Der Milliardär, der Minister und die Millionen
von Nils Heck (geb. Wischmeyer), Katrin Kampling, Caroline Walter und Lea Weinmann
Süddeutsche Zeitung vom 19.04.2023
Trotz Warnungen von Experten hob der ehemalige Wirtschaftsminister Altmaier die Entscheidung des Bundeskartellamts auf und erlaubte die Fusion des mittelständischen Gleitlagerproduzenten Zollern BHW mit der österreichischen Miba AG, letztere schloss das Werk aufgrund mangelnder Rentabilität. Der Artikel versucht, den Entscheidungsprozess sowie die Einhaltung von Auflagen nachzuzeichnen, die beteiligten Parteien schweigen jedoch.
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Der Milliardär, der Minister – und die Millionen
Ein letztes Mal macht Martin Grun seine Runde durch das Hüttenwerk. Früher brauchte der Betriebsratschef hier einen Gehörschutz, so laut dröhnten die Maschinen. Auf mehr als 50 000 Quadratmetern stellten rund 300 Menschen hier Gleitlager her, zentrale Elemente, die zum Beispiel in Schiffen, Pumpen, Kraftwerken und anderen Großmotoren verbaut sind. Doch an diesem 31. Mai 2022 ist es still. Es ist der Tag, an dem das Werk der Zollern BHW in Braunschweig schließt. Der neue Haupteigentümer, die österreichische Miba AG, hält das Werk für nicht mehr rentabel, die Produktion wurde zu großen Teilen nach Österreich verlegt.
Martin Grun, mit Kurzhaarfrisur und strengem Blick, hatte viele Monate dagegen gekämpft, Protestaktionen organisiert und im Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) vorgesprochen. Obwohl die Österreicher versprochen haben sollen, die Arbeitsplätze zu erhalten – vergebens. „Mensch, Mate“, sagen seine Freunde jetzt, „mach dir nicht so einen Kopf, ist doch nur ’ne Scheißfirma!“ So erzählt Grun es. „Aber wir waren hier eine Familie.”
Ludwig Merckle übte öffentlich Druck auf Peter Altmaier aus
An der Zollern BHW, der „Familie“ von Martin Grun, zeigt sich so deutlich wie selten, was passieren kann, wenn die Politik es der Wirtschaft ermöglicht, Regeln zum Schutz vor Monopolen zu ignorieren. Dass die Miba AG die Firma überhaupt übernehmen konnte, verdanken die teils milliardenschweren Eigentümer einer Erlaubnis des damaligen Bundeswirtschaftsministers Peter Altmaier (CDU). Die sogenannte Ministererlaubnis ist ein seltenes und extrem mächtiges Instrument in Deutschland, in fünf Jahrzehnten wurde sie nur zehnmal erteilt. Mit ihr kann ein Wirtschaftsminister Entscheidungen des Bundeskartellamts aushebeln. Eine einzelne Person entscheidet dann über eine Fusion – und das Schicksal Tausender Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Die Folgen waren nicht selten Chaos, Kritik und Arbeitsplatzverlust. Beobachten ließ sich das bei Edeka und Tengelmann, langfristig bei Eon und Ruhrgas und vielen anderen. Auch vor der Übernahme der Zollern BHW durch die Miba warnten Experten wie die Monopolkommission vor den verheerenden Folgen. Interne Dokumente und Berichte von Insidern, die [das Medium] ausgewertet hat, legen nun nahe, dass Altmaier zu nachlässig bei den Vorgaben war und die Unternehmer das mutmaßlich ausnutzten. Die Opfer: Hunderte deutsche Mitarbeiter.
Schon im Jahr 2017 hatte die Miba AG, ein familiengeführtes Industrieunternehmen aus dem oberösterreichischen Laakirchen, einen ersten Versuch unternommen, das deutsche Unternehmen zu übernehmen: Geplant war, die Aktivitäten der beiden Firmen in einem Joint Venture zu bündeln, an dem die Österreicher die Mehrheit besitzen sollten. Doch das Vorhaben scheiterte am Bundeskartellamt: Die Marktmacht wäre zu groß. Und damit hätte die Geschichte enden können.
Doch dann schaltete sich ein Mann ein, der das Ruder herumreißen wollte: Ludwig Merckle. Der schwäbische Milliardär ist an vielen Firmen beteiligt, darunter Heidelberg Cement, Kässbohrer und – vor dem Joint Venture mit der Miba – auch zu 50 Prozent an Zollern und damit der Tochterfirma Zollern BHW. Öffentlich übte er Druck auf Altmaier aus, sagte in Interviews, Altmaier solle zeigen, „dass es ihm damit ernst ist, auch die Wettbewerbsfähigkeit der Mittelständler zu erhöhen“.
Altmaiers Industriestrategie sah vor, europäische „Champions“ zu formen, wenn nötig mit Fusionen. Und als das Bundeskartellamt die Heirat der beiden Technologieunternehmen untersagte, nahm sich der Minister der Sache Zollern BHW/Miba AG persönlich an. Er ließ von der zuständigen Monopolkommission prüfen, ob nicht doch etwas Gutes von diesem Zusammenschluss zu halten sei. Die Monopolkommission ist ein unabhängiges Beratungsgremium, das unter anderem die Bundesregierung berät.
Ihr Ergebnis: Keiner der von den Firmen angegebenen Gründe wiege schwerer als die Einschränkung des Wettbewerbs. Arbeitsplätze würden gefährdet, Rationalisierungseffekte seien zu befürchten. Eine Fusion sei deshalb nicht zu empfehlen. Eine Empfehlung, die Jürgen Kühling, aktuell Vorsitzender der Monopolkommission, heute bekräftigt: „Diese Auffassung wird durch die aktuellen Entwicklungen eher bestätigt.“
Altmaier aber winkt die Fusion mit der Begründung durch, das neue Joint Venture würde es brauchen – „zur Erreichung der Energiewende“. Es liege deshalb ein „überragendes Interesse der Allgemeinheit vor“. Darüber hinaus diene sie „dem Erhalt eines wettbewerbsfähigen Mittelstands“.
Die Nachricht von der Werksschließung kam kurz vor der Nachtschich
Wie er zu dieser Überzeugung kam, nachdem so viele Experten abrieten? [Das Medium] beantragte, unter anderem den Mailverkehr des damaligen Ministers aus dieser Zeit einzusehen. Doch auf Anfrage hieß es, die Dokumente enthielten „zu großen Teilen Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse oder sonstige schutzwürdige Interessen der Betroffenen“. Peter Altmaier selbst verweist auf die Akten im Wirtschaftsministerium und betont: Er habe immer „großen Wert darauf gelegt, die gesetzlichen Vorgaben vollumfänglich einzuhalten und dies auch transparent zu kommunizieren“. Mehr ist nicht zu erfahren.
Für den Bundestagsabgeordneten Victor Perli (Die Linke) ist das ärgerlich. Er versuchte über Monate, Licht ins Dunkel dieser Fusion zu bringen – bisher ohne Erfolg. „Es kann nicht sein, wenn eine so weitreichende Erlaubnis erteilt wird, dass sich die Regierung bei Auskünften gegenüber dem Parlament hinter Geschäftsgeheimnissen versteckt“, sagt er.
Auch die knapp 300 entlassenen Mitarbeiter aus Braunschweig fragen sich, was hinter den Kulissen lief. So wie Ingo Heinrich. Ihn erreichte die Nachricht der Werksschließung zu Hause, kurz vor Beginn seiner Nachtschicht. Wochen später musste er ansehen, wie österreichische Kollegen in Braunschweig an den Maschinen angelernt wurden. Dann war alles vorbei. „Das war die Höhe. Die haben die ganze Arbeit mitgenommen.“ Profitiert hätten von der Fusion die Eigentümer – er und die anderen Arbeiter in Deutschland seien egal gewesen, sagt der 60-Jährige.
Eine Ministererlaubnis ist ein kompliziertes Unterfangen. Um sie durchzusetzen, braucht es einen sogenannten Gemeinwohlgrund, also ein überragendes gesellschaftliches Interesse für eine Fusion. Bei Miba und Zollern soll das der Erhalt von „Know-how und Innovationspotenzial für Energiewende und Nachhaltigkeit“ sein. Immerhin sind Gleitlager auch bei Windrädern gefragt. Um den Gemeinwohlgrund zu sichern, werden Firmen daher meist Auflagen gemacht. Im aktuellen Fall sollen Zollern und Miba über einen Zeitraum von fünf Jahren 50 Millionen Euro in Deutschland investieren. Insiderberichte und Dokumente legen allerdings nahe, dass die Auflage von Altmaier Schlupflöcher ließ – zugunsten der Firmeneigentümer.
Deutlich wird das anhand der Zahlen, die Victor Perli in vielen Anfragen aus dem BMWK zusammentrug. Denen zufolge sind bis einschließlich 31. Januar 2022 insgesamt 37,8 Millionen Euro der vereinbarten 50 Millionen investiert worden – und zwar mit „Investitionsschwerpunkt“ in Braunschweig, also in das Werk, das heute geschlossen ist. Das zweite deutsche Werk in Osterode in Niedersachsen, spielte bei den Investitionen offenbar eine untergeordnete Rolle. Geld sei zudem in die USA und nach Österreich geflossen, schreibt das Ministerium. Das ist auffällig. Eigentlich sollte die Ministererlaubnis dazu führen, dass die Firmen 50 Millionen Euro „in Deutschland“ investieren, um das Know-how hierzulande zu halten. Wie also kann Geld ins Ausland fließen und angerechnet werden?
Manche Beschäftigte haben 30 oder 40 Jahre bei der BHW gearbeitet
In der Monopolkommission hält man das für zweifelhaft, und auch das Wirtschaftsministerium schweigt zunächst dazu. Erst auf mehrfache Nachfrage [des Mediums] räumt das Ministerium schließlich ein, dass es bereits im September 2019 – und damit nur einen Monat nach Erteilung der Erlaubnis zur Übernahme – eine Abstimmung zwischen Wirtschaftsministerium und dem Treuhänder gab, der die Auflagen für das BMWK überwacht. Bei dieser habe man beschlossen, dass es möglich sei, „dass Investitionen außerhalb Deutschlands auf die Investitionsverpflichtung angerechnet werden“. Das Geld, das deutsches Know-how schützen sollte, floss also zu Teilen ins Ausland. Hat sich der Minister austricksen lassen? Oder war es den Verantwortlichen schlicht egal?
Der Bundestagsabgeordnete Victor Perli hält diese Auslage für lächerlich: „Wenn die Miba alles machen darf, was sie selbst für betriebswirtschaftlich sinnvoll hält, hätte der Minister sich die Auflagen gleich sparen können. So konnte die Miba die Auflagen aus der Ministererlaubnis fast komplett missachten.“
Neben den Auslandsinvestitionen gibt es auch Ungereimtheiten bei den vermeintlichen Millioneninvestments innerhalb Deutschlands. In einem als „streng vertraulich“ gezeichneten Dokument schreibt die Miba im März 2021 – und damit Wochen nachdem sie den Betriebsrat bereits über die geplante Schließung des Werks in Braunschweig informiert hatte: „In die BHW wurden seit Gründung des Joint Venture zwischen Miba und Zollern Investitionen von in Summe ca. 1,3 Millionen Euro (…) getätigt.“ Und weiter: Alle weiteren Investitionstätigkeiten seien für den Standort Braunschweig „nicht von Belang“.
Das wirft Fragen auf. Denn knapp ein Jahr später verzeichnet das BMWK Investitionen von weit mehr als 30 Millionen Euro, Schwerpunkt Braunschweig. Wenn aber bis März 2021 nur 1,3 Millionen Euro in den Standort Braunschweig geflossen sind und zu diesem Zeitpunkt die Schließung für 2022 bereits beschlossen worden war: Wozu sollen in den letzten zwölf Monaten vor der Schließung noch zig Millionen dort investiert worden sein?
Die Miba schreibt auf Anfrage, man habe „die Nebenbedingungen der Ministererlaubnis eingehalten und die Behörde darüber regelmäßig informiert“. Dass man das Braunschweiger Werk geschlossen habe, sei Teil einer Neustrukturierung gewesen. Auf Nachfrage, wie die 1,3 Millionen Euro aus dem geheimen Dokument zu interpretieren seien, antwortete Miba nur mit dem Hinweis, dass es sich um Geschäftsgeheimnisse handele. Ludwig Merckle antwortet nicht auf Anfragen. Das Wirtschaftsministerium betont, der zuständige Treuhänder berichte dem Ministerium regelmäßig. „Die laufende Erfüllung der Nebenbestimmungen ist sichergestellt.“ Der Treuhänder selbst verweist auf das Geschäftsgeheimnis der beteiligten Unternehmen.
Perli kritisiert dieses Verhalten: „Hier wird eine Geheimniskrämerei betrieben, die absolut nicht nachvollziehbar ist“, sagt der Politiker. „In dieser Form darf nie wieder eine Ministererlaubnis erteilt werden.“
Was in Braunschweig bleibt, ist der Ärger. Die meisten Metaller haben dort mindestens ein Jahrzehnt gearbeitet, manche haben 33, 37, 40 Jahre bei der BHW verbracht. Rund 80 Beschäftigte sind zwei Orte weiter bei Salzgitter Flachstahl untergekommen, manche retten sich mit Abfindungen und Sozialplan in die Rente. Andere, wie Ex-Mitarbeiter Ingo Heinrich, schreiben wieder Bewerbungen und bekommen schlecht bezahlte Jobangebote.
Am letzten Tag, dem 31. Mai 2022, waren viele Arbeiter noch einmal da. In kleinen Gruppen standen sie vor dem Werk zusammen, auf dem Grill brutzelte Fleisch, dazu gab es Salate und Blechkuchen mit Streuseln. Aber nach Feiern war keinem zumute. Das letzte gemeinsame Essen, der letzte Termin als Team – welche Worte sollten da auch passen? „Ist wie ’ne Beerdigung hier“, sagte einer der Arbeiter. An der Tür zur Fabrikhalle klebte ein Sticker, darauf ein Strichmännchen, das am Galgen hängt. Und darunter der Satz: „Familienunternehmen Miba, wir lassen Sie hängen.“