Der Blender
von Jonas Rest und Dietmar Palan
manager magazin vom 17.02.2023
Das höchstbewertete deutsche Versicherungs-Start-up Wefox wollte mit einer überlegenen Technologieplattform und der intelligenten Nutzung von Kundendaten eine Disruption in der Branche auslösen. Der Artikel zeigt, dass dem Geschäftsmodell die Substanz fehlt: die Wachstumsraten wurden über zweifelhafte Deals, irrelevante Übernahmen und Bilanztricks aufgeblasen, der Rest sei charismatisches Blendwerk.
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Der Blender
Im Licht der Scheinwerfer läuft Julian Teicke (36) zu großer Form auf. Gel in den Haaren, Dreitagebart, das blaue Ralph-Lauren-Hemd hängt über der Jeans, die Ärmel hat er aufgekrempelt. Leichtfüßig tänzelt Teicke drei Schritte nach rechts, drei nach links, wieder fünf nach rechts. Mit kleinen Gesten dirigiert er den voll besetzen Saal im Londoner „Intercontinental“. Frühjahr 2022, Insurtech Insights Europe, Teicke gehört zu den Stars der Szene. „Wefox“, ruft er mit heiserer Stimme am Ende, „ist heute die weltweite Nummer eins unter den Insurtechs – und wird bald schon die Nummer eins in der globalen Versicherungsbranche sein.“
100 Milliarden Euro Umsatz bis 2030 sind das Ziel, innerhalb weniger Jahre will er die Strecke schaffen, für die der Koloss Allianz mehr als ein Jahrhundert gebraucht hat. Teicke gibt den Anführer einer kleinen Truppe selbst ernannter Revolutionäre, die mit ihren Start-ups die Versicherungsindustrie und ihre über Jahrzehnte erstarrten Regeln und Riten aufbrechen wollen. Künstliche Intelligenz und smarte Algorithmen sollen das Geschäft umwälzen und profitabler machen. Transparente Tarife, leicht verständliche Policen, keine der altbekannten Tricks mehr, mit denen die Assekuranzen ihre Kassen auf Kosten ihrer Kundinnen und Kunden füllen, das ist der zweite Teil des großen Versprechens.
Die Risikokapitalgeber lieben die Julian-Teicke-Show: Über eine Milliarde Dollar haben sie in die Firma gepumpt, die Teicke zusammen mit Ex-Investmentbanker Fabian Wesemann (36) und seinem Kumpel Dario Fazlic (37) vor gut acht Jahren startete. Teicke und Fazlic hatten zuvor schon ein Gutscheinportal in der Schweiz hochgezogen. Lange sah es auch so aus, als ob sie liefern würde. 2022 verdoppelten sie den Umsatz fast noch mal auf 600 Millionen Euro; das ist deutlich mehr als beim Vorzeige-Insurtech Lemonade, das zwischenzeitlich über zehn Milliarden Dollar wert war. Und während der US-Rivale seit Anfang 2021 mehr als 80 Prozent seiner Marktkapitalisierung einbüßte, fuhr Teicke den Wefox-Wert seit Mitte 2021 noch einmal um 50 Prozent nach oben: von 3 auf 4,5 Milliarden Dollar.
Weltweit lässt sich der Berliner Teicke als Techvisionär feiern. Selbst in US-Nachrichtenkanälen wie CNBC ist er öfter zu sehen als mancher Dax-Chef. „Das Finanzwesen wurde bereits disruptiert; Versicherungen sind als Nächstes dran“, tönt er dann.
Doch jenseits der Scheinwerfer verliert fast alles, was eben noch funkelte, seinen Glanz. Praktisch nichts bei Wefox ist so, wie es zunächst scheint.
Mit jeder neuen Finanzierungsrunde wachsen die Zweifel an der Substanz des Modells, das sogar für Branchenkenner nur schwer zu durchschauen ist. Ständig wartet Verkaufsgenie Teicke mit einer neuen Version seiner Geschichte auf. Immer will er eine „Wefox-Plattform“ schaffen, die irgendwann das gesamte Versicherungsökosystem digitalisieren soll. Doch die Details ändern sich ständig. Erst wollte Teicke eine IT-Infrastruktur für unabhängige Makler liefern und dafür einen Teil der Vermittlungsprovision kassieren. Dann baute er einen Versicherer auf. Schließlich rekrutierte er eigene Verkäufertruppen, er nennt sie „Exklusiv-Makler“, die aber vor allem die Policen der Konkurrenz vertreiben.
Etliche erfahrene Versicherungsmanager, die Teicke über die Jahre anheuerte, verließen das Unternehmen schon bald wieder. Zuletzt verabschiedete sich Ende 2022 Ex-Generali-Vorstand David Stachon (52) nach nicht einmal 24 Monaten von seinem Posten als COO, offiziell läuft er noch als „Berater“ von Teicke. Dessen Visionen entpuppen sich in wesentlichen Teilen als Blendwerk, wie umfangreiche Recherchen [des Mediums] belegen. Um seine Wachstumsraten aufzublasen, greift Teicke zu zweifelhaften Methoden. Seine Versicherungsgesellschaft hat keine Scheu vor fragwürdigen Deals; die von den eigenen Programmierern entwickelte Software spielt für das Geschäft des selbsterklärten Techsuperstars kaum eine Rolle. Und die Wachstumsraten seiner Vertriebsfirmen werden mitunter trickreich auf dem Papier nach oben gepusht.
Am Ende bleibt der Eindruck, dass Julian Teicke nur einem Geschäftsmodell folgt: der Steigerung des Unternehmenswerts, um (fast) jeden Preis.
Der Wefox-Gründer, dem noch rund 5 Prozent der Anteile gehören sollen, ist vor allem eins: ein genialer Verkäufer, seiner Firma und seiner selbst. In Bruchteilen von Sekunden lässt er sich auf seine Gesprächspartner ein, kriecht ihnen regelrecht unter die Haut. „Wenn du mit Julian sprichst“, sagt einer, der lange mit ihm zusammengearbeitet hat, „gibt er dir in jeder Sekunde das Gefühl, dass du der allerwichtigste Mensch der Welt für ihn bist.“
Die Gabe, Leute für sich einzunehmen, liegt in der Familie. Schon sein Vater baute in Berlin eine eigene Truppe von Policenverkäufern auf, die er später an Carsten Maschmeyer (63) und dessen Drückerkolonne AWD losschlug. Der Sohn bekam vom Talent des Vaters ganz offensichtlich ein gutes Stück ab, es hat ihn bei der Suche nach Geldgebern weit getragen. Zu Teickes Investoren gehören neben Salesforce-Gründer und Techmilliardär Marc Benioff (58) auch Showpromis wie US-Schauspieler Ashton Kutcher (45) und Sängerin Lena Meyer-Landrut (31). Die meisten Anteile liegen bei Wagniskapitalfonds wie Target Global.
In seinen Präsentationen verkauft Teicke Wefox als „gut geölte Maschine“, gebaut, um „unvergleichliches Wachstum“ zu produzieren. „Wir haben die magische Formel gefunden“, peitschte er das Londoner Messepublikum auf. In Wahrheit ist das stetige Umsatzplus weder magisch noch ein Beleg für die vermeintliche Überlegenheit von Wefox. Eher zeigt es, wie gerissen und trickreich Teicke agiert.
Das beginnt mit den rund 200 Millionen Euro Umsatz, die Wefox im vergangenen Jahr mit seinen eigenen Versicherungen erwirtschaftet haben soll. Die Assekuranztochter hätte ihr Prämienvolumen demnach innerhalb von zwölf Monaten vervierfacht und wäre schneller gewachsen als jeder andere Teil des Teicke-Konglomerats.
Doch etwa die Hälfte dieses Umsatzes stammt aus einem eher anrüchigen Geschäft, in dem es gar nicht um die Übernahme von Risiken geht. „Kurzabsenzpolicen“ nennen sich die trickreichen Produkte, die Wefox mit Partnern in der Schweiz vertreibt. Wefox deklariert dabei die Lohnfortzahlung für kranke Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Versicherungsfall; Schweizer Unternehmen können so die Sozialabgaben sparen. Als Belohnung kassiert das Start-up einen Teil der Summe, die den Sozialkassen vorenthalten wird. Diese Kommission hat mit klassischem Versicherungsgeschäft wenig zu tun. Sie wird aber als Versicherungsumsatz verbucht. Das Geschäft sei „nahezu komplett risikolos“, freut sich ein Wefox-Manager.
Auch in anderen Bereichen erklärt sich das vermeintlich magische Wachstum recht profan. Auf Konferenzen wie in London erzählt Teicke zwar, dass Wefox „alles“ in Technologie investiere. Tatsächlich aber floss der Großteil der über eine Milliarde Euro, die er bei Investoren eingesammelt hat, in die Übernahme von Vertriebsgesellschaften – in der Schweiz, den Niederlanden, Italien und Österreich. Allein rund 400 Millionen Euro soll die niederländische TAF im September 2022 gekostet haben; zwischen 300 und 350 Millionen Euro sollen es bei dem Zukauf in Italien gewesen sein. Die Übernahmen und die Schmuddeldeals in der Schweiz, so schildern Beteiligte, machten den überwiegenden Teil des Wefox-Wachstums im vergangenen Jahr aus.
Wefox erklärte auf Anfrage dazu, man kommentiere „generell keine vermeintlichen Unternehmensinterna unbekannter Herkunft“. Zu einem ausführlichen Fragenkatalog [des Mediums] nahm das Unternehmen nicht im Einzelnen Stellung.
Wachstum per Bilanztricks
Teicke inszeniert die Zukäufe als eine Art Brückenkopfstrategie zur Eroberung neuer Märkte: Wefox übernehme wohlüberlegt Partner, erklärt er im Gespräch mit [dem Medium], die dann „unsere Versicherungsprodukte, weitere Vertriebskanäle und unsere Technologie in diese Märkte bringen“. Insider sagen, dass es bei den Übernahmen primär um eines gegangen sei: Teickes Umsatzvisionen zu erfüllen.
So spielen Wefox-Versicherungen für die neuen Vertriebe denn auch eine eher untergeordnete Rolle. TAF in den Niederlanden etwa verkauft weiter Policen für Lebensversicherer wie Prismalife in Liechtenstein – und das wird sich auch auf absehbare Zeit kaum ändern. Für das Lebensversicherungsgeschäft fehlt dem Assekuranzteil von Wefox schlicht die Lizenz der Regulierer. In Italien bietet der neue Wefox-Vertrieb zwar auch eigene Kfz-Policen an. Doch den Großteil des Umsatzes bringt weiter die Vermittlung von Autoversicherungen der Konkurrenz. Und die 2019 in Österreich übernommene Einheit vertickt gar keine Wefox-Policen. Teicke fehlen weiter die Lizenzen für das Land.
Auch die ökonomischen Effekte des Übernahmefeldzugs verlieren ihre Magie auf den zweiten Blick. So verweist Teicke zwar darauf, dass sich in Österreich der Umsatz nach dem Zukauf verzehnfacht habe, von 5 auf 50 Millionen Euro. Doch auch diese wundersame Geldvermehrung hat wohl mehr mit einer geschickten Umstellung in der Bilanzierung zu tun.
Bevor Teicke in Österreich zuschlug, verbuchte die neue Tochter nur den Teil der Einnahmen als Umsatz, den sie von den unabhängig arbeitenden Maklerinnen und Maklern für die bereitgestellte Software und IT- Infrastruktur sowie andere Dienstleistungen kassierte. Der Großteil des Geldes, das die Makler mit dem Policenverkauf verdienten, lief dagegen über die Bücher der Vertriebspartner. Dies änderte sich, nachdem Teicke und seine Leute das Kommando übernommen hatten. Seitdem werden die Provisionseinnahmen größtenteils über die Wefox-Bücher abgerechnet, der Umsatz stieg im dreistelligen Prozentbereich.
Von den zusätzlich verbuchten Einnahmen bleibt am Ende allerdings nicht viel hängen. Die den Maklern zustehenden Provisionsanteile müssen anschließend wieder ausgebucht werden. Das Geschäft in Österreich sei zwar auch real gewachsen, erklären Insider – aber nicht annähernd in der Größenordnung, die durch die von den Abschlussprüfern abgesegnete Veränderung der Bilanzierung erreicht wurde. Nach ähnlichem Muster ließ Teicke auch in der Schweiz einen Teil der Umsätze neu berechnen. Auch dort wuchs Wefox rasant – allerdings auch dort beflügelt von der geschickten Bilanzierung.
Eigene Makler mit Fremdsoftware
Teicke verkauft Wefox als „Techcompany“ mit innovativer Software. Doch die neu eingemeindeten Ländergesellschaften arbeiten weiter mit den bereits vor der Übernahme eingesetzten Programmen. In Österreich etwa setzen die Wefox-Makler im Kern Software ein, die von einer Firma namens Q2E aus Niederösterreich programmiert wurde. Der Schweizer Vertrieb, den sich Teicke vor drei Jahren sicherte, setzt ebenfalls weiter überwiegend auf die bisher verwendete Software. Und in Italien erklärten seine Öffentlichkeitsarbeiter anlässlich der Akquisition zwar, dass Wefox nun die Rolle des „Softwareproviders“ für die italienische Einheit Mansutti übernehmen werde. Doch der größte Teil des Umsatzes läuft wie eh und je über die Mansutti-Software. Die sei, so sehen es jedenfalls Insider, der von Wefox entwickelten Lösung in vielen Bereichen überlegen; etwa bei der algorithmusgestützten Schadensregulierung.
Sogar bei der selbst aufgebauten Vertriebstruppe – den deutschen Exklusiv-Maklern – läuft bis heute fremd Programmiertes. Die Plattform namens AkquiseCenter gehört gar dem Münchener Konkurrenten Fonds Finanz.
Es ist zwar nicht falsch, dass Wefox seinen Exklusiv-Maklern das „gesamte Beratungssetup“ stellt, wie Deutschland-Chef Rocco Strauß (48) behauptet. Doch die Software wird überwiegend von anderen Firmen entwickelt. Wefox zahlt dafür.
Nun ist es in der Start-up-Welt nicht wirklich ungewöhnlich, dass die Pläne und Prognosen auf den Folien der Gründer insbesondere bei Investorenpräsentationen ihrer Zeit vorauseilen. Das Mantra „Fake it till you make it“ zählt fest zum Kanon einer Szene, die bereit ist, mit nur halb funktionierenden Betalösungen neue Märkte zu erobern. In vielen, auch hoch bewerteten Modellen der vermeintlichen Techavantgarde ist dann doch nicht alles selbst programmiert, sondern mit Software von der Stange zusammengestückelt.
Bei Wefox mehren sich aber die Zweifel, ob man das Kernversprechen überhaupt einlösen kann: sich durch eine überlegene Technologieplattform und die intelligente Nutzung der Kundendaten den entscheidenden Vorteil gegenüber der Konkurrenz zu verschaffen.
Auf diese Weise, so Teickes Storyline, könne Wefox nicht nur günstigeren Versicherungsschutz anbieten, sondern auch profitabler wirtschaften. Seine Leute, so tönt er, hätten „das Rätsel gelöst“. Wefox habe erreicht, woran viele andere gescheitert seien: „Rasantes Wachstum und hohe Profitabilität.“
Mit solchen Gewinnversprechen zog er auch auf Roadshow, als er seine bisher größte Finanzierung einwarb: die 650-Millionen-Dollar-Runde im Juni 2021. Eine Präsentation, mit der potenzielle Geldgeber damals geködert werden sollten, war mit dem Slogan überschrieben: „Der profitabelste Digitalversicherer“.
Tricks statt Tech
Es war, im besten Fall, ein Versprechen. Tatsächlich erwirtschaftete Wefox’ Versicherungsarm nur 2020 Gewinn: 6773 Euro; eher eine schwarze Null. Und verantwortlich dafür war nicht etwa Teickes angeblich überlegene Technologie, son- dern ein weiterer Spezialdeal. 2019 schon kaufte Wefox Prämienumsätze vom Berliner Unternehmen Expatrio, das ausländischen Studierenden Versicherungs- und Finanzdienstleistungen im Paket anbietet. Das Interessante für Teicke war, dass nur geringe Schadenszahlungen zu erwarten waren. Vielen Expatrio-Kunden dürfte nicht einmal klar gewesen sein, dass ihr Paket zum Beispiel auch Hausratpolicen enthielten, wenngleich sie laut Expatrio und Wefox gemäß der gesetzlichen Vorschriften auf die Versicherung aufmerksam gemacht wurden, und Wefox erklärt, dass diese auch etwa zur Anmietung von Wohnungen benötigt worden sei. Insidern zufolge nahmen jedenfalls viele ihren Versicherungsschutz im Schadensfall offenbar nicht in Anspruch. Die Folge: Die Wefox-Versicherung verbuchte mit ihren Hausratpolicen Einnahmen von 13 Millionen Euro, im Wesentlichen aus dem Expatrio-Deal. Und die Schadensquote, die vor dem Deal noch bei desaströsen 134 Prozent gelegen hatte, sank auf magere 7 Prozent.
Doch was aussieht wie ein hyper-profitabler Umsatzschub, war in Wirklichkeit extrem teuer: Die Wefox-Gruppe zahlte Insidern zufolge einen zweistelligen Millionenbetrag für die Prämien. Nur bekam davon kaum jemand etwas mit: In der Bilanz des Wefox-Versicherungsarms tauchten die Provisionen nicht auf. Sie wurden größtenteils bei der Züricher Holding verbucht, deren Zahlen nicht veröffentlicht werden. Am Ende konnte Teicke auch vor Investoren mit seinen 6773 Euro Gewinn renommieren.
Allerdings nur für ein Jahr. Denn der Expatrio-Deal wirkte wie ein Schuss Anabolika auf die Bilanz des Wefox-Versicherers – die Wirkung hielt nicht lange. Nachdem die Zusammenarbeit Mitte 2020 ausgelaufen war und sich die Zahl der Expatrio-Kunden in der Bilanz in der Folge nach und nach reduziert hatte, schnellte auch die Schadensquote wieder hoch. Statt der Hausratpolicen, von denen viele Kunden nichts ahnten, lieferte die Wefox-eigenen Kfz-Versicherungsprodukte 85 Prozent der gebuchten Bruttoprämien. Die Schaden-Kosten-Quote explodierte auf 240 Prozent. Mit anderen Worten: Wefox musste für 100 Euro Prämieneinnahmen 240 Euro für Schadenszahlungen und Versicherungsbetrieb ausgeben.
Der selbst ernannte „profitabelste“ Digitalversicherer der Welt war auf einen Schlag sagenhaft unprofitabel. Trotz Prämieneinnahmen in Höhe von 46 Millionen Euro stand unter dem Strich ein Minus von über 22 Millionen Euro.
Gerade das Ergebnis der Kfz-Policen ist dramatisch; die Schadensquote verschlechterte sich 2021 auf 128 Prozent. Teicke und seine Experten hatten sich komplett verkalkuliert. Autoversicherungen an „junge Fahrer mit hochwertigen Autos“, räumt Teicke ein, habe Wefox in Deutschland kurzzeitig mit viel zu niedrigen Prämien verkauft. Man habe sich „eine ganze Kohorte an Kunden“ eingehandelt, die sich als „extrem unprofitabel“ herausgestellt habe.
Wefox fehle im Vergleich zu den technologisch angeblich so rückständigen Versicherungsdinos die Datenmasse, um „einen vernünftigen Tarif“ zu kalkulieren, räumt ein hochrangiger Wefox-Manager kleinlaut ein. Dagegen komme auch ein noch so smarter Algorithmus nicht an.
Auch Teicke will seinen vermeintlichen technologischen Vorsprung heute nicht mehr an einer möglichst niedrigen Schadensquote messen. Man könne „nicht ernsthaft behaupten“, dass bei kleinen Portfolios künstliche Intelligenz einen besseren Schutz gegen Versicherungsbetrug biete und smarte Risikoabschätzungsmethoden zu einer „signifikant reduzierten“ Schadensquote führen würden, sagt er im Gespräch mit [dem Medium]. Noch so viele Innovationen könnten bei kleinen Portfolios nicht helfen, „wenn Fehler bei der Preissetzung entstehen“. Klingt fast so, als ob Technologie vielleicht am Ende doch nicht so entscheidend ist für den Erfolg im Versicherungsgewerbe.
Täuschende Mega-Bewertung
Bleibt die Frage: Womit können Teicke und Wefox ihr gigantisches Bewertungsniveau überhaupt rechtfertigen? Bislang ist die Gruppe kaum mehr als eine Ansammlung bunt zusammengewürfelter Vertretertruppen und einem so kleinen wie unprofitablen Versicherer. Klar ist: Die Techstory hat es Teicke bislang erlaubt, Wefox bei seinen Geldgebern weit teurer zu positionieren, als es ihm bei einem normalen Versicherer möglich gewesen wäre. So wurde das Business, gemessen am Umsatz 2022, bei der jüngsten Finanzierungsrunde mit einem Umsatz-Multiple von rund sieben bewertet – und damit weitaus höher als das Geschäft klassischer Versicherer, die wie die Allianz oder Generali häufig nur mit der Hälfte ihres Umsatzes gehandelt werden (siehe Grafik); auch Versicherungsvertriebe kommen häufig nur auf ein Umsatz-Multiple von zwei oder drei.
Teicke nutzt diesen Techbonus bislang geschickt für sich und seinen Expansionsfeldzug. Jede Übernahme trieb den Wert des Unternehmens. Doch ohne frisches Geld für neue Zukäufe, bekennen alte Weggefährten, werde es schwer, die Bewertungsspirale weiter anzutreiben. Für dieses Jahr hat Teicke die Ziele schon mal heruntergeschraubt. Nicht mehr der Umsatz, der eigentlich erneut verdoppelt werden sollte, steht nun im Vordergrund, sondern der Gewinn. Um die Kosten zu senken, sollen in den vergangenen Monaten bis zu 10 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen worden sein.
Für Gründer Teicke ist die Abkehr vom Wachstumsmythos allerdings heikel. Ohne Zukäufe fehlt der zentrale Werttreiber; in den Bewertungsmodellen potenzieller Investoren dürften die 4,5 Milliarden Dollar, auf die das Start-up zuletzt hochgejubelt worden war, deutlich abschmelzen. Möglicherweise könnten am Ende sogar weniger als die rund 1,1 Milliarden Euro übrig bleiben, die Investoren bislang in das Unternehmen gesteckt haben, fürchten Insider.
Der Staatsfonds Mubadala aus Abu Dhabi und die anderen Fonds, die sich an der letzten 400-Millionen-Dollar-Runde vor gut einem halben Jahr beteiligten, haben sich schon mal abgesichert. Bei einem Verkauf, berichten Eingeweihte, bekommen sie mindestens das Doppelte ihres Einsatzes zurück – ganz unabhängig davon, wie hoch die Bewertung beim Exit ausfällt. Solange Wefox also für mindestens rund 800 Millionen Dollar verkauft wird, verdoppeln sie ihr Kapital. Schon in der vorherigen Finanzierungsrunde soll es ähnliche Absprachen gegeben haben, mit denen sich Investoren gewisse Garantien im Fall eines Exits zusichern ließen.
Sollte Wefox substanziell unter dem bisherigen Bewertungslevel verkauft werden oder ein Börsengang zu wenig einspielen, könnte es für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie frühe Investoren dagegen eng werden. Auch die Anteile von Julian Teicke könnten sich dann als wertlos erweisen.
So ist es bei Wefox’ enormer Bewertung wie mit so vielem bei der Wunderfirma: Es ist nicht so, wie es zunächst scheint.