Familie Porsche/Piëch prüft Teilverkauf ihrer VW-Beteiligung - um das Geld in Porsche zu stecken
von Arno Schütze, Sönke Iwersen und Martin Murphy
Handelsblatt vom 07.12.2021
Frustriert von der Blockade durch Land und Betriebsrat sowie das Verhalten von Konzernchef Diess will die Eigentümerfamilie Porsche/Piëch ihre Anteile an VW reduzieren, um Porsche zu übernehmen. Das Projekt sei hochemotional für Wolfgang Porsche, dessen Unternehmen 2009 von VW übernommen wurde.
Sie sehen hier den reinen Text in der anonymisierten Form für die Jury. Bilder, Layout oder multimediale Umsetzung sind beim Deutschen Journalistenpreis kein Bewertungskriterium. Allein das Wort zählt.
Familie Porsche/Piëch prüft Teilverkauf ihrer VW-Beteiligung – um das Geld in Porsche zu stecken
Bei Volkswagen bahnt sich ein großer Umbau der Konzern- und Aktionärsstruktur an. VW bereitet den Börsengang der Sportwagentochter Porsche vor, heißt es aus Unternehmenskreisen. Mit den Einnahmen will VW die Digitalisierung und die Transformation in Richtung Elektromobilität finanzieren.
Ein Käufer steht bereit: die Eigentümerfamilie Piëch/Porsche. Die VW-Großaktionäre erwägen den Kauf eines nennenswerten Aktienpakets an der Porsche AG über die Porsche Automobil Holding SE. Hier hält der Clan heute die Mehrheit an der Volkswagen AG. Um den Deal zu finanzieren, prüft die Familie den Verkauf von Teilen ihrer VW-Beteiligung.
Nach Informationen [des Mediums] aus dem Umfeld des Konzerns und aus den Reihen der Eigentümerfamilie sind die Pläne in der Ausarbeitung. Mehrere Banken und Berater sind bereits aktiv, offizielle Mandate gebe es aber noch nicht. Denkbar sei, dass die Familie auch die Mehrheit an VW abgebe, aber größter Aktionär bleibe, heißt es in Konzernkreisen.
So könnten bis zu 15 Milliarden Euro eingenommen werden, ohne die faktische Kontrolle bei VW aus der Hand zu geben. Noch sei keine Entscheidung gefallen. VW wie auch ein Sprecher der Familie lehnten einen Kommentar ab. VW-Aktien legten in Reaktion am Dienstag mehr als acht Prozent zu.
2009 hätte Porsche beinahe Volkswagen übernommen, doch der damalige Vorstand hatte sich bei der Übernahme verzockt. Porsche verlor seine Eigenständigkeit. Heute gehört das Unternehmen zu Volkswagen. An dem Gesamtkonzern hält die Familie Piëch und Porsche direkt und indirekt 53,3 Prozent der Stimmrechte. So soll es nicht bleiben.
Eigentümerfamilie will größter VW-Einzelaktionär bleiben
Ein halbes Dutzend Quellen aus den Unternehmen Porsche und Volkswagen, aus dem Umfeld der Familie und aus dem Finanzmarkt bestätigten [dem Medium]: Die Eigentümerfamilie ist bereit, ihre Anteile am Volkswagen-Konzern zu reduzieren. Je nach Planspiel geht es um mal einige Prozentpunkte, mal um wesentlich größere Verkaufspakete.
Nur eine Grenze ist gesetzt: Die Nachfahren wollen größter Einzelaktionär bleiben. Vor dem Land Niedersachsen und vor dem arabischen Emirat Katar. Diese halten 11,8 und 14,6 Prozent der Volkswagen-Anteile.
Die Familie sieht sich bei VW blockiert. Obwohl sie über die absolute Mehrheit der Stimmrechte verfügt, kann sie nicht durchregieren. Im Aufsichtsrat sitzen den vier Abgesandten der Familie zehn Arbeitnehmervertreter und zwei Repräsentanten des Landes Niedersachsen gegenüber. Gegen die Interessen von Land und Betriebsrat läuft bei VW nicht viel.
Die Erben von Ferdinand Porsche schickten Wolfgang Porsche, Hans Michel Piëch, Ferdinand Oliver Porsche und Louise Kiesling in den Aufsichtsrat. Die drei Männer, so berichten Insider, seien oft frustriert von den Machtverhältnissen in Wolfsburg. Die notwendige Transformation des Konzerns werde zu oft verzögert.
Im September eskalierte die Situation. Volkswagen-Chef Herbert Diess erklärte im Aufsichtsrat, was die Eigentümerfamilie seit Langem fürchtet: Der Wandel von Volkswagen laufe nicht schnell genug. Das Unternehmen produziere zu langsam und zu teuer. Der US-Konkurrent Tesla sei besser und vergrößere seinen Vorsprung mit dem Bau einer neuen Fabrik in Berlin-Grünheide gerade. Volkswagen müsse möglicherweise 35.000 Arbeitsplätze im Stammwerk Wolfsburg einsparen.
Hätte Diess den letzten Satz nicht gesagt, wären ihm die Familienvertreter vermutlich zur Seite gesprungen. Aber die Härte, mit der Diess seine Abbaupläne vorstellte, überraschte und erschreckte auch die Nachfahren von Ferdinand Porsche. So ginge es nicht, rügten sie in der Aufsichtsratssitzung am 24. September. Diess schaffe damit mehr Probleme, als er löse.
Tatsächlich stand Diess noch vor Ende der Aufsichtsratssitzung vor einem ganz erheblichen Problem: Er verlor beinahe seinen Job. Der Betriebsrat entzog ihm das Vertrauen, Niedersachsens Ministerpräsident und VW-Aufsichtsrat Stephan Weil nannte sein Verhalten stillos. Der Aufsichtsrat berief einen Vermittlungsausschuss, der nur eine Aufgabe hatte: das Abwägen der Gründe für und wider einen Rauswurf von Diess.
Treue zu Diess ist vor allem geschäftlich motiviert
Es wurde knapp. Die Arbeitnehmerseite und das Land Niedersachsen sprachen sich gegen Diess aus, die Familie war in dem vierköpfigen Gremium gar nicht vertreten. Trotzdem, so berichten Insider, hätten sie Diess gerettet. „Beinhart“ sei die Familie auf ihrem Standpunkt geblieben, Diess müsse bleiben, sagte ein Aufsichtsrat [dem Medium]. Nach fast dreimonatigen Debatten in Hinterzimmern und an Telefonen sei klar gewesen: Ein Ende des Vorstandsvorsitzenden gegen den Willen des Mehrheitsaktionärs hätte noch mehr Probleme geschaffen, als man ohnehin schon hat.
VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo spricht im Interview über die Fehler von Konzernchef Diess und den möglichen Stellenabbau.
Die Treue der Familie zu Diess ist vor allem geschäftlich motiviert. Sie hatte schon beim Vorgänger von Diess mitansehen müssen, wie aus ihrer Sicht der Schwanz mit dem Hund wedelte. Matthias Müller wurde 2018 auf Druck des Betriebsrats gekippt. Die Nachfahren von Ferdinand Porsche wollten sich nicht schon wieder diktieren lassen, wer an der Spitze ihres Unternehmens steht, hatten sie sich doch erst im Juli 2021 für eine Vertragsverlängerung für Diess bis 2025 starkgemacht.
Ein vorzeitiger Abgang von Diess passt auch nicht in die größeren Pläne der Familie Piëch und Porsche. Wenn sie wirklich per Börsengang von Porsche die Macht über die Keimzelle ihrer Dynastie zurückgewinnen will, braucht sie viel Geld. Geld, das sie mit dem Verkauf von Volkswagen-Aktien erlösen könnte. Doch wie viel wäre eine VW-Aktie wert, wenn das Unternehmen schon wieder den Vorstandschef entlässt?
15 Prozent weniger als jetzt, so schätzte ein Aufsichtsrat laut Beteiligten auf der Sitzung im September. Es war eine Zahl, bei der auch Superreiche schlucken müssen. Sollte sie sich bewahrheiten, würde der Abschied von Diess die Eigentümerfamilie vier Milliarden Euro kosten. So viel war ihr der Ärger über dessen schlechte Manieren nicht wert.
Eine Entscheidung für einen Börsengang der Porsche AG ist noch nicht gefallen. Es werde intensiv an dem Thema gearbeitet, berichteten mehrere mit den Vorgängen vertraute Personen aus dem Konzern. Intern sei das Projekt „Phönix“ getauft worden. Mit dem Erlös könnte Volkswagen die Entwicklung neuer E-Modelle und digitaler Software-Plattformen finanzieren.
Die Investmentbank Stifel taxiert die Porsche AG auf rund 45 Milliarden Euro. Laut Finanzkreisen könnte Volkswagen bis zu 49 Prozent der Tochter an die Börse bringen. Laut internen Planungen würde der Konzern die Mehrheit behalten. Die Eigentümerfamilie könnte mit ihrer Porsche Automobil Holding SE ein Vorkaufsrecht erhalten. Über die doppelte Beteiligung an Porsche und Volkswagen würde sie im Ergebnis ihre Macht beim Sportwagenhersteller deutlich ausbauen.
Projekt Phönix beinhaltet finanzielle und juristische Herausforderungen
Es ist ein Plan, den die Familie nicht aus laufenden Mitteln finanzieren könnte. Die Familienholding ist zwar liquide, verfügt aber nicht über die Milliarden, die für so ein Projekt nötig wären. Die Planspiele in Wolfsburg, Stuttgart und Salzburg schließen deshalb ein, dass die Porsche-Erben einen nennenswerten Anteil ihrer Volkswagen-Aktien verkaufen und Kredite aufnehmen, die sie aus ihren Dividenden von Porsche und Volkswagen finanzieren könnten.
Laut Finanzkreisen werden verschiedene Optionen diskutiert. Denkbar ist demnach auch eine Kooperation mit einem Finanzinvestor. Diese könnten ohne Schwierigkeiten einen zweistelligen Milliardenbetrag zur Finanzierung beisteuern, wie es hieß. Die Familie wie auch Volkswagen lehnten einen Kommentar zu den Überlegungen ab.
Das Projekt Phönix stellt die Beteiligten nicht nur vor finanzielle, sondern auch juristische Herausforderungen. Volkswagen und die Tochter Porsche sind eng miteinander verflochten. VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch und der designierte VW-Rechtsvorstand Manfred Döss arbeiten im Vorstand der Porsche SE. Wolfgang Porsche, Hans Michel Piëch und Ferdinand Oliver Porsche sind in den Aufsichtsräten beider Unternehmen vertreten.
Würde der Plan umgesetzt, säßen mehrere Personen auf beiden Seiten des Verhandlungstisches – sowohl als Vertreter des Käufers als auch des Verkäufers eines Aktienpakets. Mit den Richtlinien für eine saubere Unternehmensführung wäre diese Doppelfunktion schwer vereinbar. Laut Konzernkreisen haben die Gesellschafterfamilien externe Juristen eingeschaltet, um mögliche Zweifel an dem Projekt im Vorfeld auszuräumen.
Ob die Pläne umgesetzt werden, ist nach Ansicht von Beteiligten vor allem eine Frage des Willens. Sie bezeichnen das Projekt als hochemotional, vor allem für Wolfgang Porsche. Der Enkel von Ferdinand Porsche habe bis heute nicht wirklich verwunden, dass die Familie 2009 um Haaresbreite das Erbe verspielt hatte.
Wolfgang Porsche verlor in dieser Episode einen seiner engsten Vertrauten: Wendelin Wiedeking. Der Ex-Porsche-Chef arbeitete schon nach seiner Dissertation als Vorstandsreferent bei Porsche und übernahm 1992 im verhältnismäßig jugendhaften Alter von 40 Jahren die Führung eines schlingernden Unternehmens. Porsche schrieb rote Zahlen und bereitete den Eigentümern nur Kummer. An der Börse war das Unternehmen 300 Millionen Euro wert.
15 Jahre später waren es 25 Milliarden Euro. Wiedeking versuchte die Revolution und begann, heimlich Volkswagen-Aktien zu kaufen. 2009 fehlte nur wenig, um das Husarenstück zu vollenden: die Übernahme der Volkswagen AG.
Familienikone soll heimgeholt werden
Als die Finanzkrise ausbrach, fiel der Plan in sich zusammen. Der Umsatz von Porsche sank, die weitgehend per Kredit gekauften Volkswagen-Aktien wurden Wiedeking zum Verhängnis. Komplizierte und waghalsige Finanzierungsstrukturen taten ihr Übriges, am Ende büßte Wiedeking nicht nur seinen Job ein, sondern ganz Porsche seine Unabhängigkeit.
Porsche übernahm nicht Volkswagen, sondern Volkswagen Porsche. Die Eigentümerfamilien wurden im Gegenzug zwar größter Aktionär des Konzerns, aber viele Nachfolger des Automobil-Pioniers Ferdinand Porsche empfinden den Platz von Porsche in der zweiten Reihe bis heute als Schmach.
Wolfgang Porsche nahm es am härtesten. Dem Porsche-Erben stockte die Stimme, als er im Juli 2009 bei einer Betriebsratsversammlung sprach. Am Morgen hatte Wiedeking seinen Rücktritt verkündet, jetzt stand Porsche vor der Belegschaft und sagte: „Der Mythos Porsche lebt und wird nie untergehen.“ Dann rollten Tränen über seine Wangen.
Es gibt keinen klangvolleren Namen in der internationalen Autogeschichte. Der Ingenieur Ferdinand Porsche machte sich im Dezember 1930 mit einem Konstruktionsbüro in Stuttgart selbstständig. 1931 ließ er seine Firma als Dr. Ing. h.c. F. Porsche GmbH ins Register für Gesellschaftsfirmen eintragen. 80 Prozent des Unternehmens gehörten ihm, zehn Prozent dem Kaufmann und Rennfahrer Adolf Rosenberger, die übrigen zehn Prozent seinem Schwiegersohn Anton Piëch – dem Vater von Ferdinand Piëch, dem späteren Patron von Volkswagen.
In der NS-Zeit entwarf Porsche im Auftrag von Adolf Hitler ein Auto für die breite Schicht der Bevölkerung. Die Volkswagenwerk GmbH entstand, Porsche wurde Hauptgeschäftsführer. Nach dem Krieg kam das Unternehmen unter Kontrolle der britischen Militärregierung, 1949 übernahm das Land Niedersachsen als Treuhänderin. 1960 wurde Volkswagen teilprivatisiert. 2005 kaufte Porsche für mehr als drei Milliarden Euro 20 Prozent der Anteile.
Nun arbeitet Wolfgang Porsche an der Zementierung des Mythos. Im Mai wurde er 78 Jahre alt. Seine verbleibende Zeit im Aufsichtsrat will er nutzen, um die Familienikone Porsche heimzuholen.