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Niedriger Ladezustand

von Johannes Winterhagen
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31.01.2023

Angesichts gestiegener Energie- und Lithiumpreise stehen geplante Investitionen in die europäische Batteriezellenproduktion in Frage. Der Artikel erörtert mögliche Strategien, um den Standort attraktiver zu machen: Natrium-Ionen-Zellen als alternative Technologie, die Senkung des Rohstoffverbrauchs durch Recycling und besonders sorgfältige Fertigung.

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Niedriger Ladezustand

Die Zahlen auf den Folien, mit denen Burkhard Straube das jährliche Klassentreffen der deutschen Batterieforscher einleitet, muss er jedes Jahr austauschen. Bislang kannten die nur eine Richtung. Nachfrage, Produktionsvolumina, Absatzprognosen, alles wuchs, auch die Zahl der geplanten europäischen Fabriken. In jüngster Zeit gab es jedoch Dämpfer, Northvolt und Tesla verschoben den Bau angekündigter Werke in Brandenburg und Schleswig-Holstein. „Wir erfahren erstmals deutlichen Gegenwind“, sagt Straube, der das vom Bundesforschungsministerium geförderte Kompetenznetzwerk Lithium-Ionen-Batterien leitet.

Drei Faktoren seien verantwortlich für die Zurückhaltung potentieller Investoren: die hohen Energiepreise in Deutschland, die massive Subvention von Batteriefabriken in anderen Ländern und die stark gestiegenen Rohstoffpreise, vor allem für das in absehbarer Zeit kaum zu ersetzende Lithium. Sollte das dazu führen, dass die Akkus für Elektroautos aus europäischer Produktion in China, Kanada oder den Vereinigten Staaten gebaut werden, wären die Folgen fatal. Der Plan, die Arbeitnehmer, die durch den Verzicht auf den Verbrennungsmotor frei werden, mit dem Bau von Batterien zu beschäftigen, ginge nicht mehr auf, der inländische Wertschöpfungsanteil an jedem gebauten Auto nähme ab, die erstrebte technologische Souveränität wäre dahin.

Energiekosten entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit

Dass es sich bei der Klage über Energiepreise nicht um vorschnellen Alarmismus handelt, zeigt ein Beispiel: Um Lithium-Ionen-Zellen zu bauen, die zehn Gigawattstunden Energie speichern können, benötigt die Fabrik 400 Gigawattstunden Strom. Nicht berücksichtigt ist da der Energieaufwand für die Herstellung der Vormaterialien. Frank Riemensperger, Mitglied im Präsidium der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften, schlüsselt die Kosten in einer hochautomatisierten Fertigung von Batteriezellen so auf: 65 Prozent entfallen auf die benötigten Materialien, 30 Prozent auf die Energie und nur fünf Prozent auf den Faktor Arbeit.

Im Wettbewerb um Investoren punkteten die Vereinigten Staaten schon in der Vergangenheit mit niedrigen Preisen für Indus­triestrom. Künftig werden zudem die Anreize für die Käufer von Elektroautos davon abhängig gemacht, inwieweit die Akkus entweder im Inland oder zumindest in Staaten gefertigt wurden, mit denen ein Freihandelsabkommen besteht – die Europäische Union gehört nicht dazu. „Die USA haben die Kosten so weit gesenkt, dass die inländische Akkuproduktion wettbewerbsfähig mit der chinesischen ist“, sagt Straube.

Die stark gestiegenen Rohstoffpreise treffen alle Marktteilnehmer, zumindest außerhalb Chinas. Lithium, das als Ladungsträger in Hochenergie-Batterien nicht ohne Verluste durch ein anderes Material ersetzt werden kann, erreichte im November 2022 ein Allzeithoch. Für eine Tonne des handelbaren Lithiumkarbonats waren rund 600.000 Yuan oder mehr als 80.000 Euro zu zahlen, etwa zehnmal mehr als zwei Jahre zuvor. Zwar sinkt der Börsenpreis wieder, und ohnehin decken Großabnehmer ihren Bedarf nicht an Spotmärkten, aber auch in den Einkaufsabteilungen der Autohersteller kommt die Preisrally an – und findet sich letztlich in den Preislisten für Elektroautos. Die weltweit steigende Nachfrage ist nur durch massiv ausgeweitete Förderung zu decken.

Die höheren Rohstoff- und Energiekosten könnten sich aber auch als Katalysatoren für technische Innovation erweisen. Entsprechende Schwerpunkte legt das Mitte Januar veröffentlichte „Dachkonzept Batterieforschung“ der Bundesforschungsministerin dar. Technologiesouveränität über die gesamte Wertschöpfungskette, nicht aber Autarkie sei das Ziel, erläutert Ina Schieferdecker, die zuständige Abteilungsleiterin im Ministerium. Sie rechnet damit, dass 20 bis 30 Prozent der weltweiten Nachfrage nach Lithium-Ionen-Akkus im Jahr 2030 auf die deutsche Automobilindustrie entfallen.

Hinzu kommt die wachsende Nachfrage der Nutzfahrzeughersteller. Die setzen zwar parallel auch auf Brennstoffzellenantriebe, doch ein Teil des Schwerverkehrs soll vollständig elektrifiziert werden. So plant Daimler, das Flaggschiff Actros vom Jahr 2024 an als rein elektrischen Truck auszuliefern. Der Akku soll bis zu 800 Kilowattstunden fassen. Dafür brauche Daimler eigene Zellen, argumentiert Entwickler Thomas Soczka-Guth. Die müssten 5000 Ladezyklen und eine Million gefahrene Kilometer halten. Wie im Einstiegssegment für Personenwagen soll Eisenphosphat zum Einsatz kommen, dessen Ladungsdichte durch ein wenig beigemischtes Mangan erhöht wird. Zudem müssen die Zellen deutlich größere Abmessungen aufweisen, um den zur Verfügung stehenden Raum im Chassis optimal auszunutzen. In Summe werde der Bedarf der Nutzfahrzeugindustrie rund ein Viertel des weltweiten Akkumarkts ausmachen, prognostiziert der Daimler-Manager. Als Ladungsträger kommt aber auch in diesen Zellen bislang nur ein Material zum Einsatz: Lithium.

Die Forschung an alternativen, weniger kritischen Materialien stellt einen Schwerpunkt der offiziellen Forschungsstrategie dar. Einen im Wortsinn heißen Kandidaten gibt es mit Natrium bereits. Das Alkalimetall gehört zu den häufigsten auf der Erde vorkommenden Elementen. Für die Branche ist es so interessant, weil sich Natrium-Ionen-Zellen vermutlich mit den gleichen oder sogar denselben Maschinen herstellen lassen, die derzeit für die Lithium-basierten Akkus aufgebaut werden. Der große Nachteil: Natrium-Ionen-Zellen erreichen voraussichtlich nur etwa 50 Prozent der Energiedichte.

Martin Winter, Leiter eines renommierten Batterieforschungsinstituts in Münster, untersucht in seinen Laboren immer wieder Natriumakkus und dämpft die Erwartungen. Die Tendenz zur Abscheidung des Materials an Grenzflächen sei mindestens so hoch wie die des Lithiums, der Schmelzpunkt liegt allerdings bei nur 98 Grad Celsius. „Eine absolut sichere Batterie auf Natrium-Basis zu bauen ist eine Herausforderung.“ Und selbst wenn das gelänge, wäre seiner Einschätzung nach ein solcher Akku nicht mehr in diesem Jahrzehnt einsatzreif. Diese Aussage passt allerdings nicht zur Ankündigung des chinesischen Marktführers CATL, noch in diesem Jahr eine autotaugliche Na­triumbatterie auf den Markt zu bringen.

Zu viel Ausschuss: Eine von 50 Zellen landet im Müll

An der klassischen Lithium-Ionen-Batterie führt also vorerst kein Weg vorbei. Ein Engpass der Fertigungskapazitäten ist dabei nicht zu fürchten, wie eine Analyse der Unternehmensberatung P3 zeigt. Demnach ist für das Jahr 2030 eine Gesamtnachfrage von 1255 Gigawattstunden zu erwarten. Zählt man alle ernsthaften Ankündigungen für neue Zellfertigungen zusammen, ergibt sich eine Produktionskapazität von 1155 Gigawattstunden.

Die meisten neuen Zellfabriken in Europa werden voraussichtlich erst einmal Me-too-Produkte herstellen. Eine Ausnahme stellt Cellforce dar, ein im Jahr 2020 gegründetes Unternehmen, das zu 85 Prozent dem Sportwagenhersteller Porsche gehört. Geschäftsführer Markus Gräf bestätigt, dass die in Reutlingen von 2024 an gefertigten Zellen von Anfang an einen hohen Siliziumanteil an der Anode aufweisen sollen. Eingebettet in eine Kunststoffmatrix erhöht das Silizium nicht nur die Energiedichte, sondern vor allem die Schnellladefähigkeit. Die Lebensdauer soll kaum mehr unter hohen Laderaten leiden. Fertigungstechnisch sind die Herausforderungen allerdings groß. Bei einem Siliziumanteil von 50 Prozent ist die absolut gleichmäßig aufzubringende Anodenschicht nur noch 40 Mikrometer dick. Anders als in den Werken des ebenfalls zum Volkswagen-Konzern gehörenden Zellherstellers Powerco hat Cellforce den Großteil seiner Maschinen nicht bei chinesischen Herstellern bestellt, sondern bei deutschen Anlagenbauern.

Die Zurückhaltung, die die meisten Investoren gegenüber deutschen Fabrikausrüstern an den Tag legen, ist nicht unbegründet. Ein Volkswagen-Manager spricht dieser Zeitung gegenüber von einem technischen Rückstand, der mindestens fünf Jahre betrage. Allerdings sind auch asiatische Maschinen noch keineswegs perfekt. Der Anlagennutzungsgrad, eine gängige Kennziffer unter Fa­brikexperten, beträgt in der Regel weniger als 70 Prozent. In den ersten Wochen sind ohnehin fast alle gefertigten Zellen fehlerhaft, nach fünf Jahren wird laut der Unternehmensberatung P3 noch immer eine von 50 Zellen vernichtet. Für die deutsche Industrie, die Fehler sonst in „parts per million“ zählt, könnte sich eine Chance auftun, sofern gelingt, den Rückstand aufzuholen. Dafür mangelt es nach Meinung vieler Fachleute an praktischer Erfahrung. Die sollte Europa angesichts der wachsenden Kapazitäten in den kommenden Jahren sammeln können.

Je mehr Akkus gefertigt werden, desto drängender die Frage, was mit den ausgemusterten Zellen passiert. Angesichts der knappen Rohstoffe könnte eine funktionierende Kreislaufwirtschaft einen Wettbewerbsvorteil darstellen. Der Materialkostenanteil, so die Schätzung von Riemensperger, könne sich um bis zu ein Drittel verringern. „Es sollte kein Atom mehr die EU-Zone verlassen“, fordert Nicolas Steinbacher, Geschäftsführer der deutschen Tochtergesellschaft von Northvolt. Dem Recycling will die Europäische Union mit einer im Dezember 2022 verabschiedeten Batterieverordnung einen Schubs geben. Je nach Bauart des Akkus und der verwendeten Materialien gelten ab 2026 feste Sammelquoten. Zudem wird ein Mindestanteil für Rezyklate festgeschrieben.

Die Batteriezellen-Produktion bleibt aufgrund der hohen Investitionen ein Spiel mit ungewissem Ausgang. Vieles spricht für eine baldige Konsolidierung. Nicht jede angekündigte Fabrik wird gebaut werden. Von einem globalen Verdrängungswettbewerb spricht Batterieforscher Martin Winter. Man habe doch schon auf dem Schulhof gelernt, so der Experte, dass man in bestimmten Situationen gegenhalten müsse, um nicht aus dem Spielfeld geschoben zu werden.