Ende einer Flucht
von René Bender, Sönke Iwersen und Volker Votsmeier
Handelsblatt vom 14.12.2022
Anlässlich der Verhandlungen gegen den maßgeblich an Cum-Ex-Geschäften beteiligten Anwalt Hanno Berger wird dessen Werdegang aufgearbeitet. Schwerpunkte sind die kriminelle Energie, die er in Sachen Cum-Ex zeigte, seine Flucht in die Schweiz und sein uneinsichtiges Verhalten vor Gericht. Ihm stehen acht Jahre Haft bevor.
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Ende einer Flucht
Hanno Berger legt die Hände übereinander und schaut zu Boden, als das Urteil fällt. Es ist 14.03 Uhr, Berger steht vor der Anklagebank im Landgericht Bonn. Keine Regung ist in seinem Gesicht zu erkennen, als der Vorsitzende Richter Roland Zickler die Strafe verkündet: acht Jahre Haft.
„Nahezu alle Vorwürfe, die wir hier betrachtet haben, haben sich bestätigt“, sagt Zickler. Es folgt ein Vortrag über die Geschäfte, deretwegen Berger verurteilt wird. „Cum-Ex-Geschäfte sind nicht gut und sie sind nicht schlecht“, sagt Zickler. „Es gibt sie einfach. Sie werden auch heute noch wohl täglich tausendfach getätigt.“ Allerdings: So, wie Berger sie durchführte, waren sie illegal.
Berger schüttelt den Kopf. Er macht sich Notizen, schiebt seinem Anwalt ein Stück Papier zu, nimmt es wieder und schreibt weiter. Richter Zickler erklärt ihm jetzt, warum genau die Geschäfte für die Hamburger Bank M.M. Warburg, bei denen Berger beriet, gesetzeswidrig waren.
„Es wurden gegenüber den Finanzbeamten objektiv falsche Angaben gemacht“, sagt Zickler. Aufgrund dieser falschen Angaben hätten die Täter, Berger und andere, nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. Zickler: „Wir sind uns sicher, dass Sie dies mit Eventualvorsatz beabsichtigt haben, und zwar schon ab 2007.“
Man brauche kein Jurastudium, um zu erkennen, dass Bergers Geschäfte nicht in Ordnung gewesen seien, „eine nicht erhobene Steuer kann nicht erstattet werden“, sagt Richter Zickler. Das verstehe jeder. Dann liest Zickler dem Angeklagten eine E-Mail mit dessen ursprünglicher Einschätzung von Cum-Ex-Geschäften vor. „Das kann doch gar nicht sein!“
Zickler hält kurz inne und schaut Berger an: „Dabei wären Sie mal besser geblieben.“ Nun ist er hier. 72 Jahre alt, seit 18 Monaten in Untersuchungshaft, ab heute ein verurteilter Straftäter.
Hinter Berger liegt ein langer Weg. Geboren am 13. November 1950 in Frankfurt, arbeitete er nach seinem Studium in der hessischen Finanzverwaltung. Berger diente dem Staat, ehe er ihn plünderte. Er stieg auf zum höchsten Bankenprüfer, galt als brillant und einfallsreich. 14 Jahre blieb er Beamter. Dann erlag er der Verlockung des Geldes.
Es spielte immer eine große Rolle in seinem Leben. Vor Gericht beschrieb Berger, wie er in einfachen Verhältnissen groß geworden sei. Sein Vater war Pastor, die Mutter Hausfrau. Es ging der Familie nicht schlecht, sagte Berger. Aber wenn seine Schulfreunde in London oder Madrid studierten, war für ihn nur die örtliche Universität in Frankfurt drin. Als Beamter habe er schnell A-15 erreicht, die höchste Gehaltsstufe. Für einen kleinen Nebenverdienst gab er Unterricht. Aber auf der anderen Seite gab es so viel mehr.
295.000 D-Mark plus Dienstwagen habe ihm eine Bank geboten, erzählte Berger. Er lehnte ab. Berger beriet sich mit seiner Familie, seinen Freunden. Allen war nicht wohl dabei, dass er den sicheren Beamtenjob aufgab.
320.000 Mark plus Dienstwagen, so lautete das nächste Angebot. Wieder entschied Berger sich dagegen. Erst als ein Schulfreund, inzwischen Partner bei einer Kanzlei, ihm noch 20.000 Mark mehr bot, schlug er ein. 1996, mit Mitte 40, wechselte Berger von der Finanzverwaltung zur Kanzlei Pünder, Volhard & Weber in Frankfurt.
Ein paar Jahre später änderten sich die Rahmenbedingungen noch mal extrem. Eine Gesetzesänderung erlaubte den Markteintritt von britischen und amerikanischen Konkurrenten. Es entstanden Kanzleien mit teils Hunderten von Anwälten. Und Gehältern wie aus einer anderen Welt. „Was macht man? Man vergleicht sich“, sagte Berger vor Gericht. Er verglich und zog weiter, 1999 zu Shearman & Sterling. Berger beriet Dax-Konzerne, Banken, Familien. Er selbst wurde Einkommensmillionär. Es reichte ihm nicht.
2004 zog Berger weiter zur US-Kanzlei Dewey Ballantine, für die er in Frankfurt das Deutschlandgeschäft aufbaute. 2005 bekam er ein Gutachten der Kanzlei Freshfields für die australische Bank Macquarie in die Hände. Berger konnte zunächst kaum glauben, was er dort las. Die Topkanzlei bescheinigte die Möglichkeit von doppelten Erstattungen einer nur einmal gezahlten Steuer. Berger hatte Cum-Ex entdeckt. Die Lizenz zum Gelddrucken.
2010 machte er sich selbstständig. Das Cum-Ex-Geschäft baute er aus. Kaum jemand kann sich vorstellen, dass er wirklich glaubte, die Geschäfte seien legal, schließlich war Berger 14 Jahre Finanzbeamter.
Und dann war da die Sache mit den Erpressungen. Zweimal wurde Berger bedroht, erstmals 2009 von einem Cum-Ex-Kunden. Als der Investor erfuhr, wie viel sein Berater selbst mit den Geschäften verdiente, rief er ihn an. „Herr Berger, ich sag das nur einmal, Sie zahlen mir innerhalb von sieben Tagen zehn Millionen Euro, ansonsten knallt's.“
So schilderte Bergers ehemaliger Kanzleipartner vor Gericht die Situation. 2010 gab es einen zweiten Fall. Zwei Anwälte forderten 1,5 Millionen Euro für die Vermittlung eines Cum-Ex-Kunden.
In dem Erpresserschreiben heißt es: „Unabhängig von der Erledigung meines heutigen Schreibens behalte ich mir vor, die dem vorliegenden Sachverhalt zugrunde liegenden Strukturen kurzfristig gegenüber sämtlichen Beteiligten und betroffenen Behörden offenzulegen, um den kausalen Zusammenhang zwischen den von Ihnen strukturierten Cum/Ex Trades und den Investitionen von Herrn M. detailliert aufzuzeigen.“
In beiden Fällen waren die Erpresser erfolgreich. Der Weg des Geldes ist unklar. Berger sagte, er selbst habe nicht gezahlt. Bekannt wurde dafür eine E-Mail, die viel über sein Schuldbewusstsein verriet. Am 11. April 2011 schrieb er einem Geschäftspartner: „Die Angelegenheit muss alsbald endgültig erledigt werden, um eine dramatische Eskalation von äußerst unangenehmen Konsequenzen für eine Reihe von Personen und Banken zu vermeiden.“
Der Richter fordert: „Zahlen Sie den Kram zurück“
[Medium]-Recherchen zeigen, dass sich die einzelnen Cum-Ex-Akteure oft gegenseitig das Geld nicht gönnten, um das sie den Staat betrogen. Berger soll 50 Millionen Euro mit dieser Art der Steuerhinterziehung verdient haben. Die Schätzung stammt von seinem engsten Partner in seiner Kanzlei. Berger bestritt die Zahl, nannte aber keine andere und gab sich vor Gericht als mittellos. Dabei ist sein Luxus öffentlich einsehbar.
„Exklusive Villa vor den Toren Frankfurts!“ So bewirbt ein Immobilienmakler in Fulda Bergers Haus im Landkreis Schlüchtern. „Diese 1998 fertiggestellte Villa bewegt sich in Sachen Ausstattung und Qualität in einer eigenen Liga. Auf über 716 m² Wohnfläche erhält Wohnen eine neue Bedeutung“, steht in der Beschreibung. Allein das Schwimmbad im Keller ist 156 Quadratmeter groß. Der Makler preist „die Exklusivität und Erhabenheit dieser nahezu perfekten Immobilie“.
Geschichten von Bergers Vermögen sind Legende - so wie sein Hang, es zu verstecken. Der Kronzeuge berichtete von mehreren Kilo Gold, die Berger gehortet haben soll. Von Reisen in die Schweiz, bei denen er und seine Familie Brustbeutel um den Hals getragen hätten, gefüllt mit jeweils 10.000 Euro. Berger bestritt und blieb bei seiner Armutsauskunft. Wiedergutmachung sei keine Frage des Wollens, sagte sein Anwalt. Berger könne einfach nicht.
Seine Botschaft, an dem angerichteten Steuerschaden nichts ändern zu können, kam beim Vorsitzenden Richter nicht gut an. Es gebe nicht den „leisesten Zweifel, dass die Vermögenslage, die eingetreten ist, nicht rechtens ist“, sagte Zickler beim Prozess zu Berger. „Wenn die Vermögenslage also nicht richtig ist, wird sie richtig gemacht. Dann zahlen Sie den Kram zurück.“
Doch Berger zahlte nicht zur Wiedergutmachung, sondern zur Verteidigung. 2012 wurde seine Kanzlei durchsucht. Er floh in die Schweiz. Gleichzeitig tobte er gegen die Beamten, die ihm nachstellten.
Kaum Einsicht, viel Gebrabbel
Ein Richter, der gegen Cum-Ex urteilte, war für ihn ein „Schweinerichter“. Berger sah mal „linksfaschistische und kommunistische“ Entwicklungen in seiner Heimat, mal „Nazi-Zustände“. Die leitende Staatsanwältin Anne Brorhilker bezeichnete er als „kleine Tante“ und „dumme Kuh“. Er zeigte sie an. Dafür hatte er Geld.
Im Mai gab sein Enkelsohn Jonas ein Interview. „Ich will darüber berichten, wie es ist, als Rich Kid aufzuwachsen“, sagte der junge Berger. Die Staatsanwaltschaft geht inzwischen dem Verdacht nach, sein Großvater könnte Vermögenswerte an seine Familie verschoben haben.
Der alte Berger versteckte sich neun Jahre lang vor der „Saubande“ und den „Drecksschweinen“, wie er die deutschen Beamten nannte. Im Oktober 2017 erklärte Berger [dem Medium], er sei „ein Mann des Rechts“ und werde sich einem Verfahren in Deutschland „natürlich“ stellen.
Als sein Prozess beginnen sollte, schickte Berger ein Attest. Er sei dauerhaft krank. Der Vorschlag seiner Anwälte: das Verfahren möge eingestellt werden. Am 7. Juli 2021 nahm ihn die Kantonspolizei Graubünden in Auslieferungshaft. Sein Patient sei „weder haft-, reise- noch verhandlungsfähig“, schrieb sein Arzt. Berger schlug vor, 100.000 Franken Kaution zu zahlen und in der Schweiz zu bleiben.
Im Februar 2022 wurde Berger nach Deutschland ausgeliefert, einen Monat später hatten selbst seine Anwälte genug. Alle drei von ihm bestellten Wahlverteidiger legten ihre Mandate nieder.
„Beratungsresistent“ sei Berger, hieß es aus seinem Umfeld. Drei Urteile waren zu diesem Zeitpunkt schon gegen Männer gesprochen worden, die in dieselben Cum-Ex-Geschäfte verwickelt waren wie Berger.
In seiner Zelle arbeitete Berger an seiner Wutrede. Seit Jahren bezeichnete er Kritiker von Cum-Ex-Geschäften als dumm oder verbohrt. Bergers Anwälte ahnten, dass er ihre Arbeit unterlaufen würde - und gingen. Einer, Richard Beyer, kehrte zurück. Berger hatte versprochen zu schweigen. Das gelang nur halb.
„Unwürdig“ nennt ein Anwalt im Gerichtssaal, was er seit Prozessbeginn im April erlebte. Berger hielt keine Reden, brabbelte aber oft dazwischen. Er herrschte einen Zeugen an, wühlte in seiner mitgeschleppten Kiste voller Akten, kabbelte sich ständig mit seinen Anwälten.
Als Berger dann reden sollte, blieb er hinter den Erwartungen zurück. „Man hätte“, „man könnte“: So begannen viele Sätze eines Vortrags am 8. August, den seine Anwälte als Geständnis angekündigt hatten.
Richter Roland Zickler hatte Berger dringend nahegelegt, sein Verhalten vor Gericht zu ändern. Neben dem Ausgleich des Schadens sei es grundsätzlich von Bedeutung, ob ein Angeklagter seine Tat bereue. Berger blieb diesen Eindruck schuldig.
„Ich hatte halt viel zu tun“, erklärte Berger sein Versäumnis, die immer klareren Zeichen zu missdeuten, dass der Gesetzgeber Cum-Ex-Geschäfte als strafbar einstufte. Teilweise habe er 30 Anwälte und Steuerberater geführt. Da habe er sich wohl „überfressen“ und anders, als es eigentlich seine Art gewesen sei, nicht mehr so genau hingeschaut. „Das war wohl ein Fehler.“
Dem Richter war dieses Eingeständnis nicht genug. Juristisch unsauber gearbeitet habe Berger, sagt Zickler. Die Idee, etwas Unmögliches mit langen Schriftsätzen als doch möglich zu deklarieren, sei abwegig, Bergers Erklärung, die Gewinne bei Cum-Ex seien durch „Marktineffizienzen“ zu erklären, sei selbst für Wirtschaftslaien nicht glaubhaft.
„Sie können hier sitzen und den Kopf schütteln“, sagt Zickler. Aber Berger habe gewusst, dass die Geschäfte, mit denen er Millionen verdiente, nicht rechtens waren. Doch er habe sie trotzdem an die Warburg Bank herangetragen, dazu beraten und die Geschäfte stetig begleitet. „Berger-Modell“ hätten die Cum-Ex-Geschäfte in Hamburg geheißen.
„Sie waren die treibende Kraft, Herr Berger. Jetzt schütteln Sie wieder den Kopf. Aber es war so. Und als die Geschäfte stockten, haben Sie alles getan, um sie wieder ans Laufen zu kriegen. Das waren alles Tatbeiträge.“ Zickler schaut den Angeklagten an. „Schütteln Sie nicht wieder den Kopf. Die Beweise haben wir alle verlesen. Es war so.“
Acht Jahre Haft sind eine lange Zeit für einen 72-Jährigen. Andererseits werden ihm seine eineinhalb Jahre U-Haft angerechnet.
Und dann ist da noch ein Problem: In Wiesbaden läuft noch eine zweite Verhandlung gegen ihn - hier geht es um Bergers Beratung des inzwischen verstorbenen Immobilieninvestors Rafael Roth. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass er noch auf andere Beschuldigtenlisten gerät.
Berger liegt am Boden, und seine Zeit schwindet, wieder aufzustehen.