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Stunde der Revanche

von Ursula Schwarzer und Martin Mehringer
Manager Magazin vom 20.11.2020

Sie sehen hier den reinen Text in der anonymisierten Form für die Jury. Bilder, Layout oder multimediale Umsetzung sind beim Deutschen Journalistenpreis kein Bewertungskriterium. Allein das Wort zählt. Tabellen und Grafiken werden in einem separaten PDF zugänglich gemacht.

Stunde der Revanche

Der Familienstreit um das einst ruhmreiche Handelsimperium Tengelmann steuert auf ein schmutziges Finale zu. Dabei steht der Sieger bereits fest.

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Nur wenige Tage nachdem der Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub, 58 Jahre alt, im April 2018 bei einer Gletschertour in der Schweiz verscholl, betritt Volker G. die damalige Zentrale des Handelsunternehmens in Mülheim und entschwindet alsbald mit fünf braunen und zwei beigefarbenen Einkaufstaschen. Auf den Tüten steht in dicken Lettern "Herzlichen Dank", darüber prangt das Bild einer Schildkröte, die einen Frosch küsst.
In den Taschen befinden sich über ein Dutzend Ordner mit Details aus dem ausschweifenden Privatleben Karl-Erivan Haubs. Aus den Unterlagen, die Haubs Ehefrau Katrin (57) später an sich nimmt, speisen sich Verschwörungstheorien – bis hin zur Frage, ob Karl-Erivan Haub, Charly genannt, noch lebt.
Es ist dies nur ein Seitenstrang dieser bestürzenden Familiengeschichte. Ein Drama, das in der Wirtschaftselite Deutschlands spielt, denn die Haubs sind eine der reichsten Sippen der Republik.
Mit dem Verschwinden von Karl-Erivan ist ein brutaler Konflikt aufgebrochen. Es geht um Macht und Milliarden, Eitelkeiten und seelische Verletzungen. Die Haubs überziehen sich mit Anschuldigungen, verstricken sich in Prozessen und kommunizieren fast nur noch über ihre Anwälte.abbildungabbildung
Die Hauptrolle spielen drei Geschwister. Auf der einen Seite stehen der neue Konzernlenker Christian Haub (56) und dessen Bruder Georg (58). Die Gegner sind Karl-Erivans Ehefrau Katrin und deren 27-jährige Zwillinge Erivan und Viktoria. Den drei Stämmen gehört jeweils rund ein Drittel an Tengelmann – eine Holding, die unter anderem den Baumarktbetreiber Obi, den Textildiscounter Kik und ein großes Immobilienvermögen kontrolliert (siehe Organigramm "Dreigeteiltes Imperium").
Nach Sichtung Hunderter Seiten vertraulicher Protokolle und Gutachten sowie interner Mails erscheint klar: Katrin Haub und ihre Kinder werden sich mit ihren finanziellen Forderungen gegen Christian Haub nicht durchsetzen können. Christian steigt höchstwahrscheinlich zum Alleinherrscher auf. Eine Zerschlagung des Unternehmens, aufgebaut von Erivan Haub, dem Vater der drei Brüder, ist nicht ausgeschlossen.
"Fortuna hat mich reich bedacht, das Schicksal hat es gut mit mir gemeint", hat der Senior einmal gesagt. Das Zitat ziert die Todesanzeige des 2018 verstorbenen Patriarchen. Erivan Haub hat aus einer Schokoladenfabrik mit einigen angehängten Krämerläden einen der größten Lebensmittelhändler der Welt geformt. Mit Tengelmann und dem Discounter Plus mischte er Europa auf, mit A&P die USA.

Brüder beim Therapeuten

Doch dann verzettelte sich Haub. Widerwillig übergab er die Führung an seine Söhne Karl-Erivan und Christian. Von Fortuna ist seither nicht mehr viel zu sehen. Der gesamte Lebensmittelbereich ist weg. 1998 erzielte das Unternehmen einen Umsatz von 53,2 Milliarden Mark, heute sind es nur noch 8 Milliarden Euro.
Christian Haub sitzt in seinem Münchener Büro und erzählt mit freundlicher Stimme fast drei Stunden lang ohne jede Regung aus seinem Leben. Es ist die Geschichte eines Mannes, der sich fortwährend gedemütigt fühlte, stets im Schatten stand, dem die Anerkennung fehlte – und der nun auf seinen größten Triumph hofft: die Stunde der Bewährung.
"Unsere Familie hat nie gut harmoniert. Mein Vater konnte nicht von der Macht lassen. Diesen Machtanspruch haben unsere Eltern meinem Bruder Karl-Erivan eingeimpft; er hat ihn verinnerlicht und perfektioniert." Macht – kaum ein Wort benutzt Christian Haub häufiger. Es ist das Motiv seines Lebens.
Christian, der jüngste der drei Brüder, ging 1989 nach dem Wirtschaftsstudium als Investmentbanker in die USA. "Als ich drei Jahre später zurück nach Deutschland wollte, um im Unternehmen mitzuarbeiten, haben das meine Eltern abgelehnt."
Stattdessen übernahm Haub bei der US-Tochter A&P die Führung. Der Handelskonzern rauschte 2010 in die Insolvenz, seither war Christian in der Familie endgültig unten durch, obwohl sich die Performance von Karl-Erivan nicht viel besser liest.
"Ich musste alle wesentlichen Entscheidungen laufend mit meinem Bruder abstimmen. Trotzdem haben mir meine Eltern die Schuld an dem A&P-Ende in die Schuhe geschoben und Karl-Erivan stets bevorzugt, während ich in Deutschland nicht existent war. Geschäftspartner und die Öffentlichkeit wussten kaum, dass Charly auch noch zwei Brüder hatte."
Die Geringschätzung, die sich auch auf die Enkelkinder übertrug, ärgerte vor allem Christians Frau Liliane (57). "Privat gab es keine Kontakte", sagt Christian, "und geschäftlich konnten wir nur gut zusammenarbeiten, solange ich die Entscheidungen meines Bruders nicht hinterfragte."
Während der Konflikt mit Christians Familie eher im Hintergrund schwelte, eskalierte der Zoff zwischen Karl-Erivan und Georg. Den hatte der älteste Bruder mehr als fünf Jahre lang von Detektiven beschatten lassen. Der Grund: Karl-Erivan misstraute Georgs Einflüsterer Francisco Cortes (61), einem früheren Investmentbanker, dem unbewiesene Verbindungen zur russischen Mafia nachgesagt wurden.
Als das Ausspähen aufflog, verlangte Georg die Auszahlung seines Firmenanteils. Schließlich ließ er sich überreden, gegen einen Sonderbonus von 50 Millionen Euro aus der Tasche des Vaters an Bord zu bleiben.
"Die Bespitzelungsaffäre und unsere tief sitzenden privaten Probleme wurden nie aufgearbeitet", sagt Christian. Im Nachhinein wirkt die gescheiterte Heilung wie der Prolog eines filmreifen Dramas.
Um 9.09 Uhr am 7. April 2018 erfasst eine Überwachungskamera auf der Bergstation "Klein Matterhorn" im Schweizer Zermatt einen Mann mit Mütze, blauer Jacke und schwarzer Hose, der einen schwarz-roten Rucksack und Skier trägt. Er geht schnell mit ausgreifenden Schritten.
Die Aufnahme, dokumentiert in einem als streng vertraulich gekennzeichneten Bericht der Tengelmann-Konzernsicherheit, ist das letzte Bild von Karl-Erivan Haub. Seither gilt der erfahrene Sportler, aufgebrochen zum Trainingslauf für das Skirennen "Patrouille des Glaciers", als vermisst.

Der Kampf der Zwillinge

Sechs Tage lang suchten 60 Bergretter mit Hunden und Hubschraubern in einem 300 Quadratkilometer großen Gebiet nach dem Unternehmer. Am 13. April erklärte Tengelmann in einer Pressemitteilung, dass "in den extremklimatischen Bedingungen eines Gletschergebietes" keine Überlebenschance mehr bestehe.
"Wir sind seit zweieinhalb Jahren im Ausnahmezustand", sagt Katrin Haub. "Wir haben die Verschollenheit noch nicht verarbeitet."
Karl-Erivan hatte seine Familie nicht in die Firma eingebunden. Katrin, Tochter des früheren Rewe-Vorstands Christoph Haubold, hat einmal bei einer Bank gearbeitet, unternehmerisch war sie nie gefragt. Sie kümmerte sich hauptsächlich um das Management der privaten Angelegenheiten, ist sportbegeistert und bewegt sich am liebsten in Turnschuhen und Jeans.
Auch wenn Karl-Erivan für tot erklärt wird, erhält sie keine Anteile an Tengelmann, denn der Gesellschaftsvertrag verpflichtet die Ehegatten zur Gütertrennung. Gleichwohl spielt Katrin eine zentrale Rolle: Das Kölner Amtsgericht setzte sie als Abwesenheitspflegerin ein. Nun nimmt sie alle vermögensrechtlichen Angelegenheiten ihres Mannes wahr – in Absprache mit einem Gegenpfleger bei der Justizbehörde.abbildungabbildung
Erbberechtigt sind allein die Kinder des Paares, die 27-jährigen Zwillinge Viktoria (genannt Vicky) und Erivan. Beide haben bis zum Bachelor Ökonomie studiert – Erivan in München, Viktoria in Madrid. Aus dem geplanten Masterabschluss wurde erst mal nichts. "Als sich der tragische Vorfall ereignete", sagt Viktoria, "haben wir unsere Zelte abgebrochen, um unserer Mutter in dieser schweren Zeit beizustehen und uns gemeinsam den neuen Herausforderungen zu stellen."
Bislang hatten die Zwillinge wenig Gelegenheit, sich unternehmerisch zu beweisen. Im Tengelmann-Reich haben sie zwar diverse Praktika absolviert; in den Beirat durften sie aber nicht einziehen, weil die Firmensatzung ein Mindestalter von 30 Jahren vorsieht.
Viktoria hat nach dem Studium ein halbes Jahr beim Möbelversender Westwing gearbeitet. Sie gilt als zupackend und begleitete früher schon mal ihren Vater bei Terminen.
Bruder Erivan agiert eher zurückhaltend. Er gründete während seines Studiums eine Fanartikelfirma und kümmert sich um ein weiteres Start-up. Schwester Viktoria engagierte sich bei einem inzwischen gescheiterten Lieferdienst. Jetzt betreiben die Geschwister ein kleines Family-Office.
"Wir würden gern das Erbe unseres Vaters antreten und die Familientradition erhalten", sagt Erivan. "Aber wir sind bei der Finanzierung der Erbschaftsteuer auf die Hilfe des Unternehmens angewiesen , welche von unseren Mitgesellschaftern Christian und Georg Haub aus widersprüchlichen Gründen abgelehnt wird. Deshalb müssen wir alle Alternativen in Betracht ziehen."

Tot oder nicht tot

Allein in Deutschland muss die Familie rund 450 Millionen Euro Erbschaftsteuer entrichten, sobald der Vermisste für tot erklärt wird. Weil die Familie deutsche und amerikanische Pässe besitzt, werden auch Steuern in den USA anfallen. Damit könnten sich die Verpflichtungen auf etwa 600 Millionen Euro addieren.
Aus Gründen der Pietät, aber auch wegen der ungeklärten Finanzierungsfrage scheuen Katrin und die Kinder davor zurück, Karl-Erivan für tot erklären zu lassen. Und so wird hinter den Kulissen gefeilscht und geschachert, getrickst und attackiert. Einigkeit besteht nur in einem Punkt: Die Wunden sind auf beiden Seiten inzwischen so groß, dass es kein Miteinander mehr geben kann.
Für Katrin wiederum war die rote Linie überschritten, als vor wenigen Wochen beim Kölner Amtsgericht drei Schriftsätze mit einem sperrig klingenden Begehren eintrudelten: "Antrag auf Einleitung des Aufgebotsverfahrens und auf Todeserklärung" nach dem Verschollenengesetz.
Die Anträge stellten Christian und Georg Haub sowie das Unternehmen. Die Brüder wollen erreichen, dass ein Gericht auch gegen den Willen Katrins und der Kinder das Ableben von Karl-Erivan feststellt und auf den Abend seines Verschwindens datiert.
Aus Sicht von Christian soll der Schritt "den Schwebezustand beenden" und Bewegung in die zähen Verhandlungen zwischen den Familienstämmen bringen. Katrin und die Zwillinge ihrerseits sind entsetzt, dass die Gegenseite in ihre persönlichsten Anliegen eingreift. "Das Verhalten von Christian Haub uns gegenüber und in den Medien bedarf keines Kommentars mehr", so Katrin Haub.
Die Anwürfe sind hier wie da unerbittlich. Jede Seite sieht sich als Opfer und ist nicht zum Nachgeben bereit.
Seit Monaten scheitern Gespräche über eine Finanzierung der Erbschaftsteuer durch ein Darlehen des Konzerns an unterschiedlichen Vorstellungen von Zinssätzen und Laufzeiten. Zudem weigern sich Katrin und die Kinder, größere Teile aus ihrem Privatvermögen beizusteuern.
Mit der Diskretion war es endgültig vorbei, als Katrin die Wahl des Tengelmann-Beirats Franz Markus Haniel (65) gerichtlich anfocht, in erster Instanz gewann und der Zoff öffentlich wurde. Seitdem wird der Streit zunehmend über die Medien ausgetragen. Die Frage der Finanzierungshilfe hat sich zum Kampf um Firmenanteile zugespitzt; interner Codename: "Pegasus".
"Aus unserer Sicht bleiben nur noch zwei Möglichkeiten, die von uns allen angestrebte getrennte Vermögensverwaltung zu verwirklichen", schreibt Erivan Haub am 18. Februar an seine Onkel Christian und Georg. "Wir verkaufen alle gemeinsam unsere Anteile zum bestmöglichen Preis an einen Dritten. Wir könnten uns aber auch vorstellen, dass wir gegen eine Zahlung von Euro 1,6 Mrd. aus dem Unternehmen ausscheiden." Das Gegenangebot über 1,1 Milliarden Euro lehnt die Familie ab.
Die Grundlage für die unterschiedlichen Wertvorstellungen bilden Berechnungen der Wirtschaftsprüfer von KPMG und PwC. Während ein 672 Seiten starkes KPMG-Gutachten den Konzern auf 4,1 Milliarden Euro taxiert, kommt eine Stellungnahme von PwC auf 5,3 Milliarden Euro.

Schmutzige Scharmützel

Die vom Stamm Karl-Erivan angedachten Pläne, Unternehmensteile zu verkaufen, Rücklagen aufzulösen oder Firmenanteile zu verpfänden, verwirft Christian. "Wir wollen in der Krise handlungsfähig und bankenunabhängig bleiben und unser Beteiligungsportfolio ausbauen."
Sollten Katrin und die Kinder die Offerte über 1,1 Milliarden Euro nicht annehmen, kommt es zum Showdown. Dann wollen Christian und Georg die Karl-Erivan-Angehörigen als Gesellschafter ausschließen. Die würden mit dem Versuch einer Gegenausschließung reagieren.
Am Ende werden sich die Parteien wohl vor Gericht wiedersehen – unterstützt von dem kampferprobten Anwalt Mark Binz (71), der Christian vertritt, und dem nicht weniger streitfreudigen Juristen Peter Gauweiler (71), den Katrin und die Zwillinge jetzt an ihre Seite geholt haben. Ein noch schmutzigerer Krieg zeichnet sich ab, und der ragt immer stärker und auch ins Private hinein.
Anfangs hielt Christian seiner Schwägerin vor, die Ausgaben der privaten Trauerfeier für KarlErivan in Höhe einer mittleren sechsstelligen Summe der Firma in Rechnung gestellt zu haben.
Katrin und die Kinder dagegen monierten, dass sich Christian für seine Münchener Villa modernste Sicherheitstechnik nebst Panikraum im Wert von 900.000 Euro auf Firmenkosten angeschafft hat. Dazu bedingt er sich einen Mercedes S560L nebst Fahrer und Zugriff auf das Firmenflugzeug aus. Das Jahresgehalt von 6,3 Millionen Euro erscheint allerdings im Vergleich zum Salär der Chefs von Obi (9,3 Millionen Euro) und Kik (11,85 Millionen Euro) sowie der Karl-Erivan 2017 ausbezahlten Tantieme von 12,7 Millionen Euro eher übersichtlich.
Inzwischen geht es sogar um den Zugang zum Grab von Erivan senior am Familiensitz in Wyoming und angeblich geklaute Wertgegenstände (siehe Kasten "Büffelauge um Büffelauge").
Im Großen und Ganzen hat der Karl-Erivan-Stamm die schlechteren Karten. Ein Anspruch auf Geld vom Konzern besteht nicht. Erbschaftsteuern sind Privatsache. Laut Gesellschaftsvertrag dürfen Anteile nicht an Externe verkauft werden. Mithin kann Katrins Partei ihren Besitz nur intern weiterreichen und sich abfinden lassen – mit einem Abschlag von 30 Prozent auf den Wert ihres Anteils; auch das ist in der Firmensatzung festgeschrieben.
Eine wichtige Rolle bei der Auseinandersetzung wird Georg Haub spielen. Der gelernte Tischler gilt als wenig berechenbar. Vor einigen Monaten hatte er noch den Vorschlag unterbreitet, Beteiligungen im Wert von 1,8 Milliarden Euro zu veräußern und den Erlös an die Gesellschafter auszuschütten. Später wollte er das Immobiliengeschäft übernehmen und sich damit selbstständig machen. Für die Gesellschafterversammlung im Oktober hat er dann Christian mit einer umfassenden Vollmacht ausgestattet und ist erst gar nicht erschienen.
Aber auch in Karl-Erivans Leben gibt es halbschattige Ecken. Weggefährten berichten, dass er sich über viele Jahre mit seiner russischen Geliebten Veronika E. traf. Auffällig ist, dass die Frau seit dem Verschwinden ihres Galans nicht mehr über ihr Facebook-Konto kommuniziert. Auf eine E-Mail des [Mediums] reagierte sie nicht. Bemerkenswert auch, dass Karl-Erivan über die russische Botschaft in Aserbaidschan an einen Pass aus Putins Reich gelangt sein soll. Mithin gibt es inzwischen viele Menschen im Umfeld des Verschollenen, die nicht so recht an einen Unfall glauben.
Mit der Bespitzelung von Familie und Geschäftspartnern hat sich Karl-Erivan zudem viele Feinde gemacht, sowohl in Deutschland als auch in Russland. Sein Kontrollwahn kostete den Konzern zwischen 2006 und 2016 fast elf Millionen Euro, das belegen interne Unterlagen. Auf den Abrechnungen der Geheimagenten prangt der Firmenstempel mit dem Schriftzug "Deutsche Standards – Aus bester Familie" wie eine Farce.
Viel Geld versenkt hat er auch mit der Idee, die Discountkette Plus in Russland wieder aufleben zu lassen. Über 40 Millionen Euro verschlang das 2016 gescheiterte Abenteuer. Der Geschäftspartner, der russische Milliardär Sergey Grishin (54) und dessen Rosevro-Gruppe, waren wenig begeistert.
Ein Bericht der Tengelmann-Revision listete zahlreiche Ungereimtheiten in Russland auf. In dem vertraulichen Dokument ist auch von Bestechung die Rede. Trotzdem untersagte der Firmenchef weitere Nachforschungen. Vermutungen gibt es viele, Beweise nicht.
Die Erzählungen von Karl-Erivans Leben abseits der Familie, die Gerüchte über seinen Verbleib und das öffentlich ausgetragene Hickhack um das Erbe beschädigen zwar das Image des Clans, auf das Unternehmen hat der Krieg scheinbar keine Auswirkungen. Im ersten vollen Geschäftsjahr unter Christians Führung stieg der Umsatz um 4,1 Prozent auf 8,1 Milliarden Euro, der Gewinn vor Steuern fiel 2019 von 244 Millionen auf 194 Millionen Euro (siehe Grafik "Geringe Gewinne").
Der neue Chef hat mithilfe eines Beraters einen Umbauplan entwickelt und aufgeräumt. Er verkaufte die überdimensionierte Hauptverwaltung in Mülheim, trennte sich von 200 Mitarbeitern, versilberte die restliche Beteiligung am Lebensmitteldiscounter Netto und spaltete das Venture-Geschäft ab. Die Tengelmann Twenty-One-Holding hat nur noch 35 Beschäftigte, die sich auf mehrere Büros in Deutschland und den USA verteilen.
Nun soll Kik ein funktionierendes Onlinegeschäft aufbauen, für Obi sind Zukäufe vorgesehen, beide Firmen will Christian auf Kapitalmarktreife trimmen. Zusätzliche Geschäftschancen sieht er vor allem in den USA, dort sollen irgendwann 50 Prozent der Gesamterlöse erzielt werden.
Zwei der vier Kinder Christians arbeiten bereits in der Firma. Mit ihnen ist sich der Vater einig: "Wir wollen kein beliebiger Investor sein, sondern unseren historischen Wurzeln Handel, Konsumgüter und Immobilien treu bleiben. Die Marke Tengelmann werden wir wiederbeleben und das gleichnamige Familienunternehmen fortführen. Das sind wir unseren Vorvätern schuldig."
Es soll nach Neuanfang klingen. Doch bisher wird nur die Vergangenheit verhandelt.

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Kasten:

Gemischte Waren

Der frühere Lebensmittelhändler hat heute viele gut laufende Geschäfte unter anderen Namen.

OBI Die Baumarktkette ist Marktführer in Deutschland und die mit Abstand wichtigste Tochter von Tengelmann. Obi arbeitet recht profitabel und wächst – wie die gesamte Branche – in Corona-Zeiten rasant. 26 Prozent der Obi-Anteile hält der Automobilhändler Lueg.

KIK Der Textildiscounter betreibt 3585 Filialen in Europa. Kik hat unter den pandemiebedingten Ladenschließungen gelitten, zuletzt zog der Umsatz aber wieder an. Die Tengelmann-Gesellschafter möchten den 16-prozentigen Anteil von Kik-Gründer Stefan Heinig (58) übernehmen. Eine Option in den laufenden Verhandlungen: Heinig bekommt im Gegenzug alle Anteile an Tedi. Brisant ist, dass sich Heinig offenbar für den Kik-Konkurrenten Takko interessiert; Vorgespräche gab es bereits vor Monaten. Aus den Partnern von früher könnten demnächst erbitterte Gegner werden.

TEDI Der Billighändler hat sich seit seiner Gründung 2003 rasant ausgedehnt – auf nun 2250 europäische Läden. Nach dem Lockdown im Frühjahr greifen die Kunden jetzt vermehrt zu preisgünstigen Produkten von Lippenstiften über Küchentücher bis hin zum Akkuschrauber.

TREI REAL ESTATE Das Immobilienunternehmen besitzt Liegenschaften in Europa und den USA. Zum Portfolio gehören Wohnungen, Studentenwohnheime, Bürogebäude und Ladenlokale. Trei wirtschaftet profitabel.

BETEILIGUNGEN Die Haubs waren ab 2009 eine der ersten deutschen Familien, die sehr erfolgreich in Start-ups investierten. Trotzdem hat Christian Haub das von seinem Bruder Karl-Erivan in Deutschland vorangetriebene Venture-Geschäft abgespalten. Einige Beteiligungen wurden in die Holding integriert, andere verkauft. Der kleine US-Ableger Emil Capital Partners existiert noch.

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Kasten:

BÜFFELAUGE UM BÜFFELAUGE

Der Kampf um die Familienranch in Wyoming

Es ist ein schönes Fleckchen Erde – und eine erbitterte Kampfzone: Der Streit um die Familienranch der Haubs – ein 2500 Hektar großes Areal mit Bergen, Seen und Bisonzucht in Wyoming – zeigt, wie tief die Wunden inzwischen gehen.
Die Ranch gehörte dem 2018 verstorbenen Patriarchen Erivan Haub. Seine Schwiegertochter Katrin Haub hat aus steuerlichen Gründen den Erbanteil ihres verschollenen Mannes Karl-Erivan ausgeschlagen. Nach Auffassung Christian Haubs fällt das Objekt damit an ihn und seinen Bruder Georg. Dagegen klagt Katrin, denn sie will, dass das Erbe auf ihre Zwillinge übergeht.
Derweil war aus der Presse zu erfahren, Christian habe Katrins Familie und seiner Mutter Helga den Zugang zur Ranch und damit auch zum Grab seines Vaters verweigert. Der erklärt nun, dass seine Mutter ihn zuvor am Betreten gehindert und wertvolle Erbstücke entwendet habe. Das Grab ihres Mannes dürfe sie weiterhin besuchen. Ein Sprecher von Helga Haub bedauert die Darstellung Christians und weist sie zurück.

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Bildunterschriften:

SPURLOS VERSCHWUNDEN
Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub
verließ am 7. April 2018 das Hotel
„The Omnia“ in Richtung Seilbahn
(l.). Um 9.09 Uhr passierte er die
Bergstation „Klein Matterhorn“ bei
Zermatt (o. r.). Seither wird er
vermisst.

ERBITTERTE GEGNER
Tengelmann-Chef Christian
Haub (kl. Foto) und sein Bruder
Georg (2. v. r.) streiten mit
Karl-Erivans Zwillingen
Viktoria und Erivan (Bildmitte)
und deren Mutter Katrin (l.) über
die Finanzierung der Erbschaftsteuer

VERMÄCHTNIS DES SENIORS
Erivan Haub züchtete
Hunderte Bisons

NICHT ZIMPERLICH
Peter Gauweiler vertritt
nun mit anderen Anwälten
den Karl-Erivan-Stamm.
Die juristischen Händel dürften
sich dadurch weiter verschärfen.

HAUT AUCH DRAUF
Der kampferprobteste Familienanwalt
Deutschlands, Mark Binz, unterstützt
seit Kurzem Christian Haub