Schatten-Kämpfe
von Volker ter Haseborg
WirtschaftsWoche vom 17.12.2021
Am Beispiel des eskalierten Konflikts um geplante Windräder in Pfaffenhofen (BY) wird gezeigt, wie kleinteilige Bestimmungen und Föderalismus den Windkraftausbau des Bundes bremsen. Die Gegner spielen Artenschutz und Klimaschutz gegeneinander aus, Gutachten verzögeren das Verfahren und zermürben Investoren.
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Schatten-Kämpfe
Die Energiewende beginnt oder scheitert auf den Flurnummern 974, 977, 978 und 945 der Gemarkung Förnbach, Stadt Pfaffenhofen, Oberbayern. Hier, im Förnbacher Forst, holen sich die Einheimischen ihr Holz, hier flanieren sie auf dem Panoramaweg , erkunden den Biberlehrpfad. Hier liegt die Kampfzone: wegen drei Windrädern des Herstellers Enercon, Modell Nummer E138.
Erst waren da nur die, die die Räder bauen wollen: Andreas Herschmann und Markus Käser. Und die, die sie verhindern wollen: die Anwohner Marion Sieber und Martin Ott. Dann eskalierte der Konflikt bis hoch in die Staatsregierung. Es gab Morddrohungen, Anschläge. Je größer der Ärger, desto kleiner wurde das Projekt.
Der Streit um die Pfaffenhofener Windräder ist ein warnendes Exempel weit über die Grenzen des Freistaats hinaus: Er zeigt, wie die Länder den Windkraftausbau des Bundes bremsen. Wie Gutachten zu endlosen Verfahren führen und Investoren zermürben. Und wie Klimaschutz, Naturschutz und Artenschutz gegeneinander ausgespielt werden. Der Streit zeigt, an welchen Stellen die neue Bundesregierung ansetzen muss - und warum sie dennoch Gefahr läuft, zu scheitern.
Zwei Prozent der Landesfläche sollen nach dem Willen der Ampelkoalition künftig für Windkraftanlagen zur Verfügung stehen. Zwei Prozent, das bedeutet mehr als eine Verdopplung dessen, was heute ausgewiesen ist. Und eine Vervielfachung der Konflikte.
Auftritt Andreas Herschmann und Markus Käser, auf einer Lichtung im Förnbacher Forst. Herschmann, Physiker, trägt Anzug. Käser, Kommunikationsfachmann, einen grauen Hoodie mit aufgedruckter Bierflasche. Sie wollen ihren Beitrag zur Energiewende präsentieren: drei Windräder im Wert von 18 Millionen Euro, errichtet von ihrer Bürgerenergiegenossenschaft (BEG) Pfaffenhofen. Man muss sich das im Geiste vorstellen, denn sie stehen noch nicht.
Der Wald wurde gerodet, als sei hier Platz für ein riesengroßes Ufo geschaffen worden. Es gibt noch zwei weitere Lichtungen - die Plätze, an denen die 229 Meter hohen Anlagen stehen sollen. 22 Millionen Kilowattstunden Strom wollen sie hier mahlen. "Als Genossenschaft rechnen wir konservativ", sagt Herschmann.
Derselbe Ort, ein paar Tage später. Marion Sieber und Martin Ott, noch so ein ungleiches Paar: Sieber ist resolute Bäuerin und Tierheilpraktikerin. Der feingeistige Ott war früher Lufthansa-Pilot. Sie zeigen auf das, was von den Wurzelstöcken der gefällten Bäume übrig geblieben ist. "Hier wurde unter dem Deckmantel des Umweltschutzes der Wald abgeholzt", klagt Ott. Sieber ergänzt: "Wälder roden für Windkraft geht gar nicht; der Wald ist das Wichtigste im Kampf gegen den Klimawandel."
Das ist der Konflikt an vielen Orten der Republik und eben hier: in Pfaffenhofen an der Ilm, einer 26 600-Einwohner-Stadt zwischen München und Nürnberg, zwischen BMW, Audi und Hipp, dem Babykosthersteller. Es gibt viele schicke Einfamilienhäuser, gerade hat ein neues Hallenbad eröffnet. Hier treffen Großstädter auf Dorfbewohner, Grüne auf Rote und Schwarze, Ingenieure auf Bauern. Ein Miniaturdeutschland mitten in Bayern.
Und der Schauplatz eines Dramas.
1. AKT: DIE SPALTUNG
Alles begann um das Jahr 2008 herum, erzählt BEG-Sprecher Markus Käser, er sitzt jetzt in einer ehemaligen Bäckerei, die er für seine PR-Agentur umgebaut hat. Damals gründeten sie einen Energie- und Solarverein. Andreas Herschmann hat früher in der Autoindustrie gearbeitet. Heute berät er Unternehmen dabei, wie sie Energie effizient nutzen können. Schon als Kind hat er mit Solarzellen experimentiert.
2011, nach Fukushima, kündigte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer an, Bayern solle "ein Land der Bürgerenergie" werden. 2012 wurde die BEG Pfaffenhofen gegründet. Herschmann war Mitglied Nr. 1. Heute gibt es 960 Mitglieder, die zwischen 100 und 5000 Euro einzahlen dürfen, damit keiner zu viel Einfluss hat. Rund 600 000 Euro beträgt das Stammkapital, das für die Entwicklung der Projekte verwendet wird, die dann über Darlehen finanziert werden.
Die Idee mit dem Windpark entstand 2013. Ursprünglich wollten sie sieben Windräder errichten. "Da hat noch jeder gejubelt, welches Potenzial in der Region steckt", sagt Herschmann. Doch dann legte sich die Euphorie. Seehofer ließ 2014 die sogenannte 10H-Regelung festschreiben: Windkraftanlagen müssen einen Mindestabstand vom 10-Fachen ihrer Höhe zu Wohngebäuden haben. Bei einem Windrad mit einer Höhe von 200 Metern bedeutet das: zwei Kilometer.
Aber: Die Kommunen können innerhalb der 10H-Grenzen Windräder genehmigen, wenn es dafür einen Bebauungsplan gibt. Drei Jahre lang, von 2013 bis 2016, sprachen die Genossenschaftler mit Politikern, schauten sich Flächen an. Dann hatten sie ihren Platz gefunden: den Förnbacher Forst.
Ortswechsel. Marion Sieber und Martin Ott haben es sich in der Holzhütte hinter Siebers Hof bequem gemacht. An der Hütte prangt ein Schild, darauf steht: "Meine Meinung steht fest. Bitte verwirren Sie mich nicht mit Tatsachen." Wenn Sieber aus dem Fenster schaut, blickt sie direkt auf den Forst. Und bald auf drei Windräder? "Hoffentlich wird es nicht so weit kommen", sagt sie. Sieber und Ott wollen die Räder nicht, weil sie Schatten werfen, schädlichen Schall aussenden. Vor allem aber, weil dafür Bäume abgeholzt werden und Tiere in Gefahr sind.
Wie soll die Energiewende stattdessen funktionieren? Windräder gehörten aus dem Energiemix gestrichen: "In anderen Ländern wird die Forschung an kleinen Atomkraftwerken vorangetrieben", sagt Ott.
Im Februar 2016 lud Herschmann alle Grundstücksbesitzer aus dem Forst ein. Wenn er es taktisch angegangen wäre, dann hätte er nur Ausgewählte kontaktiert. Wollte er aber nicht, keine Hinterzimmerdeals. Auch Windkraftgegner Ott durfte dabei sein. Der sagt: "Danach haben wir mit allen Grund- und Waldbesitzern geredet. Wir haben ihnen gesagt: ,Ihr müsst nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden, ob ihr den Grund für so etwas zur Verfügung stellt; ein Stück Erde, das euch eure Väter anvertraut haben und das ihr euren Kindern wohlbehalten und gepflegt weitergeben wollt.'"
Käser und Herschmann berichten, dass Grundeigner danach eingeschüchtert worden seien. Es gab Beleidigungen. Einem wurde die Scheibe eingeworfen. Herschmann fand vor seiner Tür zwei gekreuzte Metzgermesser. Von 42 Eigentümer haben am Ende acht mitgemacht, sagt Herschmann. Die Fläche reichte damit nicht für sieben Windräder. So wurden es drei.
Am 23. Oktober 2016 konnten die Pfaffenhofener Bürger über die Windräder entscheiden. 56,9 Prozent waren dafür - ein knappes Ergebnis. Danach hätten sie sich schon fast am Ziel gewähnt, sagt Herschmann. "Aber dann begann unsere Dauerschleife mit dem Natur- und Artenschutz."
2. AKT: DIE GUTACHTEN
Ein Ornithologe fand im Forst 18 Fledermäuse, Haselmäuse und Zauneidechsen vor sowie 24 "Europäische Vogelarten". Für Uhus ging er von "keinem signifikant erhöhten Kollisionsrisiko" aus. Ebenso beim Wespenbussard. Der kommt in der Mitte des Jahres nur wenige Monate nach Deutschland, um seine Brut aufzuzüchten. Fazit des Fachmanns: Die Räder dürfen gebaut werden.
Das hätte es sein können, Mitte 2016. Doch mittlerweile hatte Bayern einen neuen Windenergieerlass zur Planung und Genehmigung von Windkraftanlagen bekommen, mit längeren Erfassungszeiten für die Vögel. Der Ornithologe musste erneut ausrücken. Ein zusätzlicher Gutachter fand einen Uhu, aber kein Brutpaar, nur ein "unverpaartes Männchen". Also kein Problem? Doch, fand die Untere Naturschutzbehörde des Landratsamtes und verwies auf eigene Erkenntnisse zum Uhu. Welche Erkenntnisse das waren, wurde erst Jahre später deutlich, als die BEG Akteneinsicht beantragte und eine Liste bekam. Darin stand, wann und wo Uhus gehört oder gesehen wurden. Von wem? Steht dort nicht. Eine der Hinweisgeberinnen war Windkraftgegnerin Marion Sieber, wie sie selbst bestätigt. Im März 2018 stellte auch die der Unteren übergeordnete Höhere Naturschutzbehörde fest, "dass durch die drei geplanten Windenergieanlagen im Förnbacher Forst das Tötungsrisiko sowohl für den Wespenbussard als auch für den Uhu signifikant erhöht ist".
Im Laufe des Jahres 2018 dann gab es neue Studien über das Flugverhalten des Uhus: Er sei bevorzugt in einer Höhe unter 20 Metern unterwegs. Die Rotorunterkante der Windräder befindet sich jedoch auf 90 Meter Höhe. Als Herschmann die Studien vorlegte, wurden diese als "nicht repräsentativ" zurückgewiesen.
3. AKT: DIE WENDE
Im März 2019 gingen Herschmann und Käser zu Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber von den Freien Wählern, dessen Partei seit 2018 mit der CSU das Land regiert. Die Freien Wähler versuchen sich als Windkraftförderer zu profilieren. Glauber ist heute noch empört über das Hin und Her mit den Gutachten. "Das wirkt doch vogelwild, im wahrsten Sinne des Wortes", wettert der Minister. "Wir haben alle artenschutzrechtlichen Fragen noch mal abgeklopft und sind dann zu der Entscheidung gekommen, dass es artenschutzrechtlich möglich ist, dort Windräder zu bauen." Mit der Einschränkung, dass die Räder vom 20. April bis 31. August tagsüber stillstehen, wenn der Wespenbussard durchzieht.
Der Einsatz des Ministers zeigte Wirkung, aber wieder dauerte es: Am 2. März 2020 schrieb die Höhere Naturschutzbehörde einen Brief an das Landratsamt. Aktuelle Untersuchungen zum Uhu legten demnach nahe, dass der Uhu "selten in kollisionsrelevanten Höhen (Rotorbereich) moderner und hoher Windenergieanlagen fliegt".
Am 5. August 2020 unterschrieb Albert Gürtner, Landrat von Pfaffenhofen, die Baugenehmigung. Eigentlich hätte er die Genehmigung sein Bauamt unterschreiben lassen können, aber Gürtner griff selbst zum Stift. "Ich wollte damit ein Zeichen setzen, dass ich zu diesem Projekt und zum Ausbau der erneuerbaren Energien stehe", sagt er. Gürtner gehört ebenfalls den Freien Wählern an, löste 2020 seinen CSU-Vorgänger ab.
Die Untere Naturschutzbehörde, die ihm untersteht, habe "immer nur auf den Artenschutz geschaut. Aber eben nicht Naturschutz, Umweltschutz und Artenschutz gesamtheitlich gesehen und abgewogen, wie viel Schaden an der gesamten Population verträglich ist." Der Landrat sieht die Sache so: "Jedes Jahr werden viele Kröten auf den Straßen platt gefahren. Deswegen verbietet aber keiner das Autofahren."
Außer den Pfaffenhofener Windrädern wurde in ganz Bayern im Jahr 2020 nur ein weiteres Windrad genehmigt (siehe Grafik).
4. AKT: DIE KLAGE
Der Widerstand gegen die Pfaffenhofener Windräder wird 180 Kilometer entfernt organisiert, in Erbendorf in der Oberpfalz. In einem Einfamilienhaus mit Solarzellen auf dem Dach wohnt Johannes Bradtka, Vorsitzender des Vereins für Landschaftspflege, Artenschutz & Biodiversität. Bradtka betont: "Wir sind keine Klimawandel-Leugner." Er hat in der Forstverwaltung gearbeitet, in diesem Jahr ist der 64-Jährige in den Ruhestand gegangen. Von Ruhe kann aber keine Rede sein: Sein Verein stört sich daran, dass die Grünen und der BUND ihren Frieden mit der Windkraft gemacht haben. Es gebe eine Studie aus der Schweiz, nach der jedes Windrad pro Jahr 20,7 Vögel tötet: "Da kann rasch eine lokale Population erlöschen."
Bradtkas Waffe sind Verbandsklagen, 40 habe er gerade am Laufen. Eine davon gegen das Landratsamt Pfaffenhofen. Bradtka klagt gegen die Baugenehmigung, weil der energiepolitische Beitrag im Verhältnis zum massiven Eingriff in Umwelt und Artenschutz gering sei. Seine Anwälte haben schwere Mängel festgestellt. Wenn nur eins der Argumente beim Richter verfängt, könnte das Projekt gestoppt werden. "Wegen uns mussten schon elf Windräder abgebaut werden", sagt Bradtka. Er nimmt eine Prise Schnupftabak. Und zieht genüsslich hoch.
5. AKT: DER REFORMSTAU
Robert Habeck, der neue grüne Wirtschaftsminister, erweckt in diesen Tagen den Eindruck, als wüsste er durchaus, was da an Konflikten auf ihn zukommt. Die Klimaschutz- und Energiewendeziele im Koalitionsvertrag sind im Grunde nur zu schaffen, wenn Planungs- und Bauzeiten um ein Vielfaches kürzer werden. Aber selbst wenn das gelänge - den Zorn der Betroffenen vor Ort wird es nur noch steigern. Erst recht, wenn die entsprechenden Flächenpläne künftig wie geplant per Bundesgesetz aus dem fernen Berlin durchgedrückt werden.
Eine wichtige Voraussetzung, das ist der neuen Regierung sehr bewusst, müsse eine "bundeseinheitliche Bewertungsmethode bei der Artenschutzprüfung", sein. Auf Deutsch: eine klare Definition, dass Artenschutz künftig nicht mehr als Schutz einzelner Tiere verstanden werden kann. Ungeklärt ist allerdings der Clinch mit Landesregierungen wie Bayern oder Thüringen, die mit 10H-Regeln oder Waldgesetzen ihr Übriges tun, um Rotoren abzuwenden.
Zurück in den Förnbacher Forst, zu Marion Sieber und Martin Ott. Als die Baumfäller anrückten, haben sie die Polizei gerufen. "Keine einzige" der artenschutzrechtlichen Vorgaben sei berücksichtigt worden, sagt Sieber. Die Polizei stoppte die Arbeiten - und gab sie wieder frei, weil Herschmann sich eine Genehmigung für den Sofortvollzug der Rodungsarbeiten geholt hatte. "Das reinste Waldparadies war das hier", sagt Ott.
Als Andreas Herschmann und Markus Käser die Baugenehmigung im August 2020 hatten, konnten sie im Oktober und im Dezember die Bäume fällen lassen. Die Wurzelstöcke aber mussten ein Jahr stehen bleiben, weil sie ein Lebensort für Haselmäuse sind. Weil Zauneidechsen gesichtet wurden, mussten sie noch mehr Bäume fällen lassen, damit mehr Licht in den Wald fällt. "Damit die Zauneidechse sich sonnen kann", sagt Herschmann. Darüber hinaus mussten sie Totholz liegen lassen sowie Sand- und Kiesflächen schaffen, als Versteck und Eierablegeplatz. Und sie mussten Fangzäune errichten, damit die Zauneidechse nicht auf die Baustelle klettert. 20 000 Euro kostet das alles zusätzlich. In den Fangeinrichtungen verirrten sich bislang: drei Zauneidechsen.
Im Frühjahr sollen die Fundamente gesetzt werden, ein Jahr später die Windräder ins Netz gehen. Die Mehrkosten durch den Ärger mit den Ämtern schätzt Herschmann auf 600 000 Euro. "Kein Mensch würde unter diesen Bedingungen heute noch so ein Investmentprojekt starten", sagt Markus Käser. Es gibt Genossenschaften, denen das Geld ausging, weil sie nicht so lange durchhalten konnten. Herschmann sagt: "Die Aufsichtsräte, meine Vorstandskollegen und ich wohnen hier, unsere Kinder gehen hier zur Schule. Wenn wir nicht verantwortungsvoll mit dem Geld unserer Mitglieder umgehen würden, könnten wir hier wegziehen", sagt er. Wie ein Sieger im Kampf um die Windmühlen aber klingt er nicht.