Energieversorger: Mit der Schufa gegen "Bonushopper"
von Peter Hornung, Lea Busch und Nils Heck (geb. Wischmeyer)
Norddeutscher Rundfunk vom 08.09.2020
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Energieversorger: Mit der Schufa gegen "Bonushopper"
Wer günstig Strom und Gas beziehen will, muss Preise vergleichen und gegebenenfalls den Anbieter wechseln. Energieversorger wollen das offenbar mit der Schufa und einer Wirtschaftsauskunftei ändern.
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Strom- und Gaskunden, die ihren Anbieter häufiger wechseln wollen, könnten schon bald systematisch davon abgehalten werden. Nach Recherchen von [Medium] und [Partnermedium] haben die Schufa und die Münchner Wirtschaftsauskunftei CRIF Bürgel Datenbanken entwickelt, in denen offenbar branchenweit Vertragsdaten möglichst vieler Kunden gespeichert werden sollen. Verbraucher- und Datenschützer fürchten, dass damit Energieversorger wechselfreudige Verbraucher identifizieren und in der Folge ablehnen könnten. Anfang November wollen sich die Datenschutzbehörden der Länder und des Bundes zu diesem Thema abstimmen.
Unattraktive "Bonushopper"
Kunden, die schon nach der Mindestvertragslaufzeit wieder wechselten, seien für Energieversorger grundsätzlich unattraktiv und als "Bonushopper" verschrien, sagte Barbara Saerbeck vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV). Wenn Strom- und Gasunternehmen durch solche Datenbanken künftig sehen könnten, dass Kunden schon häufiger gewechselt haben, könnten sie diese dann entweder systematisch ablehnen oder ihnen attraktive Konditionen vorenthalten, befürchtet Saerbeck.
Das Hamburger Portal "Wechselpilot" hat festgestellt, dass bei manchen Energieversorgern mittlerweile bereits jeder fünfte Neukunde abgelehnt wird. Häufig würden für die Ablehnungen keine Gründe genannt, so Jan Rabe, Geschäftsführer von "Wechselpilot". Abgelehnte Kunden müssten dann zu einem anderen Versorger und im ungünstigsten Fall in einen teuren Grundversorgungstarif.
Datensammlung über vertragstreue Kunden
Bisher dürfen nur Daten von Kunden, die ihre Rechnungen nicht zahlen oder die betrügen, branchenweit ausgetauscht werden. Die neuen Datenbanken sollen dagegen auch Daten von vertragstreuen Kunden enthalten. Der Datenschutzexperte und frühere Landesdatenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein, Thilo Weichert, sieht das sehr kritisch. Solche Pools führten dazu, dass Verbraucher unter den Anbietern nicht mehr frei wählen könnten. Die Kunden würden auf diese Weise "zum Freiwild der gesamten Branche".
Die größte deutsche Wirtschaftsauskunftei, die Schufa, konzipierte den Recherchen zufolge eine Datenbank namens "Schufa-E-Pool". Darin sollen Energieversorger "wertvolle Hinweis" "durch Informationen zu dem bestehenden Energiekonto und der bisherigen Laufzeit" finden, heißt es in einem Werbeflyer. Die Unternehmen könnten diese Daten für ihren "Entscheidungsprozess im Neukundengeschäft" einsetzen.
Noch sind es Planungen
Die Wirtschaftsauskunftei CRIF Bürgel entwickelte offenbar einen ähnlichen Pool für Energieversorger, dessen Konzept nach Informationen von [Medium] und [Partnermedium] derzeit von der zuständigen bayerischen Datenschutzbehörde geprüft wird. Das Unternehmen wollte sich auf Nachfrage nicht zu Details äußern. Ein Sprecher erklärte lediglich, dass man "generell keine Auskunft über mögliche zukünftige Projekte" gebe. CRIF Bürgel wie auch die Schufa betonten, dass man sich stets an geltendes Recht halte.
Schufa-Sprecher Ingo A. Koch erklärte, der "Schufa-E-Pool" sei bislang nicht "marktfähig": "Wir verfolgen die Idee grundsätzlich aber weiter." Es sei derzeit offen, "ob und wenn, in welcher Ausgestaltung" sie wieder aufgegriffen werde. Die Datenbank wurde den Recherchen zufolge bis Mitte August 2020 im Internet sowie in einer aktuellen Unternehmensbroschüre beworben. Die Internetseite war erst entfernt worden, nachdem [Medium] und [Partnermedium] zu den Hintergründen dieser Datenbank angefragt hatten. Bei der Vorstellung des "Schufa-E-Pools" in einer Firmenbroschüre habe es sich um ein "redaktionelles Versehen" gehandelt.
Auf Fakten beruhendes Energiekonto?
Ohnehin sei "die Idee hinter dem E-Pool nicht das Verhindern eines Wechsels", so Schufa-Sprecher Koch. Entsprechenden Begehrlichkeiten aus der Energiewirtschaft sei die Auskunftei schon frühzeitig entgegengetreten. Es werde in der Datenbank "nach gegenwärtigem Entwicklungsstand lediglich die faktische und zeitliche Existenz des aktuellen Energiekontos gespeichert" sowie gegebenenfalls unbezahlte Rechnungen. Mit solchen Informationen seien Energieversorger sogar in der Lage, Kunden als Vertragspartner anzunehmen, die sie sonst vielleicht nicht annehmen würden.
Das sieht Verbraucherschützerin Barbara Saerbeck anders. Selbst wenn nur wenige Angaben zu Energiekonten gespeichert würden, bestehe die Gefahr, dass Kunden künftig diskriminiert würden. Die Angabe der Laufzeit reiche schließlich, um herauszufinden, ob jemand nach kurzer Zeit schon wieder wechseln wolle, so Saerbeck.
Legitim oder kritisch?
Die für Datenschutz zuständigen Aufsichtsbehörden der Bundesländer wollen in der ersten November-Woche darüber beraten, ob solche Datenbanken für Energieversorger künftig zulässig sind. Der für die Schufa zuständige Hessische Landesbeauftragte für Datenschutz hält es aufgrund der Wettbewerbssituation für rechtlich vertretbar, dass Strom- und Gasversorger Kundendaten in branchenweiten Datenbanken teilten. "Wenn ich sehe, dass im Markt der Energieversorger schon die ein oder andere Insolvenz passiert ist - hauptsächlich aufgrund nutzloser Akquisitionskosten - dann muss ich dieses legitime Interesse einfach anerkennen", so Behördenvertreter Michael Kaiser. Vertreter anderer Datenschutzbehörden sagten [Medium] und [Partnermedium] dagegen, sie sähen eine solche Speicherung eher kritisch.
"Gläserner Kunde" "ethisch fragwürdig"
Eine Umfrage von[Medium] und [Partnermedium] unter 75 Strom- und Gasversorgern ergab ein uneinheitliches Bild. Zahlreiche Firmen berichteten, sie seien von den Auskunfteien wegen der Datenpools angesprochen worden. Einige erklärten, sie könnten sich eine Teilnahme vorstellen, sollten alle datenschutzrechtlichen Regelungen eingehalten werden, andere äußerten sich ablehnend.
Eine Sprecherin des niedersächsischen Energieversorgers Firstcon sagte, der Wunsch nach einem "gläsernen Kunden" sei zwar "aus wirtschaftlicher Perspektive nachvollziehbar, aber ethisch fragwürdig."
EnBW lehnt ab, Vattenfall ist "im Austausch"
Von den drei größten deutschen Energieversorgern mit Privatkundengeschäft äußerte sich nur EnBW klar ablehnend. E.ON dagegen räumte ein, "mit der Schufa und CRIF Bürgel im Rahmen von Projekten zusammengearbeitet und Datenpools geprüft" zu haben. Über die Projektphase sei man aber nicht hinausgekommen. Vattenfall erklärte, man sei mit den beiden Auskunfteien "zu deren Produktportfolio im Austausch". 25 Unternehmen, darunter Stromdiscounter wie Fuxx, Stromio und Immergrün beantworteten die Medienanfragen nicht.
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Bildunterschriften:
Die Schufa hat die Finanzen der Verbraucher im Blick - und sieht in Wechselkunden offenbar ein mögliches neues Geschäftsfeld.
Wie viel Gas und Strom verbrauchen die Kunden, wie wechselfreudig sind sie? Darauf soll der "Schufa-E-Pool" Antworten liefern.
Laut Schufa könnten Kunden, die sonst Schwierigkeiten beim Wechsel hätten, von der Datenbank profitieren.
Kostenfaktor E-Auto: Wer seinen Wagen zu Hause lädt, kann mit einem Preisvergleich und einem günstigeren Tarif deutlich sparen.
Vattenfall ist an dem Projekt interessiert. Auch Konkurrent E.ON prüft die Pläne von Schufa und CRIF Bürgel
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Bericht im Partnermedium:
Zu häufig den Stromanbieter gewechselt? Pech gehabt
Eigentlich können die Deutschen ihren Strom- und Gasanbieter frei wählen - und dank Prämien mitunter viel Geld sparen. Doch Firmen wie die Schufa arbeiten offenbar an einem System, das wechselwillige Kunden stoppen könnte.
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Wolfgang Reuter stutzt, als die Ablehnung kommt. Er hatte alles wie immer gemacht, fristgerecht den alten Stromvertrag gekündigt, sich einen neuen mit guter Prämie gesucht und den Wechsel in die Wege geleitet. Jedes Jahr wechselt der 56-jährige Bundespolizist wie Tausende in Deutschland den Anbieter, um Prämien zu kassieren und Geld zu sparen. 2018 und 2019 aber lehnte ihn der Energieversorger jeweils ab. Offiziell hat Reuter die Voraussetzungen für den Ver-trag nicht erfüllt. Dabei ist er solvent und hat alle Rechnungen pünktlich bezahlt. Sein Verdacht: Der Versorger lehnt ihn ab, weil er zu oft gewechselt ist.
Reuter ist damit einem Phänomen auf der Spur, das auch die Verbraucherzentralen besorgt, die immer mehr abgelehnte Kunden beraten müssen. Bei einigen Energieversorgern wird mittler-weile jeder fünfte Wechsler abgelehnt, zeigt eine Auswertung des Vergleichsportals Wechselpilot. Offiziell komme die Abweisung meist ohne Grund, sagt Wechselpilot-Gründer Jan Rabe, und bisher seien die Ablehnung auch noch sporadisch. Das aber könnte sich bald ändern.
Die beiden Auskunfteien Schufa und Crif Bürgel bauen nach Recherchen von [Medium] und [Partner-Medium] an Datenpools, die branchenweit Vertragsdaten der Kunden von Energieversorgern zusammentragen sollen. Verbraucher- und Datenschützer befürchten: Energieversorgerkönnten dadurch wechselfreudige Haushalte identifizieren und sie möglicherweise als Neukunden ablehnen. Einspeisen und auslesen könnten solche Daten theoretisch alle Energieversorger, die sich daran beteiligen. In einer Videokonferenz Anfang November wollen die zuständigen Datenschutzbehörden der Länder und des Bundes über die Pläne der Auskunfteien beraten.
Seit der Öffnung des Marktes sollten Kunden ihren Anbieter für Strom oder Gas frei wählen können. Um neue Kunden zu locken, bieten einige Gas- und Stromanbieter hohe Boni für Neukunden. Das rechnet sich aber oft nur, wenn die Verbraucher länger als nur die Mindestlaufzeit
bleiben, erklärt Barbara Saerbeck von der Verbraucherzentrale Bundesverband. Entsprechend unbeliebt sind Verbraucher, die oft wechseln, sogenannte "Bonushopper".
Bisher melden die Energieversorger bei den Auskunfteien nur Daten über Kunden, die Rechnungen nicht zahlen oder die Energieversorger sogar betrügen. Würden Energieversorger mithilfe von Datenpools der Auskunfteien bald zusätzlich sehen, dass Kunden häufiger wechseln als andere, könnten Strom- und Gasanbieter Haushalte systematisch ablehnen oder aber sie von attraktiven Konditionen ausschließen, sagt Verbraucherschützerin Saerbeck.
>> Kunden könnten "zum Freiwild der gesamten Branche" werden, fürchten manche <<
Datenschutzexperte Thilo Weichert sieht in solchen Pools gar einen Verstoß gegen den Datenschutz und den Kunden als Geschädigten: "Wenn Informationen über Vertragsverhältnisse unter den Unternehmen ausgetauscht werden, wird damit der Wettbewerb zerstört", sagt der ehe-malige Landesdatenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein. Frei wählen könnten die Verbraucher dann nicht mehr und würden "zum Freiwild der gesamten Branche".
Erste Ideen zu diesen Datenpools existieren offenbar schon seit mehreren Jahren. Deutschlands größte Wirtschaftsauskunftei, die Schufa, bastelt etwa am sogenannten "Schufa-E-Pool". Dieser sammle laut einer Werbebroschüre von 2018 Informationen zu unbezahlten Rechnungen und "wertvolle Hinweise" durch Informationen "zu dem bestehenden Energiekonto und der bisherigen Laufzeit". Einsetzen könne man solche Daten dann beim "Entscheidungsprozess im Neukundengeschäft", heißt es.
Bis August 2020 stand der E-Pool zudem als Produkt in einer Firmenbroschüre. Diese nahm die Schufa nach einer ersten Anfrage aus dem Netz und erklärte, dass dies ein "redaktionelles Ver-sehen" gewesen sei. Ein Sprecher teilte darüber hinaus mit, dass der E-Pool nicht "marktfähig" sei und es derzeit off en sei, "ob und wenn, in welcher Ausgestaltung" die Idee wieder aufgegriffen werde. Er betonte zudem, dass "die Idee hinter dem E-Pool nicht das Verhindern eines Wechsels" sei. Aktuell würde nur die "faktische und zeitliche Existenz des aktuellen Energiekontos gespeichert" werden, sowie gegebenenfalls unbezahlte Rechnungen. Damit, so der Sprecher, seien Energieversorger sogar in der Lage, Kunden anzunehmen, die sie sonst vielleicht abgelehnt hätten. Wie lange ein Verbraucher bei seinem letzten Versorger gewesen sei, würde zudem nichts darüber aussagen, wie lange er bei seinem zukünftigen Versorger bleibe oder ob er ein Vielwechsler sei, so der Sprecher der Schufa.
Ein Vorteil für Verbraucher? Verbraucherschützerin Saerbeck sieht das anders. Sie sagt, dass selbst bei so wenig Angaben zu einem Energiekonto die Gefahr bestehe, dass Kunden diskriminiert werden könnten.
>> Interesse seitens der Branche gibt es durchaus, wie eine Umfrage unter Energieversorgern zeigt <<
Neben der Schufa entwickelt auch Crif Bürgel aus München einen ähnlichen Datenpool. Die Auskunftei mit Sitz in München hat ein erstes Konzept bei der zuständigen Aufsichtsbehörde in Bayern eingereicht, beim Bayerischen Landesamt für Datenschutzaufsicht, wartet aber noch auf die endgültige Entscheidung. Auf Anfrage wollte die Auskunftei sich nicht äußern. Ein Sprechersagte nur, man informiere Aufsichtsbehörden "aktiv und transparent" und gebe "generell keine Auskunft über mögliche zukünftige Projekte". Crif Bürgel betonte wie auch die Schufa, dass man sich an geltendes Recht halte.
Interesse seitens der Branche gibt es durchaus, wie eine Umfrage von [Medium] und [Partner-Medium] unter 75 Energieversorgern zeigt. Davon äußerten sich einige aus ethischen Gründen ablehnend, andere aber nicht abgeneigt. Von den großen drei Energieversorgern für Privatkunden äußerte sich nur EnBW ablehnend. Eon hingegen räumte ein, man habe mit beiden Auskunfteien "im Rahmen von Projekten zusammengearbeitet und Datenpools geprüft", sei aber über die Projektphase nicht hinausgekommen. Vattenfall antwortete, man sei mit den Auskunfteien "zu deren Produktportfolio im Austausch", nehme aber an keinem Pool teil. 25 Unternehmen antworteten nicht.
Michael Kaiser ist bei der Behörde des hessischen Beauftragten für Datenschutz zuständig für Auskunfteien und sieht Datenpool weniger kritisch. "Der Wettbewerb unter den Energieversorgern ist so hart, dass ich hier ein berechtigtes Interesse zur Speicherung solcher Daten sehen", sagte er. Auf Nachfrage äußerten sich mehrere Datenschutzbehörden allerdings kritisch über solche Pläne. Ob die Pools erlaubt werden, wird von den zuständigen Behörden in der ersten Novemberwoche beraten.