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Der Stoff, aus dem Träume sind

von Thorsten Vaas
Rems-Zeitung vom 11.09.2021

Anhand des Versuchs der Gemeinde Aspen, Forschungszentren für Grüne Wasserstoffversorgung anzusiedeln und damit Fördergelder zu erhalten, wird die Frage verhandelt, ob Wasserstoff als Antrieb für Kfz flächendeckend überhaupt sinnvoll ist.

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Der Stoff, aus dem Träume sind

Es ist verblüffend: So sehr sich Parteien streiten können, so einig sind sie sich, wenn es um einen Stoff geht, den niemand sieht, gleichwohl alle als heiligen Gral der Klimakrise und gefälligen Rettungsanker der Automobilindustrie betrachten: Wasserstoff, kurz H2. Mittendrin – Schwäbisch Gmünd. Als Modellregion.

Aspen wurde das „Wasserstoffkompetenzzentrum“ getauft, das einmal direkt ans Industriegebiet Gügling anschließt. 2000 bis 3000 Arbeitsplätze sollen dort in den kommenden zehn Jahren entstehen, glaubt Oberbürgermeister Richard Arnold, dessen ehrgeiziger Plan bereits 2023 den Bau erster Gebäude auf dem Areal ankündigt. Es ist der Stoff aus dem Träume sind, schließlich winken Millionen Euro an Förderung für die Entwicklung nachhaltiger Mobilität in Gmünd. Die Vision könnte für den Steuerzahler jedoch zum Millionengrab werden. Denn der politisch spendable Wille hat eine Opposition: die Physik.

Ein „überregionales Schlüsselprojekt“ ensteht

Aspenfeld heißt der flache Höhenzug nordöstlich des Gmünder Stadtteils Bargau, wo auf einer Fläche von bisher überwiegend landwirtschaftlich genutzten 35 Hektar dieses „überregionale Schlüsselprojekt“ entstehen soll, wie es im Dezember 2020 im Bau- und Umweltausschuss vorgestellt wurde. Es war die Stunde Null des Industrieparks Aspen, von dem seither geschwärmt wird, da der Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie im Bereich Mobilität, Energieversorgung und Industrie größte Chancen bei der Lösung der Klimakrise eingeräumt wird. Aspen solle eine Demonstration des Zusammenspiels von grünem, also klimaneutralem Wasserstoff von der Erzeugung bis zur Nutzung sein. Kurz vor Weihnachten stimmen die Stadträte dem Vorhaben zu, zumal die oberbürgermeisterliche Rhetorik kaum anderes zulässt. Er wolle mit den Räten „heute und hier den Stier an den Hörnern packen!“, verkündet Arnold in der Sitzung, wissend, dass es noch viele Hürden gibt, wovon eine über Naturgesetze führt.

Die nationale Wasserstoffstrategie

Wenn Gmünd, die Europäische Union, die Bundes- und Landesregierung dem Wasserstoff „eine zentrale Rolle bei der Weiterentwicklung und Vollendung der Energiewende“ attestieren – ein Zitat aus „Die Nationale Wasserstoffstrategie“ des Bundeswirtschaftsministeriums –, muss man verstehen, was Wasserstoff überhaupt ist: das häufigste chemische Element des Universums, auf der Erde allerdings nur selten als Gas anzutreffen. Will man jenen nutzbaren Wasserstoff gewinnen, muss mittels elektrischen Stroms Wasser in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt werden; die sogenannte Elektrolyse. Klingt einfach, ist in der Praxis alles andere als banal. Die Frage ist: Woher kommt der Strom dafür? Bestenfalls klimafreundlich aus regenerativen Quellen, etwa aus Sonnen- oder Windkraft. Der so gewonnene Wasserstoff wird als grüner Wasserstoff bezeichnet, schließlich entsteht kein klimaschädliches Kohlendioxid. In Gmünd will man eben diesen Wasserstoff nutzen, bei dem es allerdings ein ungelöstes Energie-Problem gibt, was ein Beispiel verdeutlicht: Um alle deutschen Autos mit Wasserstoff zu betanken, bräuchte man „rund 160 Gigawatt an Windrädern – rund dreimal so viel, wie bislang in Deutschland installiert wurde“, rechnet das Recherchenetzwerk Correctiv vor und bezieht sich dabei auf Experten der europäischen Organisation Transport & Environment. Sollte der Windkraftausbau weiterhin nur schleppend vorankommen, wird auch in ferner Zukunft wenig Wasserstoff auf deutschen Straßen unterwegs sein. Auch nicht im Transportwesen. Dort ist nur die Dimension verschwendeter Energie größer.

Das Technologiezentrum Aspen

Für das Technologiezentrum Aspen sollte zu Forschungszwecken freilich weit weniger Energie genügen, zumal es dort darum gehe, „die Technik für die Herstellung und Nutzung von grünem Wasserstoff“ zu entwickeln und optimieren, sagt Markus Herrmann, Sprecher der Gmünder Stadtverwaltung. Weniger Wasserstoff, bedeutet weniger Energie, die Oberbürgermeister Richard Arnold unter anderem vom rund zweieinhalb Kilometer entfernten Windpark Lauterstein beziehen will. Es sei schade, wenn er beobachte, dass die 16 Windkraftanlagen oberhalb von Bargau, Weiler und Degenfeld stillstünden, weil es möglicherweise keinen Stromabnehmer gäbe. Oder die Biogasanlagen in unmittelbarer Nähe. Klingt einfach. Zu einfach. Denn der Windpark ist „sehr gut ausgelastet“, wie Benjamin Boy, Projektleiter des Windparkbetreibers wpd, im Februar 2021 im Gespräch mit [dem Medium] sagt. Auch die Idee, Biogasanlagen anzuzapfen, sei aus Effizienzgründen nicht sinnvoll, „da Biomasse selbst bereits Energiespeicher und ein vielseitig verwendbarer Rohstoff ist“, schreibt selbst das Umweltbundesamt. Man werde Biomasse deshalb nicht in Kraftwerken verheizen, um Strom für die elektrolytische Wasserstoff-Erzeugung zu gewinnen, „sondern in synthetische Kraftstoffe umwandeln, die wesentlich besser zu handhaben sind als das leichteste aller Gase“, heißt es in einem Aufsatz Dr. Ulf Bossels für das Leibnitz-Institut für interdisziplinäre Studien. Und dennoch behauptet Gmünds Wirtschaftsbeauftragter Alexander Groll im August beim Gespräch mit [dem Medium]: „Um in diesem Rahmen Wasserstoff zu erzeugen, reicht die in der Nähe vorhandene regenerative Energie aus Windkraft, Solaranlagen und Biomasse.“ Die Produktion von Wasserstoff als Energieträger sei eine gute Möglichkeit, um jenen Strom zu nutzen, der in Schwachlastzeiten mit Windkraftanlagen eigentlich erzeugt werden könnte, aber bisher mangels Verwendung nicht erzeugt werde. Der Eindruck, die hiesige Windparkanlage stünde still, täusche jedoch, sagt Boy. Zudem bräuchte es für eine Anbindung an den geplanten Technologiepark eine „technisch schwierig zu realisierende“ Stromtrasse vom Albtrauf hinab nach Bargau. Selbst dann und unter besten Bedingungen nimmt einen Verlust in Kauf, wer aus Energie Energie herstellt – beim Wasserstoff nicht zu knapp.

Produktion, Transport und Einsatzbereiche von Wasserstoff

Von der Herstellung bis zur Nutzung von H2 geht so viel Energie bei Elektrolyse, Kompression, Transport und Co. verloren, dass am Ende selbst mit effizienten Brennstoffzellen „dem Verbraucher nur etwa 25 Prozent des ursprünglich eingesetzten Stroms […] zur Verfügung steht“, so Bossel weiter. Allein 50 Prozent Verlust entstünden auf der Strecke zwischen der Elektrolyse bis zur Wasserstofftankstelle. Befürworter der Wasserstoffwirtschaft schlagen deshalb vor, H2 direkt an der Tankstelle zu erzeugen, was mit einer einfachen Rechnung geradezu absurd erscheint: Eine Autobahntankstelle, die 60 000 Liter Kraftstoff täglich verkauft, bräuchte für den vergleichbaren Bedarf an Wasserstoff eine 26 Megawatt starke Stromleitung, ganz zu schweigen von täglich 107 Kubikmetern Wasser. Hinzu kommen physikalische Merkmale, die reinen Wasserstoff „nur bedingt“ als Energieträger für den täglichen Einsatz qualifizieren. Um etwa die gleiche Menge Energie wie in einem Benzinlaster mit 26 Tonnen zu transportieren, brauche es laut Bossel 22 Wasserstofftransporter, die pro 100 Kilometer 6 Prozent der gelieferten Energiemenge selbst verschlingen. Für was ist Wasserstoff also gut?

In der Industrie etwa bei der Stahlproduktion, wenn Wasserstoff vor Ort erzeugt wird. Als Zwischenspeicher nahe Windkraftanlagen, wie es in Hamburg geplant ist, wo auf dem Gelände des stillgelegten Kohlekraftwerks Moorburg eine große Elektrolyseanlage gebaut wird, um überschüssigen Strom von Onshore- und Offshore-Windparks einzusetzen. Im Hamburger Hafen fahren mehr als 50 Prozent der Laster mit Brennstoffzelle und Wasserstoff. Auch synthetische Kraftstoffe, die mittels Wasserstoff gewonnen werden, „werden aus heutiger Sicht vor allem im internationalen Schiff- und Flugverkehr eine zentrale Rolle spielen“, prognostiziert der Umweltrat. Oder im Transportwesen auf der Straße: Das Brennstoffzellen-Joint Venture aus Daimler Truck AG und der Volvo Group bündelt das Engagement bei Wasserstoff-Antriebssystemen unter dem Namen Cellcentric, um den Transportbereich bis 2050 „klimaneutral und nachhaltig“ zu machen. In Schwäbisch Gmünd hegte man lange die Hoffnung, das Unternehmen könnte sich für Aspen begeistern. Die Absage kam Anfang Juli, Gmünd komme als Standort nicht mehr in Betracht, so eine Unternehmenssprecherin.

Und nun? Aspen wird weiter vorangetrieben. Schwäbisch Gmünd als automotive geprägter Standort wolle die Chance nutzen und den Transformationsprozess in der Automobilindustrie „aktiv mitgestalten“, heißt es in einer Einladung aus dem Rathaus, die sich im Februar 2021 an regionale Unternehmer wendet. Man will ihnen Aspen schmackhaft machen. Andere Firmen hätten sich bereits gemeldet. Schließlich geht es um viel Geld.

Das Förderprogramm

EU-weit sind es Milliarden für die Förderung von Pipelines, Firmen und Standorte, die an dieser Technologie forschen, um die vom Bundeswirtschaftsministerium prognostizierten 5,4 Millionen Wasserstoff-Arbeitsplätze in Europa zu erreichen. Bis 2022 gibt’s dafür 100 Millionen Euro an Förderung. Jährlich. Um die allein die Wasserstoffwirtschaft in Baden-Württemberg aufzubauen, stellt das Land für die „Modellregion Grüner Wasserstoff“ bis 2027 35 Millionen Euro zur Verfügung. Den größten Teil davon, nämlich 11,5 Millionen Euro, will sich Gmünd im interkommunalen Verbund „Hy-FIVE“ (neben Gmünd sind die Stadt Ulm, der Landkreis Reutlingen und der Alb-Donau-Kreis dabei) sichern. Ein Anfang allemal – und vielleicht wird in Zukunft noch mehr Steuergeld dafür ausgegeben werden.

Die Entscheidungsträger in der Politik

Denn das Gros der Politik ist sich einig: Wasserstoff sei Zukunft. Geht es nach der Landes-SPD, solle deutlich mehr Geld dafür ausgegeben werden. „Als Sozialdemokrat*innen wollen wir die Forschungsmittel für batteriegestützte Elektro- und Wasserstoffmobilität sowie andere Kraftstoffe drastisch erhöhen“, steht im Wahlprogramm. Die CDU will Baden-Württemberg gleich zum „Marktführer bei der Wasserstofftechnologie“ machen. „Nicht zuletzt aufgrund der hohen Wertschöpfungstiefe wasserstoffbasierter Antriebssysteme darf diese Technologie im Zuge des Strukturwandels der Automobilindustrie nicht vernachlässigt werden. Die batterieelektrische Mobilität hat sich bisher nicht durchgesetzt“, behauptet gar die FDP im Landeswahlprogramm. Nur zum Vergleich: In Deutschland gibt es rund 23 800 E-Ladestationen, Wasserstofftankstellen gerade einmal 91. Die müssten teuer ausgebaut werden, wenn „dieser grüne Wasserstoff […] in den Sektoren Energie, Industrie und Schwerlastverkehr direkt eingesetzt“ wird, wie es die Grünen planen. Bislang kostet eine einzige solche Tankstelle eine Million Euro. Während also in Gmünd geforscht wird, müsste parallel die die Tankstellen-Infrastruktur massiv ausgebaut werden, um etwa ein Transportwesen auf Wasserstoffbasis überhaupt zu realisieren. Solange die nicht vorhanden ist, wird das, was in Gmünd erdacht wird, kaum Abnehmer finden. Wer investiert in Wasserstoff-Trucks, für die es kaum Tankstellen auf der Route gibt?

Wasserstoff – die ewige Zukunftstechnologie?

Niemand. Es würde sich niemand ein Auto kaufen, wenn es nirgends Benzin gäbe. Es ist ein bisschen wie bei der Henne-Ei-Frage, auf die es selbst nach vielen Jahren Forschung und Entwicklung keine brauchbare Antwort gibt. Ein Rückblick: Die Erzeugung von Wasserstoff war „1993 unwirtschaftlich, weil Wasserstoff mit Hilfe von Strom produziert wird“, steht im Lexikon der Gegenwart von 1994. Und heute? „Zwar ist die Effizienz bei dieser Technologie noch nicht zufriedenstellend, aber es ist immer noch besser, als überschüssige saubere Energie gar nicht zu nutzen!“, sagt Wirtschaftsbeauftragter Groll. 27 Jahre nach dem Eintrag im Lexikon ist die Technologie also noch immer nicht weiter gekommen. Wie kann das sein? Naturgesetze lassen sich nicht verändern. 1 Kilogramm Wasserstoff enthält zwar fast so viel Energie wie 3 Kilogramm Benzin, doch das Volumen ist immens: Etwa 12 Kubikmeter unverdichteter Wasserstoff enthalten gerade die gleiche Menge nutzbarer Energie wie 1 Liter Benzin. Es ist also nicht nur Energie notwendig, um Wasserstoffenergie zu erzeugen, sondern auch, um Wasserstoff so zu verdichten, dass er transportiert werden kann. Der Transport selbst – energieintensiv. Während der Wasserstoff-Wirkungsgrad so bei gerade etwa 25 Prozent liegt, komme regenerativ erzeugter Strom dagegen laut Ulf Bossel auf 90 Prozent. Was also ist die Zukunft? Etwa für Autos? Das will CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet bei einem Treffen mit Tesla-Chef Elon Musk wissen. Wasserstoff oder Elektrizität? „Strom. Wasserstoff ist reine Zeitverschwendung“, antwortet der Unternehmer – dann lacht er.