Der unermüdliche Herr Liese
von Björn Finke und Josef Kelnberger
Süddeutsche Zeitung vom 11.06.2022
Der Artikel schildert die komplexe Kompromissfindung innerhalb der 'Bürokratiemaschine' Brüssel anhand ihres wichtigsten Klimagesetzes: der Reform des CO2-Emissionshandels. Streitpunkt ist vor allem die Einführung eines zweiten Emissionshandels für Verkehr und Wohnen, der zu höheren Energiepreisen führen würde. Der Entwurf scheitert an der Energiekrise und rivalisierenden politischen Lagern.
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Der unermüdliche Herr Liese
8. Juni 2022
Peter Liese schläft schlecht in letzter Zeit, Kopfschmerzen plagen ihn. „Aber wenn das der Preis für die Rettung der Welt ist“, sagt er und lacht, „dann bitteschön.“
Halb elf am Mittwochvormittag dieser Woche, eine Stunde noch bis zum großen Finale. Seit fast einem Jahr hat der CDU-Abgeordnete im Europaparlament auf diesen Tag hingearbeitet. In der Straßburger Abgeordnetenbar trinkt Liese einen letzten Schluck Tee, dann bricht er auf, zur Abstimmung über den Bericht, der seinen Namen trägt: „Liese-Bericht“.
Dreißig Jahre lang macht Peter Liese, 57, schon Klimapolitik. Dieser Bericht ist nun seine größte Herausforderung. Er handelt von einem Gesetz, das weltweit wegweisend wäre im Kampf gegen den Klimawandel. Der CO2-Emissionshandel, das wichtigste Instrument der Europäischen Union in der Klimapolitik, soll so reformiert werden, dass es teurer wird, CO2 in die Atmosphäre zu blasen. Das hätte gewaltige Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft, zumal jetzt, in Zeiten des Krieges in der Ukraine, während die Energiepreise explodieren. Aber nur so könnte die Europäische Union ihr Ziel erreichen, 2050 klimaneutral zu werden. Es geht also, so sieht das Peter Liese, auch durchaus um die Rettung der Welt.
Liese betreut den von der Kommission dazu vorgelegten Gesetzentwurf als Rapporteur, Berichterstatter. Ein einzigartiger, aber auch ein einzigartig aufreibender Job im Parlamentarismus.
Der Rapporteur steuert die Meinungsbildung, formuliert eigene Änderungswünsche, sammelt Änderungswünsche aus allen Fraktionen und bündelt sie in seinem Bericht. Der ist dann Basis für die Verhandlungen des Parlaments mit den 27 Mitgliedsländern. Aber erst einmal braucht Liese die Zustimmung des Parlaments für seinen Bericht. Ob er sie bekommt, das ist an diesem Mittwochvormittag unklar.
Peter Liese vertraut darauf, dass alles gut wird, Whisky und Kuchen hat er mitgebracht, aus seiner Heimat, dem Sauerland. Heute will er feiern mit den Menschen, die so viele Tage und so viele Nächte an dem Gesetz gearbeitet haben, manchmal mit ihm, manchmal gegen ihn. Michael Bloss ist geladen, ein linker Grüner aus Baden-Württemberg, Lieses großer Widersacher in den vergangenen Monaten. Und auch die schwedische Liberale Emma Wiesner, 29, die sich stets zwischen den Lagern von Liese und Bloss bewegt hat.
Dies ist ein Blick in die Blackbox Brüssel, eine Gesetzgebungsmaschine, die den Ruf hat, seelenlos und bürokratisch zu sein. Begleitet man aber die Menschen in der Box über Monate hinweg, erlebt man ein leidenschaftliches politisches Ringen. Peter Liese, Michael Bloss und Emma Wiesner wollen die Welt retten, jeder und jede auf seine oder ihre Art. Das kann auch ins Chaos führen, wie die folgenden Stunden zeigen werden. Die Geschichte eines politischen Dramas.
14. Juli 2021
Peter Liese glaubt, wie die meisten in der CDU, dass der Markt vieles von selbst regelt. Er glaubt aber auch, anders als viele andere in seiner Partei, dass in diesem Markt eine Sache besonders geschützt werden müsse: das Klima. Liese, der ausgebildete Arzt, ist ein Exot unter den Christdemokraten.
Seit 1987 gehört er der Partei an, seit 1994 ist er Abgeordneter im Europäischen Parlament. Ein Jahr später besucht er die erste Weltklimakonferenz in Berlin. Auf Fotos von damals sieht er sehr groß und sehr schlank aus, und auf allen lächelt er. Optisch hat Peter Liese sich bis heute kaum verändert. Auch nicht, was seine Haltung angeht. Er ist, besonders für einen CDUler, ein radikaler Klimaschützer. Und die dramatischen Ereignisse an diesem 14. Juli zeigen ihm, wie viel Zeit vertan worden ist im Kampf gegen die Klimakatastrophe.
An diesem Mittwoch erfährt Liese am frühen Abend, dass die Sturzfluten in Deutschland ein erstes Todesopfer gefordert haben – in Altena, einer kleinen Stadt in seinem Heimatwahlkreis im Sauerland. Ein Feuerwehrmann, der einen Menschen gerettet hatte, ist selbst von den Fluten mitgerissen worden. Immer wieder wird Liese in den kommenden Monaten an den toten Feuerwehrmann erinnern, wenn er schärfere Klimagesetze fordert.
Wenige Stunden zuvor, am Nachmittag des 14. Juli 2021, hat EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ein Paket von Klimagesetzen vorgestellt. Es trägt den Namen „Fit for 55“ und soll sicherstellen, dass bis zum Jahr 2030 in den Ländern der EU 55 Prozent weniger Treibhausgase ausgestoßen werden als 1990. Die Gesetze gehören zu von der Leyens Konzept namens „Grüner Deal“, das als Ziel festschreibt: Europa soll bis 2050 als erster Kontinent klimaneutral werden. Noch sind die 27 Mitgliedstaaten zusammengenommen weltweit die drittgrößten Emittenten von CO2, nach China und den USA.
Die Sturzfluten in jenen Julitagen werden in den Medien als Folge des Klimawandels beschrieben. Und sie scheinen auf tragische Weise jenen recht zu geben, die für den Grünen Deal sind. Liese aber weiß: Zu hehren Zielen bekennen sich in der Politik alle gern. Aber wenn es um konkrete Gesetze geht, um Zumutungen für die Wirtschaft, für jede Bürgerin, für jeden Bürger, dann verlässt viele der Mut. Das gilt auch für das wichtigste Klimaschutzinstrument der EU, den CO2-Emissionshandel.
Seit er fürs Klima kämpft, begeistert sich Peter Liese für diese Idee. Sie klingt erst einmal simpel: Der Staat bestimmt für eine Gruppe von Unternehmen eine maximal auszustoßende Menge von CO2, jenem Treibhausgas also, das dazu führt, dass sich die Wärme auf der Erdoberfläche staut. Entsprechend dieser Menge werden Berechtigungsscheine verkauft, die frei handelbar sind. Es bildet sich ein Preis dafür. Unternehmen, denen es gelingt, weniger CO2 auszustoßen, sparen Geld und können mit dem Verkauf von ungenutzten Zertifikaten sogar Geld verdienen. Wer zu viel ausstößt, muss eine Strafe zahlen.
Der Staat schreibt den Unternehmen nicht vor, mit welcher Technik sie Klimaziele erreichen sollen, sondern er setzt allein auf das Signal des CO2-Preises. Solch ein System begeistert Freunde der Marktwirtschaft wie Liese. Als das „European Emissions Trading System“, kurz ETS, am 1. Januar 2005 startete, war Europa weltweit damit Vorreiter.
Das ETS regelt mittlerweile den CO2-Ausstoß von rund 15 000 Kraftwerken und energieintensiven Industrieanlagen in Branchen wie Chemie, Zement oder Stahl – und damit von 41 Prozent aller Emissionen in der EU. In diesem System sank der CO2-Ausstoß seit 2005 um 43 Prozent. Doch nun will die EU, um fit for 55 zu werden, die Emissionen stärker drosseln als bislang geplant. In Deutschland werden die Zertifikate von der Deutschen Emissionshandelsstelle im Umweltbundesamt ausgegeben. Gibt sie weniger Zertifikate aus, wird das Angebot knapper, dadurch steigt der Preis. Die Folge: Die Industrie hat höhere Lasten zu tragen.
Peter Liese reizt es, den Gesetzentwurf im Parlament selbst zu betreuen. Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fragt er: Trauen wir uns das zu? Alle wissen: Das Thema ist unglaublich komplex, es wird wahnsinnig viel Arbeit machen. Andererseits gibt es, wenn es um Klimaschutz geht, keine größere Herausforderung.
6. September 2021
An diesem Septembertag werden die Rapporteur-Jobs im Umweltausschuss in einer Art Versteigerung vergeben. Jede Fraktion bekommt dafür eine bestimmte Zahl von Punkten, die sich nach der Zahl ihrer Abgeordneten richtet. Die Europäische Volkspartei (EVP), der Liese als CDU-Mann angehört, ist die größte Fraktion. Liese vertritt sie, in seiner Funktion als „Koordinator“, bei der Versteigerung. In dieser nutzt er die Macht der EVP – und sichert seiner Fraktion und damit sich selbst den Job des Rapporteurs.
Die Grünen hätten den Job auch gern gehabt, es wäre dann wohl auf Michael Bloss zugelaufen. Er wird nun zumindest zum „Shadow-Rapporteur“ ernannt. Jede Fraktion, die bei dem Poker verloren hat, stellt dem Rapporteur einen „Shadow“ zur Seite, als Partner und als Gegenspieler. Bloss wird Peter Lieses hartnäckigster Schatten werden.
Jeder Gesetzentwurf, den die Kommission vorlegt, wird einem Parlamentsausschuss zur Beratung zugewiesen. Dort wird dann ein Rapporteur bestimmt, der die Meinungsbildung im Parlament organisiert, Änderungsanträge bündelt und am Ende einen Kompromiss vorlegt, der unter den Abgeordneten einen möglichst großen Rückhalt bekommen soll. Je stärker das Votum, desto mehr Wucht hat das Parlament danach in den Verhandlungen mit dem Ministerrat, dem Gremium der 27 EU-Mitgliedsländer. Und erst wenn dort ein Kompromiss gefunden ist, ist ein Gesetz wirklich verabschiedet.
Der Rapporteur Liese und sein Schatten Bloss duzen sich, reden oft miteinander, verfolgen gemeinsame Ziele, aber ein schwarz-grünes Traumpaar sind sie nicht. Peter Liese findet, dem jungen Grünen würde ein bisschen Pragmatismus guttun. Der liebe Michael müsse verstehen, dass er, Liese, auch die Hardliner in seiner Fraktion mitnehmen müsse in der Klimapolitik, die Abgeordneten also, die Klimaschutz für eine Spinnerei halten. Michael Bloss findet, der routinierte CDU-Mann nutze manchmal seine Macht zu sehr aus und neige gelegentlich zur Doppelmoral. Manchmal gehen sie einander, bei aller Sympathie, auch richtig auf die Nerven. Sie ahnen, dass die geplante Reform des Emissionshandels zu Streit zwischen ihnen führen wird.
Vor allem in diesem Punkt: Die Kommission schlägt die Einführung eines zweiten Emissionshandels vor, für Verkehr und Wohnen, in zwei Bereichen also, in denen die EU beim Klimaschutz kaum vorankommt. Ursula von der Leyen hatte die Idee für dieses ETS 2 schon in ihrer Kommission nur mit Mühe durchsetzen können. Sie lässt sich in die Schlagzeile fassen: Brüssel macht unseren Sprit und unser Heizöl teurer.
Ärmere Haushalte sollen, damit sie E-Autos kaufen oder Wohnungen besser dämmen können, Geld aus einem Sozialfonds erhalten, der sich aus den Einnahmen des neuen Emissionshandels speist. Aber viele im Parlament glauben nicht, dass das funktioniert. Die Menschen würden sich nur über steigende Preise aufregen und nicht an den sozialen Ausgleich glauben. So sieht man das in Osteuropa, in Frankreich, unter Sozialdemokraten, unter Grünen, auch unter manchen Christdemokraten.
Peter Liese ist entschlossen, dafür zu kämpfen. Michael Bloss ist strikt dagegen. Der Grüne fragt: Funktioniert so ein System wirklich in ganz Europa, wo dann wohlhabende SUV-Fahrer aus Deutschland denselben CO2-Preis zahlen wie Geringverdiener aus Bulgarien und Rumänien? Bloss will bei der Reform des Emissionshandels lieber den Unternehmen mehr Lasten aufbürden. Klimapolitik, sagt er, sei auch eine Frage der Gerechtigkeit.
Das mag auch mit seiner persönlichen Geschichte zu tun haben.
Michael Bloss ist im Stuttgarter Arbeiterviertel Feuerbach aufgewachsen. Die Waldorf-Schule hat er besucht, weil sein schwerbehinderter Vater dort einst Aufnahme als Schüler gefunden hatte. Das Gefühl, in vergleichsweise ärmeren Verhältnissen aufzuwachsen, hat ihn geprägt. Es führte ihn zu Greenpeace und zu den Grünen, zum Zivildienst in Ghana und einem Studium in Tansania. 2009 fuhr er als Jugend-Delegierter zur Klimakonferenz nach Kopenhagen. Seitdem sind Klima und Gerechtigkeit seine beiden großen Themen.
27. Oktober 2021
„Kann es sein, dass ich gerade ein totes Pferd reite?“, fragt sich Peter Liese.
In Brüssel haben sich gerade die Staats- und Regierungschefs der EU getroffen, und alle waren aufgeschreckt von den gestiegenen Energiepreisen. Der Ungar Viktor Orbán bezeichnet den neuen Emissionshandel für Wohnen und Verkehr einen „dummen Plan“. Und an diesem Mittwoch nehmen in Berlin SPD, Grüne und FDP unter Führung von Olaf Scholz ihre Koalitionsverhandlungen auf. Liese weiß, dass es bei den Grünen viele gibt, die im Vertrag festschreiben lassen wollen: Die Ampel lehnt die Einführung eines neuen Emissionshandels für Wohnen und Verkehr auf europäischer Ebene ab. Zu diesen Gegnern zählt Michael Bloss, auch er verhandelt für die Grünen in Berlin.
Wenn Deutschland nicht zum erweiterten Emissionshandel steht, das weiß Liese, braucht er im Parlament erst gar nicht mehr dafür zu kämpfen.
Der CDU-Abgeordnete in Brüssel nutzt seine Kontakte zu den Freien Demokraten in Berlin: Sie sollen hart bleiben. Am Ende verpflichtet sich die Ampelkoalition doch, den Vorschlag der EU-Kommission zu unterstützen.
Ob es an Lieses Anrufen liegt?
24. November 2021
Emma Wiesner sitzt in der „Swan Bar“. Sie hat einen Fensterplatz ergattert, mit Blick auf die Wasserläufe rund um das Straßburger Parlamentsgebäude. Vier Stunden dauert die Fahrt von Brüssel nach Straßburg, wo sich das Parlament an seinem offiziellen Hauptsitz einmal im Monat zur Plenumswoche versammelt. Manche Abgeordnete nervt die Fahrerei, Wiesner ist diesmal mit großer Freude angereist.
Die 29-Jährige will die 73 Prozent der verbrauchten Energie loswerden, die Europa aus fossilen Quellen bezieht. Das ist ihr großes Anliegen als Abgeordnete im EU-Parlament. Wiesner ist Umweltingenieurin und hat als Energiemarktanalystin gearbeitet. Als sie vor neun Monaten ins Parlament nachrückte, sei es ihr Traum gewesen, an diesem Gesetz mitzuwirken, sagt sie. Jetzt ist sie Schattenberichterstatterin der Liberalen. An diesem Novembertag werden sich Liese und seine Shadows erstmals offiziell treffen.
Wiesner vertritt die schwedische Zentrumspartei, eine marktliberale, bürgerliche, auf dem Land verankerte Partei. Im Europaparlament gehört sie der Fraktion „Renew“ an, wie die FDP und die französischen Abgeordneten, die Emmanuel Macron verbunden sind. Die Liberalen finden sich bei den Gesetzgebungsverfahren häufig in der Mitte wieder, dort, wo ein Kompromiss gefunden wird. Deshalb werden Liese und Bloss alles daran setzen, Wiesner in ihr Lager zu ziehen.
Man habe sich bereits getroffen, sagt Emma Wiesner. Es sei gut, ein Verhältnis aufzubauen, „auch wenn wir uns während der Verhandlungen sehr aufregen werden übereinander“.
In der Bar greift sich Emma Wiesner einen Stift und demonstriert auf einem Blatt Papier, wie in Brüssel gefeilscht wird um jeden Satz. Zunächst wird Rapporteur Liese einen Bericht mit eigenen Änderungsvorschlägen vorlegen. Anschließend reichen Bloss, Wiesner und die Schatten aus den vier anderen Fraktionen ihre Änderungsanträge ein. Dann werde Zeile für Zeile um einen Kompromiss gerungen. Auch das ist Brüssel: Manchmal gibt es 3000 oder gar 4000 Änderungsanträge zu einem einzigen Gesetzentwurf.
23. Dezember 2021
Kurz vor Heiligabend, ein Telefonat mit Peter Liese. Er sagt, er habe jetzt einen Plan, wie er eine Mehrheit für seinen Reformvorschlag gewinnen möchte.
Manchmal hat er bis zur Erschöpfung in den vergangenen Wochen mit Wirtschaftsverbänden und Umweltschützern gesprochen, um sie über das Gesetz zu informieren und ihre Meinung einzuholen. Er hat in alle Fraktionen im EU-Parlament hineingehorcht. Er hat versucht, bei den EU-Botschaftern der 27 Mitgliedsländer herauszufinden, wie die nationalen Regierungen beim ETS ticken. Zwischendurch hat er auch standesamtlich geheiratet.
Am 14. Januar muss er seinen ersten Bericht den Shadows und dann der Öffentlichkeit vorlegen. Er werde unter anderem vorschlagen, sagt er, im bestehenden Emissionshandel ein Bonus-Malus-System einzuführen: Unternehmen, die besonders hohe Ziele verfolgen beim Vermeiden von CO2-Emissionen, sollen weniger als bisher für die Zertifikate bezahlen, die besonders anspruchslosen Unternehmen entsprechend mehr. Was den neuen Emissionshandel betrifft, ETS 2, und nun kommt der unangenehme Teil: Die Mitgliedstaaten sollen für zwei oder drei Jahre die Möglichkeit erhalten, den privaten Verkehr und das private Wohnen auszunehmen. Anders werde er wohl keine Mehrheit im Parlament finden. „Der Patient ETS 2“, sagt Liese, der auch schon als Allgemeinarzt praktiziert hat, „liegt auf der Intensivstation.“
Ob er sich die Arbeit so mühsam vorgestellt habe? Liese weicht aus, sagt: „Ich hoffe, dass sich das mit den hohen Energiepreisen im Frühjahr wieder entspannt.“
10. Februar 2022
Eine wichtige Nebenrolle im Kampf um ETS 2 besetzt der Franzose Pascal Canfin. Früher hat er bei den Grünen Karriere gemacht, heute ist er bei den Liberalen. In Brüssel gilt er als Stimme von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Er sitzt dem Umweltausschuss vor, was ihn zu Neutralität verpflichtet. Dennoch hat er in einem Interview den neuen Emissionshandel für Verkehr und Gebäude als „Totgeburt“ bezeichnet.
„Heute ist ein wichtiger Tag“, sagt Canfin, als er im Umweltausschuss die Debatte über Lieses Bericht eröffnet.
Peter Liese hört die gesammelten Einwände gegen seine „Totgeburt“ an. Steigende Energiepreise seien eine Gefahr für den sozialen Frieden. Liese kann es nicht mehr hören. Er sei „very, very, very, very angry“ über Michael Bloss, hat er zuvor schon erklärt, sehr, sehr, sehr, sehr zornig: weil der Grüne sich weigere anzuerkennen, dass ohne den neuen Emissionshandel die Klimaziele der EU nicht zu erreichen seien.
An diesem Tag bekommen seinen Zorn auch polnische und ungarische Abgeordnete ab, die ihre Landsleute vor steigenden Heizkosten schützen wollen. Liese fragt: Wofür denn die Fördermilliarden der EU verwendet würden, wenn nicht dafür, Kohleheizungen durch klimafreundliche Anlagen zu ersetzen?
„It’s the hell of a job“, sagt Peter Liese am Ende seiner Rede, ein Höllenjob für ihn selbst, für sein ganzes Team. Pascal Canfin grinst und erwidert: „Thank you for the energy.“
16. Februar 2022
Treffen mit Emma Wiesner in der Straßburger Parlamentsbar. Es ist 10.20 Uhr, um sie herum liegen jede Menge Papiere, sie tippt Nachrichten in ihr Smartphone, sie hat es eilig. Nur noch 40 Minuten bis zur Deadline.
Bis 11 Uhr müssen alle Änderungsanträge („Amendments“) eingereicht sein. 56 Anträge hat Wiesner für ihre Fraktion formuliert. Und siehe da: In zwei entscheidenden Punkten steht sie nicht mehr zu Lieses Vorschlägen und nähert sich dem Lager von dessen Gegenspieler Bloss an.
Die CO2-Emissionen sollen, erstens, durch eine Verknappung der Zertifikate stärker gesenkt werden als von der Kommission geplant. Liese lehnt das ab. Er fürchtet, die betroffenen Unternehmen würden durch die steigenden Preise für die Zertifikate überlastet. Zudem sollen nach dem Willen Wiesners den europäischen Unternehmen die kostenlosen Zertifikate bis 2030 vollständig gestrichen werden, wenn der CBAM komplett in Kraft getreten ist.
CBAM? An diesem Punkt muss man eintauchen in die nahezu undurchdringlichen Tiefen des Emissionshandels.
Mit dem Verteilen von kostenlosen Zertifikaten werden europäische Unternehmen entlastet, die im internationalen Wettbewerb stehen. Sie sollen nicht pleitegehen oder ins Ausland abwandern, weil Konkurrenten außerhalb der EU wegen laxerer Klimagesetze kostengünstiger produzieren. Nun aber soll es einen Systemwechsel geben. Die EU will auf Importe aus Drittstaaten eine Art Klimazoll erheben. Carbon Border Adjustment Mechanism lautet der Fachbegriff: CBAM (sprich: „Sibäm“). Im Gegenzug müssen die kostenlosen Zertifikate entfallen.
Wie schnell, das ist nun die große Streitfrage. Liese plädiert für längere Übergangsfristen, um der Industrie Sicherheit zu geben. Man wisse ja nicht, ob sich der CO2-Zoll durchsetzen lässt, und auch nicht, ob die USA oder China Gegenzölle erheben.
Ob sie Peter Liese zumindest beim neuen Emissionshandel für Wohnen und Verkehr helfen könne? Sie würde gerne, sagt Emma Wiesner in der Parlamentsbar. Aber die Franzosen in ihrer Fraktion sind alle dagegen.
1711 Änderungsanträge gilt es nach diesem Tag zu sichten und zu kompromissfähigen Versionen zu bündeln. Die Arbeit in den Monaten März und April, sagt Wiesner, werde für alle Beteiligten „sehr intensiv, fast verrückt“ werden.
2. März 2022
Krieg in Europa, auch das noch. Peter Liese hat sich ein Schildchen basteln lassen, gehalten in Gelb und Blau, darauf steht: „Solidarität! Unsere Energieimporte finanzieren den Krieg. Alle Alternativen sofort nutzen!“ Er wird es jetzt gleich hochhalten bei der Demo vor dem Brüsseler Parlamentsgebäude, Zeichen der Solidarität mit der Ukraine.
Seine Sorge gelte den Menschen in der Ukraine und nicht seinem Gesetz, sagt Peter Liese vor der Demo bei einem Kaffee auf der Place du Luxembourg. Zweifellos würden die Debatten über den Emissionshandel nun noch schwieriger. Die Energiepreise erhöhen, wo sie ohnehin schier explodieren? Das müsse man den Leuten ganz genau erklären. Auch in seiner eigenen Fraktion.
Am Grünen Deal dürfe es keine Abstriche geben, sagt Liese. Putin fürchte nichts mehr als Europas Unabhängigkeit dank erneuerbarer Energien. Kurzfristig sei es in Ordnung, die Preise zu dämpfen und auch mehr heimische Kohle zu verfeuern. Er plädiert dafür, alle Energieimporte aus Russland zu stoppen. Sofort.
17. März 2022
Kein schöner Tag für Michael Bloss. Sein Parteifreund Sven Giegold, bis zur Bundestagswahl Europaabgeordneter und nun Staatssekretär von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, erklärt am Rande einer Ratssitzung in Brüssel öffentlich: Sein Ministerium unterstütze die Pläne für einen neuen, europaweiten Emissionshandel für Verkehr und Wohnen. Ohne jede Einschränkung.
Ein schöner Tag für Peter Liese. Keine Gelegenheit lässt er aus, öffentlich darauf hinzuweisen, dass die Grünen in Berlin auf seiner Seite sind. Und nicht auf der von Michael Bloss.
Bloss setzt auf das Ordnungsrecht, also auf Gebote und Verbote. In der Verkehrspolitik bedeutet das zum Beispiel: ein schnelles Verbot von Verbrennungsmotoren. Er hält das für zielgenauer und gerechter, als die Menschen steigenden Preisen auszusetzen. Liese argumentiert mit dem „Havanna-Effekt“ dagegen an: Die Leute würden ihre alten Karren fahren, bis sie durchgerostet sind. Niemand könne sie zwingen, E-Autos zu kaufen. Steigende Spritpreise verbunden mit staatlichen Hilfen dagegen könnten wirken.
Zwei Weltanschauungen prallen da aufeinander.
Doch Bloss ist ins Grübeln geraten. Wissenschaftliche Arbeiten, sagt er, hätten ihn überzeugt, dass die EU ihre Klimaziele ganz ohne zweiten Emissionshandel nicht erreichen könne. Er wird deshalb versuchen, einen Kompromiss mit Liese auszuhandeln, aber erst ganz am Ende der Verhandlungen. Die französischen Parteifreunde stecken im Präsidentschaftswahlkampf, und keinesfalls können sie jetzt die Meldung gebrauchen: Grüne wollen Sprit teurer machen!
13. April 2022
Weit weg von Brüssel, in Meschede, isst Liese zu Mittag beim Italiener. Die Sonne brennt vom Himmel, hinter dem Tisch rauscht die Ruhr. Meschede, 30 000 Einwohner, Kreisstadt des Hochsauerlandkreises, das ist die Heimat von Peter Liese. Zehn Kilometer von hier, in Ostwig, Gemeinde Bestwig, ist er aufgewachsen.
„Wir Europaabgeordnete sind Botschafter unserer Region in Brüssel, und umgekehrt“, sagt Liese. Und deshalb spricht er, wenn er in Brüssel über das Weltklima spricht, immer auch über den toten Feuerwehrmann von Altena, das Waldsterben im Sauerland, seinen Bruder, den Bäcker, der die Nöte des Handwerks kennt, auch über das Haus, das er mit seiner Frau gekauft hat und energetisch sanieren lässt.
Vor ein paar Tagen sei er im Élysée-Palast zu Besuch gewesen, erzählt Liese, in einem Seitenflügel. Er wollte ausloten, welche Prioritäten Emmanuel Macron beim Emissionshandel verfolge. „Aber die halten sich bedeckt“, sagt er, was verständlich sei mitten im Präsidentschaftswahlkampf.
Er hat schon so viel Gegenwind verkraften müssen im Ringen um dieses Gesetz: Armin Laschets Niederlage bei der Bundestagswahl, die steigenden Energiepreise, den Krieg. Wenn jetzt Macron die Stichwahl verliert und Marine Le Pen die EU samt ihrer Klimapolitik zerlegt?
„Dann ...“, sagt Peter Liese und schweigt.
Dann, Herr Liese?
„Dann weiß ich auch nicht mehr weiter.“
Nach den vielen Monaten, in denen man ihn begleitet und beobachtet hat, wirkt es unvorstellbar, dass Peter Liese keine Idee mehr hat.
Beim Espresso ist es Zeit für eine Frage, die sich aufdrängt, nachdem man ihn besser kennengelernt hat: Warum er mit seiner sauerländischen Naturverbundenheit und seiner Leidenschaft für die Klimapolitik nicht bei den Grünen ist?
Darauf, sagt er, werde er oft angesprochen. Zwei Antworten gebe es, beide lägen in seiner Heimat begründet.
Er stamme aus einer Bäckerfamilie. Zwar habe er als ältester Sohn den vorgezeichneten Weg verlassen und sei nicht Bäcker, sondern Politiker geworden. Dennoch sei es ihm ein Anliegen, Politik für Menschen zu machen, die ihr eigenes Unternehmen führen. Und außerdem sei er christlich-katholisch geprägt. Vor dem Abitur ging er drei Jahre lang in einem Benediktinerkloster in Meschede zur Schule, er wollte das damals so. Er wäre auch ein guter Pastor geworden, Freunde sagen ihm das immer wieder. Es sei aber für ihn nicht infrage gekommen, schon wegen des Zölibats. Er hat früh geheiratet und zwei Söhne aus erster Ehe.
Gleich muss er zu einem Termin im Wahlkreis, aber für einen Abstecher nimmt er sich noch Zeit, zum neuen Haus.
Experten hätten ihn gewarnt, sagt er im Wohnzimmer, ganz auf eine Gasheizung zu verzichten, aber nach Putins Angriffskrieg habe er keine Wahl mehr gehabt: kein Gas! Er wird eine Wärmepumpe installieren lassen.
Im Badezimmer sind noch Spuren einer Abrissparty zu erkennen. Gemeinsam mit Freunden hat er die alten Fliesen und Armaturen herausgehauen. Eine gute Gelegenheit sei das gewesen, mal auf andere Gedanken zu kommen, sagt Peter Liese.
4. Mai 2022
Kekse sind das beste Mittel, um Verhandlungen zu einem guten Abschluss zu bringen. Das, sagt Peter Liese, habe er in den Jahren seines Politikerlebens verinnerlicht. Normalerweise nimmt er Süßes aus der Bäckerei seines Bruders mit. Aber Liese hatte sich Corona eingefangen und deshalb keine Zeit für die Fahrt nach Ostwig. So kommt er mit Keksen aus fremder Produktion zur Verhandlungsrunde mit seinen „Shadows“ und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Konferenzraum 3.1 des Straßburger Parlamentsgebäudes.
Beginn 19 Uhr, Ende offen. Es soll ein Kompromisspapier her, das bei der finalen Abstimmung im Umweltausschuss eine breite Mehrheit findet.
Liese nennt die Veranstaltung „Nacht der langen Messer“, aber die Abgeordneten kommen erstaunlich konstruktiv voran, so empfindet es zumindest Liese. Unternehmen mit vergleichsweise hohen Klimazielen sollen im großen Stil belohnt werden, über den Gesetzentwurf der Kommission hinaus. Sie sollen kostenlose Zertifikate selbst dann noch erhalten können, wenn sie überhaupt kein CO2 mehr ausstoßen. Das Bonus-Malus-System, das Peter Liese von Anfang an vorgeschlagen hatte – hier findet es sich wieder. Der Schiffsverkehr soll sofort in den Emissionshandel einbezogen werden, auch das ist eine Übereinkunft, die Liese gefällt. Ambitionierte Ziele sind das, die CDU, Grüne, Sozialdemokraten und Liberale gemeinsam vertreten könnten.
Aber in zwei entscheidenden Fragen gibt es Mehrheiten ohne Peter Liese.
Emma Wiesner steht an der Seite von Michael Bloss, der schwedischen Sozialdemokratin Jytte Guteland und der finnischen Linken Silvia Modig. Sie wollen durch die Reform des bestehenden Emissionshandels den CO2-Ausstoß um 67 Prozent im Vergleich zu 2005 verringern – und nicht nur um 61 Prozent, wie die Kommission vorschlägt. Und sie wollen die kostenlosen Zertifikate schon bis 2030 abschaffen. Damit, so argumentieren sie, leiste die EU ihren Beitrag, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.
Liese lehnt beides ab. Es sei mit erheblichen Lasten für die Industrie verbunden und auch in der eigenen Fraktion nicht vermittelbar.
Bis spät in die Nacht hinein gibt es auch keine Einigung über den neuen Emissionshandel, ETS 2. Liese schlägt am Ende sogar einen Kompromiss vor, der eigentlich jenseits seiner eigenen Schmerzgrenze liegt: Das System soll demnach 2025 starten, aber nur für den kommerziellen Bereich, also für Autos und Heizungen von Firmen. Privatpersonen sollen frühestens 2029 einbezogen werden, wenn überhaupt. Dem Vorschlag wird am Ende auch Michael Bloss zustimmen.
Als Peter Liese mit seinem Team in den frühen Morgenstunden ins Freie strebt, stehen sie vor verschlossenen Türen. Es dauert eine Weile, ehe der letzte offene Ausgang gefunden ist.
17. Mai 2022
Ein ungewöhnlicher Tag in der Brüsseler Blackbox. Wenn der Rapporteur und die Shadows ihre Arbeit verrichtet haben, steht in aller Regel am Ende ein Kompromisspapier, das im zuständigen Parlamentsausschuss eine solide Mehrheit findet. Die folgende Abstimmung im Plenum gilt als Formsache.
Beim wichtigsten Klimagesetz der EU ist nun alles anders.
Michael Bloss fühlt sich als Sieger des Tages. Zwar fand das von Peter Liese vorgelegte Kompromisspapier, samt dem Kompromiss zum ETS 2, eine Zweidrittelmehrheit im Ausschuss, aber über die beiden strittigen Punkte wurde separat abgestimmt. Die linke Mehrheit hat gehalten, ein grüner Triumph.
Klimapolitik sei immer Kampf, sagt Michael Bloss. Und Kämpfen macht ihm Spaß, besonders an Tagen wie diesen. Er lädt sein Brüsseler Büroteam zum Abendessen ein. Dieser Sieg, findet er, muss gefeiert werden.
Aber Peter Liese fühlt sich keinesfalls als Verlierer. Er ist sich sicher, dass er im Plenum gewinnen wird. Viele Liberale und Sozialdemokraten würden nicht zulassen, dass die Wirtschaft, ohnehin am Rande der Rezession, weiteren Schaden nehme. „Wir wollen eine Dekarbonisierung“, sagt Liese, „aber keine Deindustrialisierung.“
Liese ist sauer auf Bloss, weil der zu lange auf seinem Nein zum neuen Emissionshandel beharrt habe. Dabei bezeichnet sich Liese als Freund schwarzer-grüner Koalitionen, aber Bloss sei als linker Grüner schwer zu haben für pragmatische Lösungen. Bloss wiederum ist sauer auf Liese, weil der verschweige, dass auch in der EVP viele gegen den neuen Emissionshandel sind – und er, Bloss, habe immerhin seine Fraktion für den Kompromiss auf Linie gebracht. Er sagt, die „Konservativen“ machten beim Klimaschutz nur halbe Sachen. Das Wort „Konservative“ ärgert Liese, er fühlt sich selbst als „Christdemokrat“.
Das ist die Stimmungslage, drei Wochen vor der entscheidenden Abstimmung im Plenum Anfang Juni.
8. Juni 2022
„It is rejected“, sagt Roberta Metsola, die Parlamentspräsidentin. Mittwochmittag, es ist kurz vor 14 Uhr, überraschend ist Peter Lieses Bericht eben abgelehnt worden. Tumult im Plenum, ein politisches Drama. Liese erhebt sich, bittet ums Wort, schwer atmend. Er stellt einen Antrag: „Referral back to committee.“ Immerhin dieser Antrag findet Zustimmung. Das Gesetz wird zurück an den Umweltausschuss verwiesen. Sonst wäre von Lieses Arbeit nichts übrig geblieben.
Nur äußerst selten kommt es vor, dass Rapporteure ihre Berichte nicht durch das Plenum bekommen. Wenn es einen Grund dafür gibt, dann wohl diesen: Peter Liese hätte eine gemeinsame Lösung mit Michael Bloss und Emma Wiesner finden müssen. Hat er aber nicht.
Liese ist ein Klimapolitiker, aber er ist auch in der CDU – das ist immer noch ein Widerspruch. Nach seiner Niederlage gegen die linke Mehrheit im Umweltausschuss bekamen Hardliner in der Fraktion Aufwind, die Lieses Klimabegeisterung für wirtschaftsfeindliche Träumereien halten. Die Fraktionsführung versuchte, für das Plenum die Allianz mit den Liberalen und den Sozialdemokraten zu beleben. Man nennt das im EU-Jargon die „von-der-Leyen-Mehrheit“. Sie trägt im Wesentlichen das Programm der Kommissionspräsidentin. Die Grünen gehören nicht dazu.
Die Unterhändler der drei Fraktionen haben einen Kompromiss in den beiden großen Streitpunkten vereinbart, um den Liese-Bericht zu retten. Aber es gibt bei der Abstimmungsprozedur, die fast zwei Stunden dauert, eine Flut von Änderungsanträgen. Und die Sozialdemokraten haben das Gefühl, die EVP besorge sich mit der Hilfe von Rechtskonservativen und extremen Rechten Mehrheiten, die das Gesetz immer weiter verwässern. Viele von ihnen haben ohnehin keine Lust darauf, von den Grünen als halbherzige Klimaschützer kritisiert zu werden.
Und so steigerte sich der Unmut bis zur finalen Pointe: Sozialdemokraten und Grüne stimmen mit Rechtskonservativen und extremen Rechten gegen den Liese-Bericht.
In der ersten Erregung wirft Peter Liese den Grünen und Sozialdemokraten vor, mit der extremen Rechten zu paktieren. Michael Bloss wiederum wirft Liese vor, er habe mit der Hilfe der Rechten den Klimaschutz schleifen wollen. Und Emma Wiesner fragt: „Wozu das alles? Niemand wird etwas gewinnen.“
Whisky und Kuchen aus der Bäckerei Liese gibt es nach der Abstimmung trotzdem. Aber nach Feiern ist niemandem zumute. Alle haben verloren. So sieht das Peter Liese.
Am Abend noch ein kurzes Treffen mit Liese auf den Gängen im Europaparlament, er ist auf dem Weg zur Fraktionssitzung. Wie er diesen Tag empfinde? Als größte Niederlage seiner politischen Karriere? Als Demütigung? Als Betriebsunfall? Das wisse er nicht, sagt Peter Liese, er sei ja gerade erst am Anfang der Aufarbeitung dieses Tages.
Am Montag verhandeln sie wieder, Bloss und Liese und Wiesner. Und in der übernächsten Woche, das ist der Plan, soll wieder abgestimmt werden über den Bericht des Herrn Liese.