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Die wunderbare Welt der Rohstoffraketen

von Julia Groth
WirtschaftsWoche vom 04.11.2022

Der Artikel schildert, wie Betrüger Hobbyanleger mit der Aussicht auf hohe Renditen zur riskanten Anlage in Rohstoffunternehmen ködern. Es wird erläutert, wie professionelle Investoren Risiken prüfen und unseriöse Angebote erkannt werden können.

Sie sehen hier den reinen Text in der anonymisierten Form für die Jury. Bilder, Layout oder multimediale Umsetzung sind beim Deutschen Journalistenpreis kein Bewertungskriterium. Allein das Wort zählt.

Die wunderbare Welt der Rohstoffraketen

Die Aktie der Trench Metals Corporation muss ein echter Geheimtipp sein. Zum einen sind da die Geschäftsaussichten für das kanadische Unternehmen, das nach eigenen Angaben Uranvorkommen ausbeuten will – in epischer Länge werden die Pläne auf der Webseite Aktiencheck.de ausgebreitet. Von epochalen Übernahmen, historischen Ressourcen und der Uranentdeckung des Jahres ist dort die Rede. Zum anderen ist da der Aktienkurs: Ende Oktober lag er bei schlappen 41 Cent. Ein Schnäppchen. Oder?
Irgendwer wird wohl früher oder später an der Aktie von Trench Metals verdienen. Die Frage ist nur: Wer verdient? Einen Hinweis liefert eine Bemerkung am Ende der Werbeprosa. Dort heißt es: Der Auftraggeber der Publikation oder seine Mitarbeiter seien Aktionäre von Trench Metals. „Ferner geben wir zu bedenken, dass die Auftraggeber der Studie in naher Zukunft beabsichtigen könnten, sich von eigenen Aktienbeständen in der Trench Metals Corp. zu trennen und damit von steigenden Kursen der Aktie profitieren werden.“ Na so was.
Läuft mit der kanadischen Uranaktie eine Pump-and-Dump-Masche, der Versuch Einzelner, den Kurs hochzujagen, um dann Aktien bei ahnungslosen Anlegern abzuladen? Das lässt sich nicht sicher sagen.
Trench Metals antwortet nicht auf Anfragen, ebenso wenig der Verfasser des Werbetextes, der laut Impressum auch Vorstand der Aktiencheck.de AG ist. Aber der Gedanke liegt nahe. Solche Versuche haben bei Pennystocks, Aktien mit sehr niedrigem Kurswert, Tradition – vor allem bei Minentiteln aus Kanada. Und diese Tradition scheint gerade wieder aufzuleben.

Große Klappe, nichts dahinter

Auf Investment-Homepages, per Börsenbrief oder in sozialen Medien: Anleger werden derzeit einmal mehr mit Werbung für dubiose Rohstoffaktien bombardiert – Werbung, die oft als unabhängige Analyse getarnt ist. Gehandelt werden die Titel meist im wenig regulierten Freiverkehr. Da werden 1000 Prozent Kurschance versprochen, einmalige Investmentmöglichkeiten, grandiose Gewinne. An erfahrenen Investoren perlen solche Versprechungen ab. Bei manchen Anlegern, die in den vergangenen Jahren neu an die Börse gekommen sind, dürfte das indes anders aussehen.
„Hobbyanleger kaufen das Zeug“, sagt Peter Mattil, Fachanwalt für Banken- und Kapitalmarktrecht. Oft stellten sie dann fest, dass das keine gute Idee war: „Hinter schätzungsweise neun von zehn Minenunternehmen, die bei deutschen Anlegern aggressiv um Kapital werben, stecken Betrüger. Da ist keine Substanz dahinter, keine Exploration, keine Mine, nichts“, sagt Mattil. Und da ist auch kein dicker Börsengewinn drin – außer für die Altaktionäre, die die Zahl der ausgegebenen Aktien sehr schnell erhöhen können.
Und für ihre Promoter, die oft mit Aktien und Optionen entlohnt werden, die sie möglichst schnell zu Geld machen wollen.
Der Ukrainekrieg und die Energiewende haben vielen Menschen in Erinnerung gerufen, wie abhängig die Wirtschaft von Rohstoffen ist. Ob Kupfer für Windräder, Uran für Atomstrom oder Lithium für E-Autos: Ohne Bodenschätze läuft nichts. Nicht zuletzt deshalb sind die Aktien vieler großer Minengesellschaften in den vergangenen Jahren gut gelaufen (siehe Grafik Seite 76). Anbieter halbseidener Pennystocks nutzen das als Vertriebsargument: Seht her, Rohstoffe sind begehrt, Minenaktien bringen Rendite! Das aber gilt bei Weitem nicht für alle Titel.
Im Minensektor gibt es viele Unternehmen, die nach dem Prinzip „Versuch und Irrtum“ vorgehen. Längst nicht alle haben Erfolg. Am wenigsten riskant für Anleger sind die Senior Producer, Konzerne wie der weltgrößte Goldförderer Barrick Gold, ebenso sogenannte Royalties wie Franco-Nevada: Diese betreiben selbst keine Minen, sondern stellen Minenbetreibern Kapital zur Verfügung.
Eine Stufe tiefer rangieren die Junior Producer, kleinere Minengesellschaften mit eigener Förderung. Ganz am Ende der Nahrungskette kommen die Grassroot-Explorer.
Bei den „Graswurzel-Entdeckern“ handelt es sich um kleine Unternehmen, die irgendwo ein Rohstoffvorkommen vermuten. Gibt es das Vorkommen tatsächlich und lässt es sich ausbeuten, können sich Aktionäre über einen hübschen Kursgewinn freuen – zumal der Explorer dann oft samt seiner Funde von einem der Senior Producer geschluckt wird, die kaum noch selbst nach Rohstoffvorkommen suchen. Aber das Risiko von Fehlschlägen ist groß. „Die Qualität der Erzkörper hat sich in den traditionellen Abbauregionen verschlechtert. Man muss höhere geopolitische Risiken eingehen, um die Fördermengen stabil zu halten“, sagt Alfred Grusch, Minenaktienexperte beim Fondshaus Amundi.

Kneipentratsch als Infoquelle

Um die Risiken eines Mineninvestments besser einschätzen zu können, geht Tobias Tretter gern in die Kneipe. Der Geschäftsführer und Anlagechef der Investmentboutique Commodity Capital mit Sitz in der Schweiz verbringt viel Zeit in Kanada und anderen rohstoffreichen Ländern, wo Minengesellschaften sitzen, die um Anlegergeld werben. „Abends in eine lokale Bar zu gehen ist oft aufschlussreicher, als dem CEO zuzuhören“, sagt Tretter.
Einmal habe eine Gesellschaft erklärt, zum Ausbeuten eines Vorkommens einen „Pond“ trockenlegen zu müssen, einen Tümpel also. Im Gespräch mit Einheimischen erfuhr Tretter: Die angebliche Pfütze war zirka 30 Meter tief. „Da ist ganz anderes Gerät nötig, man braucht andere Genehmigungen, vielleicht leben in dem Gewässer auch Fische“, sagt Tretter. Er nahm von einem Investment Abstand.
Ein andermal reiste der Fondsmanager, der früher für DJE Kapital tätig war, ins Yukon-Gebiet im äußersten Nordwesten Kanadas – und stellte dort fest: Eine Minengesellschaft wollte eine Produktionsanlage mitten in ein Dorf setzen. Keine gute Idee, befand Tretter. Die Behörden sahen das offenbar ähnlich: Das Projekt sei nicht realisiert worden.
In Mexiko habe er bei Besichtigungen schon Armeeschutz bekommen, erzählt der Fondsmanager. „Da will man dann auch nicht unbedingt investieren.“ Es gebe oft eine große Diskrepanz zwischen den Hochglanzbroschüren und der Realität vor Ort, sagt Tretter. Von 1000 Explorationsprojekten seien vielleicht ein
oder zwei erfolgreich – und das vor allem dank erfahrener Führungskräfte. „Fünf Prozent der Unternehmenslenker haben in diesem Bereich 95 Prozent der Erfolge.“ Warum hält sich Tretter nicht an die größeren Gesellschaften, sondern sucht trotz der Risiken bei kleinen Unternehmen nach Chancen? „Bei einem Investment in Konzerne wie Rio Tinto kann ich keinen Mehrwert liefern“, sagt er, „da braucht es mich nicht.“

Börsenbriefe von alten Bekannten

Anders als Fondsmanager haben Privatanleger kaum die Möglichkeit, um die Welt zu jetten und nachzuschauen, wie ein Abbauprojekt läuft – und ob es überhaupt existiert. Für sie ist es sicherer, sich auf große Minengesellschaften zu konzentrieren (siehe Kasten Seite 74) oder via Fonds in Minenaktien zu investieren (siehe Tabelle unten). Denn der Anteil an Papieren mit Totalverlustrisiko ist bei Minenaktien enorm – und diejenigen, die die hochriskanten Papiere anpreisen, haben viel Erfahrung darin, sie Anlegern schmackhaft zu machen. Zum Beispiel auf Rohstoffraketen.de.
Auf der Internetseite wird ein Börsenbrief angepriesen. Seine Betreiber erreichten mit Aktien von Junior-Produzenten und Explorationsgesellschaften „kontinuierlich eine hohe Trefferquote mit zum Teil unglaublichen Gewinnen“, heißt es. „100, 500 oder gar 1000% mit den richtigen Explorationsaktien“ seien drin. Herausgeber des Briefs, der sich aktuell über die Webseite seltsamerweise nicht abonnieren lässt, ist laut Impressum die BeJoCo Finanzinformationen GmbH. Sie bietet mehrere bizarr teure Börsenbriefe an. Bei einer Recherche rund um BeJoCo stießen Redakteure [des Mediums] Anfang des Jahres auf ein opakes Firmengeflecht und landeten vor einer Haustür in Berlin, an der der Name eines verurteilten Kursmanipulators prangte ([Medium Ausgabe] 2022). Damals wie heute reagierte BeJoCo nicht auf Anfragen.
Es passt ins Bild, dass als Geschäftsführer von Rohstoffraketen.de bis vor einiger Zeit der ehemalige Vizechefredakteur eines großen Anlegermagazins firmierte, der einst ebenfalls wegen Kursmanipulation verurteilt wurde. Auf Twitter bezeichnet er sich als „Chief Editor Rohstoffraketen“.

Bullshit-Bingo für Fortgeschrittene

In der Welt der kleinen Minenaktien sind die Grenzen zwischen spekulativen Investments, Blödsinn und Betrug fließend. Das liegt auch daran, dass als Aktienresearch aufgemachte Beiträge, mit denen Anleger gefüttert werden, oft bloß Werbeaussendungen von Minengesellschaften sind.
„Eine Riesen Investment Chance“ biete sich im kanadischen Goldabbaugebiet Red Lake, heißt es in etwas holprigem Deutsch auf der Internetseite tenbagger-report.de. „Im Norden Ontarios ist etwas Großes im Gange. Wenn Sie ein Goldinvestor sind, müssen Sie davon wissen.“ Und natürlich davon profitieren. Besonders gut könnte das angeblich mit der Aktie des Explorers Cross River Ventures klappen. Bei einem ähnlichen Unternehmen seien binnen fünf Jahren 15 639 Prozent (!) Rendite drin gewesen.
Aktueller Kurswert der Aktie von Cross River Ventures: 0,02 Euro. Zwei Cent. Wer im Text weiter nach unten scrollt, stößt auf den Hinweis: „Für die Berichterstattung über das Unternehmen Cross River Ventures wurden Verfasser, Herausgeber und Vermittler entgeltlich belohnt.“ Herausgegeben wird „Tenbagger Report“ von Goldman Global Research in London.
Verwechslungen mit der Investmentbank Goldman Sachs dürften zumindest in Kauf genommen werden. Die Geschäftsführerin leitet laut einer Datenbank ein weiteres Unternehmen namens Bullrich Media. Über Investmenthomepages wie boerse.de verbreitet auch Bullrich Media Werbung für Minenunternehmen, die aufgemacht ist wie Aktienanalysen. Eine Anfrage [des Mediums] blieb unbeantwortet.

Pennystocks und Putzmittel

Die Profis für Pennystock-Poesie sind meist zur selben Zeit für ein Dutzend Minengesellschaften oder mehr tätig. So listet das Ein-Mann-Unternehmen JS Research mit Sitz im sauerländischen Städtchen Olsberg unter „Unsere Research Unternehmen“ knapp 40 Namen auf, von etablierten mittelgroßen Gesellschaften wie Oceana Gold bis hin zu Explorern wie Labrador Uranium. Die von JS Research verfasste Werbung wird auf Anlegerhomepages wie Aktiencheck.de und Wallstreet-Online.de ausgespielt.
„Labrador Uranium positioniert sich gerade mit geballter Power für einen geschichtsträchtigen Uran-Bullen-Markt, der offenbar gerade beginnt!“, heißt es dort zum Beispiel. Dem Unternehmen könne ein „fulminantes 2023“ bevorstehen. Im Kleingedruckten ist zu lesen, dass es sich um einen Werbeartikel im Auftrag des Uranexplorers handelt – und dass Autor und Herausgeber bei Veröffentlichung des Werks selbst Aktien von Labrador Uranium hielten.
Gelohnt hat sich das wohl eher nicht. Die Labrador-Aktie steht bei 25 Cent, Tendenz fallend, seit Monaten. Vielleicht liegt es an der Performance vieler Exploreraktien, dass der Geschäftsführer von JS Research, der über sich selbst schreibt, er beschäftige sich „seit 1999 mit Börse und Aktienhandel“, noch ein zweites Standbein hat: Neben dem vorgeblichen Rohstoffresearch verkauft er Reinigungsmittel. Auf eine schriftliche Anfrage antwortet er nicht; die im Impressum genannte Handynummer ist nicht vergeben.
Man könnte nun fragen: Was soll das eigentlich alles? Warum buhlen kanadische Explorer mit halbseidener Werbung massenhaft um das Geld deutscher Anleger?
Frank Schallenberger glaubt: „Weil es hier eine Nachfrage nach solchen Investments gibt.“ Der Rohstoffanalyst der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) hat schon diverse Rohstoffzyklen miterlebt – inklusive reichlich seltsamer Investmentangebote, die bei einigen Deutschen durchaus auf Interesse stießen.

Wie sieht Germanium aus?

Da waren zum Beispiel die Seltenen Erden. Vor rund zehn Jahren zogen auf einmal Elemente wie Neodym und Lanthan viel Aufmerksamkeit auf sich. Seltene Erden werden in vielen Bereichen der Technologiebranche benötigt, kommen etwa in Handybauteilen zum Einsatz. Als der Hauptförderer China im Jahr 2010 den Export beschränkte, stiegen Nachfrage und Preis – und bei wohlhabenden LBBW-Kunden klingelten Männer mit Eimern voller Steine. Beim Inhalt der Eimer handele es sich um Seltene Erden, mithin um ein physisches Investment in die gefragten Rohstoffe, erklärtendie Verkäufer. „Und dann riefen die Kunden bei mir an und wollten wissen, ob sie Germanium kaufen sollen“, erzählt Schallenberger.
„Ich habe dann gesagt: Ich weiß nicht, wie Germanium aussieht. Wissen Sie, wie Germanium aussieht? Und überhaupt: Was wollen Sie mit Germanium im Tresor?“ Bei Investments in physische Rohstoffe rät der LBBW-Analyst zu Zertifikaten – und bei Aktien kleinkapitalisierter Rohstoffunternehmen zu höchster Vorsicht. „Wenn ein ausländisches Minenunternehmen auf Anleger in Deutschland zugeht, aber nicht einmal sein Prospekt hier zugelassen ist, sollte das ein Warnsignal sein“, sagt er. Eine Billigung durch die Finanzaufsicht BaFin sei das Mindeste.
Die BaFin unterhält eine Internetdatenbank, in der Anleger Wertpapierprospekte und Wertpapierinformationsblätter (WIB) abrufen können, die auf Vollständigkeit, Verständlichkeit und Kohärenz geprüft wurden. Die Aufseher weisen allerdings selbst darauf hin: „Allein aus der Tatsache, dass ein Prospekt oder WIB hinterlegt und veröffentlicht wurde, kann nicht auf die Seriosität oder Bonität des Emittenten geschlossen werden.“

„Absoluter Kauf-Tipp“

Wie seriös die Arbor Metals Corporation ist, mag jeder selbst entscheiden. Glaubt man den Homepages Lithium-Bericht.de und Lithium-Aktie.de, ist die Aktie des kanadischen Unternehmens, das in den USA Lithium abbauen will, ein Kracher: Sie dürfte „von allen Börsenkennern als absoluter Kauf-Tipp bezeichnet werden“. Schade, dass der Haftungsausschluss an der Unabhängigkeit dieses Tipps gewisse Zweifel weckt.
Die Veröffentlichung sei „Bestandteil einer Werbekampagne für das besprochene Unternehmen“, heißt es dort. Ersteller sei, wie im Impressum angegeben, „B-Part am Gleisdeck“. Gemeint ist wohl B-Part am Gleisdreieck – ein Co-Working-Space in Berlin (wo man nach eigener Aussage weder die Lithium-Homepages noch Arbor Metals kennt). Heiße Tipps aus Kreuzberg zum Lithiumabbau im Big Smoky Valley in Nevada? Kann man glauben. Muss man aber nicht.