Die Stadt bin ich
von Simon Book, Tim Bartz, Kristina Gnirke, Martin Hesse, Ansgar Siemens und Gerald Traufetter
Der Spiegel vom 05.02.2022
Analyse der Geschäftspraxis des Luxus-Handelsimmobilien-Moguls René Benko: Sie besteht unter anderem aus der Erpressung klammer deutscher Kommunen und einer intransparenten Firmenstruktur, die durch bekannte Investoren, prestigeträchtige Adressen und den boomenden Immobilienmarkt vergoldet wird. Recherche und interne Informanten weisen auf Steuervermeidung, Geldwäsche und Korruption hin, auch der Realitätsbezug der hochfliegenden Geschäftsideen wird überprüft.
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Die Stadt bin ich
Wenn René Benko seinen eigenen, unglaublichen Erfolg erklären will, führt er durch das Park-Hyatt-Hotel in Wien. 1915 errichtet, zuletzt als Bank genutzt und 100 Jahre später von Benko umgebaut zur Luxusherberge. Er ließ dafür die Wände des Tresorraums anheben, die Decke rausschneiden, den laut Signa größten Indoorpool eines Wiener Innenstadthotels mauern, mitsamt alter Tresortür. Die alten Stoffmuster für die Wandbespannung in den Zimmern ließ er eigens neu aufweben. Weil Teile der Marmorwände fehlten, sogar den Steinbruch ausforschen, aus dem einst das Originalmaterial für die ehemalige Schalterhalle gebrochen wurde – heute ziert der edle Stein das prachtvolle Lokal des Hauses. Gold, Glanz und Gloria. So wie Benko es liebt.
Eine Straßenecke weiter zeigt sich, welche Millimeterarbeit nötig ist, um solchen Prunk zu finanzieren. Die Luxus-Shoppingmeile Tuchlauben im Goldenen Quartier. Benko weist auf die Holzverkleidung eines Schaufensters hin. Sie ragt ein kleines Stück auf den öffentlichen Grund heraus. Es sind exakt 40 Zentimeter, die Benko der Stadt abgetrotzt hat. »40 Zentimeter mehr Schaufenstertiefe mal 100 Meter sind 40 Quadratmeter. Mal 300 Euro Miete sind das 12000 Euro im Monat, fast 150000 im Jahr.« Benko spult die Zahlen nur so ab. Noch ein paar Prozent Rendite, noch einige Millionen Mehrwert in den Büchern. Und das alles aus 40 Zentimetern. »Wir kämpfen immer um jeden Millimeter.«
Vorn glänzen, hinten feilschen. Mit dieser Masche hat sich der Schulabbrecher in 20 Jahren ein imposantes Immobilienreich aufgebaut, 24,7 Milliarden Euro schwer mit Großprojekten in halb Europa und inzwischen sogar in den USA.
Mit geliehenem Geld unterschätzte Immobilien und Grundstücke in Toplagen kaufen, dann umbauen, abreißen, neu errichten, schließlich zu Höchstpreisen vermieten oder abstoßen – so geht das Geschäft des 44-Jährigen. Logistikmilliardär Klaus-Michael Kühne, Strabag-Baulöwe Hans Peter Haselsteiner oder Autodynast Robert Peugeot – sie alle vertrauen ihm ihr Geld an.
Auch Benko selbst taucht seit Jahren in den globalen Reichstenlisten auf, das [anderes Medium] beschreibt ihn als Kopf hinter einem europäischen »property empire«. Kein Jahr vergeht, in dem Benko nicht wenigstens einen spektakulären Deal verkündet. Wo er zuschlägt, so sein Versprechen, da wird es größer, luxuriöser, einzigartiger – und am Ende profitabler als irgendwo sonst.
Das alles verläuft indes nicht ganz ohne Reibung. Immer wieder gibt es Bürgermeister, die Vorbehalte haben, Staatsanwälte, die Fragen stellen, und Investoren, denen Zweifel kommen, ob das Wachstumstempo, das Benko da vorlegt, wirklich gesund ist. Zumal Benkos Signa-Gruppe aus einem schier undurchdringbaren Geflecht von Hunderten Firmen und Unterfirmen besteht, solchen mit Mitarbeitern und solche nur mit Briefkasten. Wichtige Details über die Herkunft von Benkos Geldern werden so verschleiert. Monatelang hat [das Medium] recherchiert, hat Vertraute gesprochen, interne Dokumente gesichtet, Bankunterlagen studiert, am Ende Benko selbst für mehrere Stunden getroffen – und versucht, das Geflecht zu entwirren.
Entstanden ist das Bild eines Multimilliardärs, der einen fulminanten Aufstieg hingelegt hat, untergehakt von den Mächtigen des Landes, finanziert von den großen Banken und Versicherungen. Ein Nimmermüder, ein Arbeits- und Geltungssüchtiger, der die Immobilienhausse zu seinem Vorteil nutzt wie kein Zweiter, dabei möglichst wenig Steuern zahlt, ja sogar Staatsgelder kassiert. Stets am Limit, mitunter darüber hinaus. Ein genialer Verkäufer auch, bei dem einige die Frage stellen, wie lange eine solche Erfolgssträhne wohl halten kann?
Timo Herzberg ist der Mann, der sich um die schönen Fassaden in Benkos Gruppe kümmert. Er führt das Immobiliengeschäft. 75 Projekte hat er bis 2028 allein in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf dem Tisch. Fertigstellungswert: 26 Milliarden Euro. Immer in den besten Lagen, mit den berühmtesten Architekten, den feinsten Materialien, vermietet zu den teuersten Quadratmeterpreisen. Höher, schneller, weiter: in Düsseldorf, Wien, München, Hamburg, Zürich. 1,1 Milliarden Euro verdiente Signas Immobiliensparte vergangenes Jahr, so die neuesten Zahlen, die dem [Medium] vorliegen. Da gönnt sich Herzberg gern mal Arkaden, wo andere jeden Quadratmeter zupflastern, baut lieber in die Höhe. Limit? Der Himmel.
An einem kalten Novembernachmittag besteigt Herzberg einen schwarzen Mercedes-Van, lädt zur Property-Tour der Superlative durch Berlin. Die Hauptstadt ist Signas wichtigster Markt, hier liegen einige der Filetstücke der Gruppe. Von der Upper Westside geht es zum KaDeWe, zum neuen Zalando-Hauptquartier an der East Side Gallery, vorbei am Kaufhof Alexanderplatz, wo Benko mal wieder besonders hoch hinaus will. Ein 130-Meter-Turm soll auf das Kaufhaus gesetzt werden, die Miete sich »substanziell« erhöhen, der Gebäudewert allein dadurch »beträchtlich« steigen. Die Rede ist von mehr als einer halben Milliarde Euro – bei Baukosten von rund 200 Millionen.
Das bringe auch einen Mehrwert für die Stadt, sagt Herzberg, schwärmt von Poetry-Slams, Comedy und Erlebnisgastronomie im Haus, zugänglich auch nach Geschäftsschluss. Dazu ein öffentlicher Dachgarten, luxuriöse Apartments und Büros im Turm. Galeria am Alex werde »ein Weltstadthaus«. Signa betreibe »echte Quartiersentwicklung« für die Stadt. Herzberg lächelt herzlich.
In Düsseldorf kennt man auch Herzbergs andere Seite. Dort gehören Signa seit der Übernahme des Warenhauskonzerns Galeria ein Kaufhof samt Immobilie und der Karstadt direkt gegenüber, beide im Zentrum. Als Signas Kaufhausgruppe ins Schutzschirm-Insolvenzverfahren flüchtete, setzte man die zwei Häuser auf die Streichliste – der Kaufhof soll einem Hochhaus weichen. Herzberg ließ 80 Entwürfe vorlegen. Alle weit höher als der »städtische Traditionshorizont« von rund 100 Metern, manche gar doppelt so hoch.
Im Gegenzug, so erinnert man sich in Düsseldorf, habe Signa angeboten, den Karstadt samt Jobs zu erhalten. Verlockend. Aber Grenzhöhe ist Grenzhöhe. Selbst in der zweiten Runde pochte Signa auf ein Hochhaus. Eine Maximalhöhe, sagt Signa, sei nie definiert worden. Die diskutierten Vorschläge hätten eine große Bandbreite gehabt. Ein Gegengeschäft habe man weder angeboten, noch sei das rechtlich möglich gewesen. Gleichwohl habe man mit dem Besitzer eine Vertragsverlängerung um drei Jahre erreicht.
»Sanfte Aggressivität schlummerte in diesen Terminen«, heißt es dazu aus der Verwaltung. Herzberg sei »sehr freundlich, aber mit einer bedrohlichen Deutlichkeit« aufgetreten. Mittlerweile könnte es Signa in die Hände spielen, dass die Stadt einen Platz für ihr neues Opernhaus sucht – und der alte Kaufhof ideal dafür wäre.
Benko inszeniert sich gern als Retter des Warenhauses und der City. Tatsächlich ist er eine Macht in vielen Kommunen, weil er sich mit Galeria einige der Filetstücke in den Zentren gesichert hat. Dadurch sitzt er quasi bei jeder Stadtentwicklung automatisch mit am Tisch. Galeria sei für Benko »ein Faustpfand« gegenüber den Rathäusern, sagt ein ehemaliger Signa-Manager.
Noch ist nicht entschieden, ob er in Düsseldorf damit durchkommt. In Berlin hatte er Erfolg. 2020 ließ sich die Hauptstadt dazu hinreißen, einen Letter of Intent zu unterschreiben, in dem der damalige Bürgermeister Michael Müller (SPD) der Signa die »Umsetzung städtebaulicher Ziele« zusicherte, also de facto Baurecht für ihre Großprojekte am Hermannplatz, am Alex sowie am Kurfürstendamm. Dafür versprach Benko, die Arbeitsplätze an vier Standorten von Galeria mindestens zehn Jahre zu erhalten.
Nur: Ist das überhaupt möglich? Schließlich sind die Signa, die Betreibergesellschaft der Kaufhäuser und die Immobiliengesellschaften auf dem Papier eigenständige Unternehmen. Es ist also zumindest fragwürdig, dass die eine Firma ein teures Versprechen abgeben kann, von dem eine völlig andere profitiert. Baugenehmigungen in Aussicht zu stellen und im Gegenzug den Weiterbetrieb von Warenhäusern zu verlangen, das »verstößt gegen die rechtlichen Anforderungen des Baugesetzbuches«, heißt es in einer Stellungnahme des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg. Fazit: Das gesamte Benko-Abkommen sei rechtswidrig.
Die neue Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) störte sich nicht daran, sie übernahm gar Teile der Vereinbarung in den Koalitionsvertrag. »So billig hat selbst in Berlin noch niemand einen Hochhausstandort geschenkt bekommen«, sagt Katalin Gennburg, Abgeordnete der Linken. Ihr Eindruck: Benko gehe es nur um die Verwertung der Immobilien, nicht um die Beschäftigten.
Auch Hamburg hat seine Erfahrungen mit Signas Verhandlungstaktik gesammelt. Benko will dort den Elbtower bauen, 245 Meter hoch, Schlussstein der mondänen HafenCity und dritthöchster Wolkenkratzer der Republik. Für 122 Millionen Euro bekam er den Zuschlag, vorgesehen war zunächst oberirdisch eine Bruttogeschossfläche von 98800 Quadratmetern. Längst haben Benkos Leute nachverhandelt, die Bruttogeschossfläche auf 122000 Quadratmeter hochgejazzt. Allein die geplante Bürofläche wuchs um ein Drittel. Das zeigen offizielle Unterlagen der Stadt.
Signa widerspricht, verweist statt der Bruttogeschoss- auf die Nutzfläche des Elbtowers. Sie betrage 105000 Quadratmeter. Man habe die »Kubatur« des Gebäudes »weiterentwickelt« – wie bei solchen Vorhaben üblich.
Von »Trickserei« spricht Markus Schreiber, der für die regierende SPD im Haushaltsausschuss der Bürgerschaft sitzt. Das Grundstück sei für Signa de facto erheblich günstiger geworden, auf die Quadratmeter gerechnet hätten Mitbewerber zuvor mehr geboten. Signa habe ein »Drohpotenzial« gegenüber dem Senat, sagt der SPD-Mann, weil Benko zahlreiche Immobilien in der Stadt besitze, darunter das zentral gelegene Einkaufszentrum Alsterarkaden. Auch wenn der Senat dies bestreitet: Das Rathaus müsse »Rücksicht nehmen«, so Schreiber. Die Linkenabgeordnete Heike Sudmann wird noch deutlicher: Die Stadt stehe »erheblich unter Druck«.
Schlawiner Benko kennt derlei Kritik. Wenn sie aufkommt, lädt er Bürgermeister und Abgeordnete gern mal nach Bozen, Südtirol. Dort könne man sich anschauen, wie eine Stadt von seinem Wirken profitiere.
Über der pittoresken Altstadt erhebt sich der Hausberg Virgl. Schon vor dem Krieg erschlossen, dann verlassen, heruntergekommen – und schließlich an Benkos Signa verkauft. Nun soll die Felskuppe aufwendig hergerichtet werden, das Naturmuseum Südtirol, das Konzerthaus, selbst der weltberühmte Ötzi hinaufziehen. Alle Attraktionen der Stadt fänden sich dann auf dem Virgl, wären nur per Seilbahn zugänglich, die Benko ebenfalls bauen will.
Für das Projekt war er höchstselbst nach Bozen gekommen, um auf dem zentralen Platz der Stadt bei den Bürgern für die Virgl-Bebauung zu werben. Zuvor hatte er eigens dafür sein Schulitalienisch aufgepeppt. Die Signa ist seit Jahren in Bozen aktiv, hat ein Luxuswohnquartier gebaut, den Busbahnhof verlegt, ein Einkaufszentrum geplant – und geschickt erkannt, wo der Schuh drückt.
Das bisherige Quartier der Mumie Ötzi in der Altstadt ist seit Jahren zu klein, im Sommer stehen die Touristen noch zwei Blocks weiter Schlange, um eingelassen zu werden. Schon Anfang der 2000er-Jahre fasste die Stadt den Entschluss, der Urzeitattraktion ein neues Heim zu suchen. Nur mangelte es stets an einer passenden Immobilie – und am Kleingeld. Beides fehlt auch dem Konzerthaus, das die Stadt gern vergrößern würde.
Heinz Peter Hager hat angeblich die Lösung für all diese Probleme. Benkos lokaler Statthalter steht im Dachgeschoss eines Bozener Bürohauses und legt los. Er hat seinen Assistenten aus dem Feierabend geholt, damit dieser durch die Powerpoint-Präsentation klickt, während er rhetorisch in die höchsten Oktaven greift. Die Mumie: Hager sieht Parallelen zur »Mona Lisa« in Paris, ihr neues Heim auf dem Berg klingt bei ihm wie der Louvre der Dolomiten. »Die Besucherzahlen werden sich verdoppeln, wenn erst alles fertiggestellt ist«, verspricht Hager. Signa sei in der Lage, Entwicklungs- und Baukosten von 170 Millionen Euro zu tragen.
Der Win-win-Deal sieht laut Hager so aus: Die Stadt bekomme »Sicherheit«, weil sie die Immobilien für 50 Jahre anmietet. Klar, das kostet sie Millionen, aber dafür dürfe sie ja die Ticketeinnahmen der Museen auf dem Berg behalten. Im Tal erhofft sich die Signa derweil Baurecht für einige attraktive Grundstücke in der Innenstadt. Alles in allem sei sein Vorschlag »cashneutral« für Bozen und Südtirol, wirbt Hager.
Tatsächlich kommt der Deal einer versteckten Übernahme gleich. Sollten sich Kommune und Land auf Benkos Vorschlag einlassen – und ganz unwahrscheinlich ist das nicht –, wären sie Signa ein halbes Jahrhundert lang ausgeliefert. »Die öffentliche Hand braucht deutlich steigende Besucherzahlen beim Ötzi, damit die Rechnung aufgeht. Das ist schon sehr gewagt«, sagt Paul Köllensperger, Oppositionspolitiker im Landtag. Wenn das Vorhaben floppe, säße man auf einem Trümmerhaufen. Er kenne keine andere Stadt, in der ernsthaft überlegt werde, die wichtigste Attraktion »als Maskottchen« für einen Immobilienentwickler herzugeben.
Benko gilt als ideenreicher Verhandler. Seine Manöver in den Rathäusern sind unternehmerisch mitunter ebenso genial wie durchtrieben. Der Investor nutzt geschickt die Not, in der die Bürgermeister stecken: klamm die Kasse, leer die Innenstadt, ideenlos das Rathaus. Wen also anrufen, wenn man etwas entwickeln möchte? Ein Opernhaus selbst zu bauen kann sich selbst eine reiche Stadt wie Düsseldorf kaum noch leisten. Aber mit Benko dafür quasi verheiratet zu sein über einen jahrzehntelangen Mietvertrag? Man müsse »genau schauen, dass das für uns als Stadt attraktiv bleibt und wir nicht nur der Signa das eigene Grundstück vergolden«, sagt Markus Raub, Chef der örtlichen SPD-Fraktion.
Unternehmer Benko selbst sieht die Sache naturgemäß entspannter. Er hat in seine Zentrale geladen, das Palais Harrach, feinste Lage im ersten Wiener Bezirk. Benko zeigt Modelle seiner größten Projekte, die den Eingang zieren, nimmt dann in einem enormen Konferenzraum Platz, neben ihm Presseleute, ein Sekretär, Geschäftsführer und Finanzmanager. Das große Besteck.
Vier Stunden wird er sein Reich erklären, charmant, kenntnisreich und zuvorkommend durch eine 100-seitige Präsentation führen. Benko, der begnadete Verkäufer. Eine Sammlung von Superlativen. Auch das ist Usus. Millionen, Milliarden schwirren durch die Luft. Gebäudewerte steigen und steigen, weil Benkos Mieteinnahmen »trotz Pandemie« fast überall nach oben gehen. Jedes Jahr kommen neue Projekte in seinen Büchern hinzu: solche in absoluten Bestlagen, unverkäuflich und für die Ewigkeit, wie die Alte Akademie in der Münchner Fußgängerzone, die Benko in der Sparte »Prime« sammelt. Und solche, die die Signa nur baut und mitunter noch vor Fertigstellung wieder verkauft. »Development« heißt dieses Geschäft.
Er spannt den großen Bogen: von seinen Anfängen als kleiner Baumeister von Dachstuhlapartments in Innsbruck bis hin zum jetsettenden Handels-, Medien- und Immobilienmogul, dem Karstadt Sports, Galeria, die »Kronen Zeitung« und natürlich die Immobilien der Signa gehören.
Seine Geschichte ist die eines Jungen aus kleinen Verhältnissen, der mit der Schule nie viel anfangen konnte – und sie irgendwann abbricht. Da hat er längst eine Ausbildung beim verrufenen Finanzvertrieb AWD begonnen, mit gerade mal 17 Jahren. Dort entdeckt er sein Talent für Zahlen, schafft sich feierabends Steuern, Baurecht, Architektur, Psychologie drauf, ist so dem Gegenüber meist überlegen. Jeden Tag steht Benko seither morgens zwischen vier und fünf Uhr auf, sitzt dann teilweise in Unterhose am Schreibtisch und wühlt sich durch Akten, um jede Quadratmetermiete, jede Kreditlaufzeit aus dem Effeff zu kennen. Nur ein Tag pro Wochenende ist ihm heilig. »Da verbringe ich Zeit mit meiner Familie.« Benko ist verheiratet, Vater von vier Kindern und sehr eng mit seinen Eltern, alle wohnen nach wie vor in Innsbruck.
Auf die Immobilien bringt ihn ein Bauunternehmer in seiner Heimatstadt. 1995 klopft der junge Benko bei Johann Zittera an, der Dachstühle zu Penthäusern umbaut. Zittera ist »beeindruckt« vom Auftreten und den Kenntnissen des 18-Jährigen, der als AWD-Berater zu ihm gekommen sei. Er bietet ihm an, sein Partner zu werden. Hinter den Bauprojekten sei er selbst immer »die treibende Kraft« gewesen, betont Zittera. René habe das Geld besorgt. Für Zittera »eine ideale Partnerschaft«. Benko soll sich gern mal Zitteras Ferrari geborgt haben, um bei Geschäftsterminen Eindruck zu schinden.
Auf einer IHK-Veranstaltung schwärmt Benko noch Jahre später von alten »Rumpelkammern«, die er für »kleines Geld« habe kaufen können, weil damals kaum jemand verstanden habe, dass das »teuerster Wohnraum« sei – wenn man nur einen Fahrstuhl einbaue. Als sich Zittera um die Jahrtausendwende aus dem Geschäft zurückzieht, macht Benko allein weiter – und erobert die österreichische Hauptstadt.
In Wien bekommt der 24-Jährige Kontakt zu einem millionenschweren Tankstellenerben und überzeugt ihn einzusteigen. Benko entwickelt zunächst Ärztezentren, die eher mäßig laufen. 2004 traut er sich an sein erstes Einkaufszentrum, das Tyrol in Innsbruck, sein »Gesellenstück«, Grundstein seines Imperiums.
Benko, der Goldjunge. Auf dem großen Parkett hilft ihm die Dachkammer-Story bis heute. Investor Kühne etwa schwärmt von der »imponierenden Lebensgeschichte«, die Benko ihm beim Abendessen in seinem Haus über dem Zürichsee erzählt habe. »Wie er vom Ausbau von Dachwohnungen aus ein Imperium entwickeln konnte, das kann man sich als Laie kaum vorstellen.«
Der 84-jährige Selfmademilliardär, Herrscher über den globalen Logistikkonzern Kühne&Nagel und Mitinhaber der Reederei Hapag-Lloyd, trifft Benko regelmäßig, gern vor Ibiza. Dort liegen sie dann Jacht an Jacht, bei Tapas und Cocktails. Dass selbst Benkos Beiboot größer ist als seines, das hat Kühne sich gemerkt. Einen der zehn reichsten Deutschen, gesegnet mit ausgeprägtem Selbstbewusstsein, so zu beeindrucken ist nicht leicht. Was er an Benko schätzt? Er sei ein »Kämpfer«, der »immer an den Rand des Risikos« gehe, sagt Kühne. So wie er selbst.
Den Autofirmenerben Robert Peugeot hat Benko ebenfalls für sich eingenommen. Peugeot schätzt an der Signa die Verbindung der »einzigartigen Lagen« in der Prime mit den »hochattraktiven Entwicklungsprojekten« der Development, er sieht in Benko »eine Unternehmerpersönlichkeit, wie ich selbst eine bin«. Seine Leute hätten sich viele der Projekte genau angesehen, mit anderen Investoren gesprochen. Und: »Die Dividenden zahlt er immer pünktlich.«
Damit das so bleibt, müsse Benko in seinem Portfolio allerdings eine »Bombe« entschärfen, wie es ein Aufsichtsrat ausdrückt: Galeria. Von dem maladen Warenhauskonzern stammten zuletzt ein Drittel der Mieteinnahmen von Benkos Signa Prime. Mittlerweile sei dieser Anteil auf unter 15 Prozent gesunken, sagt Signa, auch weil Kaufhausimmobilien abgestoßen wurden. Die Kontrolleure wollen, dass Benko sich weiterer unrentabler Warenhäuser entledigt, vor allem an problematischen Standorten in mittelgroßen Städten. Übrig blieben dann nur Häuser in den sieben bis acht deutschen Metropolen.
Es wäre die logische Folge von Benkos Strategie. Wie bei seinen Immobilien glaubt er auch bei den Warenhäusern daran, dass nur Topadressen überlebensfähig sind. Weltweit betreibt er deshalb Luxuskaufhäuser wie das Berliner KaDeWe gemeinsam mit der thailändischen Central Group, deren Eigentümerfamilie kürzlich für Schlagzeilen sorgte, weil ihr Geschäft massiv unter der Pandemie leidet.
Ungeachtet dessen kauften Benko und Central-Eigner Tos Chirathivat vor wenigen Wochen für 3,8 Milliarden Pfund die legendäre britische Warenhauskette Selfridges samt ihrem Konsumtempel in der Londoner Oxford Street. Die Handelssparte von Central indes lehnte eine Beteiligung ab. Grund laut Aufsichtsrat: Geschäftsmodell, Finanzierungskonstrukt »und andere Risiken«.
Vorausgegangen war ein typischer Benko-Deal: Um die finanzstarke Konkurrenz aus den Emiraten und Fernost aus dem Feld zu schlagen, umging er die Investmentbank, die den Verkauf organisierte, packte sein Angebot in opulente Präsentationsboxen und ließ diese per Kurier persönlich bei der Eigentümerfamilie Weston vorbeibringen – an einem Freitag, damit die Westons es sich in Ruhe übers Wochenende ansehen konnten. Er wurde eingeladen, argumentierte, dass er als Familienunternehmer »schlichtweg die beste Heimat für Selfridges« biete. Die steinreiche Weston-Familie, in Sorge, sich in Londons feiner Gesellschaft unmöglich zu machen, wenn sie an einen renditesüchtigen Staatsfonds oder Finanzinvestor verkauft, gab Signa den Zuschlag für ihr Schmuckstück. Obwohl Benkos Offerte um mehrere Hundert Millionen unter dem Höchstgebot gelegen haben soll.
Fast ist es ein Muster: Benko inszeniert sich als Retter der Kaufhauskultur von Berlin bis London, und so bekommt er, worauf es viele abgesehen haben: die edelsten Immobilien.
Tatsächlich zeigt eine interne »Investment-Strategie«, welche Spielräume das Immobiliengeschäft mitunter bietet. In Hamburg etwa überlegte Signa 2013, beim Kauf des noblen Alsterhauses den Gebäudewert zu steigern, indem sie die Miete um mehr als zehn Prozent erhöhte und dafür einmalig 1,6 Millionen Euro Mietzuschuss zahlte. In den Büchern wäre der prognostizierte Wert auf einen Schlag um 60 Millionen Euro gewachsen. Obendrein, so notierten es die Strategen, ließen sich mit ein paar Kniffen prima Steuern sparen.
Signa erklärt, dass man vor dem Ankauf von Immobilien stets mehrere »Wertschöpfungsszenarien« durchrechne, der verfolgte »Business Case« jedoch letztlich ein anderer gewesen sei. Vor der Übernahme seien die Warenhäuser »in jeder Beziehung« veraltet gewesen, die Konzepte »nicht zukunftsfähig«. Deshalb sei eine halbe Milliarde Euro in Standorte und Konzepte der Luxuskaufhäuser investiert worden. Selbstverständlich führe dies zu steigenden Mieteinnahmen. Inzwischen liege etwa die Miete für das Alsterhaus bei stattlichen elf Millionen Euro im Jahr, der Wert des Gebäudes am feinen Jungfernstieg hat sich seit dem Kauf mehr als verdoppelt. Ende 2020 schlug es mit über 350 Millionen Euro zu Buche.
Dennoch mussten in der Pandemie die Bundesländer den Luxushäusern mit Bürgschaften beispringen. Hamburg, Berlin und Bayern sicherten mit Millionen Steuergeldern den Betrieb ab, obwohl die Häuser »in den letzten Jahren den Nachweis eines profitablen Geschäftsmodells« schuldig geblieben seien und keinerlei Steuern zahlten, wie die Prüfer von PricewaterhouseCoopers 2020 feststellten.
Aus Benkos Sicht wäre es einem Wunder gleichgekommen, wenn die feudalen Warenhausimmobilien in den vergangenen Jahren Gewinn erzielt hätten. Erst nach der Sanierung könne er deutlich höhere Mieteinnahmen erzielen. Warum? Weil die Luxuslabels, an die er Teile seiner Verkaufsfläche untervermietet, einen Großteil des Mietaufkommens stemmten. Deren Mieten nämlich seien an den Umsatz gekoppelt. Und Luxus läuft. Überall auf der Welt.
Bei der darbenden Kaufhauskette Galeria indes passierte operativ wenig. Hier hätte sich Benko viel stärker um das chronisch schwache Onlinebusiness kümmern müssen. Bei der Insolvenz in Eigenverwaltung im Jahr 2019 und einem Schuldenschnitt über zwei Milliarden Euro für die Gläubiger sagte Benko zu, mit 600 Millionen Euro aus dem laufenden Geschäft der nächsten Jahre endlich den Digitalvertrieb auszubauen.
Ob dieses Geld je verdient wird? Die Coronakrise wurde dem Warenhaus gleich mehrfach zum Verhängnis. Inzwischen hat die Kette erneut Staatshilfe beantragt. Sie steht bei den Steuerzahlern mit fast 700 Millionen Euro in der Schuld. Man habe ja kaum eine andere Wahl gehabt, als zu helfen, heißt es im Bundeswirtschaftsministerium, schließlich sei Benko für viele Innenstädte »die letzte Rettung«. Geprüft haben sie für den Staatskredit die Signa und ihre verschlungene Struktur nicht, sondern lediglich das abgetrennte, nach der Insolvenz frisch entschuldete – und damit kreditwürdige – Warenhausgeschäft.
Auch auf dem Börsenparkett tut sich Benko schwer. Mitte Dezember hat er den Online-Sporthändler Signa Sports United (SSU), in dem er den Internetsporthandel von Karstadt mit zugekauften Sportportalen gebündelt hat, an die Wall Street gebracht. Ein »Flop«, wie die [anderes Medium II] urteilt. Mit einem sogenannten Spac wollte Benko die Investoren überzeugen. Dafür fusionierte er die SSU mit Yucaipa, einer bereits börsennotierten Firmenhülle.
Es sollte mal wieder ein Superlativ werden: der größte deutsche Spac-Deal, jemals. Anfangsbewertung: 3,2 Milliarden Dollar. Doch als das Vorhaben live ging, stiegen mehr als 90 Prozent der ursprünglichen Yucaipa-Investoren wieder aus, Benko und seine Mitinvestoren mussten Geld nachschießen, um sie auszuzahlen. In der Folge wuchsen die Verluste auf Rekordniveau, der Kurs rauschte von 10,25 Dollar auf 7 Dollar ab. Vom 11-Dollar-Kursziel, das Analysten für das Papier sehen, ist es noch weit entfernt.
In den vergangenen Monaten kamen immer wieder Gerüchte auf, einige von Benkos Investoren seien unzufrieden und spielten mit dem Gedanken, bei ihm auszusteigen. Doch bis auf Ex-Porsche-Chef Wendelin Wiedeking, dem die Geschäfte zu intransparent waren (»Ich traue Benko nicht«), und Ernst Tanner, ehemals Chef des Schokokonzerns Lindt, der seine Investments aus familiären Gründen neu ausrichtet und heute nur noch drei Prozent hält, sind alle anderen dabeigeblieben.
Österreichs Baulöwe und Multimilliardär Haselsteiner erhöhte seinen Einsatz sogar noch einmal um einige Hundert Millionen Euro, als er sein Kapital unlängst umschichtete, raus aus der Signa-Tochter Prime rein in die Holding. Für Benko ein »echter Vertrauensbeweis«. Freßnapf-Gründer Torsten Toeller hat ebenfalls aufgestockt, gibt sich begeistert von der »Dynamik, Innovationskraft und Nachhaltigkeit« der Gruppe.
Für Benko sind prominente Investoren wichtig, sie schmücken ihn und helfen, die großen Fonds anzulocken. Denn je schneller die Signa wächst, je größer sie wird, desto mehr wird ihre Intransparenz zum Problem. Eine interne, sogenannte SWOT-Analyse einer Hausbank legte die Schwachstellen vergangenes Jahr offen: das hohe Konzentrationsrisiko durch den Fokus auf Handelsimmobilien, die kontinuierliche interne Geldverschiebung zwischen den einzelnen Subunternehmen, die ausufernden Kapitalkosten durch hochverzinste Bonds und Genussscheine, die intransparente Firmenstruktur.
Er verstehe nicht, wie man bei so einem undurchsichtigen System investieren könne, sagt ein Zürcher Topbanker. Durch die vielen bekannten Namen würden manche Geldgeber offenbar faul und nachlässig. Signa wirke auf ihn wie »ein Schönwetterkonstrukt«, vollgesogen mit Fremdkapital, das auf den ersten Blick wie Eigenkapital aussehe. Wenn das Wetter umschlage, Investoren ihr Geld zurückverlangten, werde es »brenzlig«, glaubt er.
Tatsächlich setzt die Pandemie dem Gewerbeimmobiliensektor seit Monaten zu, Mieten für Läden, Hotels und Büros sind unter Druck. Nach internen Zahlen des Handelsverbands HDE gehen sie selbst in Toplagen mitunter um 40 Prozent zurück. Zeitgleich ziehen in den USA die Zinsen an, in Europa die Inflation, selbst Bundesanleihen rentieren wieder positiv.
Benko, dessen Superbenzin bislang hohe Mieten und niedrige Zinsen waren, muss in den kommenden Jahren Milliarden umschulden. Kann das gut gehen?
Im Konzernbericht der Prime für das Geschäftsjahr 2019 finden sich eindrückliche Belege für die Gefahr: Ein Prozentpunkt höhere Zinsen für die Immobilien hätte aus damaliger Sicht 2,3 Milliarden Euro an Wert gekostet, ein um fünf Prozentpunkte reduziertes Mietaufkommen 350 Millionen Euro.
Derlei Szenarien lassen Benko kalt: Seine Standorte seien so besonders, dass keine Miete ausfalle, selbst während der Pandemie habe kaum jemand gekündigt. 99 Prozent aller vereinbarten Mieten würden bezahlt, die Vermietungsquote liege bei 97 Prozent. Tendenziell stiegen die Einnahmen sogar, weil sie an die Inflation gekoppelt seien. Die Zinsbindung der Kredite sei auf 19 Jahre angewachsen, die durchschnittliche Laufzeit der Mietverträge auf 18 Jahre. Die Prime sei »langfristig perfekt ausbalanciert«.
Allein 2021 habe er mehr als zweieinhalb Milliarden an neuen Anleihen und Eigenkapital eingesammelt, so Benko, zudem 4,5 Milliarden an neuen Krediten. 30 Geldgeber seien 2021 dazugekommen. Signas Portfolio sei »unvergleichbar«, die Lagen »unwiederbringlich«. In den letzten Jahren habe die Signa-Gruppe »konstant circa eine Milliarde Euro« verdient. Aus Sicht von Benko ein grundsolides, ein bombensicheres Geschäft.
Signa ist in zwei grundverschiedenen Märkten gleichzeitig aktiv: der hochriskanten, aber margenstarken Immobilienentwicklung und der renditeschwachen, aber sichereren Bewirtschaftung zentraler Bestandsimmobilien. Dazu kommen zahlreiche Neben- und Untergeschäfte. Benko bedient sich in seinen Erzählungen gern beim Besten aus allen Welten.
Eine komplette Bilanz der Gruppe veröffentlicht er nicht, eine testierte schon gar nicht. Die letzten zugänglichen Zahlen der Holding stammen aus dem Jahr 2018, in einem verkürzten Geschäftsabschluss, den das österreichische Firmenbuch zulässt. Dort findet sich tatsächlich ein Bilanzgewinn von mehr als einer Milliarde Euro. Der Jahresüberschuss der Holding, also das, was nach Steuern übrig bleibt, ist wesentlich geringer. Laut einer Unterlage für eine Hausbank betrug dieser 2019 nur die Hälfte.
Auch die öffentlichen Zahlen für die Prime sehen eher durchwachsen aus. Dort erreichten die Mieteinnahmen zuletzt nur selten ihre Sollwerte und deckten gerade einmal die laufenden Kosten für Kredite. Die liquiden Mittel sind seit 2017 negativ. Gewinne weist die Prime vor allem aus, weil für die Gebäude hohe Wertsteigerungen angenommen werden. Sie seien der »Haupttreiber« des Profits, merkt eine von Benkos Hausbanken in einer internen Analyse an.
Für Benko sind die nicht erreichten Sollmieten vor allem ein Zeichen für »weiteres Wertschöpfungspotenzial«. Bei boomenden Immobilienmärkten sei es ganz normal, dass die aktuell erreichbare über der vereinbarten Miete liege. Und aufgrund des stark wachsenden Portfolios würden die Mieten in den nächsten zehn Jahren die Zinsen »dauerhaft signifikant« übersteigen.
Geht Benkos Wette also auf?
Leonhard Dobusch, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Innsbruck, hat da seine Zweifel. Er hält die »wundersame Wertsteigerung«, die viele Immobilieninvestoren für ihre Gebäude annähmen, für »hinterfragenswürdig«. Auf einer Skala von »konservativ« bis »sportlich« lägen Benkos Ansätze »eher im Bereich des Leistungssports«. Manche Berechnung sei »aggressiv«, andere »eher nette Propaganda«, ohne realen Bezug.
Benko machen derlei Unterstellungen wütend. Jeder einzelne Immobilienwert werde einmal im Jahr von unabhängigen, internationalen Gutachtern überprüft. Mit einer Ausnahme sei er sämtliche Gebäude, die er in den letzten Jahren verkauft habe, über dem Buchwert losgeworden. Und genau daraus würden sich auch die Gewinne und Ausschüttungen an die Investoren speisen. Die Renditen, die er in internen Unterlagen auflistet, sind zum Teil tatsächlich atemberaubend.
Fest steht: Für Signas Bonität sind die hohen Bewertungen der Objekte Gold. Und viele institutionelle Finanziers überzeugt er damit. Ob bei der Helaba, der Deutschen Bank, der Bayerischen Versorgungskammer oder der Allianz: Überall hat man für den Österreicher nur warme Worte übrig. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass sich die Banken und Versicherungen durch ihre Milliardenkredite in eine Abhängigkeit begeben haben. Signa darf nicht kippen.
Die österreichischen Finanzmarktaufseher sehen die rasante Kreditaufnahme der Signa-Gruppe seit Längerem mit einer gewissen Sorge, fürchten ein »Klumpenrisiko« für die alpenländischen Banken. Schon 2019 rügten sie die österreichische Raiffeisenbank in einem Schreiben, sie habe ihre »internen Limits« für Kredite an Benko bereits deutlich überschritten. Reduziert hat das Institut seine Geschäfte mit der Signa seither nicht.
Womöglich rührt die Sorglosigkeit in Frankfurt, München und Wien daher, dass Benko ihnen offenbar nicht das ganze Bild zeigt. Zumindest einmal sagte er in den vergangenen Jahren eine aufwendig vorbereitete Bondemission kurzfristig ab, um stattdessen Eigenkapital in die Signa zu stecken, auch über seine Privatstiftung.
Woher kommt dieses Geld? Benko sagt, es stamme von bestehenden Aktionären und Gesellschaftern.
Ein Nachbarschaftslokal nahe des Münchner Ostbahnhofs. Neutraler Ort, ausreichend Distanz zu Innsbruck und Wien, das ist dem Mann wichtig, der sich hier treffen lässt. Auf den Tisch kommen Wein, Wild – und Wundersames. Der Bauplan für Benkos »Kakaomaschine«, wie sie der Informant nennt, steckt in einem braunen Umschlag. Etwas mehr als 100 Seiten, das Deckblatt trägt den Stempel des Justizministeriums von Liechtenstein. Dahinter: eine Akte voller Treuhänder, Anwälte, Offshore-Konstruktionen. Und eine Geschichte. Die der Ameria Invest AG aus Triesen.
Handelt es sich bei ihr womöglich um eine jener Firmen, die der Zürcher Topbanker meinte, als er von verschleierten Schulden im Konstrukt Signa sprach? Gut getarnt gehört der Ameria auf Umwegen offenbar mehr als ein Viertel der Signa Holding. Aufgesetzt über ein Treuhandkonstrukt innerhalb der Benko-Privatstiftung mit ineinander verschachtelten Firmen und Unterfirmen, deren Zweck darin zu bestehen scheint, möglichst unbemerkt Geld ins System zu schleusen.
2013 gegründet, soll sich die Ameria um die »Anlage und Verwaltung des Gesellschaftervermögens« kümmern. Zunächst sind das nur wenige Zehntausend Franken, schon einige Monate später jedoch, genau am 21. Mai 2015, werden aus 50 000 auf einen Schlag zehn Millionen. Per Bareinzahlung bei der Zürcher Falcon Private Bank, die damals auch Benkos Signa finanziert und von der später noch die Rede sein wird.
Ameria wächst schnell. Aus zehn Millionen Franken Eigenkapital werden binnen weniger Jahre 140 Millionen. Noch schneller steigen nur die Schulden. Ende 2019 sind es fast 500 Millionen Franken. Nichts davon ist laut den Unterlagen durch Pfandrechte besichert. Fast alles muss in weniger als fünf Jahren zurückgezahlt werden.
Kaum zu glauben, dass normale Banken solche Kredite vergeben. Die Frage, aus welchen Kanälen das Geld stattdessen stammt, tut Benko ab: eine »in Brasilien und teilweise in der Schweiz lebende Industriellenfamilie« sei bei einer seiner Familienstiftungen als »passive Partner« engagiert. Innerhalb des Banken- und Investorenkreises sei das »seit jeher bekannt und völlig transparent«.
Wer die Gelder hinter Ameria zurückverfolgt, landet auf den schönen Britischen Jungferninseln, bei einem Penthouse in Miami und bei Firmen mit Namen wie Benacus, dem »Gott vom Gardasee«. Vor allem aber bei dem brasilianisch-italienischen Eisenbahnmogul Riccardo Arduini und seiner Ehefrau Julia, deren Namen in den Panama Papers auftauchen, über die vor einigen Jahren weltweite Steuervermeidungstricksereien offenkundig wurden.
In einem anderen Fall hat eine von Benkos Finanzquellen die Staatsanwälte auf den Plan gerufen. In Zürich ermittelten sie wegen des Verdachts auf Geldwäsche gegen einen ehemaligen Chef der Falcon Bank, Eduardo Leemann. Dieser war jahrelang eng mit Benko verbunden, sein Institut investierte direkt in die Signa und vermittelte ihm weitere Geldgeber. Weil die Falcon Bank Geldwäsche im Millionenmaßstab ermöglichte, ist sie inzwischen verurteilt, Leemann »im Zweifel für den Angeklagten« freigesprochen, jedoch mit einem fünfjährigen Berufsverbot belegt worden.
In Wien wiederum wirft die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft Benko gerade »Bestechung« vor. Signa soll im Jahr 2011 den Verein des Politikers Christoph Chorherr mit Spenden unterstützt haben. Ziel sei eine »gewogene Amtstätigkeit« Chorherrs gewesen, der damals als Gemeinderat in Wien wirkte. Schon 2012, das ist den Ermittlern wichtig, war Benko verurteilt worden, weil er versucht hatte, ein Steuerverfahren in seinem Sinne zu beeinflussen. Die damalige Richterin nannte es einen »Musterfall für Korruption«.
Signa sagt, die Spende an Chorherrs Verein stehe in keinem Zusammenhang mit »irgendeiner Amtstätigkeit«. Die Vorwürfe seien völlig unberechtigt.
Zeit für neue, bessere Geschichten. Zeit für New York. Hier will Benko seine »europäische Erfolgsgeschichte wiederholen«, hat vor drei Jahren gemeinsam mit dem schillernden deutschstämmigen US-Investor Aby Rosen für 150 Millionen Euro das legendäre Chrysler Building gekauft, eines der ikonischen Gebäude der Stadt, das ehemals höchste der Welt. Gerade hat er sich zudem den Sitz der Großbank Morgan Stanley an der 5th Avenue gesichert, ein weiterer Kaufhausdeal bahnt sich an.
Das nächste große Ding, Signa Staffel zwei, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Das Limit? New Yorks strahlend blauer Himmel.
Nahe dem Ground Zero, hinter einer Fassade aus Glas und Stahl, testen sie derzeit Benkos Grenze. Hier sichten Anwälte stapelweise Signa-Interna. Im Auftrag des brasilianischen Bergbaukonzerns Vale ermitteln sie gegen den israelischen Rohstoffmilliardär Beny Steinmetz, einen alten Bekannten Benkos. Bis 2015 war Steinmetz bei Benko investiert, dann über eine Korruptionsaffäre gestolpert, seither behauptet Benko, alle Drähte gekappt zu haben. Der Vale-Fall habe »nichts, aber auch gar nichts« mit der Signa zu tun. Den einzigen Steinmetz, den er konsultiere, sei derjenige, der den Marmor im Park Hyatt verlege.
Die Anwälte glauben nachweisen zu können, dass es doch eine Verbindung gibt. Steinmetz soll Vale bei einem gemeinsamen Minendeal um Milliarden Dollar gebracht haben. Geld, das der Bergbaukonzern gern wiedersähe – und teilweise in Benkos Chrysler Building vermutet.
Der Diamantenhändler habe »mit Signa« in das Gebäude investiert, schrieben sie an das Gericht. Nach Informationen des [Mediums] musste die Signa-Zentrale in Österreich daraufhin Firmendokumente herausgeben. Vales Anwälte hoffen, darin Belege für noch immer existierende Kontakte zu finden.
Interessant ist etwa die Rolle von Alfred Gusenbauer, österreichischer Ex-Kanzler und Aufsichtsratschef bei Benkos Prime und Development. Bis 2020 saß er auch im Board einer kanadischen Bergbaubeteiligung von Steinmetz, zusammen mit dessen wichtigstem Mann.
Gusenbauer sagt, er habe zu Steinmetz »weder direkten noch indirekten brieflichen oder persönlichen Kontakt«. Auch Steinmetz will davon nichts wissen. Es gebe weder laufende Beziehungen zu Signa oder Benko, noch habe er etwas mit dem Chrysler Building zu tun, lässt er über seinen Anwalt ausrichten.
Selbst ohne den Rechtsstreit ist das Chrysler Building eine echte Herausforderung. An einem kalt-sonnigen Wintertag, der Weihnachtsbaum vor dem Rockefeller Center ist gerade aufgestellt, bittet ein großer blonder Mann in feinem Zwirn in die Campbell Bar, gelegen im wuseligen Grand-Central-Terminal. Der Ort ist kein Zufall. Die überteuerten Gin Tonics, von denen der Manager einer großen Immobilienfirma gleich zwei trinkt, sind zwar gut. Aber eigentlich geht es ihm um die Nachbarschaft. Der jüngst fertiggestellte One-Vanderbildt-Superwolkenkratzer sei »state of the art«, das, was man heute erwarte, wenn man Büroflächen in Manhattan suche. Das Chrysler auf der anderen Seite von Grand Central sei da eher »alte Schule. Art déco außen, dunkel, verwinkelt und unübersichtlich innen«. Ein wenig wie Benkos Signa.
Schwierig zu vermarkten, glaubt der New Yorker Real-Estate-Profi. Zumal gleich nebenan derzeit eine riesige Baugrube vorbereitet werde: Donald Trumps Grand-Hyatt-Hotel soll in den kommenden Monaten abgerissen und durch ein Multimilliardenhochhaus ersetzt werden. Für Benko bedeute das zehn Jahre lang Lärm, Staub und Stau, sagt der Immobilienexperte und nimmt einen Schluck Gin Tonic. Das Chrysler, ein »einziger, großer Mieterschreck«.
Benko hingegen verlässt sich auch hier wieder auf sein Gespür. Darauf, dass er Chancen erkennt, die andere nicht sehen. Weil sie eben nur das Offensichtliche im Blick haben.
Derzeit kniffelt der Meister am komplizierten Erbbaurechtsvertrag für das Chrysler-Grundstück, plant danach eine aufwendige Renovierung nach historischem Vorbild mit »zeitgemäßen Visionen«. Gerade erst habe er die neuesten Umbaupläne abgenommen: Ein wenig Lärm und Staub wird es also auch bei Benko geben.
Risiko und Raffinesse – von jeher die Pole, zwischen denen René Benko pendelt.