht Henke seit dem Waldverkauf auf Kriegsfuß, mit dem neuen Förster redet er nicht.
Die Klimakrise mache den Wald instabil, sagt Henke. „Wir können es uns nicht mehr leisten zu warten.“ Seine Worte hallen in den Kiefernforst. Es riecht verkohlt. Am Horizont drehen sich leise die Windräder.
Der Genossenschaftler
Auf der anderen Seite der Bundesstraße blickt Wolfgang Seehaus von einer staubigen Anhöhe aus über das, was früher sein Wald war. Der Brand 2018 hat ein u-förmiges Loch hineingefressen. 180 Hektar groß. Der Schaden: vier bis fünf Millionen Euro. „Ich wusste nicht, wie wir das schaffen sollen“, sagt Seehaus.
Laut Brandenburger Waldgesetz müssen kahle Flächen innerhalb von drei Jahren aufgeforstet werden. Wenig Zeit, viele greifen daher auf Bekanntes zurück. In Brandenburg heißt das: Kiefer, Kiefer, Kiefer. Rund 70 Prozent des Waldes sind Kiefermonokultur.
Seehaus ist 67, züchtet Kaninchen, sitzt im Gemeindekirchenrat, er ist Rentner und Vorsitzender der Waldgenossenschaft Bardenitz. Die Kiefer sei der optimale Baum, sagt er. Einfach zu pflegen und leicht zu verarbeiten. Er geht ein paar Schritte. Vor seinen Füßen wächst eine Kiefer. Sie ist zwei Jahre alt und 15 Zentimeter groß. Seehaus hat Wald von seinem Großvater geerbt, sich mit anderen zu einer Genossenschaft zusammengeschlossen.
Früher habe eine Generation gepflanzt, eine gepflegt, eine geerntet, sagt er. Totholz wurde rausgesammelt, der Wald aufgeräumt. Alles sollte seine Ordnung haben. Wenn Seehaus über den Wald spricht, beklagt er sinkendes Grundwasser, redet vom Wald als CO2-Speicher, vom Klimawandel. Er sagt: „Ich würde Plaste abschaffen und To-go-Sachen.“ Plastik soll weg, nicht aber Kiefern in Reihen.
Die Waldgenossenschaft entschied: Kahlschlag, pflügen, neu pflanzen. Kiefern in Reihen, so wuchs der Wald jahrzehntelang: die Bäume gleich alt, gleich hoch, gleich breit. Wirtschaftswald, sagen die einen, Monokultur, die anderen. Manche auch: Wüste. Zu wenig Licht, Platz, Wasser – für die Bäume bedeute es ein Leben im Mangel, kritisieren Ökologinnen. Anfällig für Trockenheit, Sturm, Kiefernknospentriebwickler. Und hochentzündlich. 80 Prozent der gepflanzten Genossenschafts-Kiefern vertrockneten.
Seehaus steigt ins Auto, juckelt vorbei an Pappeln, Birken, Robinien. Eine Staubwolke folgt. Die Bäume wachsen ohne sein Zutun. „Das sind maximal Hackschnitzel zum Verbrennen“, sagt er und dass er nicht verstehe, warum die Kiefer verpönt ist. Warum heute alles Laubwald sein soll.
Die Sonne brennt vom wolkenlosen Himmel. Seehaus stoppt an einem Zaun. Grillen zirpen ohrenbetäubend. Ein Hektar Birken – früher das Unkraut des Waldes, sagt er, wertlos, heute ein Versuch: Birken auf Kahlflächen verschaffen anderen langsam wachsenden Bäumen Schutz. Auch die Wissenschaftler von Pyrophob lässt er auf die brach liegenden Brandflächen.
Vielleicht wird das noch mal Wald, sagt Seehaus schulterzuckend. Zehn Jahre wird das dauern, hat man ihm gesagt, zu groß die abgebrannte Fläche. Seehaus hatte auf drei gehofft. Wald braucht Zeit – und kostet. Geld, das die Waldgenossenschaft nicht hat. Ein Hektar Kiefer bekommt er für 6000 Euro, sagt Seehaus. Eichen kosten das Doppelte, bringen aber teilweise das Dreifache ein. Seehaus wolle mit dem Wald nicht spekulieren wie andere, sagt er. Bloß die Kosten decken: Steuern, Beiträge zur Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft, Feuerversicherung. Er lässt den Motor an. Aus dem Radio tönt „It’s the final countdown“.
Die Wissenschaftlerin
Einen Kilometer weiter wiegen sich Zitterpappeln im Wind, zwei, drei Meter hoch, dazwischen Kiefern, Eichen. Am Boden Heidekraut, schmalblättrige Weidenröschen blühen pink. Jeanette Blumröder stiefelt an diesem Freitag im Juli durch den Genossenschaftswald. Äste schlagen ihr gegen die Brust, ein Schwall Grashüpfer springt aus dem Moos. An manchen Stellen ist der Boden aufgerissen wie trockene Haut. 2018 wurde das verbrannte Holz abgeräumt.
Eine zweifache Katastrophe, sagt Blumröder, erst der Brand, dann der Kahlschlag. Sie steigt über alte Pflugspuren. Eine Mini-Pappel übersieht sie. „Entschuldigung“, sagt sie und zieht ihren Fuß weg. Blumröder, 37, ist klein, sie trägt blaue Funktionsklamotten, die kurzen dunklen Haare verschwinden unter einer Kappe. Sie hat über die Funktionstüchtigkeit von Wäldern promoviert. Wenn sie über den Wald spricht, dann voller Leidenschaft – und Sorge.
An Holzpflock I_1 öffnet sie die Kapsel, die auf 1,30 Meter hängt. Ein Messgerät kommt ihr entgegen, kaum größer als eine Streichholzschachtel. Blumröder stöpselt das Gerät an ihren Computer an, eine gezackte Linie erscheint. Vier Tage über 40 Grad, murmelt sie. Alle zehn Minuten wurde die Temperatur gemessen, jeden Tag, zwei Jahre. Hundert solcher Messpunkte gibt es in Frohnsdorf, verteilt auf zehn Versuchsflächen in beiden Wäldern: dem zum großen Teil verkauften Stadtwald und dem Genossenschaftswald. Blumröder kommt alle sechs Wochen, um die Daten auszulesen.
Heißester Tag: 19. Juni 2022. Temperatur: 43,6 Grad Celsius. Kahl geschlagen, junge Kiefern. Kühlster Punkt: 38,8 Grad Celsius. Vergleichsfläche unverbrannt.
Bis 2025 will sie herausfinden, wie ein Wald aussieht, dem Trockenheit und Brände weniger anhaben können. Acht Institute untersuchen dafür Böden, Mikroklima, Insekten. Finanziert wird Pyrophob vom Waldklimafonds vom Bundeslandwirtschafts- und Umweltministerium. Kosten: 4,6 Millionen Euro.
Blumröder sieht sich an, wie heiß und feucht es im Wald
ist. Hat es gebrannt, fehlt der Schatten. Der Boden erwärmt
sich schneller, auch das letzte Wasser verdunstet. Für gepflanzte Jungbäume oft das Todesurteil. „Es ist wichtig, Totholz im System zu lassen, weil das der Ausgangsstoff für ein neues Ökosystem ist“, sagt sie. Ein System, das der Mensch nicht austricksen kann. „Ich kann nicht einfach einen Baum oder einen Käfer bauen.“ Seehaus und seine Genossenschaft versuchten es trotzdem. „Die haben tonnenweise Wasser angekarrt, sonst wäre noch viel mehr kaputtgegangen“, sagt Blumröder. Als sei Wald ein hübscher Garten. 30 Messpunkte und eine Wetterstation klappert sie an diesem Tag ab, vier Stunden lang.
Wo die Natur machen durfte, herrscht aus ökologischer Sicht Hochbetrieb, mehr Vielfalt als vor dem Brand. Die jungen Pappeln hätten das zweite Feuer sogar gebremst, sagt Blumröder. „Auf der Privatwaldfläche schneiden sie die Pappeln teilweise weg. Ich weiß auch nicht, was ich noch sagen soll.“ Sie packt den Datenlogger in die Kapsel am Pflock und sucht den nächsten Messpunkt.
Oft heißt es: In Brandenburg wächst nur Kiefer. Blumröder zieht die Augenbrauen hoch. Oder es heißt: Waldbrände seien normal. „Nicht bei uns“, sagt sie. Eine kanarische Kiefer verträgt einen Brand, unsere ist danach tot.
Ein Rabe flattert krächzend davon, Äste knacken unter Blumröders Schuhen. Der Wald sei kein Dienstleister, wie manche Förster glauben. „Der Wald denkt nicht: Ich liefere dem Mensch Luft und sauberes Wasser, weil ich den so gerne mag.“ Auch das Holz: „Der Wald produziert das nicht, damit wir es rausschaffen. Wenn wir alles raustragen, fehlt dem Wald etwas.“
Ein Holztransporter donnert über die Bundesstraße.
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Zwei Waldbrände, zwei Jahre Forschung, Hunderte Hektar verbrannte Erde – was bleibt? Die Feuerwehr rüstet auf, schafft neue
Löschfahrzeuge an, mit größeren Wassertanks. Mehr als hundert Feuerwachtürme überwachen per Kamera die Brandenburger Forste. An den Ursachen ändert sich nichts.
Warum das Geld nicht gleich in gesunde Wälder investieren? Vieles macht der Wald allein – wenn man ihn lässt, zeigt die Forschung. Doch dafür braucht er Zeit. Blumröder fordert ein Umdenken: Man solle dafür zahlen, den Wald zu bewahren. Und nicht für abgeholzte Kiefern. Nur ein funktionierendes Ökosystem kann auch wirtschaftlich funktionieren.
Blumröder hockt auf einem Baumstamm an der Brandfläche. Die Pappeln treiben wieder aus. „Ich stelle mir die Frage, wie man noch feuersicherere Wälder hinbekommen kann angesichts des Klimawandels. Wir können die Flächen gar nicht schnell genug entwickeln oder sich entwickeln lassen, wie das Feuer wiederkommt“, sagt sie. --