Zur Sonne, zur Freiheit
von Thomas Merten
Greenpeace Magazin vom 29.04.2022
Ausgehend von der Energiekrise aufgrund des Ukrainekriegs wird der neue Boom von Solaranlagen in Deutschland beschrieben.
Sie sehen hier den reinen Text in der anonymisierten Form für die Jury. Bilder, Layout oder multimediale Umsetzung sind beim Deutschen Journalistenpreis kein Bewertungskriterium. Allein das Wort zählt.
Zur Sonne, zur Freiheit
Menschen hängen allerhand an ihre Balkone: Regenbogen- und Ukrainefahnen, Blumenkästen, Satellitenschüsseln oder ihre Wäsche. Söndra Brand hat ein 1,8 Quadratmeter großes Solarmodul vor ihr Geländer geschraubt, jeder kann es von der Straße aus sehen. Eine Steckdose nach draußen verlegt, das Paneel eingestöpselt – fertig war ihr Balkonkraftwerk. In sonnenreichen Jahren schafft es 200 Kilowattstunden, das spart bis zu 75 Euro und hundert Kilogramm CO2. Die Revolution schimmert wie schwarzer Samt im Sonnenlicht von Bremen-Fesenfeld. Sieht so die Energiewende aus? „Es zeigt, was möglich ist“, sagt die Bremerin.
Ihr Balkon ist der erste Stopp auf einer Reise durch das solare Deutschland, an deren Ende die Erkenntnis steht, dass dieses eigenhändig angebrachte 500-Euro-Modul mehr bewirkt, als man denkt – als Baustein eines Menschheitsprojekts. Fotovoltaik erlebt einen zweiten Frühling: In Bürgervereinen und Forschung, in Industrie, Handwerk und Baubranche, überall treibt Freunde der Sonne die Chance, saubere Energie zu erzeugen und die fossile Abhängigkeit zu beenden, die auch Putins Terror finanziert. So könnte zur makabren Pointe des Krieges werden, dass er schafft, was apokalyptische Klimaberichte nicht vermochten: der Energiewende den entscheidenden Schub zu geben.
Solarmodule auf und an Gebäuden sind dabei besonders praktisch. Ihr Strom ist billig, man hört sie nicht, sie fallen kaum auf und sie sind schnell montiert. Scheunen-, Stall- und Eigenheimdächer füllen sich, Solarparks stoßen nicht überall auf Gegenliebe. Also muss die Energiewende in die Städte. Dort lässt sich gut Fläche machen – auf Baumärkten, Industriehallen, Schulen und Mietshäusern, über Parkplätzen und an Bürotürmen. Alle nutzbaren Dächer im Land ergeben 2800 Quadratkilometer solare Brachfläche, genug für 560 Gigawatt Spitzenleistung, fast 13-mal so viel wie alle deutschen Kohlekraftwerke zusammen. Zeit, loszulegen.
BREMEN
Unterwegs mit der Stromguerilla
Zeit also für Leute wie Christian Gutsche, Vorkämpfer der Bremer Stromguerilla. Der 36-Jährige mit rotem Pferdeschwanz steht in Monteursjacke und Cargohose in einer Garage und kramt in einem Karton. An der Wand lehnen Solarmodule und Metallschienen, im Regal stapeln sich Schraubenboxen und Kabelrollen. Vorsichtshalber packt er die Bohrmaschine ein. „Falls Gabis Akkuschrauber nicht reicht.“ Gabi Thurm, rote Kurzhaarfrisur, grüne Arbeitskluft, war früher in der Anti-AKW-Bewegung. Die Gärtnerin möchte ihr Dach mit Solarmodulen ausstatten, Gutsche hilft ihr dabei. Zusammen tragen sie die Paneele zu ihrem Lieferwagen und schieben sie vorsichtig auf die Ladefläche. Morgen werden die beiden den halben Tag an Thurms Dach werkeln. „Es wird dauern, bis alle erneuerbar versorgt sind. Ich lege schon mal los“, sagt sie und setzt sich hinters Steuer.
Gutsche hat in Physik promoviert, hat sogar eine neuartige Eisenbatterie erfunden. In der Industrie könnte er gut verdienen, doch das ist ihm nicht so wichtig. Lieber zeigt er Organisationen, wie man für den Klimaschutz wirbt. Oder wie er es nennt: „Ich bringe Ökos bei, weniger zu nerven.“ Er darf so was sagen, denn er lebt selbst in einer Bilderbuch-Öko-WG. Gutsche gründete den Verein „Bremer Solidarstrom“, der langsam zum Unternehmen mutiert. Die Mitglieder betreiben das Café Sunshine. Bei einer Flasche „Solarbräu“ am Lagerfeuer im Hinterhof bringen sie Menschen die Technik nahe, fachsimpeln und planen kleine und größere Eigenbauprojekte. Christian Gutsche arbeitet jetzt schon sechzig Stunden die Woche und kommt bei der Nachfrage kaum hinterher.
In fünf Jahren möchte er tausend Balkonmodule und fünfzig Aufdachanlagen jährlich installieren und zehn Beschäftigte haben. „Die Leute haben Bock“, sagt Gutsche. Um Profit gehe es ihm nicht. Wer wenig Geld hat, zahlt weniger, Gewinn fließt in weitere Projekte. Die Module will er möglichst nicht aus China beziehen. „Wir hängen sonst nur am nächsten schwierigen Regime.“
Am Lagerfeuer kam auch Söndra Brand zu ihrem Steckerpaneel, für sie die Einstiegsdroge in die Solarwelt. Bald darauf packte sie mit an, als der Verein eine Wohngenossenschaft bestückte. „Die Menschen müssen selbst ran, gerade auch Laien“, erklärt Gutsche, „für alles Technische gibt es uns.“ Die Energiewende von unten hat viele Vorteile: Die Leute lernen, wie leicht die Montage sein kann, sie sparen Geld und Zeit. Handwerksbetriebe sind oft hoffnungslos ausgebucht.
Noch immer sind es vor allem engagierte Privatpersonen, die den Solarausbau voranbringen. In ihrer Hand liegt ein Drittel der bundesweit installierten Leistung – mehr als alle Solarkraftwerke von Investoren, Banken und Energiekonzernen zusammen. Hunderte Vereine bilden eine Szene, in der man sich kennt und hilft. Und wer selbst keinen Platz hat, beteiligt sich bei Genossenschaften.
Richtig zufrieden wirkt Tobias Jaletzky trotzdem nicht, als er in seinem Büro in Bremen-Findorff empfängt. „Das ist oft purer Idealismus“, erzählt der Leiter der Genossenschaft Bürger-Energie Bremen, die mit Gutsches Verein zusammenarbeitet. Gerade montierten sie gemeinsam mit den Eigentümern eine Mieterstromanlage auf einem Wohnhaus samt Kita. Toll, aber bürokratischer Horror. „Seitdem haftet uns der Ruf an, wenn es einer schafft, dann wir“, grummelt er in seinen Kaffee. Jaletzky hat inzwischen ein dickes Fell. Er zählt auf: Stromzähler-Wirrwarr, Gebühren, Auflagen, Meldepflicht, Förderdeckel, ordnerweise Formulare und Anträge. Kleine Stromerzeuger würden behandelt wie Atomkraftwerke.
So bleiben Dächer kahl, obwohl der Wille da ist. Eigenheimanlagen sind zwar gefragt wie nie: Laut einer Umfrage planen 3,5 Millionen Haushalte, in den nächsten Monaten eine anzuschaffen. Aber die Deutschen sind ein Volk von Mietern. Und die Obis und Ikeas dieser Welt haben bislang kaum Anreize – und keine Pflicht – Solarmodule auf ihre Dächer zu bringen. Nötig sind also neue Ideen und schlankere Gesetze. Die wünschen sich Pioniere wie Tobias Jaletzky mehr als jede Förderung, denn „mit dem alten Rechtsrahmen kriegen wir nichts gebacken“. In seiner Schublade warten viele Pläne auf den Startschuss.
BERLIN
Ein Physiker auf Abwegen
Einmal im Jahr fahren Björn Rau und seine Familie mit dem Aufzug den Berliner Fernsehturm hoch. Rotiert er dann im Drehrestaurant bei Kaffee und Kuchen über den Dächern der Hauptstadt, schüttle ich nur noch mit dem Kopf“, sagt der Physiker vom Helmholtz-Zentrum für Materialien und Energie. Kahle Flächen, so weit das Auge reicht. Nur ein Prozent der Berliner Dächer wird für Fotovoltaik genutzt, in den meisten anderen Städten sieht es nicht besser aus. Björn Rau sieht sogar noch mehr Potenzial, denn er denkt vertikal: Bestückte man bundesweit auch die Fassaden, kämen zu den 2800 Quadratkilometern Dachfläche noch einmal 2200 hinzu – insgesamt ein Potenzial von tausend Gigawatt.
Die Forschung spuckt stetig Innovationen aus: Es gibt leichtere und dünnere Module für tragschwache Dächer, biegsame und bunte Paneele, sogar Solarziegel. Bald sollen noch effizientere Zellen aus dem Mineral Perowskit auf den Markt kommen. Nur: Bisher wird all die schöne Technik kaum verbaut. Also gründete Björn Rau ein Beratungsbüro, um Bauverantwortliche, Architektinnen, Kommunen und Investoren von den Chancen zu überzeugen. „Die meisten denken noch immer an die kristallinblauen Aufdachanlagen“, sagt er – und zeigt am Objekt, wie es auch anders geht. Dazu führt Björn Rau, graues Haar, silberner Ohrring, durch das wirtschaftlich boomende Berlin-Adlershof. Das Viertel ist ein Paradies für Solarfans, zu bestaunen sind Module mal über Parkplätzen, mal als Verschattung, mal an Wohnhäusern zwischen den Fenstern. All das zeigt: Es geht doch – fast überall!
Seit zwanzig Jahren arbeitet Rau am Institut. Rekorden beim Wirkungsgrad jagt er nicht mehr hinter her. Früher war er „Vogel-Zivi“ auf Norderney, noch heute erfasst er ehrenamtlich Rastvögel an einem Berliner Gewässer. Durch den Bauboom seien solche Lebensräume „brutal bedroht“, sagt er, darum sei es so wichtig, bereits versiegelte Flächen zu nutzen. Um zu untersuchen, wie sich Fassadenmodule bei Wind, Wetter, Licht und Schatten schlagen, ließ er ein Gebäude mit 360 extradünnen Paneelen verkleiden und mit Sensoren versehen. So entstand das weltgrößte Reallabor für bauintegrierte Fotovoltaik: Bis zu 27.000 Kilowattstunden schafft es im Jahr, mehr als zehn Einfamilienhäuser verbrauchen. Je nach Licht schimmern die Platten violett bis hellblau, ein Haus mit Raumschiff-Touch. „Ich mag das ja sehr“, sagt der Physiker und streicht liebevoll über eine Kachel.
Ginge es nach ihm, sollte Fotovoltaik an Häuserwänden selbstverständlich werden. Dazu müsste sich viel am Baurecht ändern, etwa am Brand- und Denkmalschutz. Zwar sind die schicken Module oft teure Maßanfertigungen. Sie können aber Bauteile ersetzen, die ohnehin dran müssten – und die keinen Strom liefern. „Wenn jemand sein Dach neu eindecken muss, kann er das auch mit Solarziegeln machen“, sagt Rau. Und vertikale Module liefern mehr Strom, wenn die Sonne tief steht, also morgens, abends oder im Winter, während Aufdachanlagen zur Mittagszeit ihr Hoch erreichen. Er findet: Das muss sich in der Bauwelt herumsprechen.
Als der pragmatische Physiker sich ins Architekturmilieu begab, traf er auf Schöngeister. „Ich bin oft der Einzige, der was Buntes anhat inmitten der schwarzen Rollkragen“, erzählt er und grinst. „Ein Architekt sagte einmal: Was ein Kabel hat, fasse ich nicht an.“ Kein Wunder, dass so selbst viele Neubauten solarfrei bleiben. Um Bau- und Energiewelt zu verkuppeln, heuerte Rau einen Architekten für Ökohäuser an und eine Architektin fürs Design.
„Für viele meiner Kolleginnen und Kollegen ist es das erste Mal, dass sie mit Fotovoltaik gestalten“, erzählt Samira Aden. Die Architektin besucht häufig Physiklabore und hat schon einen Solarbeton mitentwickelt. Ihre Eltern stammen aus Somalia, einem dürregeplagten Land. Der Kampf für Klimagerechtigkeit treibt sie bei ihrer Arbeit an.
Aden versteht den ästhetischen Anspruch ihrer Zunft. Sie kommt selbst aus der Design-Architektur, die mit Stoffen, Farben und Formen spielt. Damit eckt sie bei Naturwissenschaftlern an: Wie bitte, nur die halbe Leistung verbauen, damit es schön aussieht? Aden muss feilschen: „Vielfältige Module sind wichtig für die Akzeptanz und helfen, dass die Technik selbstverständlich wird“, erklärt sie. Es geht also nicht nur um Schönheit, sondern auch um einfache Handhabung.
Seit der Gründung der Beratungsstelle vor zweieinhalb Jahren kann sich das Team von Björn Rau vor Anfragen kaum retten. 140 Sanierungs- und Neubauprojekte hat es begleitet, die ersten werden bald fertig – darunter Uni- und Schulgebäude, ein Krankenhaus, ganze Wohnblöcke, Ministerien und Gewerbebauten.
DRESDEN
Solares Wirtschaftswunder
„Es ist verrückt, was gerade passiert“, sagt Peter Bachmann. „Die Menschen reißen uns die Module aus der Hand.“ Bachmann, rasierter Kopf, markante Brille, ist zuständig für die Unternehmensentwicklung beim Hersteller Solarwatt. „Solche Mengen kann der ganze Markt derzeit gar nicht anbieten“, sagt der Betriebswirt, der ein Turbowachstum in Zeiten von Pandemien, Kriegen und Lieferengpässen managen muss. 2021 machte die Firma 160 Millionen Euro Umsatz, für 2022 rechnet er mit 260 Millionen Euro. Ein Luxusproblem, doch solche Sprünge können auch heikel sein. Und die Solarbranche hat da so ihr Trauma.
Die frisch eingeweihte zweite Werkhalle in Dresden glüht. Im Akkord führen Dutzende Roboter auf 3500 Quadratmetern ihr Ballett auf, verschrauben Rahmen, verlöten Kontakte. Nur wenige Menschen werkeln zwischen den Maschinen. Alle dreißig Sekunden läuft ein fertiges Paneel vom Band. Gerade hat Solarwatt seine Produktion auf 550 Megawatt pro Jahr mehr als verdoppelt – viel zu langsam. Als Putins Truppen in die Ukraine einfielen, ging die Nachfrage durch die Decke. Viele sehen Firmen wie Solarwatt offenbar als Teil einer Antikriegswirtschaft.
Alte Branchenhasen erinnert das an goldene Zeiten. Solarwatt ist einer der ältesten Modulhersteller in Deutschland, es begann 1993 mit einem Zweimannbetrieb. Damals verbaute man die „Weltraumtechnik“ in Parkuhren und Telefonzellen. Dann der Boom: Die rotgrüne Regierung förderte ab der Jahrtausendwende den Sonnenstrom per Erneuerbare-Energien-Gesetz. Solarkraftwerke und Fabriken schossen wie Pilze aus dem Boden. In Bitterfeld in Sachsen-Anhalt entstand das „Solar Valley“, die deutsche Industrie wurde Weltmarktführer. 2011 gab es hierzulande 200 Solarhersteller, 160.000 Menschen arbeiteten in der Branche. 2012 wurden 7,6 Gigawatt installiert, bis heute Rekord.
Ab da ging es bergab. Chinesische Firmen verdrängten die deutschen per Dumping vom Markt. Die Merkel-Regierung setzte lieber auf fossile Energien, schraubte die Förderung zurück und baute Hürden ein. Bis heute wird Solarstrom künstlich klein gehalten, etwa durch den „atmenden Deckel“, der das Fördergeld mit zunehmendem Ausbau kürzt.
Auch Peter Bachmann von Solarwatt erinnert sich an die „tragische Zeit, Hunderte Mitarbeiter mussten gehen“. Die Firma war am Ende. Gerettet hat sie ein Mann aus der Autobranche: BMW-Erbe Stefan Quandt kaufte sich ein. Solarwatt stellte das Geschäft um, fortan bot man nicht nur Module an, sondern Einbau, Speicher und Energiemanagement mit dazu – so können Haushalte auch nachts ihren Sonnenstrom nutzen, ein E-Auto laden oder per Wärmepumpe heizen. Ein Erfolg. „Fast achtzig Prozent aller Anlagen werden heute mit Speicher verbaut“, erklärt Pia Küsgens, die die Produktstrategie mitentwickelt und eigentlich Chemie studiert hat. Damit hätte sie vieles machen können. Aber morgens für den Solarausbau aufzustehen, sei erfüllender, als das nächste Shampoo zu erfinden, sagt sie. „Wir wollen, dass die Menschen möglichst viel von ihrem Strom selbst verbrauchen können.“ So, wie es sich bärtige Bastler in den Siebzigerjahren erträumt haben. Zusätzlich hält die lokale Modulproduktion Transportkosten und CO2-Abdruck klein.
FULDABRÜCK
Handwerk unter der Sonne
Selbst wenn es gelingt, die Nachfrage zu bedienen, ist da noch das größte Problem: Es gibt viel zu wenig Menschen, die Solaranlagen einbauen können. Davon kann Thomas Kühn ein Lied singen. Er ist Installationsleiter bei Solarwatt und meldet sich per Videochat aus dem Homeoffice, Papa muss heute den Nachwuchshüten. Der trainierte Brillenträger hat schon Module auf so manches schwierige Dach geschraubt, und er erzählt leidenschaftlich davon. Kühn findet, dass Handwerk höheres Ansehen verdient, „dann würden sich auch mehr Menschen dafür begeistern“.
Gerade zieht er in Fuldabrück bei Kassel einen Montagebetrieb für Solarwatt hoch. Bis 2024 will er mit fünfzig Mitarbeitenden tausend Anlagen pro Jahr montieren. Das ist Teil des firmenweiten Aufstockplans: Bis 2025 soll die ganze Belegschaft um 400 Menschen wachsen, auf tausend Beschäftigte. Nun sucht Thomas Kühn händeringend Menschen, die geschickt, wetterfest und schwindelfrei sind: Dachdecker, Zimmerleute, Elektrikerinnen, Gerüstbauer, Klempnerinnen, Heizungsbauer, Energietechnikerinnen. „Zum Solarteur kann man sich nicht aus-, nur weiterbilden lassen. Deswegen haben wir fast nur Quereinsteiger.“ Das sei auch gut so, denn auf dem Dach muss man tüfteln: Mal hängt eine Rinne im Weg, mal muss noch ein Stützbalken dazu. Da rückt er lieber gleich mit breiter Expertise an.
„Die Branche braucht so schnell wie möglich Zehntausende Installateure“, sagt Kühn. Wenn wir es ernst meinen mit Paris, müsste man längst überall Bautrupps sehen, die emsig Häuser dämmen, Solarplatten verlegen und Wärmepumpen montieren. Damit das bald Wirklichkeit wird, bildet Solarwatt selbst aus und bietet über die Handelskammern und Innungen Fortbildungen an. Sofortmaßnahmen gegen eine klaffende Lücke. Wer einen Hammer von einer Säge unterscheiden kann, ist an Bord. „Neulinge im Dachhandwerk steigen bei uns als Bauhelfer ein und arbeiten sich hoch“, erklärt Kühn. Gute Leute will er mit familienfreundlich geplanten Montagereisen locken. „Und wer mit fünfzig nicht mehr aufs Dach will, kann zum Beispiel Bauleiter oder Planer werden.“
Kühn kennt das Handwerkerleben: Sein Vater führte eine Elektrowerkstatt, der Sohn wollte erst Fliesenleger lernen, entschied sich dann doch für Energieelektronik. Heute wollen die Leute mehr als einen sicheren Job. „Wer zu uns kommt, will mit an der Energiewende arbeiten“, sagt er. Für Kühn die Zukunftsbranche schlechthin. „Wir bieten einen sicheren Job, und alle haben etwas von dem, was man aufbaut“, sagt Kühn. Wer kann das schon von sich behaupten? In diesem Moment klettert seine vierjährige Tochter Elena auf seinen Schoß. „Denn für die machen wir es ja schließlich, für unsere Kinder.“
Der Anfang von etwas ganz Großem
Auf Söndra Brands Bremer Balkon scheint die Abendsonne. Die Elektronik summt, ihr Modul erzeugt fleißig Strom. „Meine Nachbarn dachten erst, ich übertrage jetzt per Flachbildschirm für alle in der Straße die WM“, sagt sie. Gern hätte sie die Miteigentümer ihres Mietshauses von einer Dachanlage überzeugt. Aber das sei ziemlich schwierig bei sieben Parteien.
Doch dann erzählt die Bremerin, dass sie als Nachhaltigkeitsbeauftragte bei einem Haustierfutterhersteller arbeitet. Und der habe neben einem Hallendach einen großen Parkplatz. „Da lasse ich prüfen, ob wir den mit Solarmodulen überdachen können.“ Was sie in der Idee bestärkt? Die schwarze Platte, die an ihrem Balkon hängt.