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Privileg der Freiheit

von Christian Wermke und Anke Rezmer
Handelsblatt vom 30.12.2021

Der Artikel beschäftigt sich mit der wachsenden Zahl der Privatiers in Deutschland, die vorhandenes, geerbtes oder gespartes Geld so anlegen, dass sie früh nicht mehr arbeiten müssen. Er gibt drei exemplarische Lebensläufe, Strategien zum Berufsausstieg, Rechenbeispiele und diskutiert, ob der Lebensstil erstrebenswert ist.

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Privileg der Freiheit

Den britischen Biermarkt revolutionieren: Das ist die nicht übertrieben bescheidene Idee von Nina Hook-Zurlino und ihrem Mann Alastair Hook, als sie 1999 eine Craft-Brauerei namens Meantime in London gründen. Das Startkapital von 150.000 Pfund kratzen sie aus Ersparnissen zusammen, auch Freunde und Verwandte steigen ein. Dass die Hooks 16 Jahre später durch den Verkauf von Meantime zu Millionären werden, steht nicht im Businessplan.

Seitdem lebt Nina Hook-Zurlino von ihrem Vermögen. Gelangweilt hat sich die gebürtige Lübeckerin seit 2015 nach eigenem Bekunden "keine einzige Minute". Sie habe ihr Kochen "dramatisch verbessert", fing an mit Yoga, liest viel, lernt Französisch, schreibt an einem Reiseblog, baut ihr eigenes Gemüse an.

Hook-Zurlino zählt zu den Privatiers - einer überraschend großen Gattung von Bundesbürgern und Bundesbürgerinnen. Privatiers bestreiten ihren Lebensunterhalt nicht mit klassischem Erwerbseinkommen, auch nicht aus Rentenzahlungen oder Sozialleistungen. Stattdessen leben sie von Ersparnissen und Zinsen, von Mieteinkünften oder Dividenden. Es sind Menschen unterhalb des gesetzlichen Rentenalters, die mitunter schlagartig zu viel Geld kommen - über einen Unternehmensverkauf, eine Erbschaft oder eine Abfindung. Menschen, die plötzlich nicht mehr arbeiten müssen und stattdessen die Hilfe eines Vermögensverwalters brauchen, um ihren neuen Reichtum gewinnbringend anzulegen.

Aber auch Gutverdiener und sogenannte Frugalisten, die sparsam leben und früh Geld beiseitelegen, können sich schon viele Jahre vor der Rente den Weg in die finanzielle Freiheit bahnen.

Wer genau sind diese Privatiers? Wie viele gibt es? Was sind die besten Wege, um selbst irgendwann zu dieser privilegierten Gruppe zu gehören? Und macht der bewusste Müßiggang am Ende wirklich glücklicher? [Das Medium] hat sich umgeschaut in der Welt jener Menschen, für die ein Leben ohne festen Job keine Bedrohung ist - sondern ein Lebensstil.

Trübe Datenlage bei Vermögenden.

Wer sich in Deutschland mit Privatiers beschäftigt, stellt schnell fest, dass dieses Milieu wenig erforscht ist. Ein Trend lässt sich allerdings erkennen: Die Privatiers werden mehr. Im Jahr 2020 gab es hierzulande rund 704.000 von ihnen, wie das Statistische Bundesamt in seinem jüngsten Mikrozensus veröffentlichte. Allein seit der Jahrtausendwende hat sich die Zahl mehr als verdoppelt. Als Privatiers gelten dabei Personen, die ihren Lebensunterhalt überwiegend aus eigenem Vermögen, Vermietung, Altenteil oder Zinsen bestreiten.

Die Privatiers dürften damit zum ganz überwiegenden Teil zu den "Top-Nettovermögenden" zählen. Jenen vier Prozent der Deutschen, die laut dem jüngsten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung mehr als 500.000 Euro an Vermögen besitzen.

"Es gibt ganz unterschiedliche Wege, sich größeres Vermögen zu erarbeiten", erklärt Udo Kröger, Vorstand der Frankfurter Bankgesellschaft in Deutschland, einer Tochter der Helaba, die vermögende Sparkassenkunden berät. Oft sind es Unternehmer, aber auch gut verdienende Angestellte oder Erben. Seltener fleißige Sparer oder Lottogewinner, so die Erfahrung von Vermögensverwaltern.

2018 machten ererbte Vermögen im Schnitt rund 35 Prozent des Gesamtvermögens aus. Bei dem reichsten einen Prozent der Befragten sind es sogar knapp 40 Prozent: Wer schon viel hat, erbt also auch viel. Und die Reichen werden reicher: Die oberen zehn Prozent besaßen im Jahr 2018 fast 64 Prozent am Nettogesamtvermögen, im vorigen Reichtumsbericht lag dieser Wert noch bei 59 Prozent.

Nina Hook-Zurlino wurde der Wohlstand nicht in die Wiege gelegt. Sie wächst in Lübeck als Tochter eines italienischen Gastarbeiters auf, studiert in Hamburg, wird bei der Schweriner Volkszeitung zur Redakteurin ausgebildet. Doch dann zieht es sie nach England - der Liebe wegen. Ihr heutiger Mann Alastair Hook lernte das Brauen in Edinburgh und auf dem Campus der TU München in Weihenstephan. Er kannte den Craftbier-Trend aus den USA, "wollte diese Idee, viele verschiedene, geschmackvolle Biersorten anzubieten, nach England bringen", sagt Hook-Zurlino.

Die ersten Jahre nach ihrer Unternehmensgründung sind hart. Als Sicherheit hinterlegen die beiden bei der Bank ihre Londoner Wohnung, die sie 1995 für 53.000 Pfund gekauft hatten. Immer, wenn das Paar frisches Geld für seine Firma braucht, beleiht es die Wohnung aufs Neue. Hook-Zurlino: "Wir haben das Wachstum der Brauerei mit stetig ansteigenden Immobilienpreisen finanziert." Während Alastair die Brauerei führt, verdient Nina ihr Geld in der Londoner Finanzbranche. Fast 20 Jahre lang ist sie in Fondsgesellschaften unterwegs, arbeitet sich von der Texterin zur europäischen Marketingleiterin hoch. Sie wechselt alle paar Jahre den Job, mitunter notgedrungen, wenn eine Firma übernommen wird oder die Abteilung dichtmacht. Sie sagt: "Die City zahlt irre gut, und auch die Abfindungs-Trostpflaster trösten wirklich."

2015 hatte Hook-Zurlino keine Lust mehr, der Job wurde langweilig. "Ich wurde 50 und fragte mich: Was willst du künftig mit deinem Leben machen?" Damals fuhr Meantime finanziell in "ruhigere Gewässer", es gab 120 Mitarbeiter, erste Kaufangebote lagen auf dem Tisch. Mit dem Gedanken, dass durch den Firmenverkauf irgendwann eine große Summe reinkommen würde, kündigte Hook-Zurlino.

Was ihr damals nicht klar war: Wie schnell der Verkauf gehen sollte - und wie groß die Summe sein würde. Bereits wenige Monate später legte SAB Miller, damals der zweitgrößte Brauereikonzern der Welt, ein Angebot auf den Tisch, das die Hooks und die anderen Meantime-Anteilseigner nicht ablehnen konnten: 120 Millionen Pfund, der erste große Deal in der europäischen Craftbier-Geschichte.

Mit 56 ist Hook-Zurlino nun im typischen Privatier-Alter. Den größten Anteil an dieser Gruppe machen in Deutschland die 55- bis 65-Jährigen aus. "Unter den Privatiers finden sich fast keine jüngeren Leute", so Enzo Weber, der beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) den Bereich "Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen" leitet. Die Älteren hätten mehr Zeit gehabt, um sich ein Vermögen zu erarbeiten. "Auch Erbschaften bekommt man in der Regel im höheren Alter."

Zu den typischen Privatier-Kandidaten gehören laut Vermögensberater Kröger auch Menschen, die es in global tätigen Unternehmen bis in den Vorstand gebracht haben - oder ein bis zwei Ebenen darunter. Mit dem in diesen Positionen üblichen sechs- bis siebenstelligen Jahresgehalt plus Aktienpaketen und Gewinnbeteiligungen ist das Ziel des vorgezogenen Ruhestands bereits in den Fünfzigern erreichbar. Auch Partner in Anwaltskanzleien, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Unternehmensberatungen zählen zu dieser Klientel.

Wer als Angestellter vorzeitig aus dem Berufsleben ausscheidet und vom eigenen Ersparten oder einer Abfindung leben will, bevor später die Rente dazukommt, sollte allerdings genau rechnen. "Das ist alles eine Frage der Relation", sagt Tom Friess, Geschäftsführer beim Vermögensverwalter VZ Vermögenszentrum.

Um beispielsweise mit einer Abfindung von 240.000 Euro eine Lücke von zehn Jahren zu stopfen, braucht man zusätzlich noch ein Depot von einer halben Million Euro und Mieteinnahmen, um dauerhaft knapp 3500 Euro netto im Monat zur Verfügung zu haben (siehe die Rechenbeispiele auf den Seiten 49 bis 51).

Allerdings muss sich solch ein Überbrückungs-Privatier dann an den Gedanken gewöhnen, dass das vorhandene Geld zu einem Großteil aufgebraucht wird. Das fällt laut Friess den meisten Menschen schwer: "Denn der erste Impuls eines Sparers ist: jeden gesparten Euro nie mehr ausgeben." Die meisten seien eher zu vorsichtig: "Es könnten viel mehr Menschen frühzeitig in den Ruhestand gehen, wenn sie sich trauten." Viele 56- und 57-Jährige stünden so gut da, dass sie bei vorsichtiger Berechnung mit 90 Jahren immer noch ein Drittel ihres Vermögens haben würden.

Doch gerade Leistungsmenschen hält oft nicht das fehlende Geld vom Schritt ins Privatier-Dasein ab, sondern die Frage: Was mache ich dann mit meinem Leben?

Früher Seriengründer, heute Investor

Eine Frage, die Josef Brunner für sich beantwortet hat. Er stolperte bereits als Teenager in die Selbstständigkeit. Seine Eltern waren Bäckermeister in München. "Sie wurden von den damals aufkommenden Backshops wegdisruptiert", erzählt der heute 40-Jährige. Weil die Brunners über der Bäckerei wohnten, verloren sie auch ihr Haus. Die Zeit war schwer für ihn, all die Häme und der Spott: "Die Neidgesellschaft in Deutschland ist schwierig, aber wir sind genauso eine Nation der Schadenfreude."

Der plötzliche soziale Abstieg der Eltern trieb ihn an. Eigentlich wollte Brunner Physik und Quantenmechanik studieren. Stattdessen schmiss er mit 16 Jahren die Schule - und gründete seine erste Firma. Das Startkapital von 3000 Mark bekam er vom Vater, der sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt und das Geld von einem Freund lieh. Zwei Jahre später, mit gerade mal 18, verkaufte Brunner sein IT-Unternehmen - und kaufte seinen Eltern ein Haus in München. Darin wohnen Vater und Mutter noch heute.

Brunner gründete weiter. Mittlerweile hat er vier Unternehmen erst groß und dann zu Geld gemacht. Der letzte Exit liegt drei Jahre zurück: Damals verkaufte er die Tech-Firma Relayr, bei der er als Gründungsinvestor und CEO eingestiegen war, für 300 Millionen Euro an die MunichRe. Chef blieb er noch bis Oktober 2021, seitdem ist er ganz raus.

Als Privatier fühlt Brunner sich selbst aber nicht, auch wenn er nun unter die Definition fällt. Er sieht sich als Investor und Mentor. Zuletzt hat er sich ein bisschen mehr Zeit für sich selbst genommen, liest mehr als früher. Schon immer war Wandern seine Leidenschaft, rund 50-mal im Jahr zieht es ihn in die Berge, meist nur kurz am Wochenende. "Künftig will ich auch mal längere Routen planen." Aus dem Wandern ziehe er neue Kreativität.

Zur Ruhe setzen können hätte sich Brunner schon nach dem zweiten Firmenverkauf. Aber das ist nicht sein Antrieb. Er trinke gern guten Wein, gehe gut essen. "Ansonsten habe ich Geld nie als etwas verstanden, mit dem ich konsumieren kann", sagt Brunner.

Geld erweitert für ihn den Werkzeugkasten, gibt Raum für neue Investments. Die Freiheit, genau das zu tun, was einen wirklich antreibt: "Ich bin mir absolut bewusst über diesen Luxus." Ihn interessieren nachhaltige Geschäftsmodelle, "Green Tech", also Start-ups im Nachhaltigkeitsbereich. Brunner ist mittlerweile in 15 Unternehmen investiert. Erst vor Kurzem brachte er gemeinsam mit dem ehemaligen Klöckner-Chef Gisbert Rühl einen Spac an die Frankfurter Börse, einen 150 Millionen Euro schweren Börsenmantel. Die beiden wollen damit bald ein Unternehmen im Wert von mindestens einer halben Million Euro übernehmen.

Brunner spornt an, dass er mit seinen Investments das Leben der Gründer positiv verändern kann: "Ich hoffe, dass daraus eine neue Welle von Ideen, Unternehmertum und Arbeitsplätzen entsteht." Einen Ausstiegsplan hat Brunner nicht. "Ich mache das bis zum Ende, Stillstand gibt es bei mir nicht."

Mit Bescheidenheit zum Ziel

Die Geschichte von Brunner ist die einer Ausnahmekarriere. Nur wenige Menschen erreichen schon in so jungen Jahren die finanzielle Freiheit, nur wenige jonglieren mit solchen Summen. Aber der Wunsch, sich früher aus dem Zwang zur klassischen Erwerbsarbeit zurückzuziehen, zieht sich durch immer mehr Gesellschaftsschichten. Die Einstufung als Privatier hängt dabei nicht zwingend von der Höhe des Vermögens ab. "Man kann das auch ganz bescheiden werden", sagt IAB-Experte Weber. "Auch ein Frugalist kann diesen Status erreichen, ohne ein Leben in Saus und Braus zu führen."

Die meisten Frugalisten zählen sich zur "FIRE"-Bewegung, einem Phänomen, das seit vielen Jahren immer mehr Zulauf erfährt. Das Akronym steht für "Financial Independence, Retire Early", zu Deutsch: finanzielle Freiheit, frühe Rente. Dort versammeln sich Menschen, die schon sehr früh einen Großteil ihres Einkommens investieren, sei es in Aktienfonds oder in Immobilien, um möglichst früh im Leben nur noch von den Dividenden oder Mieteinnahmen leben zu können. Sie organisieren sich in Facebook-Gruppen, tauschen sich in realen Meetings aus, schreiben Blogs über ihre Erfahrungen - oder drehen Youtube-Videos.

Einer von ihnen heißt Alexander Frese. Er startete 2008 seine Karriere in der Finanzwelt und ist seit Kurzem "FI", finanziell unabhängig: Vor einem Jahr schmiss er seinen Job und gibt heute auf seinem Channel "Alex's Money Behaviours" Tipps, wie man es ihm gleichtun kann. Seine Botschaft: Wer früh ausgesorgt haben will, müsse schon früh anfangen, hart zu arbeiten, zu sparen, ins Risiko zu gehen. "Das Einkommen muss die oberste Priorität sein, pro Jahr sollte es im Schnitt um zehn Prozent steigen", erklärt Frese in einem seiner Clips.

Und man brauche Mut: Wer jung ist, noch ohne Hauskredit und Kinder, solle für einen besseren Job ruhig auch ins Ausland gehen. "Ich selbst habe das ein paar Mal getan und nie bereut." Viele Jahre lebte Frese in Australien, arbeitete als Controller und Projektmanager bei verschiedenen Firmen.

Ist das Gehalt erst einmal hoch genug, empfiehlt Frese seinen Followern, 50 Prozent des Einkommens zu sparen. "Das klingt nach viel", gibt Frese zu. Aber wenn es einem gelänge, ein Jahr von der Hälfte des Nettoeinkommens zu leben, bedeutet dies auch, dass man nur ein Jahr arbeiten müsse, um ein Jahr freinehmen zu können.

Auch beim Investieren gibt Frese klare Vorgaben: Vom Kauf einer Immobilie rät er ab. "Damit nimmt man sich jede Flexibilität." Man solle anfangs lieber in breit gefächerte Aktienfonds (ETFs) investieren, die die globale Wirtschaftswelt abbilden.

Der "MSCI World", der die Wertentwicklung von Unternehmen aus 23 Industrieländern umfasst, ist dabei schon längst kein Geheimtipp mehr, sondern fester Bestandteil im Depot fast aller FIRE-Anhänger. Dieser Index legte 2021 um rund 20 Prozent zu. Im langjährigen Mittel, kalkulieren die meisten FIRE-Propheten mit rund sieben Prozent - von dieser Bruttorendite müssen allerdings noch Inflation und Kapitalertragsteuer abgezogen werden. Drei Prozent jährliche Nettorendite gelten in der Szene als realistisch.

Ein ETF-Sparplan über 1500 Euro pro Monat, der 30 Jahre läuft, kann nach grober Kalkulation die Chance auf den Berufsausstieg bieten, meint Stefan Schießer, Chef der Frankfurter Honorarberatung. Allerdings wären, auch wenn alles nach Plan verläuft, keine großen Sprünge drin: Der Privatier müsste mit rund 2400 Euro netto pro Monat auskommen (siehe Rechenbeispiel 1).

Kein Wunder, dass nur eine Minderheit der Privatiers sich selbst in diesen Status hineingespart hat. Wer keine Erbschaft in Aussicht hat, kommt meist durch Unternehmertum an das nötige Vermögen für ein Leben ohne Arbeit.

Auch hier gibt es einen neuen Trend: Immer mehr Firmen werden heute früher als in der Vergangenheit an die nächste Generation übergeben, beobachtet Vermögensverwalter Kröger von der Frankfurter Bankgesellschaft. Mit Anfang 60 wollen viele Unternehmer ihr Leben nicht mehr von zwölf bis 14 Stunden Arbeit pro Tag dominieren lassen. Will kein Nachkomme übernehmen, werde die Firma in diesem Alter oft gezielt verkauft. "Im Vordergrund steht dabei nicht ein maximaler Preis", so Krögers Erfahrung. Vielmehr gehe es den Besitzern darum, dass ihr Unternehmen in der Region verankert bleibt und mitsamt den Arbeitsplätzen in bewährter Weise fortgeführt wird.

Viele Unternehmer engagieren sich nach dem Exit in der Kirche oder im Karitativen, im Sportverein, gründen eine Stiftung oder ein Start-up, bauen Netzwerke auf zur Unterstützung junger Unternehmer. "Wenn sich ein typischer Unternehmer von seiner Firma trennt, bleibt das Entrepreneur-Gen in seinem Blut - dann spürt er weiter den Reiz des Neuen und des Investierens", sagt Stefan Freytag, Chef des Deutsche Oppenheim Family Office, einer Vermögensverwaltungstochter der Deutschen Bank. Andere machten ihr Hobby zum Beruf, musizieren in einem Orchester oder spielen professionell Schach.

Viele Vermögende würden ihren Besitz zugleich als Privileg und Verantwortung empfinden, resümiert Kröger. Gleichwohl versuchten sie nach getaner Arbeit nachzuholen, was ihnen über Jahrzehnte verwehrt geblieben sei: Zeit mit der Familie zu verbringen und sich private Träume zu erfüllen - in der Hoffnung darauf, dass die Gesundheit mitspielt. Es gibt aber auch Manager, die mit dem plötzlichen Status- und Einflussverlust hadern, die ihrer Senatorkarte bei der Lufthansa hinterhertrauern. Für die der Traum vom Nichtstun schnell zum Albtraum werden kann.

Nicht das Leben vergessen Zweifel sind angebracht: Macht es wirklich glücklich, das Leben in ein Davor und ein Danach zu teilen? In eine Phase, in der allein die Arbeit dominiert, sei es als Angestellter oder Unternehmer, gefolgt von Jahren des Müßiggangs oder des ehrenamtlichen Engagements? Grundsätzlich raten Experten dazu, vor lauter Sparen das Leben nicht zu vergessen: "Wenn Sie aus Geld nichts machen, ist es nur bedrucktes Papier", sagt Vermögensverwalter Kröger. Das sieht auch Stefan Freytag so: "Geld verzinst sich, aber Lebenszeit nicht. Jeder muss entscheiden, wie er die schönen Jahre seines Lebens verbringt."

Nina Hook-Zurlino, die Millionärin über Nacht, hat ihren Lebensstil nicht grundlegend verändert. Sie und ihr Mann haben immer noch die gleichen Freunde, die gleichen Hobbys. Mehr gereist sind sie seit dem Brauereiverkauf, das schon: Sie waren auf Safari in Tansania, radelten in Sri Lanka, besuchten Braufreunde in Neuseeland. Die Hooks zahlen sich seit dem Exit ein monatliches Gehalt aus, das auf dem Niveau von 2015 liegt - allerdings, ohne daraus eine Hypothek abzahlen zu müssen. Aus diesem Budget bestreiten sie nicht nur ihre alltäglichen Ausgaben. "Daraus finanzieren wir auch die Urlaube, für die wir dann sparen."

Es ist ein ungewöhnlich bescheidener Weg, mit der finanziellen Freiheit umzugehen. Hook-Zurlino war schon immer sparsam, legte während des Geschichtsstudiums ein Monats-Bafög zurück, um es an die SOS-Kinderdörfer zu spenden: "Es würde mir niemals einfallen, mal eben in die Stadt zu fahren und eine Gucci-Tasche zu shoppen." Um ihr Geld kümmert sich ein Vermögensverwalter. Fast alles ist konservativ angelegt, in Aktien- und Anleihefonds, dazu ein bisschen Gold.

Immerhin, zwei neue Immobilien haben sich die Hooks gegönnt: Weil Alastair, 58, erklärter Brexit-Gegner ist, verbringt das Paar nun die meiste Zeit außerhalb Englands. Sie haben eine Wohnung in Lübeck gekauft, dazu ein altes Bauernhaus in Frankreich- aber nicht an der Côte d'Azur, sondern mitten im "Nichts und Nirgendwo", wie Hook-Zurlino betont. Nach und nach renovieren sie das Haus: "Es ist unser Post-Meantime-Projekt."

Ihrem Mann hat das fröhliche Nichtstun auf Dauer allerdings nicht gereicht: Seit gut zweieinhalb Jahren ist er wieder in der Bierwelt unterwegs. Bei einer schweizerischen Brauerei ist er Executive Chairman, bei einer in London sitzt er im Aufsichtsrat.