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Eine Bankerin sieht grün

von Jens Tönnesmann und Heike Buchter
Die Zeit vom 23.09.2021

Desiree Fixler, frühere ESG-Managerin bei der DWS, wirft ihrem ehemaligen Arbeitgeber Greenwashing bei Fondsdaten vor. Der Artikel ist ein Portrait der Whistleblowerin, die mit ihrer Anklage die Nachhaltigkeitsbestrebungen der ganzen Branche in Frage stellt.

Sie sehen hier den reinen Text in der anonymisierten Form für die Jury. Bilder, Layout oder multimediale Umsetzung sind beim Deutschen Journalistenpreis kein Bewertungskriterium. Allein das Wort zählt.

Eine Bankerin sieht grün

Bardonia, eine kleine Stadt nördlich von New York. Eigentlich hätte das Treffen mit Desiree Fixler hier in einem Café stattfinden sollen. Doch dann bittet die derzeit bekannteste Whistleblowerin der Finanzwelt ins Haus ihrer Eltern. Ihre Mutter muss mit dem Hund zum Tierarzt, niemand kann auf die Kinder aufpassen. Und so steht Fixler an diesem Septembertag in Jeans und Polohemd in der Küche, wo sie für Sohn und Tochter »Mac and Cheese« zubereitet, Makkaroni mit Käse. Gleichzeitig versucht sie, Bella zu bändigen, den anderen Hund, der zwischen den Kindern herumwirbelt.

Immer wieder entschuldigt sich Fixler für das Durcheinander. Es ist derzeit nicht das einzige in ihrem Leben.

Vor sechs Monaten war die 49-jährige Amerikanerin noch bei der DWS, einem der größten deutschen Vermögensverwalter, für nachhaltige Geldanlage zuständig. Im März wurde sie fristlos entlassen. Seit Anfang August wirft sie ihrem Ex-Arbeitgeber öffentlich Greenwashing vor: Die DWS, die zu großen Teilen der Deutschen Bank gehört, investiere längst nicht so grün, sozial und ethisch, wie sie es gegenüber ihren Kunden suggeriere. An der Börse hat die DWS seitdem etwa eine Milliarde Euro an Wert verloren.

Die DWS ihrerseits weist die Vorwürfe regelmäßig »entschieden« zurück und verspricht, sich auch »weiterhin konsequent für nachhaltige Geldanlage« einzusetzen. Gern würde man von dem Unternehmen wissen, welche Vorwürfe Fixlers im Detail stimmen. Doch der Finanzkonzern bleibt dazu sehr verschlossen. [Medium] hat der DWS erst ein Gespräch angeboten und dann auf Wunsch eine Liste mit vielen Fragen geschickt, die meisten blieben unbeantwortet. »Zu Fragen im Zusammenhang mit Rechtsstreitigkeiten oder regulatorischen Angelegenheiten« äußere man sich nicht, teilte eine Sprecherin mit. Aber der Konzern räumte ein, »dass der Weg in eine nachhaltige Zukunft lang und herausfordernd ist; für die gesamte Branche und auch für die DWS«.

Auf der einen Seite dieses Dramas steht also eine Kritikerin, die ihre Vorwürfe offen ausbreitet, auf der anderen Seite ein Konzern, der vor allem schweigt. Womöglich werden erst die amerikanische Börsenaufsicht, das amerikanische Justizministerium und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht für Aufklärung sorgen. Sie alle prüfen die Vorwürfe derzeit. Derweil lohnt es sich, Desiree Fixler näher kennenzulernen und wenigstens eine Seite der Geschichte zu hören. Denn mit ihrer Kritik hat diese Frau etwas Erstaunliches geschafft. Als einzelner Mensch hat sie die Erzählung des Segens der nachhaltigen Geldanlage in Zweifel gezogen – und damit die Finanzwelt erschüttert.

Nun steht Desiree Fixler in ihrem chaotischen Alltag persönlich Rede und Antwort. »Praktisch über Nacht finde ich mich mit meinen Kindern ohne Job und ohne eigene Wohnung wieder«, sagt sie. Ein Teil ihres Hab und Guts lagert noch in Frankfurt am Main, wo sie zuletzt für die DWS gearbeitet hat. Nach ihrem Rauswurf ist sie erst einmal bei ihren Eltern untergekommen, in einem Haus im amerikanischen Kolonialstil mit frisch gemähtem Rasen und einer Flagge.

Das Gespräch mit ihr ist ein Streifzug durch die jüngere Finanzgeschichte. Sie zitiert den früheren Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen. Sie kennt die Koryphäen der Wall Street und die Strippenzieher im Hintergrund. Hier spricht keine idealistische Umweltaktivistin, die mal in die Finanzwelt schaute und abgeschreckt das Weite suchte. Hier spricht eine Vollblut-Bankerin. Eine, die genau weiß, was gespielt wird und welche Feinde sie sich macht.

Im Sommer 2020 sah es noch so aus, als würden Fixler und die DWS perfekt zueinander passen. Da war eine Frau, die sich mit Aktienfonds ebenso auskannte wie mit Kreditverbriefungen und sich auch schon mit nachhaltigen Investments beschäftigt hatte. Da war ein Vermögensverwalter, der sich im harten Wettbewerb um das Geld von Anlegern mit einer angesagten Idee profilieren wollte: ESG-Fonds. Die Abkürzung steht für Environmental, Social und Governance. Nach ESG-Grundsätzen verwaltete Fonds investieren also in Firmen, die umweltbewusst, sozial gerecht und ethisch geführt werden. Weltweit fließen täglich zwei Milliarden Dollar in derartige Finanzprodukte, hat das Analysehaus Morningstar ausgerechnet. Ein attraktives Geschäft.

Fixler fing also bei der DWS an. Doch gleich in den ersten Wochen kamen ihr Zweifel.

Sie sitzt auf der Couch im Wohnzimmer ihrer Eltern. Während sie berichtet, klingt sie wie eine Freundin, die einem den Ärger im Büro anvertraut. Sie spricht frei, ohne Unterlagen. Sie kann mit Zahlen und Fachbegriffen umgehen. Man merkt: Sie ist es gewohnt zu präsentieren.

Fixler erzählt von der sogenannten ESG Engine. Diese Maschine ist das Herzstück der nachhaltigen Anlagestrategie der DWS und der Kern von Fixlers Kritik. Der DWS zufolge handelt es sich dabei um eine Software, die mit Daten führender Analysefirmen gefüttert wird und den Fondsmanagern so bei der Auswahl von Aktien helfen soll. Dazu beurteile sie »Risiken in Verbindung mit dem Klimawandel und aus Verstößen gegen internationale Normen«, so erklärt es die DWS. Wenn Unternehmen dabei mit der Note »F«, also schlecht bewertet würden, könnten die Portfoliomanager der DWS diese immer noch auswählen, um in sie zu investieren. Ein Komitee müsse die Investition dann aber genehmigen. Kurz gesagt: Die Engine soll dafür sorgen, dass die Investitionen der DWS nicht nur Rendite bringen, sondern dass auch Nachhaltigkeit eine Rolle spielt.

Schnell sei ihr bei der Maschine etwas seltsam vorgekommen, sagt Fixler. DWS-Fonds, die eigentlich ESG-Kriterien berücksichtigen sollen, hätten beispielsweise in Unternehmen investieren können, die Geschäfte mit Kohle machen. Die Bewertungssysteme der DWS hätten nur einen kleinen Teil solcher Investments mit negativer Klimawirkung erkannt. Einen konkreten Fonds benennt sie nicht, aber auch die DWS widerspricht dem nicht.

Fixler klappt ihren Laptop auf und findet mit ein paar Klicks Videos, in denen die DWS mit ihrer ESG Engine wirbt. Im November 2020 hat sie nach eigener Darstellung dem Vorstand eine Präsentation vorgelegt. Ihre Kritikpunkte. Ihren Aktionsplan. Die Maschine, so habe Fixler damals gefordert, müsse dringend überholt werden. Sonst drohe Stress mit den Kunden und den Behörden.

Und dann ruft Fixler den öffentlichen Jahresbericht der DWS auf, der den Eindruck erweckt, das Unternehmen sei bei seinen Bemühungen um Nachhaltigkeit weit fortgeschritten; man sei ein »stolzer Wegbereiter des verantwortungsvollen Investierens«, heißt es ganz vorn. Fixler scrollt durch das Dokument bis zu der Tabelle, auf die es ihr ankommt. 459 Milliarden Euro habe die DWS Ende 2020 in »Portfolien mit ESG-Integrationsansatz« angelegt, heißt es dort. Das wären über die Hälfte der Kundenanlagen.

Intern liest sich die Sache anders. Im Februar 2021 hat der Chef der ESG-Sparte der DWS eine E-Mail an eine Arbeitsgruppe verschickt, zu der offenbar auch Vorstände zählen. Aus ihr zitierte [anderes Medium] schon im August. Der Vermögensverwalter sei mit seinen Nachhaltigkeitsanstrengungen »spät dran« und müsse den Veränderungsprozess beginnen, steht dort. Das klingt alles andere als fortgeschritten. Hat Fixler die Mail auch bekommen? Sie hat. Und für sie war es ein weiterer Beleg, dass sie bei der DWS nicht allein war mit ihrer Feststellung der Defizite. Sie klagt an: Allen Mitgliedern der ESG-Arbeitsgruppe, auch dem Vorstand, sei bewusst gewesen, dass die Angaben im Jahresbericht zur Nachhaltigkeit übertrieben waren.

Auch zu diesem Vorwurf nimmt die DWS auf [Medium]-Anfrage nicht explizit Stellung. Sie weist aber darauf hin, dass es unterschiedliche Klassifizierungen ihrer Fonds gibt. Da seien zum einen Fonds, die einen dezidierten Ansatz verfolgen und verpflichtend nach ESG-Kriterien gemanagt würden. Sie sind quasi die Fonds, die durch und durch nachhaltig sind, auf sie zielt Fixler mit ihrer Kritik aber auch nicht.

Und dann gebe es ebenjene Fonds, die auf »ESG Integration« setzen. Dabei richte man sich nach Branchenstandards, was bedeute, dass Portfoliomanager Umweltkriterien, soziale Kriterien und die Unternehmensführung »systematisch und explizit« in ihre finanzielle Analyse einbeziehen.

Genau das zweifelt Fixler an: Die Software der DWS produziere schlechte Daten und Bewertungen, weshalb viele Fondsmanager sie schlichtweg ignorieren würden. Ob Fixler recht hat, lässt sich mithilfe der DWS nicht klären. Auf die Frage, welcher Anteil ihrer Fondsmanager diese Daten berücksichtige, antwortet das Unternehmen nicht.

Fixler schildert ihre Vorwürfe sehr kontrolliert. Sie verliert erst die Fassung, als sie erzählt, wie sie bei einem Treffen mit dem Vorstand im Februar auf umgehende Reformen gedrängt habe. Kurz danach sei ihr gekündigt worden. Brief an ihre Frankfurter Adresse, fristlos, ohne Gespräch, ohne Vorwarnung und aus ihrer Sicht nach Ablauf der Probezeit. Ob es einen Zusammenhang zu ihrer Kritik gibt, dazu äußert sich die DWS auf Anfrage [des Mediums] nicht. Es gibt eine Auseinandersetzung beider Seiten vor Gericht.

Was sich aber dokumentieren lässt, ist, dass die Nachrichtenagentur [Name] im März von Fixlers Entlassung erfuhr. In einer Meldung hieß es, sie habe gehen müssen, weil sie die Nachhaltigkeitsagenda bei der DWS nicht hartnäckig genug vorangetrieben habe. Die Geschasste glaubt, dass die DWS die Meldung lanciert habe: »Nicht nur, dass sie, wie ich glaube, nach draußen falsche Angaben zu ihren ESG-Fortschritten machen, während sie intern um die Defizite wissen – sie versuchten auch noch, meinen Ruf zu schädigen«, sagt sie. Die DWS wollte das gegenüber [dem Medium] nicht kommentieren.

Wie Fixler im Schneidersitz auf der Couch sitzt, die Haare locker hochgesteckt, den Laptop auf dem Schoß, wirkt sie fast wie eine Studentin. Doch man sollte sich nicht täuschen. Analytisch und strukturiert sei sie, knallhart in der Sache, sagt eine ehemalige Kollegin, die anonym bleiben möchte: »Wenn die DWS-Manager einen gefühligen tree hugger erwartet haben, dann haben sie sich schwer getäuscht.« Dass es nicht Fixlers Ding ist, Bäume zu umarmen, zeigt ihr Lebenslauf. Ihre Karriere hat sie in den 1990er-Jahren bei der Wall-Street-Bank Merrill Lynch in Frankfurt begonnen. Nur wenige Frauen wagten sich damals in die Handelsräume. 1996 wechselte sie zur Deutschen Bank, drei Jahre später nach New York zu JPMorgan Chase.

2005 nahm ihre Karriere eine Wendung. Ein Freund habe ihr das Buch »Banker der Armen« des Friedensnobelpreisträgers Muhammad Yunus in die Hand gedrückt, sagt Fixler. Yunus gilt als Pionier der Mikrofinanzbewegung, die Mittellosen kleine Darlehen gewährt, mit denen sie Geschäfte eröffnen und sich einen Weg aus der Armut bahnen können. Unternehmen wie BlueOrchard aus der Schweiz bündeln solche Kleinkredite und reichen sie weiter an Großinvestoren. So können etwa Pensionskassen das Geld ihrer Kunden nicht nur gewinnbringend, sondern auch sinnstiftend anlegen. Unmittelbar nach der Lektüre des Buches habe sie den Chef von BlueOrchard angerufen, erzählt Fixler. Der habe sie eingestellt. »Ich konnte mein Wall-Street-Wissen einbringen und dabei noch etwas Gutes bewirken«, sagt sie, »ich habe es geliebt!«

Spricht man heute mit Fixlers früheren Geschäftspartnern, wollen die nicht namentlich zitiert werden. Sie sei eine versierte Bankerin, die wisse, wie man komplexe Finanzprodukte strukturiere, heißt es. Sie sei aber keine Überzeugungstäterin, wenn es um nachhaltige Geldanlage gehe. Sie selbst sagt, man könne darüber streiten, was der Begriff bedeute. Aber darum gehe es nicht. »Es geht darum, ob die DWS sich an ihre eigenen Kriterien gehalten hat, zu denen sie sich öffentlich bekannt hat.«

In ihrem Elternhaus trägt Fixler an diesem Tag mit Brillanten besetzte Ohrringe. Sie passen nicht zu Kleinkrediten für Mittellose oder grünen Investments. Zur Familiengeschichte passen sie schon. Denn in Bardonia führt ihr Vater ein Juweliergeschäft in dritter Generation. Desiree Fixler eröffnete selbst 2013 in London »Lulu’s Estate Jewellery«. Einen Club, dessen Mitglieder umgerechnet bis zu 6000 Euro im Jahr dafür zahlten, dass sie sich Schmuck aus Lulus Tresoren leihen durften. Die Daily Mail schrieb über die »glitzernde VIP-Party« zur Eröffnung. In einem der angesagtesten Nachtclubs der City sei Pommery-Champagner geflossen, dazu habe es Kaviar gegeben. Dem britischen Firmenregister zufolge wurde Lulu’s ein Jahr später wieder aufgelöst.

Fixlers Lebensstil habe nie so recht zu der Szene gepasst, bemerkt eine ESG-Expertin, die Fixler kennt. Das sei aber kein Problem, findet Robert Eccles, ein Dozent an der Uni Oxford und Experte für Nachhaltigkeitsstandards: »Wir brauchen mehr Mainstream-Finanzprofis wie Desiree, sonst werden wir keine Großinvestoren zu einer angemessenen ESG-Integration bekommen, und es wird nie gelingen, Nachhaltigkeit zum Kern der Geldanlage zu machen.«

Desiree Fixler ist immer Bankerin geblieben. Sie weiß, dass es teuer werden kann, wenn man Fonds verkauft, die etwas anderes enthalten, als draufsteht. Und ihren Ruf will sie retten, das sagt sie ganz offen.

Fixler wandte sich deshalb im August mit ihrer Geschichte an [anderes Medium]. Scary, beängstigend, sei das gewesen. Whistleblower sind in keiner Branche beliebt. Aber noch viel weniger habe sie den Vorwurf, schlechte Arbeit gemacht zu haben, auf sich sitzen lassen können. Seitdem wollen alle etwas von ihr: die Behörden, die Medien. »Ich bin inzwischen fast ständig am Telefon oder in einer Zoom-Konferenz«, sagt sie. Längst geht es um mehr als ihren Rauswurf. Es geht um die Frage, wie grün die Finanzbranche tatsächlich ist.

Was aus ihr wird, wenn der Skandal aufgearbeitet ist? Vor ein paar Wochen habe sie sich noch gesorgt, erzählt sie. Jetzt sieht sie als weltbekannte Nachhaltigkeits-Mahnerin neue Chancen. Erste Jobangebote von Fondsbetreibern will sie schon erhalten haben.