Die Luftpumpen: Die deutschen Marktschreier des Krypto-Booms
von Mark Böschen
manager magazin vom 16.12.2022
Nach dem Kollaps wichtiger Krypto-Akteure wie der Handelsplattform FTX und des Berliner Fintech-Start-ups Nuri erläutert der Artikel, wie die Bitcoin-Blase entstand und wie sie platzte. Die Verantwortlichkeit wird bei professionellen Investoren, etablierten Unternehmen und Prominenten gleichermaßen gesehen, die sich anscheinend ohne Expertise, Analysefähigkeit und Risikomanagement fahrlässig von dem Versprechen hoher Renditen blenden ließen.
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Die Luftpumpen: Die deutschen Marktschreier des Krypto-Booms
Unter den Stahlträgern einer alten Industriehalle in Offenbach pries
Katharina Gehra (39) am 18. November 2021 vor mehreren Hundert Zuhörern die schöne, neue Kryptowelt. Der Bitcoinpreis lag bei 60.000 Dollar.
Bitcoin, Ethereum und andere Blockchain-Computernetze schickten sich an, die alte Finanz- und Internetwelt einfach zu überrollen. Schon bald, so schien es, würden die Türme auf der Frankfurter Mainseite gegenüber Zeugen ähnlich vergangener Zeiten sein wie die alte Halle hier.
„Kein einziges Thema wird mehr ohne Blockchain auskommen“, sagte die Gründerin des Kryptovermögensverwalters Immutable Insight. Beim Thema Sicherheit sei zum Beispiel Ethereum „auf jeden Fall ein Schritt nach vorn verglichen mit den Banken“.
Besonderes Lob gewährte sie den Token, also kleineren Kryptowährungen, von denen einige den Anlegern vor einem Jahr noch Renditekaskaden von insgesamt 300 Prozent pro Jahr versprachen: „Die Token-Ökonomie“, jubelte die ehemalige Boston-Consulting-Beraterin, „ist die größte Chance von allen.“
Zwölf Monate später klingen die Prognosen Gehras wie verantwortungslose Schwärmereien. Der Bitcoin-Kurs steht bei 16.000 Dollar, ein Rückgang von mehr als 70 Prozent. Der Wert vieler Krypto-Token ist sogar um mehr als 90 Prozent eingebrochen. Einige der wichtigsten Akteure im Kryptomarkt sind kollabiert, darunter die Handelsplattform FTX. Auch Gehra hatte dort für ihre professionellen Anleger 1,6 Millionen Dollar angelegt und muss nunebenso wie die übrigen Gläubiger bangen, überhaupt noch etwas zurückzubekommen. Ein weiteres Investmentvehikel für Privatanleger, für das sie als Initiatorin agierte, hat ebenfalls mehr als eine Million Euro bei FTX im Risiko.
Wer die Blase aufgepustet hat
Das Kryptodesaster hat unzählige Anleger viel Geld gekostet. Der Ansturm auf Coins und Token wird als eine der großen Spekulationsblasen in die Geschichte eingehen. So wie beim Dotcom-Boom um die Jahrtausendwende lockten auch diesmal billiges Geld und glitzernde Versprechungen. Und wie damals zahlen die Leichtgläubigen und Uninformierten einen hohen Preis: den Verlust ihrer Ersparnisse.
So wie viele Gründerinnen und Gründer in den späten 1990er Jahren hatten auch viele Token-Herausgeber nicht mehr als eine Idee, oder nicht einmal die. Dass es ihnen trotzdem gelang, in der Spitze mehr als 3000 Milliarden Dollar für ihre Kryptoanlagen einzuwerben, war nur durch die Hilfeetablierter Anfeuerer und Helfer möglich. Die Spekulationsblase mit aufgebläht haben einige prominente deutsche Luftpumpen: führende Venture-Capital-Fonds, große Unternehmen und ein paar der reichsten Deutschen.
Gehras Start-up Immutable Insight ist ein Beispiel dafür. Zu den Eigenkapitalgebern gehört Daniel Hopp (42), Sohn des
SAP-Mitgründers Dietmar Hopp (82). Auch der ehemalige
Commerzbank-Personalvorstand Ulrich Sieber (56) ist Gesellschafter. Schlagzeilen machte der 2015, als er seine von der Bank zurückgehaltenen Millionenboni erfolgreich einklagte. Zu den Investoren und Förderern gehören überdies mehrere deutsche Unternehmerfamilien aus der Bau- und Immobilienbranche.
Ebenfalls steigbügelhaltend mittels optimistischer Prognosen für die futuristische Blockchain-Welt: Vertreter des Finanz-Establishments, wohl in der Hoffnung, der Archivierung noch von der Schippe zu springen. Auf der CryptX-Konferenz sprachen Manager der
Deutschen Bank
und der Börse Stuttgart. Gerade die Schwaben haben vielen Sparern zu Bitcoin und Ethereum verholfen: Sie rühmen sich, „das größte Kryptogeschäft allereuropäischen Börsengruppen aufgebaut“ zu haben und „Zugang in die Kryptowelt“ zu bieten, auch für Privatanleger, etwa in ein Gehra-Produkt.
Was allerdings damals schon bekannt war und auch problematisiert wurde: Die Märkte für Bitcoin, Ethereum und Hunderte Token sind geprägt von wenigen großen Haltern („Wale“), die mit ihren Käufen und Verkäufen oft den Kurs bestimmen. Der Handel ist damit anfällig für Betrug und Insidergeschäfte. FTX-Gründer Sam Bankman-Fried (30) betrieb nebenbei den Hedgefonds Alameda Research, der auf eigene Rechnung Geld verdiente – bis er sich verspekulierte, die zweckentfremdeten FTX-Kundengelder dabei vernichtete und die Kurse insgesamt abstürzen ließ. Anderen wurden ihre Kryptowerte durch Hacker und Betrüger schlicht gestohlen.
Der kumulierte Verlust mit Kryptoanlagen 2022 beträgt 1300 Milliarden Dollar. Der Crash hat Anleger damit fast genauso viel Geld gekostet wie die Verluste mit US-Staatsanleihen aufgrund der historischen Zinswende (siehe Grafik). Zwar ist der Kryptomarkt vergleichsweise klein. Doch ist das Minus von 60, 70 oder 90 Prozent bei vielen Coins und Token um ein Vielfaches verheerender als das Minus bei US-Treasuries mit zehn Jahren Laufzeit von mehr als 15 Prozent.
Ihren Schnitt gemacht haben dagegen einige Token-Propheten, die mit großen Versprechungen Investoren lockten. Solche Profiteure gibt es auch in Deutschland. Denn die Kryptospekulationsblase war nicht nur eine Massenhysterie, sondern auch ein großes Geschäft.
Mitverdienen wollte auch Immutable-Insight-Gründerin Gehra. Anfang Dezember sitzt sie – rotes Kleid, Blazer aus grauer Wolle, Perlenohrringe – in der Lobby eines Hamburger Hotels in Bahnhofsnähe. Seit dem Zusammenbruch von FTX Anfang November trete sie 20 Stunden am Tag für die Interessen der Anleger ihres Blockchainfonds II ein. Für den hat sie 1,6 Millionen Dollar an Forderungen im Insolvenzverfahren angemeldet.
Die ganze Aufgeblasenheit der Szene zeigt sich aber vor allem an einem Produkt für Privatanleger, das Gehras damaliger Geschäftspartner iMaps aus Liechtenstein über ein Finanzvehikel auf den Cayman Islands auflegte: das Zertifikat Sustainliquid. Die Kryptoexpertin war dabei „Initiatorin“ und „Ideengeberin“. Aktuell stecken fast 13 Millionen Euro Anlegergeld in dem Papier.
Gehra ist seit Ende November von iMaps getrennt und darf nicht mehr über Sustainliquid sprechen. Das Zertifikat setzt auf das sogenannte Staking. Dabei hinterlegen Anleger Kryptowährungsanteile zum Beispiel in Ethereum, um mit ihrem Kapitaleinsatz für den Weiterbetrieb des Netzwerks zu haften. Dieser Einsatz wird mit sogenannten Staking-Rewards bezahlt.
Das Sustainliquid-Zertifikat hätte eine sprudelnde Gewinnquelle werden sollen, auch für Gehras Start-up Immutable Insight. In einem Kundeninformationsblatt ist von 50 Prozent leistungsabhängiger Gebühr („Performance Fee“) für die Initiatoren die Rede. In anderen Worten: Die Hälfte der Gewinne oberhalb eines früheren Höchststands sollte an die Produktanbieter gehen, obwohl die Kunden das komplette Verlustrisiko trugen. Allerdings dürften die Anbieter bisher kaum etwas an dem Zertifikat verdient haben.
Die Schuld der anderen
Das Sustainliquid-Renditewunder hatte mehrere Haken. Angesichts der enormen Kurseinbrüche, die viele Kryptowährungen immer wieder erlitten hatten, wären auch Staking-Erträge von 5 oder 10 Prozent schnell durch Kursverluste aufgezehrt gewesen. Daher wollten Gehra und ihre Mitinitiatoren das Kursrisiko absichern. Für solche Sicherungsgeschäfte war FTX in der Branche ein beliebter Anbieter, weil die Handelsplattform eine besonders große Palette solcher Hedging-Werkzeuge feilhielt.
Nun stecken rund 10 Prozent des sogenannten Basiswerts von Sustainliquid – also wohl mehr als eine Million Euro – in der Insolvenzmasse von FTX fest, teilte der Zertifikateemittent iMaps mit: „Diese Positionen waren Margin-Leistungen für Future-Positionen, die auf FTX getätigt wurden.“ Der Kurs des Zertifikats ist deshalb um rund 10 Prozent eingebrochen, trotz der versprochenen Absicherung gegen Kursverluste bei Kryptowährungen. Das Liechtensteiner Unternehmen hat Ansprüche beim Insolvenzverfahren geltend gemacht, weckt aber bei Anlegern wenig Hoffnung. „Da FTX Konkursangemeldet hat, müssen wir zum heutigen Stand davon ausgehen, dass diese Verluste nicht aufgeholt werden.“
Warum aber hat Sustainliquid-Initiatorin Gehra Kapital auch des Blockchainfonds für Absicherungsgeschäfte bei FTX deponiert, ohne einen testierten Geschäftsbericht der Börse gesehen zu haben? Alternative und innovative Investments unterlägen anderen Regularien als Investments über etablierte Börsen, sagt Gehra. „Die Investments über FTX wurden gleichwohl marktüblich und angemessen geprüft.“ Außerdem: „Wenn eine Blackrock da reingeht, eine Temasek, ein Ontario Teacher’s Pension Plan und Sequoia, die so viel Kapital und ihre Marke als Investoren verantworten, wie soll dann als Nutzer das mutmaßliche Ausmaß des Fehlverhaltens absehbar gewesen sein?“
Heute ist bekannt: All diese hochrenommierten Investoren haben nicht richtig hingeschaut. Wäre jemand von ihnen zur FTX-Zentrale auf die Bahamas geflogen, um sich dort umzusehen, hätte er wohl Zweifel bekommen müssen. Unabhängige Aufsichtsräte oder eine professionelle Buchhaltung gab es nicht.
Was denkt FTX-Geschäftspartnerin Gehra: War es nicht das Problem, dass alle sich auf andere große Namen verlassen haben und keiner mehr genau geprüft hat? „Es gibt so viele Investoren, die wirklich die Möglichkeit und auch das Recht hatten, auch mal Kontoauszüge anzusehen und eine noch tiefere Due Diligence der internen Prozesse und der Finanzlage zu machen“, sagt Gehra. Für sie als Börsennutzerin sei kein Betrugskonzept erkennbar gewesen. Nach ihrer Analyse der Ausfalldaten war FTX im Vergleich zu anderen eine zuverlässige Börse.
Hätte Gehra vorab nicht prüfen müssen, ob überhaupt eine Börse nicht nur vergleichsweise, sondern grundsätzlich vertrauenswürdig ist? Und ohne von einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft unterzeichnete Finanzberichte von FTX besser gar keinen Fonds aufgelegt? Die Gründerin findet das „zu einfach“. Gegen kriminelle Machenschaften könne man sich nur bedingt schützen. „Ich hoffe, dass in dem Insolvenzverfahren so viele Assets wie möglich aufgespürt werden“, sagt sie.
Nun steckt Kundenkapital von Kryptovermittlern wie Immutable Insight in der Insolvenzmasse von FTX fest. Rückzahlung: ungewiss. Das gilt ebenso für die Millionen, die das Start-up von den Investoren um Daniel Hopp eingeholt hat.
Trotz allem glaubt Gehra noch immer an die großen Möglichkeiten der Blockchain: „Zu meinen Aussagen über das Potenzial der Token-Ökonomiestehe ich zu 100 Prozent.“ Hat sie nicht die Sorge, sich zu irren und eine der größten Spekulationsblasen mit aufgeblasen zu haben durch ihre öffentlichen Auftritte und ihre Fonds? Gehra entgegnet, sie habe sich differenziert geäußert. Außerdem habe sie selbst zu den gleichen Konditionenwie die Anleger investiert und sei gleichermaßen „Von der Täuschung betroffen“:
Deutsche Kryptos im Coinbase-Rausch
Auf dem Höhepunkt des Booms brach sich wieder einmal die Gier Bahn. Die Banken stünden alle vor der Frage, wie sie in das Geschäft mit dem Verwahren und Handeln der Kryptowährungen kämen, sagte
Jan Kühne (55) im November 2021 auf der CryptX. Seinerzeit verantwortete er das Geschäft mit Großanlegern bei der Börse Stuttgart Digital Exchange, der schwäbischen Kryptoplattform.
Die Hochfinanz hatte der Erfolg der börsennotierten US-Kryptobörse Coinbase irregemacht. „Coinbase hat 100 Milliarden Dollar Marktkapitalisierung“, schwärmte Kühne. „Ich weiß nicht, welche europäische Bank da mitkommt – die Deutsche Bank jedenfalls nicht.“
Inzwischen ist Kühne als Großkundenbetreuer zu Coinbase gewechselt. Seine Worte von damals klingen heute nach Hybris: Das US-Unternehmen war Anfang Dezember an der Börse nur noch 11 Milliarden Euro wert – gut halb so viel wie die Deutsche Bank (21 Milliarden Euro).
Kühne war in der alten Fabrikhalle umgeben von Gleichgesinnten. Noch kurz vor dem Absturz berauschten sich die deutschen Kryptogeschäftemacher an den großen Profiten, die das Verkaufen von Coins und Token an Privatanleger einbrachte. Besonders das Staking, an dem auch Gehra verdienen wollte, galt als hochlukrativ.
„Da steckt unfassbar Marge drin“, sagte Julian Grigo (34), geschäftsführender Direktor für Digital Assets bei der Solarisbank, die mit ihrer Banklizenz als Dienstleister auch für Kryptoanbieter die Kundenkonten führt. Coinbase zum Beispiel behalte 25 Prozent der aus Kundeneinlagen erzielten Staking-Rewards ein. Bei Staking-Erträgen von durchschnittlich 10 Prozent seien das 2,5 Prozent. „Vergleiche das mal mit Banking-Margen“, frohlockte Grigo.
Kristina Walcker-Mayer (36), gefeierte Chefin des Start-ups Nuri aus Berlin, versprach ihren festgeldgeplagten Kundinnen und Kunden den
Abschied von der Ödnis. Sie warb für das sogenannte Bitcoin-Ertragskonto mit angeblich 5 Prozent jährlicher Rendite.
Schon Monate vor dem Krypto-Crash war offensichtlich, wie wackelig und riskant die Konstruktion dastand, wie [das Medium] im Juni 2021berichtete: Nuri reiche die Bitcoin der Anleger an Celsius Network durch – und die wiederum verliehen sie weiter, „gegen teils fragwürdige Sicherheiten: Wer bei Celsius einen Kredit möchte, kann dort Tether deponieren oder den BNB Coin des Börsenbetreibers Binance. Eine Einlagensicherung gibt es nicht. Falls Celsius insolvent würde, wäre das Kapital der Bitcoin-Konto-Kunden weg“. Walcker-Mayer verteidigte das Vabanquespiel damals mit der Behauptung, sie habe das Bitcoin-Ertragskonto auch Familienangehörigen empfohlen, die es nutzten.
Bei Familientreffen könnte das künftig für Unmut sorgen. Denn auch Celsius ist inzwischen insolvent. Außerdem waren Gründer
Alex Mashinsky (57) und sein Team offenbar mit den immer größeren Geldzuflüssen aus Berlin und anderswoher organisatorisch überfordert. Hektisch schoben sie Kapital vom Einlagen- zum Handelskonto und zurück, um die per Excel-Dokument errechneten Sollstände zu erreichen. Die selbst ernannten Bankenkillerscheiterten wohl schon an Buchhaltung und Kontoführung.
Entzauberung der Berliner Fintech-Stars
Nicht nur die Privatanleger mit Nuri-Ertragskonto sind vom Zusammenbruch der Berliner betroffen. Schon vor dem Celsius-Crash verbrannte Nuri 1,2 Millionen Euro im Monat. Zum Beispiel, weil das Start-up den Kunden die Kontoführungsgebühren beim Partner Solarisbank bezahlte.
Jetzt wird abgerechnet: Rund 50 Millionen Euro haben die Eigenkapitalgeber um Lead-Investor Earlybird bei Nuri vernichtet. Die Münchener Venture-Capital-Gesellschaft lehnte sich mit ihren Elogen auf die ehemals als Bitwala bekannten Kryptoartisten besonders weit aus dem Fenster. „Der Hintergrund und die Erfahrung des Teams haben uns davon überzeugt, dass Bitwala es jedem ermöglichen wird, Kryptowährungen zu nutzen – nahtlos und so einfach wie nie zuvor, mit dem Komfort und der Sicherheit ihres Bankkontos“, prahlte Earlybird-Partner Christian Nagel (61) anlässlich einer Finanzierungsrunde im September 2018. Ebenfalls mit an Bord: der halbstaatliche deutsche High-Tech Gründerfonds und Alstin, der Wagniskapitalfonds des Start-up-Löwen Carsten Maschmeyer (63).
Teuer wird die Nuri-Pleite möglicherweise auch für die vielfach gefeierte Berliner Solarisbank. Vorstandschef Roland Folz (58) und Kollegen waren Bankpartner von Nuri. Schlimmer noch: Sie boten Nuri ein sogenanntes Haftungsdach, das die Bafin-Erlaubnis zum Vertrieb von Finanzanlagen ersetzt. Jetzt drohen Klagen von Anlegern, deren Kapital von Nuri an deren insolventen Geschäftspartner Celsius weitergereicht worden ist.
Rechtsanwalt Walter Späth (50) aus Berlin vertritt bereits rund 50 Nuri-Kunden. Er ist der Ansicht, dass „gute Chancen bestehen, dass die Solarisbank für mutmaßliche Falschberatungen von Nuri-Kunden haftet“. Einige Mandanten seien nicht ausreichend über die Risiken beim Ertragskontoaufgeklärt worden. Unter anderem fordert er Schadensersatz für einen Mandanten, der 120.000 Euro auf das Bitcoin-Ertragskonto eingezahlt hatte.
Die Solarisbank wiederum hat die Kanzlei Thümmel, Schütze & Partner beauftragt. Deren Anwälte bezeichneten die Forderung gegen die Solarisbank als unbegründet. „Wir haben uns korrekt verhalten“, erklärt Bankchef Folz.
Der ursprünglich für 2022 geplante Börsengang der Bank ist wegen des Krypto- und Tech-Crashs ohnehin geplatzt, Vorstandschef Folz wird die Bank Ende April 2023 verlassen. Schon im Sommer hatte man einen Verkauf ausgelotet, weiterhin ist die Bank auf der Suche nach neuem Geld, hat aber nach den Pleiten und Pannen der jüngeren Vergangenheit und angesichts weiterhin zweistelliger Millionenverluste bei nur rund 100 Millionen Euro Umsatz gerade nicht die allerbesten Argumente.
Ärgerlich für Solarisbank-Aufsichtsratschef Ramin Niroumand
(35), der mit seiner Beteiligungsgesellschaft Finleap dort groß investiert ist. Immerhin ist er nicht allein: Jan Beckers (39), einer der prominentesten und lange Jahre erfolgreichsten deutschen Techinvestoren, ließ sich vom Kryptohype offensichtlich völlig vernebeln.
Im Oktober 2021, die Töne der Krypto-Kings wurden immer schriller, startete seine Vermögensanlagefirma BIT Capital zwei Investmentfonds. Der BITCrypto Opportunities, der bis zu 85 Prozent in Krypto-Assets investiert, hat passenderweise seit dem Start 85 Prozent seines Werts vernichtet. Glücklicherweise ist der Fonds nur für Profianleger erhältlich. Der BIT Global Crypto Leaders, der hauptsächlich in Aktien von Blockchain-Unternehmen investiert, hat jedoch ebenfalls 80 Prozent eingebüßt. Das Fondskapital ist auf 22 Millionen Euro zusammengeschmolzen.
Dabei hatte Beckers zum Start Großes versprochen. „Mit unserem Investment-Ansatz ermöglichen wir Anlegern, in die Wachstumsphase der spannendsten und bereits bewährten Assets zu investieren“, warb er damals.
Ende November stellten sich Beckers und sein Kryptofonds-Co-Manager Ha Duong (31) den Investoren in einer Videokonferenz des Vermögensverwalters Björn Drescher (52). Nach 30 Minuten Präsentation (ein Folientitel: „Nach dem großen Crash sind die Vorzeichen positiv füreine Recovery 2023“) quoll beim Gründer von Drescher & Cie der Chat-Kanal über von kritischen Wortmeldungen der Anleger und Fondsvermittler. Beispiel: „Leider erneut ein aus meiner Sicht schwacher Auftritt. Storytelling nach der katastrophalen Wertentwicklung und keinerlei Aussagen, was man konkret besser machen will. Ich habe alle meine Anteile verkauft und sehe ein Scheitern des Konzepts.“
Ein anderer Investor klagte, es wäre genauso gut gewesen, einfach in Bitcoin und Ethereum zu investieren anstatt in Beckers‘ Strauß an vermeintlich handverlesenen Investments: „Die Diversifikation hat nichts bewirkt.“ Beckers‘ Verteidigung: In den zurückliegenden zwölf Monaten seien alle Kryptowährungen „brutal abverkauft“ worden: „Dann hilft Diversifikation an der Stelle nicht.“ Er versprach: „Sie wird aber wohl helfen in der Aufwärtsbewegung.“
Ein Blick ins Portfolio indessen lässt an Expertise, Analysefähigkeit und Risikomanagement zweifeln. Beckers und Kollegen versenkten das Anlegergeld bei einigen der größten Skandal- und Pleiteunternehmen der Branche. Laut Halbjahresbericht vom Februar war der Privatanlegerfonds in ein Zertifikat auf Terra-Luna-Token investiert. Im Mai brach dieses Blockchain-Projekt zusammen und radierte 45 Milliarden Dollar Anlegerkapitalweltweit aus. Südkoreas Ermittlungsbehörden lassen mittlerweile Interpol nach Terra-Gründer
Do Kwon (31) fahnden.
„Wir haben die drohenden Schwierigkeiten rechtzeitig erkannt und entsprechend zu Kursen zwischen 60 und 80 Dollar vollständig verkauft“, sagt Beckers.
Ein anderes „bewährtes Asset“ im Fonds war die Aktie von Voyager Digital, einem Kreditgeber für die Kryptobranche. Voyager brach im Juni 2022zusammen, nachdem der Hedgefonds Three Arrows einen Kredit über 666 Millionen Dollar nicht zurückzahlen konnte. Sein Fonds habe seit Anfang2022 das Engagement abgebaut, weil Voyager sich von einem Händler zum Kreditgeber wandelte und die Zahlen schlechter geworden seien, sagt Beckers. Deshalb habe er seine Position im ersten Jahresviertel 2022 auf 1,5 Prozent des Fondskapitals gesenkt und bis Mai auf 0,08 Prozent: „Wir sind also rechtzeitig ausgestiegen.“
Sogar beim Token der nun insolventen Börse FTX war der Fonds mit einem kleinen Anteil investiert. Die Position seit stets klein gewesen und zu Preisen über 22 Dollar aufgelöst worden. „Der direkte Verlust für unsere Investoren betrug damit weniger als 0,03 Prozent des Fondskapitals.“
Besser noch wäre es allerdings, der Fonds würde gar nicht in mutmaßliche Betrüger mit chaotischem Management wie FTX investieren. Besonders dann, wenn von dem Unternehmen, das die Token ausgibt, kaum belastbare Informationen vorliegen. Von FTX hatten Beckers' Mannen „diverse Präsentationen ... inklusive der historischen und erwarteten Umsätze und Profite“ eingesehen. Geprüfte Finanzberichte mit Umsatz, Cashflow, Gewinnund Verlust: lagen nicht vor.
Hochrisikobörse ohne Firmensitz
Aktuell ist der Fonds indirekt bei einer Börse investiert, von der Beckers genau wie die meisten anderen nicht einmal weiß, wo denn der Firmensitzliegt: Binance. Der Anteil des von Binance ausgegebenen Token BNB Coin am Fondskapital lag Ende Februar bei 0,6 Prozent.
Beckers kann nicht ausschließen, dass die Binance-Bilanz so wie die von FTX zu einem großen Teil aus den selbst kreierten Token besteht oder dass Binance so wie FTX spekulative Handelsgeschäfte betreibt. „Niemand kann in die Bilanz von Binance mit großer Detailschärfe hineinsehen“, sagt der Fondsmanager. Warum er dennoch kauft? Er gehe eben gewisse Risiken ein, um „Gewinnchancen mitzunehmen“.
Investoren gehen Risiken ein, ohne die Finanzzahlen dahinter zu kennen: Vielleicht liegt genau hier das Problem des Kryptomarkts. Beckers‘ Investmententscheidungen verstärken den Eindruck, dass auch viele angeblich bestinformierte Techkenner bei Krypto einfach nur dem Hype hinterherliefen. Eine Wette von Zockern, wenig mehr.
Das Youtube-Bison von der Börse Stuttgart
Verkauft wurde Krypto dagegen allzu oft als lässige Leichtigkeit, etwa von der staatlich regulierten Börse Stuttgart, deren Krypto-Handels-App Bison2021 mehr als 15 Millionen Euro erwirtschaftet hat.
In einem aufwendig gestalteten Werbespot, der auf Youtube
lief, kommt ein Anzugträger mit Bisonkopf in eine Bar und bringt dort einen Schwätzer zum Schweigen, der lamentiert hatte, wie schwierig Kryptoinvestments doch seien. Es folgt der Werbespruch: „Klar ist es einfach. Mit Bison zuverlässig Kryptowährungen kaufen und verkaufen.“
Ulli Spankowski (40) ist Chief Digital Officer der Gruppe Börse Stuttgart. Er hat das Kryptogeschäft dort mit aufgebaut. Beim Videogespräch trägt er einen schwarzen Kapuzenpulli mit der Aufschrift „Tokenization services“, als wäre er gerade auf einer Kryptokonferenz.
„Als wir 2019 gestartet sind, kostete ein Bitcoin rund 2900 Dollar“, sagt er. „Wer da gekauft hat, ist immer noch mehr als 400 Prozent im Plus.“ Viele Kunden dürften aber zu viel höheren Preisen eingestiegen sein und Geld verloren haben. „Crashs wie jetzt gab es bei Bitcoin schon mehrfach“, gibt Spankowski zu. War es dann aber richtig, Werbespots mit dem Spruch „Klar ist es einfach“ zu verbreiten, obwohl Anleger Verluste von 70 oder mehr Prozent meist nicht durchhalten, sondern mit hohem Minus verkaufen? „Wir haben immer auch gesagt, dass die Anlageklasse sehr riskant und volatil ist“, wehrt Spankowski ab.
Jesko Stark (50) ist Insolvenzberater bei der Kanzlei Greenberg Traurig in Berlin und als solcher immer an einfachen Lösungen und Erklärungen interessiert. Nullzinsen und Rettungspakete hätten den Markt mit Geld überschwemmt und: „Das Geld musste irgendwohin“, sagt er. Jetzt ist es nicht nur weg, sondern auch woanders. Stark arbeitet derzeit daran, vom einstigen Vermögen des Berliner Kryptostars Nuri noch etwas zu retten.
Mit Kryptowährungen lässt sich also doch noch Geld verdienen. Als Insolvenzverwalter.