Auf sie kommt es nun an
von Markus Zydra und Victor Gojdka
Süddeutsche Zeitung vom 21.03.2023
Der Artikel erläutert, wie die Notenbanken nach der Rettung der Credit Suisse versuchen, das Vertrauen in das globale Finanzsystem aufrechtzuerhalten: Durch das sog. Diskontfenster werden großzügig Kredite an klamme Banken vergeben, durch Liquiditäts-Swap-Arrangements soll einer Dollar-Knappheit vorgebeugt werden. Gleichzeitig soll durch Leitzinsanhebung die Inflation bekämpft werden.
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Auf sie kommt es nun an
Wenn die Lage auf der Straße zu brenzlig wird, zieht man am besten den großen starken Kumpel hinzu. In der globalen Finanzwelt übernehmen die Zentralbanken diese Rolle. Der verstorbene Schweizer Ökonom Hans Binswanger sprach in diesem Zusammenhang von der „modernen Alchemie“. Denn Währungshüter besitzen das legale Mandat, so viel Geld zu schaffen, wie es ihnen beliebt.
Dieses Privileg verantwortungsvoll zu nutzen, das ist nach dem Banken-Beben in der Schweiz nun die Aufgabe von EZB-Präsidentin Christine Lagarde, US-Federal Reserve-Chef Jerome Powell, dem Schweizer Notenbankchef Thomas Jordan und den anderen Zentralbankpräsidenten. Sie müssen sicherstellen, dass das globale Finanzsystem weiter funktioniert: dass Kleinsparer, Unternehmer und Investoren jederzeit an ihr Geld kommen, das sie ihrer Hausbank anvertraut haben. Und dass die Banken ihre Kunden weiterhin mit überlebenswichtigen Kreditlinien versorgen können. Kurzum: Notenbanker müssen Vertrauen schaffen.
Am Sonntag um 22 Uhr, kurz nach der Bankenrettung in der Schweiz, war es dann so weit für diese große Aufgabe. Da versprachen die Europäische Zentralbank (EZB), das Federal Reserve System (Fed) sowie die Notenbanken Japans, Großbritanniens, der Schweiz und Kanadas die Versorgung der internationalen Finanzwirtschaft mit dem Dollar zu verbessern. Man möchte so einer möglichen Dollar-Knappheit vorbeugen, die sich einstellen könnte.
Die Maßnahme reiht sich ein in die große Krisengeschichte. Auch am 18. September 2008 beschlossen die wichtigsten Notenbanken eine solche konzertierte Aktion. Sie wollten damit die Panik nach der Lehman-Pleite eindämmen. Die Lage damals war anders, als sie es heute ist. Doch die Aufgabe der Währungshüter als Retter in der Not, als letzte Bastion und füllhornartiges Geldreservoir ist gleichgeblieben. „Der Bankensektor in der Eurozone ist widerstandsfähig“, sagte EZB-Präsidentin Lagarde. Im Notfall, so Lagarde, habe man genügend Möglichkeiten, das Finanzsystem mit Liquidität zu versorgen.
Warum stockte in den vergangenen Tagen überhaupt der Geldkreislauf im Finanzsystem, zumindest stellenweise? Als Credit Suisse, Silicon Valley Bank und First Republic ins Gerede kamen, schwand plötzlich das Vertrauen der Banken untereinander. Wer sich als Institut von einer anderen Bank für drei Monate Geld leihen wollte, musste plötzlich deutlich mehr Risikoprämie zahlen, manchen Banken lieh man offenbar gar nichts mehr. Hier sprang die US-Notenbank ein. Dafür hält sie schließlich ein jahrzehntealtes Programm unter dem hübschen Namen „Diskontfenster“ bereit. Früher konnten Banken ihre Emissäre tatsächlich an ein Fenster der örtlichen Notenbank schicken, um sich dort Geld zu leihen. Hinter dem Fenster? Ein seriöser Beamter mit Hornbrille und Schlips, so zeigen es Fotos aus den 1960er-Jahren.
Heute läuft das Geschäft zwar digital. Das Prinzip ist jedoch dasselbe geblieben: Braucht eine Bank dringend Geld, muss sie an dem Diskontfenster bloß Wertpapiere wie Staatsanleihen als Sicherheiten aus dem Bauch der Bank hinterlegen – und schon bekommt sie im Gegenzug Kredit. Oder einfacher: Geld, Cash, Penunzen. Hauptsache sofort.
Im Grunde betreibt die Notenbank also eine Art Pfandleihhaus für Banken. Die Institute hinterlegen etwas, dafür bekommen sie Kredit – teure Zinsen inklusive. Leihen sich Banken gegenseitig über Nacht Geld, zahlen sie dafür aufs Jahr gerechnet aktuell bloß 4,57 Prozent Zinsen. Beim Diskontfenster sind jedoch schon zwischen 4,75 Prozent und 5,25 Prozent fällig. Kein Institut, das nicht unbedingt auf das Fenster angewiesen ist, stattet ihm also freiwillig einen Besuch ab. „Lange war das Diskontfenster mit einem Stigma behaftet“, sagt auch US-Notenbankexperte Christoph Balz von der Commerzbank.
Doch vergangene Woche geschah das Unglaubliche: Der Ansturm auf das Diskontfenster war enorm. Vom Donnerstag vor fast zwei Wochen bis Mittwoch vergangener Woche hatten sich die Banken bei der US-Notenbank 153 Milliarden Dollar in nur sieben Tagen geliehen. Das ist mehr als zu den Hochzeiten der Finanzkrise. Der Indikator zeigt den Stress im Banksystem nur überdeutlich und die Rolle der Notenbanken „Lender of Last Resort“, als Kreditgeber der letzten Instanz.
Gleichzeitig öffnete die US-Notenbank in der vergangenen Woche gleich ein zweites Fenster unter dem sperrigen englischen Namen „Bank Term Funding Program“. Statt Kredite nur für rund drei Monate auszugeben, können sich Banken dort nach dem Pfandleiher-Prinzip gar für ein ganzes Jahr Geld leihen. Obendrein akzeptiert die US-Notenbank die Sicherheiten der Banken sogar zu Fantasiewerten. Gerne hinterlegen Banken bei der Notenbank zum Beispiel Staatsanleihen.
Hier bekommen die Institute jedoch nur zum Ende ihrer Laufzeit nach fünf oder zehn Jahren wieder 100 Prozent ihres investierten Geldes zurück. Im vergangenen Jahr sind viele der Staatsanleihen im Kurs kräftig gefallen, aktuell sind viele Anleihen weniger wert. In dem besagten Programm tut die Notenbank nun trotzdem so, als wären die Papiere aktuell 100 Prozent wert. „Das erlaubt den Banken mögliche Abflüsse durchzustehen, ohne sich mit gefallenen Wertpapieren Verluste einhandeln zu müssen“, sagt Lawrence Gillum vom Finanz-Blog LPL Research.
Dass die weltweiten Notenbanker gleich noch eine dritte Stützungsmaßnahme orchestrierten, ging am Sonntagabend fast unter. Während alle Welt über die Übernahme der strauchelnden Credit Suisse durch die Schweizer Großbank UBS sprach, fand die Ankündigung der wichtigsten globalen Geldhüter am Abend nach 22 Uhr deutscher Zeit kaum Aufmerksamkeit.
Vielleicht lag es auch am komplizierten Notenbankersprech: Man werde „stehende US-Dollar-Liquiditäts-Swap-Linien-Arrangements“ schaffen. Stehende was? Einfach gesagt sorgen die Notenbanken nun dafür, dass im globalen Finanzsystem der Strom an Dollars nicht versiegt. Das ist zentral, schließlich bezahlen auch deutsche Mittelständler jeden Tag Milliardenrechnungen in Dollar, kaufen Rohstoffhändler Öl, Gas und auch Silizium fast nur in der Weltleitwährung. Gerät der Dollarfluss zwischen Banken, Unternehmen und Devisenhändlern ins Stocken, funktioniert der Austausch im Finanzsystem kaum mehr. Gleichzeitig flüchten sich viele Großanleger in Krisenzeiten traditionell in den vermeintlich sicheren Dollar, sodass ausgerechnet dann die Nachfrage besonders groß ist.
Das Problem: Europäische Banken müssen sich die Dollars erst beschaffen, meist am Währungsmarkt mit anderen internationalen Banken. Schwindet jedoch das Vertrauen, trocknet auch dieser Dollarmarkt langsam aus. Deswegen kann zum Beispiel die Europäische Zentralbank auf einem Konto der US-Notenbank jetzt täglich Euro hinterlegen, im Gegenzug dafür Dollar bekommen – und diese an die Geschäftsbanken im Euroraum weiter verleihen. „In Krisen kommt es oft zu Verspannungen am Dollarmarkt“, sagt der Commerzbanker Christoph Balz, „so sollten sie gelindert werden.“
Die Notenbanken versuchen derzeit also zwei Probleme gleichzeitig zu lösen: Erstens Notfallgeldhilfen an den Finanzsektor zu vergeben, und zwar auf verschiedenstem Wege. Und zweitens versuchen sie, die Leitzinsen anzuheben. So wollen sie die quälende Inflation eindämmen. Die EZB hat vergangene Woche den Leitzins ungerührt von der US- und Schweizer Bankenkrise um 0,5 Prozentpunkte erhöht. Mancher hatte empfohlen, dies nicht zu tun – um die Finanzmärkte, die hohe Zinsen wenig mögen, nicht weiter zu stressen.
Am Mittwoch wird nun die Federal Reserve in den USA über den Leitzins entscheiden. „Durch die Turbulenzen in der Schweiz verteuern und verknappen die Banken ihre Kreditvergabe“, sagt Dirk Schumacher, Chefvolkswirt von Natixis. Das sei ja im Kern auch, was die Notenbanken möchten: Weniger Kredite bedeutet weniger Wachstum – und dadurch sinke die Inflation.
„Die Märkte nehmen der EZB und der Federal Reserve in gewisser Weise gerade die Arbeit ab, um die Inflation zu bekämpfen“, sagt Schumacher. Dadurch gebe es etwas Spielraum, den Leitzins am Mittwoch vielleicht nicht weiter anzuheben – auch, so sagt es Schumacher, um die Börsen zu beruhigen.