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Macht euch locker

von Markus Zydra
Süddeutsche Zeitung vom 30.11.2021

Kritiker werfen der EZB-Chefin Christine Lagarde vor, sich zu sehr auf gesellschaftliche Themen wie Klimawandel und Gleichberechtigung zu fokussieren und ihren geldpolitischen Auftrag, die Inflationsbekämpfung, zu vernachlässigen. Im Interview kontert sie diese Vorwürfe und erläutert ein neues Selbstverständnis der Notenbanken, die sich für Debatten jenseits reiner Geldpolitik öffnen müssten.

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Macht euch locker

Das Arbeitszimmer hat sie gleich mal umgeräumt. Ihr Vorgänger saß mit dem Rücken zum Fenster. Die neue Präsidentin der Europäischen Zentralbank sitzt andersrum. Sie schaut von ihrem Schreibtisch aus raus in die Welt, auf Deutschland, auf die Frankfurter Bankentürme, auf den Main, auf Fahrradfahrer und Fußgänger. Normalerweise.

An diesem Tag steckt das Gebäude der Europäischen Zentralbank (EZB) im Novembernebel. Der Blick aus dem 40. Stock des Nordturms ist also nicht gerade beeindruckend. Christine Lagarde, schwarzes Outfit, rot-gelb-orangefarbenes Halstuch, sitzt auf dem Sofa in ihrem Büro, 150 Meter über der Stadt, und bittet den Pressesprecher, das Neonlicht einzuschalten. „Sieht aus wie die Beleuchtung eines Supermarkts in den Sechzigern“, sagt sie.

Dann stellt sie gleich mal was klar im kalten Licht: „Sie wussten, wen sie kriegen“, sagt Lagarde. „Ich habe dem Europäischen Parlament vor meiner Bestätigung gesagt, ihr sucht einen Notenbanker. Wenn ihr mich aussucht, bekommt ihr jemanden, der sich zur Geldpolitik, aber auch zum Klimawandel und zu Gender-Fragen äußert. Seid euch dessen bewusst.“

Dass sie keine gewöhnliche Notenbankerin ist, zeigte sich schon, als sie vor gut zwei Jahren ihr Amt antrat und im Frankfurter Römer eine ihrer ersten Reden hielt. Der Oberbürgermeister war da, Wirtschaftsvertreter, Honoratioren. Und: Alle waren begeistert von dieser Rede. Das ist schon mal seltsam.

Unter Zentralbankern erzählt man sich den Witz, dass ein Zentralbanker, der ein neues Herz braucht, immer das eines Kollegen nehmen würde. Weil es so gut wie unbenutzt ist. Lagardes Antrittsrede aber war unterhaltsam, fast schon herzlich. Und: Sie war gespickt mit Passagen auf Deutsch, mit Worten von Goethe und mit einem Zitat ihres Mannes, der ihr Angebot aus Frankfurt so kommentiert haben soll: „Gutes Fußballteam, gute Flugverbindung, nette Stadt. Mach es.“

Lagardes Mission in Deutschland fing also mit Standing Ovations an. Aber davon ist jetzt keine Rede mehr.

Die EZB hat schon vor Lagarde die Zinsen auf null gesenkt und damit versucht, ihr großes Ziel, also ihre wichtigste Aufgabe zu erfüllen: den Wert des Euro stabil zu halten. Zielmarke: ungefähr zwei Prozent Inflation. Doch jetzt liegt die Geldentwertung im Euro-Raum bei 4,1 Prozent. Und in Deutschland verkündete das Statistische Bundesamt am Montag die nächste schockierende Nachricht: 5,2 Prozent Inflation im November – der höchste Wert seit 1992.

Lagardes EZB hält trotzdem fest am Nullzins. Politiker wie der künftige Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner und Ökonomen wie der frühere EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing und Teile der deutschen Gesellschaft fragen sich, ob das nicht brandgefährlich ist, was sie da tut, beziehungsweise nicht tut.

Manche fragen sich auch, ob die Frau an der Spitze der EZB ihren Job richtig interpretiert. Lagarde, so der Vorwurf, redet viel über die Gefahren des Klimawandels und über Gleichberechtigung. Und sie vergesse dabei, die Inflation zu bekämpfen.

Es war FDP-Chef Lindner, der die steigende Inflation ein „Verarmungsprogramm“ nannte. Die Bekämpfung der Geldentwertung sei Ausdruck sozialer Verantwortung. [Anderes Medium] nennt Lagarde inzwischen Madame Inflation und ätzt: „Luxus-Lagarde macht Sparer und Rentner arm“. Nicht ohne zu erwähnen, dass sie eine Schwäche für Chanel hat.

Die Deutschen und die Inflation, das war immer schon eine komplizierte Beziehung. In wenigen Ländern ist die Furcht vor der Geldentwertung so hoch. Hyperinflation 1923, Währungsreform 1948, das alles hat sich eingebrannt ins kollektive Gedächtnis. Die Deutschen waren später froh, dass die Bundesbank über Jahrzehnte die D-Mark stabil hielt. Sie war mit ihrer Strategie so erfolgreich, dass sie Modell stand, als 1998 die EZB gegründet wurde.

„Inflation ist wie Zahnpasta“, hat der frühere Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl einmal gesagt. „Ist sie einmal aus der Tube, bekommt man sie nur schwer wieder hinein.“ Als Pöhl den Satz sagte, Anfang der Achtziger, war die Inflation auch hoch, aber es gab mehr Zinsen. Heute gibt es so gut wie nichts, wer sehr viel Geld auf dem Sparbuch hat, zahlt sogar Negativzinsen. Trotzdem legen viele Deutsche ihr Geld nach wie vor lieber auf Sparbücher oder Festgeldkonten, statt in Aktien oder Immobilien zu investieren. 116 Milliarden Euro werden deutsche Sparer dadurch allein in diesem Jahr verlieren, heißt es in einer Studie der DZ Bank. Es ist kein Zufall, dass gerade die Deutschen ein angespanntes Verhältnis zur EZB haben.

Als sie den Job übernahm, versprach Lagarde, dass sie „jeden Stein umdrehen“ wolle. Das tat sie dann auch. Die EZB-Chefin boxte die erste große Strategieänderung seit fast zwanzig Jahren durch. In Ausnahmefällen akzeptiert die Notenbank künftig auch höhere Inflationsraten als zwei Prozent. Parallel beschloss die EZB ein Billionen-Rettungspaket, um die Folgen der Corona-Pandemie einzudämmen.

Lagarde musste in ihren ersten zwei Jahren aber auch andere Wunden heilen, menschliche. Ihr Vorgänger Mario Draghi mag die Euro-Zone gerettet haben, aber seine Whatever-it-takes-Politik – sein Versprechen, mit dem unerschöpflichen Geldreservoir der Notenbank die Euro-Zone vor dem Kollaps zu bewahren – führte auch zu Verletzungen. Die Mitglieder des EZB-Rats, des obersten Gremiums mit 25 Notenbankern aus 19 Euro-Staaten, fühlten sich von Draghi gegängelt. Der Italiener machte in Krisenzeiten, was er wollte, ohne Absprache. Seine Maßnahmen waren revolutionär: Nullzins und Anleihenkäufe. In Deutschland gab es bald den Vorwurf der illegalen Staatsfinanzierung. Einen „Falschmünzer“ nannten ihn Kritiker. Oder gleich: „Draghila“, den Blutsauger.

Christine Lagarde konnte es anfangs gar nicht fassen, wie belastet das Verhältnis zwischen den Deutschen und der EZB war, sagt sie jetzt auf dem Sofa im Nordturm. „Als ich hier ankam, wusste ich sofort, dass ich das Verhältnis zu Deutschland verbessern wollte.“ Deshalb auch charmante Auftritte wie damals im Römer. Deshalb das Versprechen, dass sie Deutsch lernen würde.

Aber dieses Appeasement funktioniert nicht mehr. Seit die Preise steigen, beim Bäcker, an der Tankstelle, im Supermarkt, steht Lagarde in Deutschland unter Dauerbeschuss, fast so wie Draghi damals. Manches davon ist unter der Gürtellinie. Aber nicht alles. Warum, fragen sich viele, wollen die US-Notenbank Fed und die Bank of England ihre Zinsen bald erhöhen, während die EZB zögert? Ist die Lage in der Euro-Zone so anders?

Lagarde meint: Ja. Tatsächlich gibt es in den USA schon hohe Lohnzuwächse. Die Menschen haben mehr Geld, konsumieren mehr, also steigen die Preise. Das gibt es in Europa noch nicht. Aber niemand weiß, ob das so bleibt.

Was man weiß: Zurzeit ist die Inflationsrate in Deutschland so hoch wie seit fast drei Jahrzehnten nicht. Und die EZB setzt die lockere Geldpolitik fort, als wäre nichts passiert. Warum?

Lagarde trinkt einen Schluck Tee, entkoffeinierten, dann sagt sie: „Wenn wir die Geldpolitik jetzt straffen würden, gäbe es dadurch nicht ein Containerschiff oder einen Lkw-Fahrer mehr. Wir leiden unter einer Inflation, die größtenteils von Angebotsengpässen und Energiepreisen getrieben wird.“ Sie meint, dass die Produktionsausfälle durch den Lockdown langsamer aufgeholt werden als gedacht. Die Lieferketten sind durcheinander, Waren fehlen. Das führt zu Knappheiten – und Knappheit treibt die Preise. Lagarde hält das für einen Sonderfall. Sie erwartet, dass die Inflation im nächsten Jahr wieder deutlich sinken wird. Eine zu frühe Zinserhöhung sei sogar schädlich für Europas Wirtschaft, glaubt sie. Es gibt Ökonomen, die das auch so sehen.

Es gibt allerdings auch Ökonomen, die nicht an eine derartige Selbstheilung glauben. Einer von ihnen ist Bundesbankchef Jens Weidmann, der wichtigste Notenbanker Deutschlands. Er hat beschlossen, sein Amt zum Jahresende vorzeitig aufzugeben und warnte die EZB zum Abschied, sie solle die Inflationsgefahren nicht unterschätzen. Weidmanns Wort hat Gewicht in der deutschen Gesellschaft. Was sagt Lagarde zu dessen Abgang? Respektiert sie. Was sagt sie über die Deutschen und ihre Angst vor der Inflation? Respektiert sie auch, aber es müsse um die gesamte Euro-Zone gehen. Es sind nicht ihre Lieblingsthemen.

Lagarde ist die erste Frau an der Spitze der EZB. Sie war die erste Chefin des Internationalen Währungsfonds und davor die erste Finanzministerin der französischen Geschichte. Sie ist keine Ökonomin, sondern Juristin. Lagarde soll mit U2-Sänger Bono befreundet sein. Der Modezeitschrift [anderes Medium II] erzählte sie mal in einem Interview, wie sie sich in endlosen Sitzungen in ihrem Stuhl zurücklehnt, ihren Rücken gerade zieht und durch fokussierte Kontraktion ihren Gesäßmuskel trainiert. Ihre lockere Sprache, das schillernde Auftreten, ihr Jura-Studium: Bei Notenbankern kommt sie damit nicht unbedingt gut an.

Richtig sauer auf sie aber sind Händler und Analysten an den Finanzmärkten. Draghi hatte deren Fragen immer ausführlich beantwortet, noch mal und noch mal erklärt, was die EZB vorhat. Lagarde hat diese Vorzugsbehandlung beendet. Und dann patzte sie 2020 bei einer Pressekonferenz. Sie sagte, die Notenbank sei nicht dazu da, für Italien die Refinanzierungskosten niedrig zu halten. Es gab einen Aufruhr an den Börsen, die Kreditkosten Italiens stiegen. An den Finanzmärkten dachten sie, Lagarde habe soeben das Versprechen abgeräumt, dass die Notenbank alles tun wird, um Länder wie Italien und damit den ganzen Euro stabil zu halten.

Noch am selben Tag musste sie klarstellen, dass dem nicht so war. Sie hat daraus gelernt. In den Pressekonferenzen zur Geldpolitik liest sie seitdem vom Manuskript ab. Draghi hat auch oft abgelesen, aber sein Vortrag wirkte authentisch. Lagarde scheint an diesen geldpolitischen Großkampftagen nicht sie selbst zu sein. Sie weiß das auch: „Ich bin nicht als Geldpolitikerin zur Welt gekommen. Da musste ich mir einige Fähigkeiten aneignen. Denn in der Welt der Zentralbanker wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt.“ Aber sie sieht auch einen Vorteil darin, wenn jemand von außen mit frischem Blick in eine Institution kommt.

Der Blick der Öffentlichkeit auf die EZB hat sich durch die Nullzinspolitik verändert. Die Niedrigzinsen haben Einfluss auf die Vermögensverteilung im Land, und zwar riesigen Einfluss. Wer Immobilien besitzt, profitierte in den vergangenen Jahren vom Preisboom, während andere verzweifelt nach bezahlbaren Mietwohnungen suchen. Menschen, die viele Aktien besitzen, wurden reicher und reicher, während das Geld auf Sparbüchern dahinschmolz. Viele stellen jetzt die Legitimation der Notenbank infrage. Lagarde möchte das ändern, indem die EZB besser und verständlicher kommuniziert. „Dejargonisieren“ nennt sie das.

Die Notenbank benutzt jetzt ein Computerprogramm, mit dem die Reden der Notenbanker auf Verständlichkeit hin überprüft werden. Die Software stellte fest, dass etwa 80 Prozent der in den Reden benutzten Begriffe nur von Leuten verstanden werden, die einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaft haben, heißt es in der EZB. Lagarde lässt einfache Erklärvideos zur Geldpolitik produzieren. Kam auch nicht überall gut an. Unter Notenbankern und in Finanzmarktkreisen reden sie über eine „Infantilisierung“ der Geldpolitik. Lagarde bleibt hart – und präsent: Sie hat mehr als 700 000 Follower auf Twitter, mehr als die EZB selbst. „Lagardes globales Profil und ihr frisches Denken sind eine Bereicherung für die EZB“, sagt Benoît Cœuré, der in der Ära Draghi im EZB-Direktorium saß, in einem Videochat. „Die meisten Notenbanken würden gerne unter sich bleiben, als geschlossene Institutionen“, sagt der Franzose. „Aber ob sie es mögen oder nicht: Die Notenbanken müssen sich öffnen. Es ist eine neue Welt.“

Womit man bei der Frage wäre, warum sich eine Notenbankerin mit dem Klimawandel beschäftigt?

Lagarde sagt, die Folgen der Erderwärmung können Einfluss auf die Inflation haben. Dürren sorgen für weniger Ernte. CO2-intensive Sektoren kommen wegen der strengeren Gesetze unter Druck. All das könne das Preisniveau beeinflussen. Wie stark dieser Einfluss ist, lässt Lagarde gerade berechnen. „Der klassische Geldpolitiker muss die Folgen des Klimawandels mit berücksichtigen“, sagt sie. Erklärt da etwa die geldpolitische Newcomerin den erfahrenen Geldpolitikern ihren erweiterten Arbeitsauftrag?

Anfangs haben viele in der EZB Lagarde nicht ernst genommen. Klar, der Klimawandel ist schlimm, aber was geht das uns Geldpolitiker an? Für Lagarde war das erst einmal ein Schock. Aber sie kann Menschen für sich gewinnen. „Es ist dieser amerikanische Stil“, sagt jemand aus ihrem Umfeld. „Sie betritt den Raum und fragt genau die Person nach ihrer Meinung, die ganz hinten steht und sonst nie etwas öffentlich sagt.“ Im EZB-Rat konnte sie sich durchsetzen. Aber mancher Notenbanker findet, sie treibe es zu weit, sie halte zu viele Reden zum Klimawandel. Reden, die unerfüllbare Erwartungen in der Bevölkerung erzeugen könnten. Die EZB kann für stabile Preise sorgen. Aber sie könne doch nicht das Klima retten.

Dasselbe gilt für ihr anderes großes Thema: Der Kampf für Gleichberechtigung. Lagarde nimmt sich viel Zeit dafür, besucht Konferenzen, spricht über Videoschaltungen. Im Sommer machte sie mit US-Finanzministerin Janet Yellen und EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen einen EZB-Podcast über Frauenrechte. Im November ermutigte sie Akademikerinnen in Frankreich, klassische Männerfächer wie Mathematik zu belegen.

Ein ehemaliger EZB-Währungshüter sagt: „Sie muss sich bald entscheiden, was sie ist, Politikerin oder Notenbankerin.“ Muss sie das? Als IWF-Chefin hat sie ihre Ökonomen prüfen lassen, wie der Beschäftigungsgrad von Frauen in einer Gesellschaft mit der Wohlstandsentwicklung korreliert, auch gegen viele Widerstände. Das Ergebnis ging dann um die Welt: Wo viele Frauen arbeiten, ist der Wohlstand höher.

Lagarde schaut jetzt durch die bodentiefen Fenster auf die verschwommenen Lichter Frankfurts. Sie hat, als sie noch Anwältin war, in Paris gelebt, als IWF-Chefin war sie in Washington und als Präsidentin der amerikanischen Anwaltskanzlei Baker McKenzie in Chicago. Jetzt also Frankfurt. Sie hätte bis zu ihrer Ernennung als EZB-Präsidentin nie gedacht, dass sie mal in Deutschland arbeiten würde, sagt sie, sie habe hier noch nicht mal Urlaub gemacht.

Lagarde ist 1956 in Paris geboren und in Le Havre aufgewachsen. Der Zweite Weltkrieg war noch nicht lange vorbei, es gab in einer französischen Schule beliebtere Sprachen als Deutsch. Ihr Vater, der früh starb, war Professor für englische Literatur, ihre Mutter Französischlehrerin mit einer großen Leidenschaft für Grammatik. Nachdem Christine Lagarde 2005 Mitglied der französischen Regierung wurde, sagte sie, dass sie Madame „le“ ministre genannt werden will. Ihre Mutter habe ihr gesagt, dass der Ausdruck „la ministre“ im Französischen nicht existiere. Auch Christine Lagarde kann penibel sein. Beim IWF und bei der EZB hat sie sich jedes Mal aufgeregt, wenn in Texten zu viele Grammatik- und Rechtschreibfehler waren.

Sie war eine sehr gute Schülerin. Mit 15 Jahren wurde sie französische Vizemeisterin im Wasserballett, dann Mitglied der Nationalmannschaft. Es gab aber auch Rückschläge. Den Test zur Aufnahme an der Eliteschule École nationale d’administration (ENA), bestand sie nicht. Beim ersten Mal habe sie nicht genug Zeit gehabt zur Vorbereitung, weil sie schwer verliebt war. Die zweite Aufnahmeprüfung ging schief, weil sie den Termin vergessen habe. So steht es jedenfalls in ihrer Biografie.

Als Finanzministerin wurde Christine Lagarde kritisiert, weil sie mit Steuergeldern eine 400 Millionen Euro hohe Entschädigung für den inzwischen verstorbenen Unternehmer Bernard Tapie genehmigt hatte. Ein Sondergericht verurteilte sie 2016 wegen Fahrlässigkeit, verhängte aber keine Strafe.

Was sie immer wieder erlebt hat: dass man sie unterschätzt. In ihren ersten Jahren bei der Kanzlei Baker McKenzie hat sie sich geweigert, für einen Kunden zu arbeiten, der sie mit der Assistentin eines männlichen Kollegen verwechselt hatte. Frauen hätten keine Chance aufzusteigen und seien allenfalls für die Dokumentenablage zuständig, solche Dinge musste sie sich anhören in den ersten Vorstellungsgesprächen. Ihre gesamte Karriere sei ein Kampf gegen Männer und Machos, steht in ihrer Biografie. Einmal sagte sie: Wenn Lehman Brothers „Lehman Sisters“ gewesen wäre, hätte es wohl nie eine globale Finanzkrise gegeben. Als im Juni 2015 bei einem EU-Gipfel fast nur Männer am Tisch saßen – es ging um die Rettung Griechenlands, und die Runde kam nicht voran –, sagte sie genervt, dass jetzt „Erwachsene im Raum gebraucht werden“.

Vielleicht ist es das, was sich Lagarde nun auch für die EZB wünscht: Die mächtige Institution soll nach 23 Jahren aufhören, sich nur um Geldpolitik zu kümmern und gesellschaftliche Debatten zu ignorieren. Die Europäische Zentralbank soll endlich erwachsen werden.