Komm, wir retten die Aale!
von David Krenz
Süddeutsche Zeitung vom 08.04.2023
Der Aalbestand sinkt stetig, die Gründe dafür sind unbekannt. Der Artikel diskutiert ausgleichende Maßnahmen wie den Besatz von europäischen Binnengewässern mit an der Atlantikküste gefangenen Jungtieren auf Sinn und Verhältnismäßigkeit. Weitere Aspekte sind die enorme Wertschöpfung des Schmuggels nach China und eine Expedition in die Laichgründe des Aals vor der Küste Floridas.
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Komm, wir retten die Aale!
Obwohl ein Aal Millionen Eier legt, steht er auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten, mit Nashörnern und Berggorillas. Wie kann das sein? Und welche Rolle spielen Brandenburgs Fischer, Europas Energiewende und chinesische Großfabriken im Kampf um sein Schicksal?
Im weltumspannenden Drama um den Europäischen Aal erinnern seine Lebensstadien - Larve, Glasaal, Gelbaal, Blankaal, Laicher - an Theaterakte: Er bricht auf, gerät in existenzielle Konflikte, auf dem Weg lauern Schmugglerbanden und tödliche Turbinen. Falls er seine glitschige Haut rettet, kehrt er am Ende gereift und verwandelt zum Ausgangsort zurück.
Wer den rätselhaften Fisch verstehen will, muss seiner Odyssee folgen.
1. Akt: Auf der Suche nach dem Ei
Ausnahmslos jeder Aal, der in Europas Flüssen und Seen schwimmt, wurde in der Sargassosee geboren, einem Meeresgebiet vor Florida. Doch nie gelang es Forschenden, dort auch nur einen einzigen Aal zu erwischen. Obwohl sie das seit hundert Jahren versuchen.
Zum Lebensende kehren die Aale aus unseren Gewässern in die Sargassosee zurück. Sie überwinden Tausende Kilometer Atlantik, um die nächste Generation zu zeugen. Das Weibchen laicht, das Männchen besamt die schwebenden Eier, dann stirbt das Paar. Es sind Szenen im Verborgenen: Weder Aal noch Ei ließen sich dort je finden.
Wie der Fisch Anglern aus Händen und Keschern flutscht, entwindet er sich auch der Wissenschaft. Sie rätselt, woran die laichbereiten Aale sich im Ozean orientieren, ob sie in Gruppen wandern und warum sie sich so stur auf dieses eine, ferne Ziel fixieren. Den Hinweg durch den Atlantik starten sie als winzige Larven, die sich zu platten Scheibchen wandeln, um im Golfstrom zu driften. Wann sie Europas Küste erreichen, nach anderthalb Jahren oder drei: ebenfalls schleierhaft.
Auf die Sargassosee als Laichgründe der atlantischen Aale stieß Anfang der 1920er der Däne Johannes Schmidt. Auch er fand dort zwar weder ausgewachsene Aale noch deren Eier, dafür die jüngsten je gefangenen Aallarven, was bis heute als Herkunftsnachweis gilt.
Andere Fische lassen sich züchten, sie schlüpfen in Aquakulturen. Aale nicht. Sämtliche Versuche, sie in Gefangenschaft zu vermehren, scheiterten bisher.
Wenn die Larven Europas Küsten erreichen, erwartet man sie deshalb bereits.
2. Akt: Ausgeliefert
Ein frostiger Februarmorgen am Rande der Stadt Brandenburg. Auf dem Margaretenhof am Havelufer verkriechen sich Männer in ihre Wattejacken, über den Grüppchen steigt Kaffeedampf aus Thermobechern auf. Mancher trägt bereits Gummistiefel, um gleich keine Zeit zu verlieren.
Von der Einfahrt ruft einer: "Der Franzose ist da!" Ein weißer Laster rollt auf den Hof. "Bonjour!", grüßt der Fahrer und öffnet den Laderaum. Beim Anblick der Styroporkisten-Stapel tauen die Fischer auf, sie bilden Ketten, um die Fracht in ihre Autos zu laden. "Gerade halten, wie der Oberkellner", mahnt einer, jede Kiste koste "knapp einen Tausender". Sie birgt um die 10 000 fingerlange, wurmartige Wesen. Glasaale.
Zum Ende ihrer Atlantikquerung haben sich die runden Larven in die länglichen Fischlein gewandelt. Die Flut spülte sie in die Flussmündungen des Loiretals, wo Fischer sie fingen. Früher, im scheinbaren Überfluss, kippten die Franzosen Glasaale in den Schweinetrog oder als Dünger auf Felder. Seit ihr Bestand rasant schwindet, werden sie für viel Geld als Lebendware verkauft. Zum Beispiel nach Brandenburg.
Die 380 000 Euro für die 423 Kisten zahlen EU, das Land Brandenburg und zu 20 Prozent die hiesigen Fischer selbst. Ihr "Pilotprojekt zur Förderung des europäischen Aalbestandes" läuft seit 2007 und gilt als Europas umfangreichste Besatzmaßnahme. Besetzen heißt das in der Fachsprache, wenn man junge Aale aussetzt und damit versucht, die Bestände in Binnengewässern zu steigern. 100 Millionen Aale landeten über das Projekt schon in Flüssen und Seen der Region. Eine stolze Leistung - oder ein Irrweg?
An der Lkw-Klappe führt der Projektleiter, Ronald Menzel, auf einem Bügelbrett Strichliste, "zwanzig Kisten haste, kriegst noch fünfe". Ein Fischer lädt 14 Kisten in den Hänger seines Pick-ups, für den Besatz in der Oberhavel. Der Kollege im Berlingo braust zum Beetzsee, die Köpenicker Fischervereinigung klappert in ihrem Transporter Dämeritzsee und Flakensee ab. An den Ufern steigen die Fischer in Kahn oder Wathose und lassen die Glasaale ins Wasser, möglichst im Schilf, wo sie sich vor der Schwarzmund-Grundel verstecken können, "die frisst Glasaale wie Spaghetti", erzählt einer.
Werden im Land Aale besetzt, titeln Zeitungen: "Aktion zum Artenschutz" oder "Neues Glück für Angler und Natur". Auf dem Hof sagt einer: "Wir helfen den Aalen beim Wandern."
Früher zogen die Aale allein von der Küste in ihre Süßwasserreviere. Heute zerschneiden laut einer [in anderem Medium] veröffentlichten Studie mehr als eine Million Wehre, Dämme und Wasserkraftwerke Europas Flüsse und versperren die Wanderpfade der Fische. Ohne Besatz fände kaum mehr ein Aal zu uns. Wissenschaftler des Internationalen Rats für Meeresforschung (ICES) bestätigen das. Der Rat fordert inzwischen ein komplettes Fangverbot des Europäischen Aals, auch von Glasaalen zum Besatz.
Roland Menzel hält diese Idee für einen "Frevel". Die EU wolle die biologische Vielfalt der Ökosysteme bewahren. "Unser Besatz trägt dazu bei." Als einziger Fisch hat der Aal eine eigene EU-Verordnung, die ihn schützen soll. Diese und die darauf basierenden Aalmanagementpläne formulieren Regeln für eine nachhaltige Fischerei - mit Besatz. Der ICES aber sagt: Aal lässt sich gar nicht nachhaltig fischen, solange sein Bestand außerhalb "sicherer biologischer Grenzen" liegt. Die Zahl der Glasaale, die Europas Küsten erreichen, ist seit den 70er-Jahren um 90 Prozent eingebrochen.
Auch die Fischer wissen Forscher an ihrer Seite. Einer, Janek Simon vom Potsdamer Institut für Binnenfischerei, schnappt sich Kisten vom Laster und trägt sie in eine Garage des Hofs. Eimer, Kescher, eine Waage und nummerierte Becher bilden Simons Pop-up-Labor: "Wir sind die Qualitätskontrolle." Sein Institut begleitet das Besatzprojekt. Er öffnet eine Kiste. Aus dem wuselnden Knäuel lugen Knopfaugen, Herzen pochen unter durchsichtiger Haut. Simon sucht nach weißen Beulen: Wenn Glasaale in der Mündung auf die nächste Flut warten, verbuddeln sie sich im Boden, wo Krebse und Fische lauern. Verletzen sie die Schleimhaut der Aale, treten bald Viren und Bakterien ein.
Naturschutzverbände rügen: Auch die Netze der Glasaalfischer lädieren und töten die Tiere. Simon sagt: "Wir können nicht aus dem Unendlichen schöpfen, sondern haben eine bedrohte Art." Besatz, sagt er, gebe Glasaalen "eine Chance zum Aufwachsen". In "Überschussgebieten", also den Küstenzonen, wo Glasaale tummeln, lichten Fressräuber fleißig aus.
Mit vor Kälte klammen Fingern führt Simon Protokoll, Mortalität: unter 0,1. Weniger als ein toter auf 1000 Glasaale. "Magnifique!", ruft Menzel zum Lkw-Fahrer.
Als alle Autos samt Kisten vom Hof sind, bittet Menzel in sein Büro. Neben den Havelfischern sitzt er auch der "Initiative zur Förderung des Europäischen Aals" vor. Er zückt Berichte und Tabellen, wonach durch Besatz immer mehr Aale in hiesigen Gewässern leben und von dort ins Meer abwandern - und Fischerei diese Zahlen kaum drückt. "Von hundert ausgesetzten Aalen fangen wir höchstens fünf."
Dennoch beschloss die EU im Dezember, die Aalschonzeit für Berufsfischer auf sechs Monate zu verdoppeln und die Freizeitfischerei zu verbieten, beides zunächst im Meer. Die Binnenfischer zittern nun. Der Aal sei ihr Brotfisch, sorge für 40 Prozent der Einnahmen, sagt Menzel. "Uns die Existenz zu rauben auf Basis von Vermutungen, das ist schon starker Tobak."
Tatsächlich weiß die Wissenschaft nicht, warum der Aalbestand schwindet. Also auch nicht, welchen Einfluss Fischer und Besatz haben. Laut EU-Verordnung müssen die Staaten für den Aalschutz auch die Gefahren durch Wasserkraftwerke und Raubtiere minimieren. "Das Wirtschaftsministerium fördert Wasserkraft, das Umweltministerium schützt den Kormoran", sagt Menzel. "Uns erteilt man Verbote."
Er wünscht sich eine Zusammenarbeit von Fischern und Forschung. Doch die Gegenseite bleibt kategorisch. "Werfe ich mehr Fische in einen Fluss, schwimmen dort am Ende mehr ab. Es geht aber darum, ob eine Maßnahme dem Gesamtbestand des Europäischen Aals hilft. Und das lässt sich für Besatz nicht belegen", sagt Reinhold Hanel, der das Thünen-Institut für Fischereiökologie leitet und der Aal-Arbeitsgruppe des ICES angehört.
Von einst Hunderten seien keine 40 Havelfischer mehr übrig, klagt Menzel. "Wer hört auf die?" Drei der Kisten trägt er ans Flussufer hinterm Hof. Er schneidet eine scharfe Ecke aus der Innenschale, damit sich kein Aal verletzt, klopft noch das letzte festhängende Tier in den Eimer, "die sollen ja leben". Dann stapft er ins Wasser und lässt die Aale frei. Hastig zappeln sie davon. Wie weit kommen sie?
3. Akt: Aufstiegskampf mit Hindernissen
In Schwärmen steigen sie die Flüsse hinauf. Muskeln sprießen, weiche Flossen und ein kräftiger Kiefer, mit dem sie Insekten, Rogen, Würmer vertilgen. Ihre Haut färbt sich braun, am Bauch gelb, sie heißen nun Gelbaale. So schlingen und schlängeln sie sich durchs Leben, rasten zwischen Steinen, überwintern im Schlamm, wechseln über Land kriechend die Ufer, auf der Suche nach ihrem Teich, Fluss, See oder Sumpf. So lief der Aalaufstieg zumindest früher ab, in Zeiten ungezähmter Flüsse.
In der Realität stoßen Fische laut einer [in anderem Medium] erschienenen Studie in Deutschland heute alle 500 Flussmeter auf ein Hindernis. Viele hindern nicht nur, sie töten. Beim Versuch, Wasserkraftwerksturbinen zu passieren, stirbt jeder fünfte Fisch, ermittelte das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei. Aale müssen zwei Mal durch jedes Schaufelrad, beim Flussaufstieg und beim Abstieg vor der Rückkehr ins Meer.
Zerstückelte Aale in Reusen und Flussbetten, solche Schockmotive teilen Fischer im Netz. Turbinen nennen sie "Häckselmaschinen", in Anglerheimen hängen Plakate: "Grüner Strom ist blutroter Strom." Die Vereine fordern sichere Turbinen und ihr zeitweiliges Abschalten, vor allem aber renaturierte, durchgängige Flüsse.
Zur Wahrheit gehört jedoch: Zum tragischen Sterben, das sie beklagen, tragen sie durch ihr eigenes Handeln bei. Denn da Aale kaum noch natürlich einwandern, stammen folglich fast alle Tiere, die in den Turbinen sterben, aus Besatzmaßnahmen. Und es besetzen nur Fischer und Angler. Sie möchten später ausgewachsene Aale in ihren Gewässern fangen.
Hanel, der Thünen-Leiter, berichtet: "Die vielen Staustufen im Rhein machen es Aalen nahezu unmöglich, ihr Laichgebiet zu erreichen. Trotzdem werden sie oberhalb besetzt, mit dem Argument, dass sie dort so tolle Habitate haben." Er schließt nicht aus, dass intelligenter Besatz dem Bestand helfen könnte, würde man Aale nur dort entnehmen, wo sie nicht weiterkommen, und sie in unbelastete Gewässer mit Meerzugang umsiedeln. "Nur: So wird das nicht gehandhabt. Sie landen zu oft dort, wo sie Gewinne bringen."
Brandenburgs Besatzprojekt prüft seine Gewässer auf Parasiten und Schadstoffe. Laut Hanel passiere das längst nicht überall. "Schwermetalle, Dioxine, bromierte Substanzen - all das wurde in hoher Konzentration in Aalen nachgewiesen. Niemand weiß, wie stark der Cocktail sein darf, damit sie noch erfolgreich ablaichen." Ungeklärt ist auch, ob es die Tiere auf der Rückreise durcheinanderbringt, wenn der Mensch den Startpunkt ihrer Süßwassertour versetzt, etwa aus der Loire in die Havel. Eine Studie von 2014 ermittelte zwar, dass besetzte genauso gut wie natürlich wandernde Aale zurück in den Ozean finden. Doch ob erstere die Sargassosee erreichen, blieb ungewiss. Weit vor den Laichgründen verlor sich die Spur.
4. Akt: Eine Wertschöpfung wie im Drogenhandel
Deutsche lieben ihn geräuchert, Engländer eingelegt in Gelee. In Asien endet Aal meist als Kabayaki, marinierte, über Holzkohle gegrillte Filets. Kürzlich öffnete in der Fujian-Provinz in China die größte Aalfarm der Welt. Sie soll pro Jahr 15 000 Tonnen Aalfleisch produzieren. Fast drei Mal so viel wie ganz Europa.
In der Natur wachsen Aale in acht bis 15 Jahren zu erwachsenen Tieren, in den Farmen viel schneller. Die Betriebe mästen gefischte Glasaale, früher fast nur jene des Japanischen Aals, eine andere der weltweit 16 Süßwasseraalarten. Als deren Bestand einbrach, kaufte China europäische Glasaale, bis die EU 2010 den Export verbot. Eine Hauptbezugsquelle versiegte - doch China produziert mehr Aalfilets denn je.
"Wie geht das?", fragt Florian Stein.
Der Biologe im Holzfällerflanell hilft als Interpol-Berater, dass Fahnder an Europas Flughäfen die Antworten finden. Mit Plastiktüten in Reisekoffern und falsch deklarierten Seafood-Kisten werden lebende Glasaale nach Asien geschleust. An seinem Berliner Arbeitsplatz erzählt Stein, wie er Schmugglern auf die Schliche kommt.
Zum Beispiel über die Datenbank Traces, die den legalen Handel mit lebenden Tieren innerhalb Europas dokumentiert. Wenn ein osteuropäisches Land, in dem es kaum Besatz und Aalfarmen gibt, Glasaale in rauen Mengen bezieht, "macht mich das stutzig", erklärt er.
Als Umschlagplätze dienen Hinterhöfe und Scheunen, im Taunus flog ein Chinalokal auf. Legal erhält ein Fischer pro Kilo Glasaale ab 150 Euro, illegal schnell 1000 Euro. Landen sie lebend in Asien, steigt ihr Wert auf 6000 Euro, gemästet liefern sie Fleisch für 26 000 Euro. Für 2018 schätzte Europol die Menge geschleuster Glasaale auf 100 Tonnen - "das sind Filets für zwei bis drei Milliarden Euro", sagt Stein, "eine Wertschöpfung wie im Drogen- oder Waffenhandel". Nach einer Studie erreichen pro Jahr 440 Tonnen Glasaale Europas Küsten. "Wenn davon fast ein Viertel illegal nach Asien geht, hat das enorme Effekte auf unser Ökosystem."
Neben Wilderern sollen immer wieder auch lizenzierte Glasaalfischer und Händler den Schwarzmarkt beliefern. Könnte ein Aalfangverbot helfen? Stein glaubt das nicht. "Die Margen sind zu krass. Ohne Fischer, die Augen und Ohren am Gewässer haben, schlägt keiner mehr Alarm, wenn Schwarzfischer aufkreuzen." Stein ist seit 2021 beim Deutschen Angelfischerverband DAFV angestellt. Die mit den Koffern sind die bösen, die mit den Styroporkisten die guten Jungs, so sieht er das.
Wie sein Verband und die Fischer möchte Stein den Aal als Speisefisch und Kulturgut erhalten. Verschwindet er von unseren Tellern, so das Argument, verschwindet er bald aus unserem Bewusstsein. "Wer hat dann noch ein Interesse, ihn zu schützen?"
5. Akt: Für eine Handvoll Larven
Es scheppert und klirrt am Fischereihafen. Erschrocken blicken die Wissenschaftler zum Gabelstapler. Aber nur Sprudelwasserflaschen liegen in Scherben, die Mikroskope sind heil geblieben. Reinhold Hanel und sein Team beladen am Thünen-Institut in Bremerhaven das Forschungsschiff Walther Herwig III. An Bord wandern Stickstoff, Ultratiefkühler und Probenbehälter, außerdem "Ölzeug", Helme, Sicherheitsweste, Friesennerz. Für lange Nächte auf See nicht Buddeln voll Rum, aber immerhin einige Bierkisten. Und eine Stiege Schokoosterhasen, die Expedition läuft von März bis April. Ihr Ziel: die Sargassosee.
Dorthin brechen auch die Aale auf, sobald sie geschlechtsreif werden. Die Rückkehr zu ihrem Geburtsort ist die letzte Reise ihres Lebens. Genau wie das Forschungsteam rüsten sie sich vor der Atlantikquerung: Ihre Augen wachsen für den Tiefsee-Durchblick, man nennt sie nun Blankaale, weil sich ihr Bauch silbrig färbt, was sie im Ozean besser tarnt. Wie sie "entscheiden", dass die Sargassosee ruft, weiß man nicht. Anders als beim Thünen-Team, das im Dreijahresturnus dorthin reist.
"Wir brauchen jemanden zum Verlaschen", ruft ein Mitarbeiter, der die Packstücke mit Spanngurten und Palstek-Seemannsknoten sichern will. In der Sargassosee kann es "kabbelig" zugehen. Das Wasser dort zeigt sich tiefblau und klar, doch wegen der Nährstoffarmut lässt sich höchstens mal ein fliegender Fisch blicken, keine Delfine oder Fischschwärme. Blankaale? "Das wäre reiner Zufall", sagt Hanel.
Das Team hat es auf die Larven der Aale abgesehen. Es schöpft dabei nicht gerade aus dem Vollen: Wenige Hundert landen pro Expedition im feinmaschigen Netz. Über eine Kleine Anfrage bohrte die FDP nach, wofür das Thünen so viel Geld braucht, gut 800 000 Euro pro Expedition. Das Institut konterte mit den vielen Publikationen, die den Fahrten folgten, zum Beispiel zur Nahrung der Larven, wichtig für das Fernziel einer Zucht.
Vor allem sollen die Reisen beim Lösen der drängendsten Frage helfen: Warum schwindet der Bestand? Bisher weiß man nur, dass weniger Larven Europa erreichen. Verhungern sie unterwegs, was am Klimawandel liegen könnte, oder gelangen weniger laichfähige Tiere in die Sargassosee? Für Rückschlüsse setzt das Team Aufkommen und Zustand der Larven ins Verhältnis mit ozeanischen und klimatischen Veränderungen.
Das Laichareal erstreckt sich auf 2000 Kilometern Länge. Mit jeder Fahrt lassen sich die vermuteten Laichspots präziser einzirkeln. Was vielleicht eines Tages dazu führt, einen leibhaftigen, ausgewachsenen Aal zu schnappen. "Das wäre superspannend", sagt Hanel, "damit ließen sich viele Fragen adressieren." Zum Beispiel, wie viel Schadstoffe und Parasiten Aale vertragen, die das Fortpflanzen noch schaffen.
Ließe der Aal sich leichter finden, ließe er sich besser schützen. Warum macht er es uns so schwer? Auch aus dieser Frage würde er sich wohl herauswinden.