Hahaha
von Jan Schmidbauer, Jannis Brühl und Harald Freiberger
Süddeutsche Zeitung vom 05.02.2021
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Hahaha
Bei der Gamestop-Aktie wollten die Hedgefonds mal wieder abkassieren. Aber dann wettete eine erratische Crowd einfach dagegen und brachte alles ins Wanken. Haben also die Kleinen gewonnen, oder haben sie nur auch mal mitverdient?
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Am 14. Januar wurde Hendrik Fürholz zum Investor. Mit Aktien hatte er bis zu diesem Tag nichts zu tun, sagt er. Aber im Internet hatte er in den Wochen davor immer wieder von Gamestop gelesen. In einem Forum der Website Reddit las er über das Unternehmen. Er sah ein Video auf Youtube, in dem ein Mann im Katze-T-Shirt erklärte, warum die Aktie der amerikanischen Einzelhandelskette mehr wert sei als die läppischen vier Dollar, die es waren, als das Video erschien. Warum die Hedgefonds falsch liegen könnten mit ihrer Wette darauf, dass der Aktienkurs des Unternehmens weiter sinken wird.
Fürholz sitzt auf einer Parkbank an einem Platz im Münchner Osten. Er ist jetzt 26 Jahre alt und will erzählen, warum er sich die Aktien einer Firma gekauft hat, die bis vor Kurzem nur Fans von Computerspielen etwas sagte, und über die jetzt alle reden. Weil Kleinanleger rund um den Globus einen Sturm entfesselt haben, der die Welt des großen Geldes vielleicht dauerhaft verändern wird. Und der sich für viele der Beteiligten und ihre Unterstützer anfühlt wie Gerechtigkeit: Die von Pandemie, Wirtschaftskrise und Klimaangst gebeutelte Jugend schließt sich zusammen und entreißt den Herren des Geldes die Kontrolle. Den Investoren, die sonst immer gewinnen, und die aus Krisen von Unternehmen, ja ganzen Ländern Profit schlagen.
In Großbritannien saßen Leute vor ihren Computern und investierten, in Kanada, in den USA. Aber eben auch in einem Münchner WG-Zimmer.
>> Er hatte nichts vor an diesem Tag im Januar, war ja Pandemie.
Also kaufte er sich ein paar Aktien <<
Fürholz sagt, er hatte an diesem Januartag nichts vor. Er saß in seiner Wohnung, draußen war ja Pandemie. "Mir war auch langweilig", sagt er. Aber die Argumente hätten ihn überzeugt, die er auf jenem Reddit-Forum gelesen und auf Youtube gesehen hatte. Also eröffnete er sein erstes Depot. Bei der Volks- und Raiffeisenbank, old school. 45 Aktien für 32,25 Euro pro Stück.
Er ist also einer jener Kleinanleger, die seit anderthalb Wochen die Wirtschaftsnachrichten bestimmen. Die sich mit eigentlich unbeliebten Aktien wie der von Gamestop eingedeckt haben, in der Hoffnung, dass sie steigen. Weiter und weiter. Und dann noch weiter. Gamestop und einige andere Aktien taten das dann auch, zeitweise in geradezu absurdem Tempo - bis der Kurs diese Woche wieder einbrach. Manche haben ein kleines Vermögen gemacht. Weil sie früh genug eingestiegen und längst schon wieder raus sind. Andere haben nicht viel zu verlieren, weil sie ohnehin nur mit kleinen Summen dabei sind. Für wieder andere könnte der Zocker-Showdown mit den Hedgefonds zum finanziellen Desaster werden. Denn irgendwann wird die Blase platzen, und der Kurs der Aktien könnte sich einem Niveau annähern, das die reale Situation der Unternehmen widerspiegelt.
Hendrik Fürholz ist kein Zocker. Als die Aktie von Gamestop vorige Woche auf mehr als 300 Euro stieg, verkaufte er fünf seiner Aktien, damit er zumindest den Einsatz wieder drin hat. 40 Aktien aber hat er noch. Er ist bereit, über sein Investment zu reden, solange nicht sein richtiger Name in der Zeitung steht. Muss ja keiner wissen, dass er möglicherweise bald reich ist.
Genau das ist es ja, worauf er und viele gerade hoffen, warum sie die Papiere weiter halten, auch wenn der Kurs von Gamestop in dieser Woche massiv gefallen ist. Erst ging es rauf von vier auf 400 Euro, dann wieder runter auf 50. Anleger wie Fürholz hoffen, dass der Kurs noch ein zweites Mal durch die Decke gehen könnte. Dann nämlich, wenn sich amerikanische Hedgefonds erneut mit Millionen Aktien eindecken müssen, um immer höher werdende Verluste zu vermeiden - und damit den Preis der Aktie wiederum nach oben treiben. Es ist ein Kreislauf, der den Gamestop-Fans mit dem richtigen Timing viel Geld gebracht hat. Short Squeeze sagen sie an der Börse dazu, wenn die Nachfrage plötzlich rasant steigt und die Kurse ins Aberwitzige springen. Wer da gegen die Aktie gewettet hat, zahlt einen hohen Preis. Solche Short Squeezes gab es immer wieder, 2008 passierte es zum Beispiel mit der VW-Aktie.
Im Mittelpunkt stehen dabei die sogenannten Leerverkäufe. Mit ihnen können Investoren darauf wetten, dass ein Aktienkurs fällt. Sie leihen sich die Papiere dazu von anderen Investoren und vereinbaren, sie in einigen Wochen oder Monaten zurückzugeben. In der Zwischenzeit verkaufen sie die Aktien und hoffen darauf, dass der Kurs fällt, wenn sie sie wieder kaufen und zurückgeben müssen. Fällt die Aktie, machen sie einen Gewinn. Steigt sie, machen sie einen Verlust, der theoretisch größer sein kann als ihr Einsatz. So was ist Alltag an den Finanzmärkten.
Neu ist, dass sich Zigtausende aus Internetforen in ein Fernduell mit mächtigen Hedgefonds stürzen, mit jenen Wall-Street-Profis, über die der britische Wirtschaftsjournalist Sebastian Mallaby einmal schrieb, sie hätten "mehr Geld als Gott".
Mittlerweile ist zwar klar, dass es die Online-Trader nicht allein waren, die die Aktien von Firmen wie Gamestop in die Höhe trieben, und dass auch in diesem Fall einige Finanz-Profis auf der Gewinnerseite stehen. Der Hedgefonds Senvest hat dem Wall Street Journal zufolge fast 700 Millionen Dollar gemacht, weil er die Herde der pessimistischen Investoren verließ und seit Herbst auf die Gamestop-Aktie setzte.
Aber vieles deutet darauf hin, dass Menschen wie Hendrik Fürholz mindestens eine wichtige Rolle spielen in diesem Duell, das immer schwieriger zu durchschauen ist. Sie gaben die Initialzündung für den Short Squeeze. Sicher ist, dass die Bankenwelt sich einstellen muss auf die neue Macht der Internet-Foren. Es sind zwar nur kleine Summen, die Leute wie Hendrik Fürholz am Aktienmarkt investiert haben. Summen, die manch ein Wallstreet-Banker in ein paar Stunden verdient. Aber es ist wie so oft, wenn sich Menschen im Netz zusammenfinden, um das Gleiche zu tun: Aus vielen Einzelnen kann ein Schwarm werden, der enorme Macht entfaltet.
20 Milliarden Dollar sollen Hedgefonds bereits verloren haben. Melvin Capital soll im Januar mehr als die Hälfte seines investierten Vermögens von bis dahin 12,5 Milliarden Dollar verbrannt haben. Das sind ungefähr die Kosten des Berliner Flughafens.
>> Die Profis hatten Gamestop schon abgeschrieben, aber dann kam dieser Typ mit dem Katzen-T-Shirt <<
Hedgefonds sind umstritten, vor allem wegen der Leerverkäufe. Manche halten dieses Geschäftsmodell für diabolisch, andere für hilfreich, weil die Hedgefonds damit Schwächen börsennotierter Firmen aufdecken können. Wie im Fall des deutschen Skandalkonzerns Wirecard, vor dessen Aktien Hedgefonds früh gewarnt hatten. "Ohne Leerverkäufe wäre ein Funktionieren der Kapitalmärkte nicht mehr möglich", sagt Christian Schlag, Professor für Finanzwirtschaft an der Goethe-Universität Frankfurt. Investoren könnten damit eine negative Meinung über ein Unternehmen kundtun, eine wichtige ökonomische Funktion bei der Preisbildung.
Gamestop war bis vor Kurzem höchstens Leuten ein Begriff, die mit Maus oder Joystick zocken, nicht mit Aktien. Eine Einzelhandelskette, die Computerspiele verkauft. Hauptsitz in Grapevine/Texas, Filialen auf der ganzen Welt. Der Aktienchart des Unternehmens zeigt, dass die Firma ihre besten Zeiten eigentlich schon hinter sich hatte. Vor der Finanzkrise 2008 lief es noch gut, der Kurs lag bei mehr als 40 Euro. Spätestens seit 2015 ging es dann nur noch abwärts: 20 Euro, 10 Euro, 5 Euro. An der Börse geht es ja nicht nur darum, wie es einem Unternehmen gerade geht. An der Börse werden Erwartungen gehandelt. Welche Gewinne wirft eine Firma in zwei, drei oder zehn Jahren ab? So lässt sich etwa erklären, warum der Elektroauto-Pionier Tesla, der im vergangenen Jahr eine halbe Million Fahrzeuge verkauft hat, neunmal so viel wert ist wie der VW-Konzern, der 9,3 Millionen Autos verkaufte.
Im Fall von Gamestop waren professionelle Anleger skeptisch, ob die Firma überhaupt noch eine Zukunft hat. Stationärer Handel, Tausende Filialen mit Personal und Mieten: alles schwierig in Zeiten der Digitalisierung. Und Computerspiele lassen sich im Netz runterladen. Dann passierte Erstaunliches. Der Aktienkurs von Gamestop stieg - erst langsam, in den vergangenen zwei Wochen dann in aberwitzigem Tempo. Am 28. Januar, dem vorläufigen Höhepunkt der Rallye, wurden die Aktien des Spielehändlers in Frankfurt zwischenzeitlich für 420 Euro gehandelt, etwa das 100-Fache dessen, was sie noch im Frühjahr 2020 wert waren. Als wäre eine Wohnung vor ein paar Monaten 500 000 Euro wert gewesen - und heute 50 Millionen.
Hendrik Fürholz ist Wirtschaftsingenieur, kein Profi-Anleger. Aber er hat sich eingelesen. Er weiß jetzt, wie ein Leerverkauf funktioniert. Und er hat genau verfolgt, wie ein kleines Spiel, bei dem es anfangs nur ums Geldverdienen ging, eine eigene Dynamik entwickelt hat. Eine Dynamik, die er "beängstigend" nennt.
So schnell wie die Aktie von Gamestop gestiegen ist, so schnell hat sich eine Erzählung verbreitet: von einer wildgewordenen Internethorde, die sich verbündet hat, um die verhassten Spekulanten mit den teuren Uhren und den schnellen Sportwagen in den Ruin zu treiben. Um ihnen zu zeigen, dass ihr Geschäftsmodell falsch ist. Was für eine schöne Geschichte. Digital gegen Analog. Klein gegen Groß. Idealisten gegen Turbo-Kapitalisten. Nur: Angefangen hat alles wohl ganz anders.
Vieles deutet darauf hin, dass der Aufruhr an den Finanzmärkten auch mit einem 34-jährigen Mann aus der Nähe von Boston begann, der wohl nie die Absicht hatte, sich mit Hedgefonds zu duellieren. Der letztendlich nur tun wollte, was die Großen an der Börse auch wollen: Geld verdienen. Es ist der Youtuber mit dem Katzen-Shirt, dessen Video Hendrik Fürholz gesehen hatte: Keith Gill. Ein schlanker Mann mit dunklen Haaren, im Internet tritt er unter dem Pseudonym Roaring Kitty auf. Anfang der Woche hat das Wall Street Journal seine Geschichte erzählt. Die Geschichte eines Mannes, der eigentlich Langstreckenläufer werden wollte, bis vor Kurzem für eine Lebensversicherung arbeitete und privat mit Aktien handelt.
Es gibt auf Youtube ein Video von Roaring Kitty, hochgeladen am 28. Juli 2020. In 56 Minuten und 32 Sekunden erklärte er da, mehr als sechs Monate bevor die Welt begann, über den Aktienkurs der Computerspiel-Kette zu diskutieren, warum Gamestop mehr wert ist als die vier Dollar, die die Aktie damals kostete. Vier Dollar. Wer damals eingestiegen wäre, hätte am Mittwoch zeitweise zum 100-Fachen verkaufen können. Gill saß in diesem Video vor seinem roten Mikrofon und ließ Folien und Tabellen über den Bildschirm fliegen. Lauter Argumente, die seine These unterfütterten, dass Gamestop besser ist als sein Ruf. Er zeigte Statistiken, wonach der Fußballsimulator Fifa noch im Jahr 2018 zu 75 Prozent als Bluray-Disc gekauft wurde. Umfragen, wonach 26 Prozent der Gamer ihr nächstes Spiel bei Gamestop kaufen wollten. Fast so viele wie bei Amazon.
Gills Argumenten überzeugen Hendrik Fürholz. Auch andere Anleger, mit denen die SZ gesprochen hat, erzählen vom Einfluss des Youtubers, der auf Reddit unter dem inzwischen ja durchaus korrekten Titel "DeepFuckingValue" auftritt und seine Erfolge zuletzt mit Chicken Nuggets feierte, die er in ein Sektglas tauchte.
Einen zweistelligen Millionenbetrag soll Gill zwischenzeitlich dank Gamestop angehäuft haben. Dass Hedgefonds Milliarden verlieren, Behörden den Fall prüfen, internationale Medien darüber berichten, damit hat er nicht gerechnet. "Die Geschichte ist so viel größer als ich", sagte er dem Wall Street Journal.
Und in Manhattan sitzen die Herren des Geldes an ihren Bloomberg-Terminals und verfolgen die Kurssprünge, die sie nicht haben kommen sehen. "Dieser Short Squeeze ist ein Hurrikan, ein perfekter Sturm", sagt ein Hedgefonds-Insider. Im Normalfall, erklärt er am Telefon, seien an professionellen Short-Geschäften zwei Parteien beteiligt: der Leerverkäufer, der gegen ein Unternehmen wettet, und ein sogenannter Market Maker. Diese Unternehmen haben zum Beispiel Aktien auf Lager, um sie Leerverkäufern zu leihen, die auf fallende Kurse setzen. Aber dieses Mal hat sich eine dritte Partei dazu gedrängelt, ist einfach reingestürmt in das Meeting für Anzugträger, die sich selbst zu ernst nehmen: Das Internet ist da.
>> Kein normaler Mensch kauft jetzt noch, dachten die Insider. Falsch gedacht <<
Der Insider sagt: "Es gibt normalerweise keinen Irren, der in einer Situation, in der der Preis schon durch die Decke geht, sagt: Oh, jetzt kaufe ich noch mehr. Das macht kein normaler Mensch." Aber normale Menschen wollen viele der neuen Investoren auch gar nicht sein. Sie kauften einfach immer weiter. Auf Reddit nennen sich viele Anarcho-Trader stolz "Autisten", sie fordern "Fuck the Hedgefonds" und prahlen mit fünf- oder sechsstelligen Summen, die sie mit Gamestop gewonnen und verloren haben. Crazy Money? Ja, bitte.
Einer von denen, die aus den Türmen Manhattans aus wie Irre erscheinen, ist ein ziemlich gut gelaunter Softwareentwickler aus Baden-Württemberg. Damian Wagner, der eigentlich anders heißt, sagt: "Ich bin 73 Prozent im Minus", dann lacht er. "Es bewegt sich langsam Richtung Null."
Der Absturz ist Teil der Achterbahnfahrt. Steigt der Kurs, muss man entscheiden: Gewinne mitnehmen - dann können die Leerverkäufer in der Wall Street aufatmen - oder weiter spekulieren? Wagner schickt einen Screenshot von Ende Januar: Um 8.18 Uhr ein Kauf: 15 Gamestop-Aktien für 1137 Euro. Um 22. 22 Uhr ein Verkauf: 15 Gamestop-Aktien für 2194 Euro. 93 Prozent Gewinn an einem Tag.
"To the moon!" ist das Motto der Reddit-Crowd. Der heute 35-Jährige spielte schon vor zehn Jahren an der Börse mit, sagt er. Damals war es ein Geheimtipp von seinem Schwager, ein Unternehmen für Computerchips. "Die Aktie ist damals auf 60 Euro hoch, ich bin bei 50 raus, als die Diskussion hochkam, dass sie zu abhängig von ihrem Großkunden Apple sind." In diesem Jahr kam der Geheimtipp nicht aus der Familie, sondern über die Chat-App Telegram. Zu viert seien sie in der Gruppe und tauschten Aktientipps. Irgendwann habe einer auf Reddit Gamestop entdeckt und die anderen dorthin gelotst: "Ohne Telegram und Wall Street Bets wäre ich nie eingestiegen."
Was der Unterschied zu seinen Chip-Aktien von damals ist? Eine Analyse des Unternehmens könne man sich im Fall Gamestop mittlerweile schenken. "Es sollte jedem klar sein, dass das nichts mehr mit dem zu tun hat, was das Unternehmen tut. Wenn sich der Kurs immer weiter verdoppelt, ist das nichts, was Gamestop mit dem Verkauf von Computerspielen erwirtschaften kann." Die Hedgefonds kämpfen mit Profi-Analysten und teurer Software, speziell für ihre Zwecke entwickelt. Reddit-Anleger vor allem mit jenen Apps, die Aktiendeals so einfach gemacht haben wie ein Handyspiel. Jedes Smartphone eine Art Mini-Hedgefonds. "Wenn man in Gamestop investiert hat, checkt man sein Handy alle fünf bis zehn Minuten", sagt Wagner.
>> Der Schlachtruf lautet: YOLO. You only live once – Man lebt nur einmal, notfalls eben pleite <<
Am Anfang mag es den Leuten auf Reddit um ein gutes Investment gegangen sein. Aber in den Foren hat sich der Ton verändert in der Zeit, als die Aktie Richtung Mond schoss. Hendrik Fürholz erzählt, wie die Stimmung im Forum immer aufgeheizter wurde. Immer politischer. Jetzt gehe es nur noch darum: Fick die Hedgefonds, jetzt zeigen wir's denen. Vielen geht es nicht mehr um die Wette an sich, sondern darum, es den verhassten Großinvestoren zu zeigen. Gerade in den USA, wo die Finanzkrise 2008 so viele Menschen in Armut und Obdachlosigkeit gestürzt hat.
Wagner glaubt den revolutionären Parolen nicht. "Auf Reddit verkaufen sich zwar viele als Idealisten nach dem Motto: Wir wollen die Hedgefonds stürzen. Aber wenn Geld winkt, verkauft man doch schnell wieder." Er jedenfalls will mit seinen Gamestop-Aktien zocken: "Ich hoffe nach wie vor auf einen weiteren Short Squeeze."
Wie gefährlich die Zockerei für manche sein kann, zeigen die Spekulanten, die auf Reddit ihr Erspartes in die auf- und abspringenden Aktien buttern und Screenshots davon posten. Fünfstellig im Minus - egal. Der Schlachtruf dazu: YOLO. You only live once, notfalls eben pleite.
Noch weiß niemand, wer aus dieser Geschichte als Gewinner und wer als Verlierer rausgehen wird. Ob es diesmal wirklich die Hedgefonds sind, die am meisten geblutet haben. Oder doch wieder die Privatanleger. Finanz-Professor Schlag sieht die Vorgänge um Gamestop in jedem Fall als Einschnitt. "Es wird nicht folgenlos bleiben, man hat etwas erlebt, was man vorher nicht kannte: dass die Masse kleiner Investoren großen Investoren Schaden in Milliardenhöhe zufügen kann", sagt er. Die professionellen Investoren würden diese Möglichkeit künftig bei allen ihren Handlungen einkalkulieren müssen, besonders wenn es um Leerverkäufe gehe. Schlag glaubt aber nicht, dass Ähnliches bei größeren Aktien funktionieren kann. "Die Voraussetzung für einen Short Squeeze ist, dass es sich um einen engen Markt handelt, in dem viele Käufer wenigen Verkäufern gegenüberstehen", sagt er. Bei Gamestop waren auf dem Höhepunkt 140 Prozent aller Aktien leerverkauft, also mehr Aktien, als es überhaupt gibt. So etwas werden sich Investoren künftig gut überlegen.
Hendrik Fürholz jedenfalls sagt auf der Parkbank, dass er sich Gedanken über den Kapitalismus und die Hedgefonds gemacht hat: "Ihr setzt darauf, dass 40 000 Leute ihren Job verlieren? Mit all eurem Geld? Wer seid ihr? Da habe ich kein Mitleid." Dass er seine Gamestop-Aktien immer noch hält, obwohl er weiß, dass alles wieder zusammenklappen kann, hat aber einen anderen Grund. Einen, der aus seiner Sicht viele Leute im Netz umtreibt: die Hoffnung seiner Generation, durch die Wette finanziell voranzukommen. Er kommt aus dem Landkreis Starnberg. "Wenn ich da ein Eigenheim kaufen will, muss ich die nächsten 120 Jahre sparen. Mit einem Ingenieursgehalt." Er hat sich das genau überlegt. Wenn er am Dienstag verkauft hätte, dann hätte er gut 2500 Euro gehabt. Reicht für ein neues Fahrrad, für einen Urlaub. Geht die Wette aber auf, und die Kurse explodieren noch mal, dann hätte er vielleicht schon mal das Anfangskapital für eine eigene Immobilie. "Ich muss so eine beknackte Wette eingehen", sagt Fürholz. "Weil das meine einzige Möglichkeit ist." Die Möglichkeit, sorgenfrei zu leben, so sieht er es. Aber ob es nun um eine Immobilie geht oder etwas anderes: Letztlich geht es darum, Geld zu verdienen.
Donnerstagabend steht die Gamestop-Aktie bei 50 Euro. Damian Wagners Paket war vor einer Woche 14 000 Euro wert. Jetzt noch 2600. Nervös? Aber nein. Das sei ja nicht sein riskantestes Investment. Er hat ja noch Kryptowährungen.