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Geld, Macht und Frauen

von Kathrin Werner
Süddeutsche Zeitung vom 29.05.2021

Sie sehen hier den reinen Text in der anonymisierten Form für die Jury. Bilder, Layout oder multimediale Umsetzung sind beim Deutschen Journalistenpreis kein Bewertungskriterium. Allein das Wort zählt.

Geld, Macht und Frauen

Endlich: Mächtige Investoren wie Blackrock üben Druck auf Unternehmen aus, diverser zu werden. Was aber in den USA funktioniert, wird in Deutschland kaum praktiziert – obwohl es sich
auch finanziell lohnen würde. Was jetzt zu tun ist

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Das Bronzemädchen stemmt die Arme in die Seiten, breitbeinig steht sie da, den Blick mutig und direkt. Die Statue „Fearless Girl“, die sich erst dem mächtigen Bronzebullen bei der Wall Street und jetzt dem alten Gebäude der New Yorker Börse entgegenstellt, ist ein beliebtes Motiv für Touristen. Anfangs musste man Schlange stehen für ein Selfie.

Girlpower! Die Menschen mögen die Symbolik: Ein kleines Mädchen rebelliert gegen den brutalen Kapitalismus. Doch was wirkt wie eine Guerilla-Kunstaktion, war in Wirklichkeit Guerilla-Marketing eines Unternehmens, das mit Kapitalismuskritik nichts am Hut hat. State Street Global Advisors ist einer der größten Finanzinvestoren der Welt. Das Unternehmen will den Kapitalismus ganz bestimmt nicht aufhalten, es ist eine Triebfeder. Die Statue ist Symbol seiner Forderung, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen.

Man kann diesen Finanzfeminismus ätzend finden, dem es nicht um Moral, sondern um Public Relations geht. Doch die Aktion mit dem Fearless Girl entbehrt nicht einer gewissen marktwirtschaftlichen Logik. Denn anders, als es die Statue suggeriert, die das mutige Mädchen dem Bullen mit den glänzend gerubbelten Hoden entgegensetzt, passen Kapitalismus und Frauenförderung eigentlich zusammen. Zumindest ist es so, dass Frauen dem Kapitalismus dienen – selbst wenn der Kapitalismus den Frauen oft nicht dient.

Gemischte Teams arbeiten besser, Unternehmen mit vielfältiger Führung verdienen mehr, das ist seit Jahren bekannt und bestens erforscht. Doch die Beharrungskräfte in der Wirtschaft sind stärker als die wirtschaftliche Vernunft, darum sitzen in den Chefetagen immer noch die gleichen Gesichter: weiße, mittelalte Männer mit BWL-Abschluss von einer guten Uni. In Deutschland heißen sie meistens Thomas. Ohne Druck tut sich da nichts.

>> Verwaltungsrat ist man gerne. Es ist einträglich und prestigeträchtig <<

Wie gut also, dass jetzt Druck von mächtiger Stelle kommt. Die drei großen Finanzinvestoren Vanguard, Blackrock und State Street wollen es Unternehmen, denen sie Geld geben, nicht mehr durchgehen lassen, wenn sie nur Thomasse in den wichtigsten Führungsjobs haben. Wenn „die großen Drei“ das verkünden, dann hat es Gewicht. Zusammen verwalten sie mehr als 15 Billionen Dollar, halten Anteile an fast jedem großen Unternehmen in den USA, bei 88 Prozent der Firmen im Leitindex S&P 500 ist einer der drei Investoren der dominierende Anteilseigner.

Und bei den Big Three hört es nicht auf. Goldman Sachs kündigte zu Beginn des Jahres 2020 an, keine rein Thomas-geführten Unternehmen mehr an die Börse begleiten zu wollen. Der milliardenschwere US-Fonds Federated Hermes, der norwegische Staatsfonds Norges und große französische Investoren wie Amundi, Axa Investments oder BNP Paribas verpflichten Unternehmen, die ihr Geld wollen, mittlerweile ebenfalls zu mehr Diversität. Die meisten von ihnen geben nicht nur leere Forderungen ab, sondern verknüpfen sie mit Konsequenzen: Wenn die Directors, also die Verwaltungsräte der Firmen, nicht für mehr Diversität sorgen, wollen die Anteilseigner auf den Hauptversammlungen ihre Posten nicht verlängern. So etwas wirkt, denn Director ist man gern – es ist einträglich und prestigeträchtig.

„Die ‚Big Three‘ haben die Diskussion über Geschlechterverteilung in den Vorstandsetagen der Unternehmen verändert“, sagt David Matsa, Professor an der Kellogg School of Management der Northwestern University, der gerade eine Studie zum Thema angefertigt hat. „Wenn ihre größten Aktionäre einen Aufstand machen, hören sie zu.“ Je mehr Anteile die Großen Drei an Unternehmen hielten, desto mehr Frauen beriefen sie seit 2017 in den Verwaltungsrat, hat Matsa ermittelt. Die Zahl der neuen weiblichen Mitglieder stieg um 76 Prozent für jede zusätzlichen acht Prozent Anteile, die Vanguard, Blackrock oder State Street besaßen.

2021 schickt sich an, ein Rekordjahr für Diversity-Initiativen von Investoren auf Hauptversammlungen amerikanischer Konzerne zu werden. Gerade erst haben 94 Prozent der Aktionäre dafür gestimmt, IBM zur Erstellung eines jährlichen Diversitätsberichts zu zwingen. Das ist ein Ausreißer nach oben, zugegeben, denn im Schnitt stimmten in der laufenden Hauptversammlungssaison nur knapp 43 Prozent der Anleger für Diversitätsanträge bei den verschiedenen US-Unternehmen – in den vergangenen Jahren waren es allerdings stets nur ein Viertel oder weniger.

Und selbst wenn Anträge am Ende abgelehnt werden, haben sie Schlagkraft, weil sich die Unternehmen mit den Vorschlägen auseinandersetzten, sobald sie eine gewisse Zahl an Unterstützern bekommen, um die Peinlichkeit zu vermeiden, dass sie eine Abstimmung verlieren. State Street hat berechnet, dass von den 1486 Unternehmen, die rein männliche Verwaltungsräte hatten und von der Firma dafür gerügt wurden, inzwischen 862 mindestens eine Frau berufen haben.

Tatsächlich also haben die institutionellen Investoren ihre Macht genutzt – allerdings vor allem in den USA und fast gar nicht in Deutschland. Zwar hat nun mit Merck endlich ein Dax-Konzern eine Vorstandschefin, Belén Garijo. Doch mehr als die Hälfte der großen börsennotierten Konzerne haben keine Frau im Vorstand und 62 planen weiterhin mit einer frauenfreien Führungsetage, darunter die Dax-30-Unternehmen Delivery Hero und RWE. In den Aufsichtsräten sieht es dank der gesetzlich vorgeschriebenen Quote zwar besser aus, sie gilt allerdings für viele Unternehmen nicht – und das merkt man auch an den Zahlen. Es geht längst nicht nur um Frauen. Es gibt auch kaum Führungskräfte, die eine Migrationsgeschichte oder eine dunklere Hautfarbe haben, aus Ostdeutschland stammen oder aus einem bildungsfernen Elternhaus. Es ist kaum zu glauben, aber in einigen Firmen kommen immer noch 100 Prozent der Topmanager aus dem deutschsprachigen Raum – obwohl die Unternehmen viel Geschäft im Ausland machen. Was Diversität angeht, hinkt die deutsche Wirtschaft hinter fast allen westlichen Industrienationen zurück.

Man sollte meinen, die deutsche Thomas-Lastigkeit könnte für die Unternehmen zu einem Risiko für ihren Zugang zu Eigenkapital werden, denn schließlich wollen auch sie Geld von den großen institutionellen Anlegern haben; diese haben auch hierzulande Macht. Blackrock zum Beispiel hält knapp 11,5 Prozent am Dax-Konzern Deutsche Wohnen. Trotzdem hat sich bisher wenig geändert – wie kann das ein?

Einer der Gründe: Laut einer Studie der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR) hielten die 30 einflussreichsten institutionellen Investoren im Dax und M-Dax Ende 2020 nur rund 23 Prozent der Stimmrechtsanteile, weniger als zum Beispiel in den USA. Von den Großinvestoren knüpfen zwar die Hälfte ihre Beteiligung gemäß ihren Anlagerichtlinien an eine diverse Zusammensetzung der Führungsgremien. Doch sie stimmen dann oft nicht so ab, wie sie es eigentlich sollten, und bestätigen zum Beispiel auch Posten in Unternehmen, die zu weiß und rein männlich sind. Bei keiner einzigen Entlastung eines Aufsichtsrats im vergangenen Jahr hat mangelnde Diversität eine Rolle gespielt.

Ein Problem ist, dass sie ausländischen Investoren, die oft Tausende Unternehmen aus Dutzenden Ländern im Portfolio haben, sich mit den unterschiedlichen Aufgaben von Vorstand und Aufsichtsrat im deutschen Wirtschaftssystem nicht auskennen, sie sind nur mit dem angelsächsischen Board of Directors vertraut. Wenn es mehrere Aufsichtsrätinnen gibt, bleibt für sie leicht unbemerkt, dass es an Vorständinnen fehlt.

>> Wenn man selbst von weißen Männern geführt wird, macht das die Sache nicht einfacher <<

Auch der Zugang zu den entsprechenden Daten ist schwierig, die Unternehmen verstecken Informationen zu Diversität an immer anderen Stellen im Geschäftsbericht. Auch die Lebensläufe der Führungsriege sind oft schwer zu finden und wenig aussagekräftig, bemängelt die HWR-Studie. Es sei außerdem teilweise nur nach aufwendiger Recherche erkennbar, in wessen Zuständigkeit die Nachfolgeplanung und das Vorstandsauswahlverfahren fallen. Oft wissen die Investoren darum gar nicht, gegen wen sie ihre Drohungen richten sollen. Und die Drohung, Aufsichtsräte nicht wiederzuwählen, verpufft – schließlich werden sie in Deutschland nicht jährlich neu gewählt, sondern sind für viele Jahre im Amt. Das deutsche System ist träge, eben auch in Sachen Diversität. Insgesamt erwies sich in Deutschland keiner der großen institutionellen Investoren bislang als Vorreiter.

Vor diesem Hintergrund ist es unverständlich, dass der deutsche Gesetzgeber sich so sehr ziert, endlich vernünftige Diversitätsregeln einzuführen. Zwar soll die Frauenquote für Vorstände noch vor der Sommerpause vom Bundestag verabschiedet werden, sie wird aber wieder nur für die größten Unternehmen gelten. Der Staat sollte den Investoren helfen, ihre Arbeit zu machen. Er sollte Unternehmen zwingen, Diversitätsdaten besser zu veröffentlichen. Viele Informationen müssen Unternehmen bereits offenlegen, es wäre aber sinnvoll, wenn sie das auch einheitlich und leichter nachvollziehbar tun müssten. Am besten wäre ein einheitliches Register, in das alle Unternehmen Fakten zur Diversität eintragen müssen, auch den Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen im Unternehmen und andere Vielfaltskriterien. Der Deutsche Corporate Governance Kodex, der Empfehlungen für gute Unternehmensführung enthält, braucht ein Update.

Einen Wandel brauchen auch die Investoren selbst, die zwar gerne über Diversität reden, selbst aber von weißen Männern geführt werden. State Street zum Beispiel zahlte fünf Millionen Dollar für einen Vergleich, nachdem insgesamt 300 Frauen und 15 schwarze Angestellte klagten, dass sie schlechter bezahlt würden. Gerade verkündete die Firma allerdings stolz, dass zum ersten Mal eine Frau, Lori Heinel, Chief Investment Officer wurde und damit für die Anlage von 3,47 Billionen Dollar zuständig ist.

Das New Yorker Bronzemädchen hat die Firma in diesem Jahr zum Weltfrauentag noch aufgepeppt und um die Statue herum riesige Glassplitter auf den Boden drapiert – als Symbol für all die gläsernen Decken, die Frauen bereits durchbrochen haben. Die gläsern Decke steht für die unsichtbaren Hürden, die Frauen auf dem Weg nach oben ausbremsen. Für Touristen auf dem Weg zum Selfie mit Fearless Girl sind die Scherben allerdings eine Stolperfalle. Und Frauen dienen sie als Erinnerung daran, dass die Überreste der Barrieren, die sie überwunden haben, sie immer noch verletzen können, wenn sie nicht aufpassen, wo sie hintreten.