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Grüner Etikettenschwindel

von Lars-Marten Nagel, René Bender, Sönke Iwersen, Martin Murphy, Michael Verfürden und Volker Votsmeier
Handelsblatt vom 29.11.2022

Um am boomenden Markt für nachhaltige Geldanlagen teilzuhaben, betreiben Firmen Greenwashing: Recherchen für den Artikel ergeben, dass von 800 als besonders nachhaltig etikettierten europäischen Fonds etwa die Hälfte in klimaschädliche Wirtschaftszweige investiert. Die Begriffe seien nicht geschützt, bei Falschinformationen drohen keine Sanktionen, Ausnahme seien die Ermittlungen gegen die DWS wegen Prospektbetrugs.

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Grüner Etikettenschwindel

Sie werben mit Geldanlagen in nachhaltige Unternehmen, investieren aber in vielen Fällen in Kohle, Öl oder die Luftfahrtbranche: 48 Prozent aller als besonders nachhaltig ("Dark Green") etikettierten Fonds in Europa legen Geld auch dort an, wo kein ökologischer Mehrwert zu erkennen ist.

Dieser grüne Etikettenschwindel trifft auf eine wachsende Zahl an Anlegern. Schließlich sind Investitionen in grüne Geldanlagen politisch gewollt. 409 Milliarden Euro investierten Anleger laut Umweltbundesamt 2021 in nachhaltige Fonds, das Anlagevolumen hat sich seit 2019 mehr als verdoppelt. Doch offenbar sind nicht alle dieser Anlagen so grün, wie es die Anbieter in ihrer Werbung andeuten.

[Das Medium] hat in einem internationalen Rechercheprojekt namens "Great Green Investment Investigation" mit den niederländischen Netzwerken Follow the Money und Investico sowie acht europäischen Medienhäusern mehr als 800 als grün etikettierte Fonds ausgewertet, darunter 547 in Deutschland handelbare. Sie alle haben sich dem strengsten Öko-Reglement der EU-Kommission unterworfen und dürfen nur klimafreundliche Investments tätigen.

Die Recherche zeigt: Geld floss nicht nur in besonders nachhaltige Unternehmen, sondern auch in Lufthansa, RWE - und in Rusal, einen Aluminium- und Kohleproduzenten aus Russland. Konsequenzen hat dies kaum. Ärger durch die EU droht erst, wenn Anbieter ihre Kunden gezielt in die Irre führen. Der bekannteste Fall für einen solchen Vorwurf ist die Deutsche-Bank-Tochter DWS. Dort ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Der Anlageberaterin schwant Übles. "Ganz ehrlich, wenn ich jetzt immer so erlebe, welche Fonds plötzlich nachhaltig sind, die vorher eben nicht nachhaltig waren, habe ich so das Gefühl ..., dass jetzt überall dieser Stempel Nachhaltigkeit draufgedrückt wird", sagt Sabine Thelen (Name geändert). Sie könne sich nicht vorstellen, dass das wirklich so sei. Verkaufen muss Thelen die Fonds trotzdem. Auch Helga Franke (Name geändert) hadert mit ihrer Arbeit. Diplomatisch formuliert die Sparkassenfachwirtin: "Ich sehe es als eine große Herausforderung an, da nicht ins Greenwashing abzudriften."

Die Aussagen der Beraterinnen stammen aus einer Studie der Universität Kassel. Der Lehrstuhl für Nachhaltige Finanzen wollte ermitteln, wie der überall ausgerufene grüne Megatrend bei der Geldanlage in der Praxis funktioniert. Das Fazit: schlecht.

Fast die Hälfte der untersuchten Fonds investiert in Öl, Kohle und Luftfahrt und damit in klimaschädigende Wirtschaftszweige. Für in Deutschland erhältliche Fonds summiert sich der fragliche Betrag auf rund fünf Milliarden Euro - europaweit sind es 8,5 Milliarden Euro, die anders als beworben nicht in ökologische Firmen fließen.

34 Prozent Marktanteil

Genau das sollte eigentlich nicht möglich sein. Nachdem der Markt für nachhaltige Geldanlagen ein von Marketingworten gespickter Dschungel war, erließ die EU-Kommission im Mai vergangenen Jahres eine Verordnung, mit der Fonds entsprechend ihrer Nachhaltigkeit klassifiziert werden. Den höchsten Reinheitsgrad haben Fonds der Kategorie "Artikel 9", zu denen die mehr als 800 für diesen Artikel ausgewerteten Fonds zählen. Investitionen in klimaschädigende Industriezweige wie Luftfahrt und Kohleverstromung sollten demnach eigentlich tabu sein.

Doch die Fondsanbieter können selbst bestimmen, wie nachhaltig sie sind. Und die Verlockung, sich möglichst nachhaltig darzustellen, ist hoch. Schließlich geht es um erhebliche Beträge. Laut einer Studie von Morningstar wird der Marktanteil klimafreundlicher Fonds kurzfristig von 34 auf mehr als 50 Prozent steigen.

Kontrollen dieser Einstufung durch die Aufsichtsbehörden finden kaum statt. Sanktionen sind in der EU-Verordnung erst gar nicht vorgesehen. Die EU-Kommission erklärte, dass es eine relativ junge Regelung sei. Für Schlussfolgerungen sei es daher zu früh und verwies auf die nationalen Aufsichtsbehörden.

Ein Sprecher der Bundesanstalt für Finanzaufsicht (Bafin) erklärt dazu auf Nachfrage: "Da die Verordnung neben Umweltzielen auch soziale Ziele umfasst, könnte dies im Ergebnis bedeuten, dass die Investitionen nicht zwingend klimafreundlich sein müssen." Die Behörde überprüfe, ob die Anbieter sich an die Transparenzpflichten sowie die jeweiligen Anlagebedingungen halten. "Bei Nichtbeachtung kann insbesondere eine entsprechende Anpassung der vorvertraglichen Informationen bzw. des Verkaufsprospekts angeordnet werden."

Für die Untersuchung haben Follow The Money und Investico den Großteil der in Europa gehandelten Investmentfonds zusammengetragen, die sich als Artikel-9-Fonds bezeichnen. In einem zweiten Schritt haben sie die Investments der Fonds mit Daten der Umweltschutzorganisation Urgewald sowie der Climate Bonds Initiative (CBI) abgeglichen, einem Finanzforschungsunternehmen aus London. Urgewald und CBI kategorisieren in eigenen Datensätzen, wie nachhaltig Unternehmen sind.

So wurden für das europäische Medienprojekt 547 in Deutschland vertriebene Artikel-9-Fonds analysiert, die zusammen mehr als 272 Milliarden Euro in Aktien und Anleihen der Unternehmen investierten. Davon legen 260 ihr Geld auch in "graue" Energiegewinnung und Fluglinien an, also knapp 48 Prozent und damit fast jeder zweite untersuchte Fonds.

Einige Extrembeispiele investieren mehr als 40 Prozent ihres Kapitals in Firmen aus der Öl- und Kohleindustrie und der Luftfahrt, bei einer großen Zahl der Fonds sind es weniger als zwei Prozent. Die Betrachtung der Fonds nach Volumen zeigt also gravierende Unterschiede bei der Menge des in "grauen" Firmen investierten Geldes. Mancher Anbieter ist in Sachen nachhaltiger Aspekte bereits jetzt gut aufgestellt - laut Datenanalyse gelingt es drei großen Fonds, gänzlich ohne Investitionen in fossile Investments zu arbeiten.

Andere Anbieter sind vom Ziel der Nachhaltigkeit dagegen trotz gegenteiliger Beteuerungen weit entfernt. Der Principal Global Sustainable Listed Infrastructure Fund und der Macquarie Sustainable Global Listed Infrastructure Fund etwa tragen zwar das Wort "sustainable" - also "nachhaltig" - im Namen. Mehr als 40 Prozent ihres Kapitals aber stecken in Firmen aus der Öl-, Kohle- und Luftfahrtindustrie. Viele andere Fonds sind mit zwei Prozent oder weniger an den "grauen Firmen" beteiligt.

Principal Global Investors (PGIM) wirbt auf seiner Homepage für Investments in saubere Firmen. Mit Einbußen bei den Renditen müssten die Anleger sich nicht abfinden, heißt es auf der Seite. Macquarie betonte sein Bemühen "die Auswirkungen auf die Umwelt zu minimieren".

Wie passt das zusammen? PGIM teilt auf Nachfrage mit, dass alle Unternehmen, in die der Fonds investiert, "angemessene Schwellenwerte für ökologische und soziale Ziele einhalten" müssen. Die Beteiligung an "Aktivitäten im Bereich fossiler Brennstoffe" dürfe allenfalls ein "Nebenprodukt seiner sozialen Verpflichtung" sein, Kunden den Zugang zu erschwinglicher und zuverlässiger Energie zu gewährleisten. Auch bei Macquarie gibt es solche Vorgaben und Mindestkriterien. Offiziell will sich das Unternehmen aber nicht äußern.

Den prozentualen Vergleich in Deutschland führen die beiden eher kleineren Fonds an. Der PGIM-Fonds ist etwa zehn Millionen Euro schwer, Macquarie-Fonds rund 35 Millionen. Unter den Top 5 der "schmutzigsten" Fonds landete mit dem Blackrock Global Funds - New Energy Fund aber auch ein großer Player am Finanzmarkt. Von fast sechs Milliarden Euro hat Blackrock 1,1 Milliarden in vier Unternehmen gesteckt, die auch mit fossilen Energieträgern Geld verdienen. Es handelt sich um Nextera Energy Inc. (384 Millionen Euro), Enel Spa (323 Millionen), RWE AG (312 Millionen) und die China Longyuan Power Group (82 Millionen Euro).

Blackrock bestätigte im Kern die Beteiligungen an den Firmen und erklärte dazu, dass in Firmen investiert werde, die mindestens 25 Prozent ihres Umsatzes im Bereich erneuerbare Energien verdienen. Die Fonds investierten auch in Energiefirmen wie Nextera, die ihre Energieproduktion umstellten. Alle vier genannten Unternehmen seien führend in ihrem Segment bei der Dekarbonisierung ihres Geschäfts, erklärte Blackrock.

Das Beispiel von Blackrock zeigt den Graubereich, in dem sich die Gesellschaften bewegen. Was sauber oder grau ist, ist manchmal nicht direkt zu erkennen. China Longyuan Power Group ist so ein Beispiel: Die Firma betreibt Kohlekraftwerke und verdient ihr Geld mit Wind- und Solaranlagen. Wie die Chinesen ist Nextera aus dem US-Bundesstaat Florida im Bereich erneuerbare Energien aktiv; das Unternehmen bohrt aber auch nach Gas und betreibt Pipelines.

Nextera ist den Daten zufolge das Unternehmen, dem aus den Fonds das meiste Geld zuging: 52 Fonds investierten insgesamt mehr als 1,2 Milliarden Euro in Florida. Zweitgrößter Empfänger des Fondskapitals ist mit der RWE AG ausgerechnet jener Konzern, dessen sechs Schaufelradbagger die Braunkohle unter dem Hambacher Forst fördern wollen. Fünf vermeintlich grüne Fonds investierten insgesamt 530 Millionen Euro bei RWE. Auf Rang drei landete der italienische Energieversorger Enel knapp unter einer halben Milliarde Euro. Mehr als 50 Fonds hielten Enel für ökologisch genug, um zu investieren. Dabei weist Enel selbst den Anteil der 2021 mit "konventionellen" Quellen erzeugten Energien, darunter Öl, Gas, Kohle und Atomenergie, mit 42,5 Prozent aus.

Dirk Rathjen, Vorstand des Instituts für Vermögensaufbau (IVA), kritisiert angesichts dieser Werte die europäischen Regelungsversuche. Offensichtlich hätten sich Menschen durchgesetzt, die voller guter Absichten gewesen seien, aber unerfahren im Umgang mit der Komplexität von Nachhaltigkeit, sagt Rathjen. "Die Definition von Nachhaltigkeit ist voll am Ziel vorbeigeschossen." Nun wächst nicht nur der Markt, sondern auch der Missbrauch. "Viele Angebote halten nicht, was sie versprechen. Die Werbung ist oft nebulös und intransparent", sagt Nils Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Jeder könne Geldanlagen als ökologisch bezeichnen. Nauhauser: "Die Begriffe sind nicht geschützt und bei Falschinformationen drohen faktisch keine Sanktionen."

Der Fall DWS schreckt auf

Selten führen Mängel bei der Nachhaltigkeit zu Folgen wie bei der DWS. Die mehrheitlich der Deutschen Bank gehörende Fondsgesellschaft hat sich wegen potenziellen Greenwashings ein strafrechtliches Problem eingehandelt. Seit Monaten ermittelt die Staatsanwaltschaft Frankfurt wegen des Anfangsverdachts des Kapitalanlagebetrugs im Umfeld der DWS. Ende Mai 2022 gab es deshalb eine Razzia in den Zwillingstürmen der Deutschen Bank und in der DWS-Zentrale.

Die DWS steht im Verdacht, ihr Engagement in Sachen Nachhaltigkeit und grüne Investments systematisch übertrieben dargestellt zu haben. Auslöser waren Aussagen der ehemaligen Nachhaltigkeitschefin Desiree Fixler im August 2021. Fixler war im Streit bei der DWS ausgeschieden und hatte sich mit internen Informationen zunächst an die US-Börsenaufsicht SEC und die amerikanische Bundespolizei FBI gewandt.

Die Amerikaner nahmen Ermittlungen auf, später auch die Deutschen. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt fand nach Angaben einer Sprecherin Anhaltspunkte dafür, "dass entgegen der Angaben in Verkaufsprospekten von DWS-Fonds ESG-Faktoren nur in einer Minderheit der Investments tatsächlich berücksichtigt worden sind". In einer Vielzahl von Beteiligungen seien diese Vorgaben ignoriert worden. Die DWS könnte sich demnach des "Prospektbetrugs" schuldig gemacht haben.

In der Branche sorgte der Fall für Aufregung. Die Verunsicherung sei allerorten groß, berichtet der Strafrechtler Markus Adick. Er warnt: "Wer einen Fonds im Prospekt als konkret ESG-konform beschreibt, muss auch sicherstellen, dass die Angaben stimmen." Wer Greenwashing betreibe, müsse sich den Vorwurf des Kapitalanlagebetrugs gefallen lassen. "Genauso problematisch für die Unternehmen sind die Reputationsrisiken", sagt Anahita Thoms, ESG-Expertin und Partnerin der Kanzlei Baker McKenzie.

Allmählich kommen diese Risiken in der Finanzbranche an. Die französische Großbank BNP Paribas etwa stufte am Montag die Zahl ihrer Artikel-9-Fonds von 26 auf acht zurück. Andere Anbieter wie Amundi, Axa und Blackrock haben die Anzahl bereits angepasst. Ob das reicht, das Vertrauen in die grüne Geldanlage wiederherzustellen? Joost Schmets vom Anlegerverband European Investors sagt: "Hier besteht die Gefahr, dass eine große Gruppe von Anlegern, die Nachhaltigkeit in ihre Anlageentscheidung einbeziehen, enttäuscht wird und ihren Glauben an eine nachhaltige Wirtschaft verliert."