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Wie ich mein erstes NFT verkaufte - und doch nicht zum Millionär wurde

von Christian Wermke
Handelsblatt vom 18.05.2022

Der Autor stellt im Selbstversuch digitale Kunst als NFT zum Verkauf und schreibt über seine Erfahrungen in der Szene.

Sie sehen hier den reinen Text in der anonymisierten Form für die Jury. Bilder, Layout oder multimediale Umsetzung sind beim Deutschen Journalistenpreis kein Bewertungskriterium. Allein das Wort zählt.

Wie ich mein erstes NFT verkaufte – und doch nicht zum Millionär wurde

Aufwendige Recherchen fangen im Journalismus oft simpel an. Diese hier begann Anfang des Jahres mit einem Arbeitsauftrag in einem Satz: "Erstell doch mal ein NFT, versuche, es zu verkaufen, und schreib über Deine Erfahrungen." Ich musste bei NFT sofort an diese digitalen Sammelbildchen denken, die zu absurd hohen Preisen versteigert werden. Aber mehr wusste ich auch nicht. Ich stand im digitalen Nirgendwo.

NFT, die Abkürzung steht für "Non-Fungible Token", unveränderbare Dateien, die fälschungssicher auf der Blockchain gespeichert werden - wie in einem digitalen Kassenbuch. Fast alles kann solch ein Unikat sein: ein Foto, ein Video, Sounds, Grafiken. Natürlich sollte mein erstes NFT einen [Medium]-Bezug haben oder irgendwas mit Italien - ich lebe und arbeite ja schließlich als Korrespondent in Rom. Schnell kommt die Idee einer Titelseite auf. Vor allem das Titelbild unserer Wochenendausgabe ist optisch opulent, ein Hingucker, oft in Form einer humorvollen Illustration. Aber auch ein Anreiz für die digitale Sammelwelt? Das will ich herausfinden - und dabei am liebsten noch steinreich werden. Ein Selbstversuch in fünf Akten.

I. Vorbereitung

Meine virtuelle Odyssee beginnt bei Michel Becker. Unser Art Director ist verantwortlich für die Freitagscover, präsentiert schon Tage vor Andruck Dutzende Ideen, eine wahre Kreativmaschine. Oft arbeitet Michel dabei mit externen Illustratoren zusammen, die Auftragsarbeiten für uns anfertigen. Drei davon habe ich mir ausgesucht: ein aufgeblasenes buntes Einhorn, das für den deutschen Start-up-Markt steht - der Titel erschien Mitte Januar. Ein Cover von Angela Merkel, stilistisch an Caspar David Friedrich angelehnt, auf dem die Noch-Kanzlerin gebeugt auf ihre Regentschaft und verpasste Chancen blickt, erschienen im Sommer 2021. Und unser Privatier-Titel zum Jahreswechsel, den ich mit [KollegIn] aufgeschrieben habe - der Schreibtisch auf dem Bild verwandelt sich dabei in einen langen Bootssteg mit Jacht.

Die Cover schickt mir Michel als hochaufgelöste Fotos zu: einmal mit [Medium]-Schriftzug, einmal als reine Illustration, ohne Text, das pure Kunstwerk. Sechs NFTs sollen daraus werden. Dazu möchte ich eine Auswahl von Italienfotos stellen, durchforste meine Handybilder. Es sind Motive von Wochenendtrips, die ich sonst bei Instagram hochlade - und jetzt, comichaft verfremdet, zu Geld machen will. Ich habe schon Euro-Zeichen auf den Augen, dabei beginnt die wahre Recherchearbeit erst jetzt. Wo kann ich meine NFTs überhaupt anbieten - und wie?

Nach wenigen Klicks merke ich, wie naiv ich das Experiment gestartet habe. Klar findet man bei der Suche schnell die richtigen Seiten: Opensea ist etwa die größte Zweitmarktbörse, wie ein Ebay für NFTs. Sorare richtet sich an bekannte Künstler, bei Rarible gibt es auch schon Cover [von anderem Medium]. Zugreifen kann ich auf all die digitalen Kunstgalerien aber nicht. Dafür brauche ich eine mit Kryptogeld gefüllte "Wallet", eine virtuelle Geldbörse. Gut, dass ich eine habe - denke ich zumindest. Schon länger besitze ich ein Konto bei der britischen Onlinebank Revolut. Via App tätige ich hier nicht nur Überweisungen, sondern habe nach anfänglichem Zögern auch etwas Geld in Krypto-Assets gesteckt.

Es geht bei mir nicht um ein großes Vermögen: Ich besitze gerade mal ein Zwanzigstel eines Bitcoins und etwas mehr als einen Ether. Letzteres ist auch die gängigste Währung bei NFTs. Im Gegensatz zum Bitcoin ist die Ethereum-Blockchain kein reines Spekulationsobjekt. Mit ihr lassen sich digitale Verträge schließen - und ein NFT-Verkauf ist nichts anderes: In der Blockchain wird niedergeschrieben, wer mir was abgekauft hat und zu welchem Preis, transparent für immer und für jeden einsehbar.

II. Frustration

Das einzige Problem: Mit meinen Ether kann ich nichts anfangen. Revolut hat keine Schnittstelle für NFT-Plattformen. Im Klartext: Ich besitze zwar die richtige Kryptowährung - aber leider beim falschen Anbieter. Also brauche ich neue Ether. Von einer neuen Plattform. Es ist frustrierend. Ich verliere fast die Lust am Projekt, lasse es ein paar Tage schleifen - bis ein Buch in meinem Briefkasten landet, ohne das ich diesen NFT-Dschungel wohl nicht unfallfrei wieder verlassen hätte: "Reich mit NFTs" heißt es, geschrieben von Mike Hager. Der 47-Jährige war jahrelang Radiomoderator und Comedian in Bayern. Heute ist er einer der führenden NFT-Experten in Europa. Hager wurde erst Anfang 2021 auf den neuen Trend aufmerksam. Mittlerweile ist er NFT-Millionär geworden, in Euro wohlgemerkt.

Nachdem ich Hagers Buch verschlungen habe, grinst mich Ende Februar ein orangefarbener Fuchs aus meinem Browser an: das Symbol der "Metamask", einer digitalen Geldbörse, die sich mit fast allen NFT-Plattformen verbinden lässt. Meine "Wallet" hat 42 Buchstaben und Zahlen. Merken werde ich sie mir nicht (das habe ich bis heute auch mit meiner IBAN nicht geschafft). Bin ich also am Ziel? Jein. Ich könnte mir direkt die für die NFT-Erstellung benötigten Ether über meine Metamask kaufen. Aber das wird teuer - der Fuchs verlangt hohe Provisionen. Also richte ich mir einen weiteren Account ein: bei der amerikanischen Krypto-Tauschbörse Kraken, deren Symbol - na klar - ein Oktopus ist.

Um Krakens Dienste nutzen zu können, lade ich meinen Personalausweis hoch, dazu einen Nachweis über meinen Wohnsitz. Es fühlt sich an, als würde man ein Bankkonto eröffnen - und im Prinzip ist es das ja auch. Nur dass hier nicht die Einlagensicherung von 100.000 Euro greift. Das erzeugt schon ein etwas mulmiges Gefühl. Um Ether zu bekommen, muss ich nun echtes Geld vom Giro- auf mein Kraken-Konto überweisen. Ich fange klein an, mit 250 Euro. Freitag drücke ich auf den Überweisungsbutton, nervös checke ich mehrmals am Wochenende die Kraken-App: nichts. Montag dann die Erfolgsmeldung: "Successful deposit". Die 250 Euro wandle ich innerhalb von Sekunden in ein Zehntel Ether um. 3,70 Euro Gebühr bleiben in den Armen der Krake, knapp 1,5 Prozent. Der letzte Schritt, um endlich NFT-liquide zu werden: Ich überweise meine Ether von der Krake zum Fuchs, in meine virtuelle Metamask-Wallet. Und kann endlich loslegen.

III. Kreation

Man fühlt sich bei Opensea ein bisschen wie bei einem digitalen Kleinanzeigenportal. Anders als bei der Keller-Entrümpelung ist der NFT-Verkauf aber nicht kostenlos: Beim Einstellen meiner Cover und Fotos wird eine Gebühr fällig für die "Miner", also diejenigen, die mit ihren Computern und Servern erst die Blockchain am Leben erhalten. In meinem Fall sind das rund 43 Euro an Gebühr. Anfang April ist es dann endlich so weit: Meine Kollektionen sind online. "[Medium] Cover" heißt die eine, "Secrets of Rome" die andere. 0,1 Ether verlange ich für die Titelblätter. Das sind damals rund 240 Euro, der Ether-Preis schwankt wie bei jeder Kryptowährung. Die Rombilder stelle ich für die Hälfte ein. Es hat schon etwas Revolutionäres: Ich kann selbst zum Künstler werden, ohne Galeristen, ohne Zwischenhändler. Ich behalte auch für immer einen Teil der Rechte an meinem Erzeugnis. Bei allen NFTs habe ich eine zehnprozentige"Creator Fee" hinterlegt. Bei jedem Weiterverkauf, so steht es im smarten Vertrag geschrieben, verdiene ich mit - bis in alle Ewigkeit.

Und dann passiert ... nichts. Ein paar Menschen vergeben "Herzchen" für meine NFTs, aber niemand kauft sie. Also schmeißen wir die Social-Media-Maschine [des Mediums] an, schreiben bei Twitter über die Auktion, ebenso bei LinkedIn. Nach zwei Wochen ist der Traum vom schnellen Reichtum noch immer nicht Realität. Ich senke den Preis meiner NFTs um die Hälfte. Und wieder: wochenlang nichts. Sind die Fotos zu hässlich? Gibt es zu wenig [Medium]-Leserinnen und - Leser, die eine digitale Wallet haben?

Die NFT-Welt hat mich trotzdem in ihren Bann gezogen. Es gibt sie erst seit 2017, ein sehr junges Phänomen. Gleichwohl eines mit riesigen Wachstumsraten: In der ersten Jahreshälfte 2020 lag der Umsatz mit NFTs bei 13,7 Millionen Dollar, ein Jahr später schon bei 2,5 Milliarden Dollar. Optimisten wie Mike Hager schätzen, dass in wenigen Jahren alles ein NFT sein könnte: Fußballtickets und Konzertkarten etwa, selbst all die Kundenkarten, die heute noch das Portemonnaie sprengen. Schon heute machen viele große Unternehmen ihre ersten Gehversuche: Adidas, Gucci, Porsche, sie alle sind dabei. Auf der anderen Seite stehen die Pessimisten, die eine große Spekulationsblase prophezeien.

Unterdessen sehe ich Ende April die Moonbirds an mir vorbeifliegen, 10.000 pixelige Eulen, die sich für 2,5 Ether "minten" lassen - so heißt es, wenn man neue NFTs auf der Blockchain schürft. Heute gehen die Moonbirds für Minimum 24 Ether über den digitalen Tisch. Das sind, trotz des jüngsten Kryptoeinbruchs, immer noch mehr als 45.000 Euro. Ich verstehe langsam, was diese Welt so verrückt macht: Es geht um Sammlerwert, wie früher bei meinen Panini-Fußballbildern auf dem Schulhof. Da konnte ich auch keinen beliebigen Auswechselspieler von 1860 München gegen ein glitzerndes HSV-Wappen tauschen - für das war mindestens ein Rudi Völler fällig.

Auch bei NFT-Sammlungen geht es um seltene Attribute: Nur zwei Prozent der Moonbirds haben eine umgedrehte Cappie auf dem Kopf, das macht sie gleich viel wertvoller. Eines der seltensten Exemplare, ein Vogel in Jadegrün, wurde vor knapp einem Monat für 350 Ether verkauft - damals knapp eine Million Euro. Auch von den "Bored Apes", den gelangweilten Affen, ließen sich vor einem Jahr nur 10.000 Stück minten. NFT-Experte Hager hat sich damals gleich zehn geholt - der Schürfpreis lag bei 0,08 Ether, knapp 200 Euro. Heute starten die "Bored Ape"-Preise bei mindestens 100 Ether pro Stück, also fast 200.000 Euro. Die Affen zählen zu den begehrtesten NFT-Sammlungen überhaupt.

IV. Kauf und Verkauf

Das nächste große NFT-Ding will ich auf keinen Fall verpassen. Also folge ich Künstlern auf Twitter. Einer von ihnen heißt Rainer Hosch. Der Österreicher lebt in Los Angeles und bekam schon George Clooney, Warren Buffett oder Meryl Streep vor die Kamera. 52 seiner Porträts hat er für die Kollektion "52 Icons" ausgewählt. Fast täglich stellt Hosch auf Twitter eine Rätselfrage. Wer sie am schnellsten beantwortet, darf für 0,52 Ether eines seiner Porträts kaufen. Am 21. April bin ich der Schnellste - und bekomme Kamala Harris, die Vizepräsidentin der USA. Es ist mein erster NFT-Kauf.

Meine eigene Auktion ist mittlerweile schon ausgelaufen. Ich stelle sie wieder ein - und senke nochmals die Preise. 0,046 Ether kostet jetzt ein Cover, weil 1946 die [Medium]-Erstausgabe erschien. Es ist der Versuch, auch meinen Bildern eine Geschichte zu geben. Meine Italienfotos senke ich auf 0,02 Ether. Am 7. Mai ploppt dann plötzlich eine Mail auf: "Your item sold!" schreibt Opensea. Es ist ein Foto der "Appia Antica" aus meiner Romkollektion. Der Käufer: Rainer Hosch, ebenjener Hollywood-Fotograf.

Nur vier Tage später verkaufe ich auch das erste [Medium]-Cover: Ein Unbekannter, laut Blockchain-Eintrag komplett neu in der NFT-Welt, schnappt sich die Merkel-Illustration ohne Schriftzug. Nun geht es Schlag auf Schlag: Am 13.5. verkaufe ich mein Colosseum-Bild, am 16.5. greift sich jemand das Einhorn-Cover. Insgesamt habe ich, abzüglich einer Provision für Opensea, rund 245 Euro eingenommen. Die Hälfte der Covereinnahmen geht an die Illustratoren - so war es vorher vereinbart. Bleiben 161 Euro. Abzüglich meiner Gebühr vom Anfang sind es noch 117 Euro. Reichtum geht anders. Aber dank meiner zehnprozentigen Beteiligung an allen zukünftigen Transaktionen lebt die Hoffnung weiter: Wenn nur eines dieser NFTs für zehn Millionen Euro weiterverkauft wird, ist die erste Million verdient.

V. Zukunft

"Bei vielen NFT-Projekten braucht es eine Utility, einen Wert, den man dem Käufer stiften kann", sagt NFT-Experte Hager. Die bekommen nun auch meine verbliebenen Kunstwerke: Wer sich bis zum 7. Juni ein [Medium]-NFT kauft, erhält eines der exklusiven Tickets für [Medium-Event]. Dort kommen wir Auslandskorrespondenten erstmals seit der Pandemie wieder zusammen und berichten über "unsere" Länder. Und wer eines meiner Rom-Fotos erwirbt, wird hier in der italienischen Hauptstadt von mir auf einen Aperitif eingeladen. Ob es dann Aperol Spritz oder doch Champagner gibt, werden die kommenden Monate entscheiden. Meine NFT-Sammlung wächst stetig. Und eine Perle findet sich schon darin: Vor Kurzem hat Fotograf Hosch enthüllt, dass es für seine "52 Icons" auch einen analogen Nutzen gibt. Jeder Besitzer bekommt ein kostenloses Shooting in Los Angeles.

Ich werde eines Tages also nicht nur ein Digitalporträt von einem Starfotografen besitzen - sondern auch selbst auf der Blockchain landen, als NFT. Und sollte ich "meine Kamala" anschließend verkaufen wollen, bekommt auch der Käufer ein Hosch-Fotoshooting - solange der Künstler lebt. Das treibt natürlich den Preis in die Höhe. Vor ein paar Tagen wurde eines der "Icons" auf Opensea verkauft, für knapp zwei Ether. Mein Einstiegspreis hat sich jetzt schon vervierfacht. Der Traum vom Reichwerden - er ist noch lange nicht ausgeträumt.