Ist diese Frau eine Heldin der Wissenschaft oder eine Kriminelle?
von Hannes Grassegger
Das Magazin / SZ Magazin vom 11.03.2022
Die Website "Sci-Hub" ermöglicht den kostenlosen Zugang zu wissenschaftlichen Artikeln auch für Schwellenländer und transformiert die Wissenschaft. Die Gründerin Alexandra Elbakyan wurde mehrfach verklagt, der Verlagsvertreter Andrew Pitts sieht Sci-Hub als Vehikel zur Infiltration westlicher Wissenschaft durch russische Hacker.
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Ist diese Frau eine Heldin der Wissenschaft oder eine Kriminelle?
Die Zentrale des globalen Ein-Personen-Aufstandes zur Befreiung der Wissenschaft ist ein silbergraues Notebook, das auf einem Esstisch im äußersten Nordwesten Russlands steht. Auf dem Deckel kleben ein pinkfarbener Smiley mit verdrehten Augen und eine Handvoll neongelber Sterne. Rund um die Welt haben die Gegner von Alexandra Elbakyan, milliardenschwere Verlage, ihr die Gerichte und auch noch das FBI auf den Hals gehetzt. Sie nennen sie eine Diebin. Doch für Elbakyan sind die wahren Diebe ihre Gegner, denn sie haben den Menschen den freien Zugang zur Wissenschaft geraubt.
Die Seite, die Elbakyan vor gut zehn Jahren gegründet hat und die sie bis heute betreibt, heißt Sci-Hub. Wer im Netz Sci-Hub.se öffnet, blickt auf eine durchbrochene Mauer, daneben ein Suchfeld, dahinter Formeln. Ein schwarzer Rabe hält einen Schlüssel im Schnabel, in seinem Körper ist ein Sternenhimmel erkennbar. Wenn man den Namen eines wissenschaftlichen Aufsatzes, dessen Kennnummer oder den Link dazu eingibt und dann auf das Feld mit einem Schlüssel rechts vom Suchfeld klickt, bekommt man ihn in fast jedem Fall. Sci-Hub bietet fast 90 Millionen Veröffentlichungen an, das entspricht mehr als 80 Prozent aller jemals veröffentlichten wissenschaftlichen Papiere.
Normalerweise kostet der Zugang zu diesen Artikeln viel Geld. Bei Sci-Hub ist alles kostenlos zu haben. Elbakyans Vision: Ihre Seite soll der Zugang zum gesammelten Wissen der Welt werden, eine digitale Neuschöpfung der Bibliothek von Alexandria - nur dass alle sie benutzen können, egal von wo. Wahrscheinlich hat jede Wissenschaftlerin, jeder Wissenschaftler, jeder Hobbyforscher und jede Wissenschaftsjournalistin schon Elbakyans Webseite genutzt.
Die unglaubliche Geschichte, wie eine junge Forscherin im Internet die größte offene Wissenschaftsbibliothek der Geschichte auf baut, beginnt in Almaty, der früheren Hauptstadt Kasachstans. Alexandra Elbakyan erzählt ihre Geschichte so: 1988 wurde sie als einziges Kind eines russisch-kasachischen Paares geboren. Ihren Vater kenne sie nicht, sagt Elbakyan. Sie wuchs in einem männerlosen Haushalt zusammen mit zwei Generationen sowjetischer Ingenieurinnen auf: ihrer Oma und der Mutter, einer Systementwicklerin, spezialisiert auf vernetzte Computersysteme.
Schon im Kindergarten fing Elbakyan an, sich für Computer zu interessieren. Ihre erste Bezahlschranke knackte sie mit 14 Jahren, mittels eines Hacks, von dem sie in einem Magazin gelesen hatte. Fortan konnte sie kostenlos das damals teure Einwahlinternet nutzen, weil sie Zugriff auf die Passwörter aller Kunden hatte. Mit 16 überlegte sie, wie sie ihrem Spielzeug, einem Tamagotchi, künstliche Intelligenz verleihen könnte. Weil Fachbücher zu teuer waren, lernte sie, die Bezahlschranken für E-Bücher zu knacken, und schrieb dazu ein Programm, das die erbeuteten PDFs zu einem Buch kombinierte.
Ein paar Jahre später, 2009, studierte Elbakyan Informationssicherheit an der Satbayev-Universität in Almaty und wollte ihre Bachelorarbeit schreiben. Plötzlich stand sie vor einem Problem: Es gab Forschung über ihr Thema - aber nur hinter Bezahlschranken. Fast jeder Artikel kostete um die 30 Dollar. Und sie brauchte Dutzende davon, um sich einzulesen. Ein Vermögen für eine Studentin in einem Schwellenland wie Kasachstan, wo das monatliche Durchschnitts-Einkommen heute bei 500 Euro liegt. Auch nach Stunden des Googelns der gesuchten Titel mit Begriffen wie »kostenloser Download« fand sie nichts. War das nicht mal das Versprechen der neuen digitalen Welt gewesen, mit der sie aufgewachsen war: freier Zugang zu Informationen?
Wie sollte sie nun ihr Diplom bekommen? Sie griff auf ihr altbewährtes Mittel zurück: Sie knackte die Bezahlschranken. Elbakyan besorgte sich im Netz Log-ins zu Bibliotheken ausländischer Universitäten, die Abonnements der Journale hatten, in denen die benötigten Forschungsartikel standen.
Ohne es zu ahnen, hatte sie ihre Lebensaufgabe entdeckt: die Lösung für ein zentrales Problem der Wissenschaft zu finden. Neue Forschung ist meistens nur denjenigen zugänglich, die viel dafür bezahlen. Jedes Jahr sterben zehn Millionen Menschen an Krebs. Aber nur gut ein Viertel der Forschung darüber ist ohne Bezahlschranke zugänglich, schätzt Kamila Markram, Mitgründerin des Open-Access-Verlagsverbands Frontiers in Lausanne, der sich für leichter zugängliche Forschung einsetzt.
Nach dem Studium, Elbakyan arbeitete freiberuflich als Programmiererin, sah sie sich abends in Wissenschaftsforen um. Dort machte sie eine Entdeckung: »Helft mir, diesen Artikel zu finden«, stand da, und dabei ein Link zu einem Artikel hinter einer Bezahlschranke. Genau das Problem, das sie von ihrer Bachelorarbeit kannte. Sehr viele hatten dieses Problem. Elbakyan begann, sich nützlich zu machen. Loggte sich mit fremden Passwörtern bei Universitäten ein, lud Papers herunter für Nutzer des Forums. Hunderte Male. Dann dachte sie: Könnte man das nicht automatisieren?
Für drei Tage schloss sie sich in ihrem früheren Kinderzimmer ein, mit einem alten Laptop ihrer Mutter. Sci-Hub nannte sie ihre Seite, Sci für Wissenschaft und Hub für Zentrum. Als sie fertig war, platzierte sie dort, wo heute auf der Webseite ein Rabe sitzt, Hammer und Sichel neben das Suchfeld. Marx hatte sie nicht gelesen, aber Sci-Hub war kommunistisch, das war für sie klar. »Kommunismus und Kommunikation haben dieselbe sprachliche Wurzel«, erklärt sie heute in Murmansk. Es drehe sich um das Gemeinsame.
Am 5. September 2011 veröffentlichte Alexandra Elbakyan im Forum MolBiol, wo hauptsächlich Fragen der molekularen Biologie auf Russisch diskutiert werden, erstmals einen Link zu Sci-Hub. In der ersten Woche rannte sie jeden Morgen zum Rechner, um zu sehen, ob alles funktionierte, und Fehler zu reparieren, die Nutzerinnen und Nutzer gefunden hatten. Dann schienen Leute aus anderen Foren Sci-Hub zu entdecken. Bald lud ihr System rund 40 Veröffentlichungen pro Stunde aus Universitätsbibliotheken herunter. Fast ein Paper pro Minute.
Natürlich wusste Elbakyan, dass das, was sie aufgebaut hatte, illegal war. Doch lange Zeit blieb Sci-Hub unter dem Radar. Da die Technik darauf beruhte, sich bei Unibibliotheken oder den Verlagen mit Universitäts-Accounts einzuloggen, war Elbakyans System unauffällig. Für die Administratoren der Unis sah es aus, als würden reguläre Nutzer einzelne Papiere herunterladen.
Elbakyan wusste damals noch nicht, wie groß die Industrie ist, mit der sie sich anlegte. Sie ist größer als die globale Musikindustrie. Die setzte 2020 mit Superstars wie Billie Eilish, Drake und Ariana Grande gut 21 Milliarden Dollar um. Wissenschaftsverlage hatten im selben Jahr mit Fachaufsätzen über Quantenmechanik und Hautkrankheiten einen Umsatz von über 26 Milliarden. Der Markt ist nicht nur enorm groß, er ist auch extrem konzentriert und undurchsichtig. Die fünf größten Verlage kassierten in Europa 2019 mehr als 75 Prozent aller Abo-Zahlungen der europäischen Bibliotheken, fand eine Studie des Europäischen Universitätsverbandes heraus. Eine derartige Marktkontrolle nennt man Oligopol.
Einer, der diese Welt gut kennt, ist Martin Vetterli, Präsident der Schweizer Spitzenuniversität EPFL in Lausanne, ein hochdekorierter Forscher. Vetterli hat eigentlich immer ein Lächeln auf den Lippen, und auf seinem Twitter-Account scheint oft die Sonne über dem Genfer See. Doch wenn es um die Wissenschaftsverleger geht, braut sich ein Gewitter auf seiner Stirn zusammen. »Ihr Geschäftsmodell ist ein Skandal«, sagt er.
Eigentlich sei es gleich ein mehrfacher Skandal, findet Vetterli. Die Öffentlichkeit werde dreimal hintereinander abgeschöpft und darüber im Dunkeln gelassen. Zuerst finanzierten die Steuerzahler die Forschung. Wenn Forschungsergebnisse dann in Form von Aufsätzen, sogenannten Papers, bei Journalen vorgeschlagen werden, prüften Uni-Forscher als Editoren die Eingänge - ohne dafür bezahlt zu werden. Abzocke Nummer zwei. Später müssten dann die Steuerzahler für die teuren Abonnements der Journale durch öffentliche Bibliotheken aufkommen - für den Zugang zu der von ihnen selbst finanzierten Forschung.
Früher, bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, sei das Publizieren von Papers kein Geschäft gewesen, sagt Vetterli. Es habe in der Hand der Wissenschaftsakademien gelegen, clubartiger Verbünde, und relativ gut funktioniert. Als aber der Zweite Weltkrieg durch Nuklearphysiker mitentschieden wurde, begann es Staatsführern einzuleuchten, wie wichtig Wissenschaft war. Als sie die Geldhähne aufdrehten und Forschungsbudgets weltweit massiv wuchsen, entdeckten einige Geschäftsleute eine Gelddruckmaschine.
Die ersten waren der Brite Robert Maxwell, der Vater der späteren Jeffrey-Epstein-Geliebten Ghislaine Maxwell, und sein Compagnon Paul Rosbaud. Sie begründeten ein Journal nach dem anderen, übernahmen akademische Kleinverlage und schufen so den profitablen Verlagskonzern Pergamon Press. Profitiert hatten die beiden von staatlicher Starthilfe. Pergamons Vorgängerfirma hatte dank britischer Initiative Anteile am führenden deutschen Wissenschaftsverlag Springer (der mit dem Axel-Springer-Verlag nichts zu tun hat) übernommen. Von Springer sollten die Briten lernen, wie man Geld mit Wissenschaft macht. 1951 übernahm Maxwell das britische Mutterunternehmen und die Springer-Anteile - und begann zu expandieren, mit Rosbaud als wissenschaftlichem Leiter. Wo es noch kein Journal gab, sorgten Maxwell und Rosbaud dafür, dass sich das änderte: Sie reisten zu internationalen Konferenzen und überzeugten Forscher, ein Journal zu gründen. Am Genfer See, einem beliebten Veranstaltungsort für Konferenzen, lud Maxwell zu berühmten Partys, um in Kontakt mit Forschern zu kommen.
Anschließend überzeugte er führende Forscherinnen und Forscher, dass ihr Fachgebiet ein neues Journal benötige, und schlug vor, ihn oder sie an die Spitze zu setzen. Für die angefragten Fach-leute bedeutete es Reputation und Einfluss, ein Journal herauszugeben - und für die Verleger Geld. Die Journale wurden zur Plattform der jeweiligen Forschergemeinschaften, die sich darüber fachlich austauschten und durch die Zahl der Publikationen miteinander wetteiferten. Die Verleger konnten derweil den neuerdings gut finanzierten Unibibliotheken Abonnements verkaufen. Hat sich ein Journal einmal etabliert, ist es für Forscherinnen und Forscher unersetzlich: Sie brauchen es, um sich an ihre Fachkollegen wenden zu können - und die Verlage können die Preise laufend erhöhen. Zwischen 1984 und 2010 habe sich der Durchschnittspreis US-amerikanischer Journale verachtfacht, stellte eine Studie fest. 2014 berichtete die Bibliothek von Harvard, ihr teuerstes Jahres-Abonnement sei das Journal of Comparative Neurology: 28 787 Dollar.
Dass das Internet ab den Achtzigerjahren zuerst an den Universitäten auf blühte, liegt auch daran, dass es für viele Forscher einfach eine Möglichkeit war, leichter an neue Forschungsresultate und Papers zu kommen. So erklärt sich auch das historische Versprechen des World Wide Web, das der Physiker Tim Berners-Lee zusammen mit Kollegen am Genfer Forschungszentrum CERN aufschaltete: Zugang zu Wissen für alle. Spätestens jetzt konnte man theoretisch kostenlos weltweit Wissen verbreiten. Unbeabsichtigte Folge war, dass bald eine Industrie nach der anderen in die Krise stürzte: erst die Musikindustrie, dann der Journalismus, dann die Filmverleihe. Aber nicht die Wissenschaftsverlage.
In der Wissenschaft drehte sich das Versprechen der Digitalisierung sogar ins Gegenteil. Eine der ersten Bezahlschranken überhaupt führte das Magazin Science ein, im Jahr 1997: zehn Dollar für 24 Stunden Zugang mit genau einem Rechner. Die Digitalisierung erlaubte Verlagen, den Zugang immer stärker zu kontrollieren. Sie verkauften Bibliotheken teure Bündel von Digitalabos und sparten sich gleichzeitig Druckkosten.
Der Wissenschafts-Großverlag Elsevier weist auf Anfrage des [Mediums] den Vorwurf zurück, Zugang zu Wissen einzuschränken. Elsevier schreibt, vielmehr sei inzwischen das »Open Access«-Verfahren, in dem Forscherinnen und Forscher zwar für die Einreichung und Begutachtung ihrer Fachartikel bezahlen, dann aber jeder ohne weitere Kosten auf den Artikel zugreifen könne, »ein integraler Bestandteil« von Elsevier und weiter auf dem Vormarsch.
Sci-Hub wird oft mit Napster verglichen, einem Service, der Anfang der Nullerjahre kostenlose Musikdownloads anbot und die Musikindustrie zu einem kompletten Umdenken zwang. Als Antwort auf die Krise entstand der iTunes-Shop mit seinen einfachen Musikdownloads, später machten Streamingplattformen wie Spotify und Deezer das leicht zu kopierende Objekt MP3 quasi überflüssig. Ähnliches passierte beim Film mit Plattformen wie Netflix - kaum jemand macht sich heute noch die Mühe, Filme illegal aus dem Netz zu laden, wenn man sie für eine monatliche Gebühr in guter Qualität streamen kann.
Aber was Napster in der Musikindustrie auslöste, hat Sci-Hub innerhalb von zehn Jahren nicht geschafft. Denn in der Musikindustrie leben Künstlerinnen, Künstler und Labels letztlich vom Geld des Publikums. Doch niemand in der Wissenschaft lebt von Einnahmen aus seinen Veröffentlichungen, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden von ihren Universitäten bezahlt. Sie profitieren aber von der Reputation, die sie sich bei Journalen erarbeiten und dann an Universitäten monetarisieren.
Viele Forschende und Studierende würden Sci-Hub nutzen, weil es einfach der schnellste Weg sei, meint Rudolf Mumenthaler, Direktor der Zürcher Universitätsbibliothek. Sci-Hub sei »die Messlatte an Nutzerfreundlichkeit«, sagt er bewundernd: ein Klick zum gewünschten Paper, statt komplizierter Log-ins. Es schwingt auch ein wenig Neid mit: Mumenthaler muss für die Universität viel Geld ausgeben, um die Journale zu bekommen, sie sind der größte Kostenfaktor, auf gleicher Höhe wie Personalkosten. »Nicht überall können sich Unis einen solchen Zugang leisten«, sagt er. In Entwicklungsländern haben Studierende oft keinen Zugang. Sogar die Ivy-League-Universität in Harvard gab 2012 bekannt, dass sie sich die steil steigenden Abogebühren nicht mehr generell leisten könne. Was Forschenden dann bleibt, ist Sci-Hub.
Irgendwann bekamen auch die großen Verlage mit, dass hier jemand ihr Geschäftsmodell torpedierte. Und es ist eine weitere Wendung in dieser Geschichte, dass viele Versuche, die Seite verbieten oder schließen zu lassen, nur dazu geführt haben, sie stärker zu machen. Zum einen, weil jede Anzeige und jede Beschwerde der Verlage der Webseite von Alexandra Elbakyan weitere Aufmerksamkeit brachte - und damit neue Nutzerinnen und Nutzer. Und dann ist da noch die Sache mit den Bitcoins.
Weil der Verlag Elsevier zunächst mit technischen Schritten gegen Sci-Hub nicht vorankam, kontaktierte Elsevier den Zahlungsdienstleister Paypal, über den Elbakyan um Spenden für ihr Projekt bat. Elsevier setzte durch, dass Paypal den Account von Sci-Hub sperrte, wegen der Verletzung von Urheberrechten. Die Folge: Elbakyan bat ihre Nutzer künftig um Spenden in der damals noch neuen, in der technisch versierten Welt der Wissenschaftler aber schon gebräuchlichen Kryptowährung Bitcoin. 2013 war ein Bitcoin für rund 100 Dollar zu haben, mittlerweile schwankt der Kurs um 40 000 Dollar. Eine Schätzung - der Elbakyan widersprochen hat - kalkulierte Sci-Hubs Bitcoin-Bestände im August 2017 auf 67,42 Bitcoins. Das entspräche heute mehreren Millionen Euro.
Wie viel genau sie besitzt, will Elbakyan in Murmansk nicht verraten. Sci-Hub sei aber für mindestens zwei Jahre abgesichert, schätzt sie, solange die Kurse nicht kollabierten. Der Betrieb von Sci-Hub sei günstig: maximal 6000 Dollar im Monat für Server, Domains und Webseite.
Am 25. Juni 2015 erreichte Alexandra Elbakyan eine seltsame E-Mail. Der Betreff: NOTICE: YOU HAVE BEEN SUED. Die Mail enthielt kein Anschreiben, nur einige Dokumente im Anhang. Elsevier hatte zusammen mit anderen Firmen Klage eingereicht.
»Am Anfang habe ich die Mail nicht einmal registriert. Es sah aus wie Spam, mit diesen seltsamen Großbuchstaben im Betreff«, sagt Elbakyan. Dann realisierte sie, was geschah. »Ich hatte keine Angst, es war eher eine Art Aufregung.« Das Gericht war in New York. Sie in Sankt Petersburg.
Aber sie wollte sich in New York verteidigen. Es ging um eine fundamentale Frage, ein Menschenrecht auf Information. Die Electronic Frontiers Foundation, die wichtigste Nichtregierungsorganisation für Digitalrechte, bot Elbakyan an, bei der Suche nach einem kostenlosen Anwalt zu helfen. Elbakyan telefonierte mit dem Gericht, um sich die Klage anzuhören. Langsam erkannte die damals 26-Jährige, dass ihre Chance winzig war.
Also schrieb sie einen Brief an den Richter Robert W. Sweet. Darin erklärte sie offen, dass sie vor Jahren etliche Papers für eine Forschungsarbeit erbeutet habe. »Ein Preis von 32 Dollar ist einfach verrückt«, schrieb sie. Die Verleger seien »Gauner«, die Forscher zu unbezahlten Beiträgen nötigten, da diese darauf angewiesen seien, in wichtigen Journalen zu publizieren. Bei Sci-Hub habe sich noch nie ein Autor oder eine Autorin beklagt, dass man Arbeiten veröffentliche. Nur Elsevier beklage sich. »Wenn es ein Gesetz gibt, das die Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse verhindert, liegt das Problem bei diesem Gesetz«, sagt Elbakyan heute.
Elbakyan wurde 2017 in Abwesenheit verurteilt: 15 Millionen Dollar Geldbuße. Die Höchststrafe.
Durch den Prozess wurde die Welt auf Sci-Hub aufmerksam. Große Medien begannen zu berichten. Die Nutzerzahlen schossen in die Höhe, als der Prozess anfing, und erneut, als das Urteil erfolgte. Spendengelder flossen. Elbakyan zahlte die Strafe nicht. Und ans Aufgeben denkt sie schon gar nicht. Mit immer neuen Klagen, immer härteren Forderungen, immer neuen Techniken haben die Verlage versucht, Sci-Hub zu schließen. Kein einziges Mal trat Elbakyan zur Verteidigung an. Sie rechne nicht einmal mehr die Schadenersatzforderungen gegen sie zusammen, sagt Elbakyan heute. Bei etwa 20 Millionen Dollar habe sie aufgehört zu zählen.
Heute muss Sci-Hub laufend die Domain wechseln, um Sperren und Strafen zu entgehen. Fragten Forscher früher im Netz nach Papers, fragen sie heute auf Twitter, wo man gerade Sci-Hub findet. Im Januar 2021 schloss Twitter den Sci-Hub-Account - wegen des Aufrufs zu Urheberrechtsverletzungen.
Die Seite zu finden ist trotzdem kein Problem. Man muss nur »Sci-Hub« googeln. Seit einigen Monaten hat Sci-Hub auch wieder einen neuen Twitter-Account - so lange, bis Twitter es bemerkt.
Die Verlage gaben nicht auf. Bald kämpfte eine ganze Industrie gegen eine Frau. Weit weg in Russland aber hatte sich etwas verändert. Alexandra Elbakyan hatte sich politisiert. War es ihr zunächst nur um den Zugang zur Forschung gegangen, wollte sie jetzt gegen ein System kämpfen, das sie für ungerecht und falsch hält.
Als Erstes, fand sie, müsse man die Urheberrechtsgesetze abschaffen. Dafür brauchte sie politische Unterstützung. Sie hatte von der russischen Piratenpartei gehört, der sie Sci-Hub präsentieren wollte. Um ihrer Idee mehr Gewicht zu verleihen, suchte sie im Internet nach einer tieferen Legitimation. Bald fand sie, was sie suchte: Artikel 27, Paragraf 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen. Dort steht: »Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Vorteilen teilzuhaben.«
Und sie lernte das Konzept des öffentlichen Guts kennen: eines Guts, von dessen Konsum niemand auszuschließen ist und dessen Nutzbarkeit sich für niemanden verringert, wenn andere es genauso nutzen. Wie bei sauberer Luft. Märkte versagen in der Regel, wenn es um ein öffentliches Gut geht, deswegen kümmert sich meistens der Staat darum. Sofort sah Elbakyan die Parallelen zu Wissenschaftsliteratur. Warum soll hier der Markt etwas regeln, was eigentlich die Aufgabe des Staates wäre?
Allein und gegen den Rest der Welt, mit der vagen Idee eines Cyber-Kommunismus im Kopf, trieb Alexandra Elbakyan Sci-Hub weiter voran. Die Seite war immer ein Verlustgeschäft gewesen. Die Bannerwerbungen, die anfänglich manche Unterstützer aus Sympathie buchten, brachten kaum Geld ein, zudem gefielen sie ihr nicht. Sie schaltete sie ab. Die Nutzerzahlen von Sci-Hub stiegen ständig weiter. 2016, kurz nach der Elsevier-Klage, verzeichnete die Seite rund 200 000 Downloads pro Tag, mehr als zwei Papers pro Sekunde. Würde sie nur einen Dollar pro Paper verlangen, überlegte Elbakyan, dann wäre sie reich. Aber das war gegen ihr Prinzip. Sie setzte auf Spenden. Mittlerweile nicht nur per Bitcoin, sondern auch in anderen Kryptowährungen, die meisten von ihnen mit abenteuerlicher Wertsteigerung in den vergangenen Jahren.
Finanziell unabhängig, konnte Sci-Hub umso schneller wachsen. War das nicht ein Beleg dafür, dass ihr Ideal auf dem Vormarsch war? Der Kampf zwischen Sci-Hub und den Verlagen wurde zum Systemwettbewerb zwischen zwei Ideologien. Sie wolle diesen Kampf ausfechten, bis das Recht geändert werde, sagt sie heute: »Solange wir nicht im Kommunismus leben, braucht es Sci-Hub.«
Doch das Schlagwort Kommunismus macht Elbakyan für viele verdächtig. Im Dezember 2019 titelte [anderes Medium]: »Justizministerium ermittelt gegen Sci-Hub-Gründerin wegen Verdachts auf Zusammenarbeit mit russischem Geheimdienst.« Über den Stand der Ermittlungen ist bis heute nichts herauszufinden. Der Bericht beruht auf Aussagen aus »informierten Quellen«.
Andrew Pitts findet den Geheimdienst-Vorwurf äußerst plausibel. Pitts ist ein einflussreicher Vertreter der akademischen Verlage und eine Art Außenminister der Branche. »Kein vernünftiger Mensch glaubt diese Geschichte vom armen Mädchen aus Kasachstan«, sagt er. Schon das Argument, Sci-Hub biete Zugang zu Wissenschaft, sei Unsinn: »Wir arbeiten viel an der Verbesserung der Informationsversorgung mit wirklich armen Regionen und Institutionen.« Über die Weltgesundheitsorganisation und die Plattform Research4Life bekomme man in armen Ländern 99 Prozent aller Forschungsergebnisse gratis, sagt er.
Solche Programme helfen allerdings nur den ärmsten Ländern. Viele Universitäten in Schwellenländern können sich trotzdem keinen Zugang leisten und sind von den Hilfsprojekten ausgeschlossen. Daran, sagt Pitts, seien diese aber selbst schuld: »Kasachstan ist eigentlich ziemlich reich, es geht bloß kein Geld an die Universitäten. Sondern in die Taschen einiger weniger.«
Die hohe Nachfrage nach Sci-Hub sieht er nicht als Beweis an für einen echten Bedarf. »Sie haben Millionen Anfragen pro Monat aus den USA, von dort aus kann aber jeder über die Universitäten zugreifen.« Die Beliebtheit liege daran, dass Sci-Hub ein »One-Stop-Shop« sei, also eine Webseite, auf der man mit einem Klick alles bekomme. »Das Ganze ist fantastisch gemacht. Es geht den Leuten doch nur um Bequemlichkeit.«
Er beschäftige sich seit Jahren mit Sci-Hub und komme gerade erst von Gesprächen darüber aus New York zurück, sagt er Ende November 2021. Die geheimdienstlichen Ermittlungen seien in vollem Gange, auch vom britischen Auslandsgeheimdienst MI6, unter Leitung des FBI. »Die ermitteln nur mit begründetem Anfangsverdacht«, sagt er.
Pitts glaubt, Sci-Hub sei eine Operation der russischen Regierung und des GRU, des russischen Militärnachrichtendienstes, der auch für die Wahlhacks in den USA verantwortlich gemacht wird. »Das Ganze ist ein Trojanisches Pferd. Man lockt die besten Köpfe der Welt zur Nutzung, dann trackt man sie, holt ihre Steuerinformationen, Sozialversicherungsnummern, und anschließend benutzt man das, um damit an Forschungsergebnisse zu kommen«, sagt er und fragt: »Wie kann es beispielsweise sein, dass die besten Universitäten der Welt Mitte 2020 zusammen alles geben, um die erste Covid-Impfung zur Verfügung zu stellen - und plötzlich ist
Russland schneller und hat ganz zufällig die Sputnik-Impfung entwickelt, die exakt auf dieser geheimen Forschung beruht?« Mit dem Beginn der Corona-Pandemie seien über die von Sci-Hub piratierten Accounts auch massiv Ergebnisse in medizinischen Laboren abgegriffen worden.
Beweise für seine Aussagen liefert er nicht. Die Bibliotheken und Universitäten wollten diese nicht herausgeben, sagt er. »Ich habe die Beweise gesehen, und Ihnen würde der Kopf explodieren, wenn Sie wüssten, was hier wirklich vor sich geht.« Aber man könne es doch auch so sehen: Sci-Hub sei eine gewaltige Operation. »Es kostet Abermillionen im Monat, allein diese Datenmengen bereitzustellen«, sagt Andrew Pitts. »Rechnen Sie das doch selber aus!«
Das tun wir. Zusammen mit dem in der Züricher Coder-Szene bekannten Security-Experten Felix Marthaler steigen wir in den Sci-Hub-Code ein und prüfen den Aufbau der Webseite.
»Das gehört mit zum Besten, was das Netz zu bieten hat«, sagt Marthaler. Hätte Alexandra Elbakyan sich nicht öffentlich dazu bekannt, hinter Sci-Hub zu stehen, man könnte sie nicht als Betreiberin identifizieren. Andersherum gesagt: Es lässt sich nicht prüfen, ob es wirklich ihre Server sind oder die von jemand anderem.
Die von Elbakyan angegebenen Kosten, die anfallen, um ihre fast 90 Millionen PDFs bereitzustellen, seien realistisch, meint Marthaler. Die 100 Terabyte, die Sci-Hub heute benötigt, würden aktuell in einem normalen Onlineshop etwa 27 000 Euro kosten. Zweifaches Back-up inklusive. 5000 Dollar monatlich reichten, um die Daten online weltweit bereitzustellen.
Ein Punkt aber sticht heraus: Um die Seite vor Hackerangriffen zu schützen, nutzt Elbakyan DDoS-Guard, ein Unternehmen, das für die russische Zentralbank und die russische Armee arbeitet - es könnte theoretisch alles mitlesen, was auf der Seite passiert. Ein konkreter Beweis dafür, dass Sci-Hub von russischen Behörden infiltriert oder sogar aufgebaut ist, lässt sich im Code jedoch nicht finden.
In Murmansk erklärt Alexandra Elbakyan, sie sei nie vom russischen Geheimdienst kontaktiert worden. »Warum auch?«, sagt sie. »Ich denke, Sci-Hub hat vielen russischen Forschern schon sehr geholfen.« Sie betreibe ihre eigenen Server, an geheimen Standorten, nutze also zur Wahrung der Unabhängigkeit keine Cloud. Sie liefere keine Informationen an den GRU. Aber vor allem sei Sci-Hub kein besonders kompliziertes und teures Projekt. Sie habe in den vergangenen zehn Jahren alles so weit automatisiert, dass sie manchmal ganze Wochen nicht daran arbeite, Fehler zu beheben oder etwas anzupassen. Vorwürfe wie die von Andrew Pitts regten sie auf, weil sie dahinter Sexismus sehe: »Kommen diese Fragen, weil ich eine Frau bin? Denkt er, ich kann das nicht allein?«
Im Dezember 2020 gab Alexandra Elbakyan auf Twitter bekannt, dass die Wissenschaftsverlage Elsevier und Wiley sowie die American Chemical Society in Indien Klage gegen sie eingereicht haben und erwirken wollen, dass der Zugang zu Sci-Hub künftig in ganz Indien verhindert werden soll. Das hat die indische Forschergemeinschaft schwer aufgeschreckt. Den Zeitpunkt der Klage haben die Verlage unsensibel gewählt: Indien kämpft mit der Corona-Pandemie, und viele Medizinerinnen und Mediziner benötigen Zugang zu Forschungsberichten.
Indien zählt nicht zu den Ländern, in denen Forscherinnen und Mediziner von den verbilligten Zugangsbedingungen zu wissenschaftlichen Publikationen profitieren. Unter denen, die Elbakyans Tweet lasen, war auch Nilesh Jain, ein heute 28-jähriger Jurist, der es aus bescheidenen Verhältnissen auf dem Land an eine der besten Universitäten des Landes schaffte und nun im Gesundheits-und Familienministerium arbeitet.
Er berichtet, wie essenziell Sci-Hub in seinem Studium gewesen sei. Die elitäre Delhi-Universität in Neu-Delhi, die er besuchte, hatte mehr als 25 000 Studentinnen und Studenten. Für diese hätten in der Zentralbibliothek sechs Computer bereitgestanden, auf denen man Zugang zu den Datenbanken der Wissenschaftsverlage bekam. Noch dazu sei die Hälfte der Rechner immer defekt gewesen. Er meldete sich bei Elbakyan und bot seine Hilfe an.
Er war nicht der Einzige. Bei Elbakyan gingen Dutzende Hilfsangebote indischer Forscherinnen und Juristen ein. Sie solle sich verteidigen, etwas gegen die Klage tun. Elbakyan hatte sich zuvor in keinem der vielen Prozesse gegen sie oder Sci-Hub gestellt. Diesmal aber, sagt sie heute, habe sich etwas in ihr geregt. »Ich fing an, die Leute, die mich kontaktiert hatten, in Kontakt miteinander zu bringen«, erzählt sie in Murmansk.
Nilesh Jain gewann den bekannten Urheberrechts-Experten Rohan K. George für sein Team, bald auch Gopal Sankaranarayanan, einen der bekanntesten Anwälte des Landes. Die Umstände waren hart. Die Pandemie war in vollem Gange, es galten Ausgangssperren, es waren Ferien - gleichzeitig forderte der High Court die notariell beglaubigte Unterzeichnung gewisser Papiere durch Elbakyan. Und den Postversand. Im Januar 2021, im letzten Moment, reichte Jains Team eine 2900-seitige Verteidigungsschrift ein.
Jain glaubt aufgrund des öffentlichen Interesses an eine echte Chance für Sci-Hub. Seine Grundlage: Indien hat seit dem Copyright Act von 1957 ein besonders fortschrittliches Rechtssystem für geistiges Eigentum, das Ausnahmen für Bildungs-und Forschungszwecke vorsieht. Mittlerweile gibt es auch einen Präzedenzfall, in dem Verlage wie Oxford University Press gegen einen Copyshop geklagt hatten. Dessen Argument, dass urheberrechtlich geschützte Materialien zu kopieren und zu verbreiten legal sei, solange das Studien-und Forschungszwecken dient, verfing vor Gericht. Die Verlage zogen 2017 ihre Klage zurück. Könnte das auch für Sci-Hub gelten? »Die Möglichkeit ist da«, sagt Jain.
Jain hat Elbakyan nun davon überzeugt, beim Prozess anzutreten. Um ihren guten Willen zu zeigen, hat sie sich bereit erklärt, Sci-Hub keine neuen Papiere hinzufügen, solange der Prozess läuft.
Seitdem folgt eine Terminverschiebung auf die nächste. Soeben hat auch der Richter gewechselt. Gleichzeitig entwickelt sich das Verfahren zum Großprozess: Jains Team bekommt immer mehr Unterstützung. Eine Gruppe Studierender hat erklärt, dass sie vor allem seit dem Beginn der Pandemie ohne Sci-Hub praktisch nicht mehr studieren könnten, da es unmöglich geworden sei, Bibliotheken physisch zu besuchen. Eine andere Gruppe besteht aus hochrangigen indischen Forscherinnen und Forschern. Sie warnen in einem Schreiben ans Gericht: »Ohne Sci-Hub bräche die Forschung in Indien zusammen.«
Der Fall schlägt Wellen weit über Indien hinaus. Unterstützung aus der ganzen Welt sammelt sich. Der US-Nobelpreisträger Randy Schekman hat gegenüber [dem Medium] angekündigt, sich Elbakyans Seite anzuschließen. Fragt man allerdings den weltweit führenden Juristen für Internetrecht, den Harvard-Professor Lawrence Lessig, äußert sich dieser skeptisch, wie entscheidend der Prozess tatsächlich wird. Ein solches Verfahren könne in Indien leicht zehn Jahre dauern.
Je länger sich Elbakyan an die Vereinbarung hält, keine neuen Papers hochzuladen, desto größer wird ihr Rückstand gegenüber den herkömmlichen Wissenschaftsdatenbanken. Pro Jahr werden gut vier Millionen neue Forschungsartikel publiziert. »Wenn es zu lange geht«, sagt sie, »werde ich wieder anfangen hochzuladen.« Aber die Pause habe etwas Gutes: »Ich habe viel freie Zeit.« Etwa um sich zu überlegen, wie es weitergehen soll. So viel hat sie schon erreicht: Sie hat eine Webseite aufgebaut, die heute 500 Millionen Downloads pro Jahr bedient. Sci-Hub ist mittlerweile umfassender als die beiden etabliertesten kommerziellen Wissenschaftsdatenbanken der Welt, so dämmt Elbakyan die Marktmacht der Großverlage ein.
Und gerade in den USA und gerade unter Donald Trump erfuhr Elbakyans Ansatz die größte Bestätigung. Auf Druck zahlreicher Forscherinnen und Forscher forderte das Weiße Haus im Jahr 2020, Tausende Studien mit Corona-Bezug frei zugänglich zu machen. In der gewaltigen Krise war es wichtiger, dass Wissen frei zirkuliert, als dass Verlage an ihm verdienen. Das Ergebnis: Nie zuvor wurde derart über Forschung und Studien diskutiert, auch von Laien. Trotz aller Berichte über Schwurbler und Querdenker: Das Vertrauen in die Wissenschaft ist in den vergangenen beiden Jahren insgesamt messbar gestiegen.
Auf eine Art hat Alexandra Elbakyan gewonnen. Auf eine andere verloren. Die Papers sind in der Welt. Die Wissenschaft ist dank ihr um ein großes Stück unabhängiger. Aber sie selbst hat sich überflüssig gemacht. Im Internet finden sich zahlreiche Projekte, die Sci-Hubs Datensätze kopieren und bereitstellen. Der Systemwandel ist unaufhaltsam, aber was ist mit ihr? Wie fühlt es sich an, zehn Jahre ihres Lebens einer Sache zu widmen, die in ihren Augen ein Dienst an der Öffentlichkeit ist, und dafür so viel Ärger zu bekommen?
»Ich habe in meinem ganzen Leben keine Auszeichnung und keinen Preis bekommen«, sagt Elbakyan. »Ich hätte gerne mal einen Preis. Der Nobelpreis wäre nicht schlecht.«
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Der Artikel wurde im Auftrag von "Das Magazin" geschrieben und vom SZ Magazin am 11. März 2022 nachgedruckt.