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Die Palmölspur

von Thomas Steinmann, Monika Dunkel und Stefan Schaaf
Capital vom 17.06.2021

Sie sehen hier den reinen Text in der anonymisierten Form für die Jury. Bilder, Layout oder multimediale Umsetzung sind beim Deutschen Journalistenpreis kein Bewertungskriterium. Allein das Wort zählt.

Die Palmölspur

Weltweit sollen Kapitalströme umgelenkt werden und nicht mehr in Projekte fließen, die der Umwelt schaden. Klingt gut. Ist aber verdammt kompliziert – wie ein Konflikt um Palmöl, Blackrock und Procter & Gamble zeigt

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Die Revolution kam mit Punkt fünf der Tagesordnung. Als sich im Oktober die Aktionäre des US-Konsumgüterriesen Procter & Gamble zur virtuellen Hauptversammlung trafen, präsentierte Konzernchef David Taylor erst einmal starke Zahlen, dann wurden die Vorstandsvergütungen abgesegnet. So weit, so normal. Schließlich aber folgte Punkt fünf: ein Antrag aus den Reihen der Aktionäre. Der Vorstand, so forderte es der kleine US-Fonds Green Century Capital Management, solle jedes Jahr einen Rechenschaftsbericht zum Thema Palmöl und Zellstoff vorlegen, zwei Bestandteile, die in P&G-Produkten wie Waschmittel und Toilettenpapier stecken. Weil für ihre Herstellung große Waldflächen in Südostasien und Kanada abgeholzt werden, steht der Konzern seit Jahren als Treiber des Klimawandels in der Kritik.

Mit dem gesamten Gewicht des CEOs versuchte Taylor, den Antrag abzuwimmeln. P&G sei in Fragen der Nachhaltigkeit „ein Vorreiter und kein Nachzügler“, versicherte er, man wolle auch noch besser werden, dafür brauche es keinen Bericht. Doch Taylors Plädoyer konnte die Klatsche nicht abwenden. Zwei Drittel der anwesenden Anteilseigner stimmten für die Klimaresolution. Unter ihnen: der US-Finanzgigant Blackrock, der mächtigste Vermögensverwalter der Welt, der damals 6,6 Prozent der P&G-Aktien hielt. Dem überrumpelten Konzernchef blieb nur die Ankündigung, zu gegebener Zeit mitzuteilen, wie er den Beschluss umsetzen will.

Die Abstimmung bei P&G sei „der Anfang einer Klima-Rebellion der Investoren“ gewesen, sagt Annalisa Tarizzo von Green Century. Auch bei anderen Konzernen drängten Anteilseigner in jüngster Zeit Unternehmen zu einer grüneren Ausrichtung. Auf der Hauptversammlung von General Electric etwa verabschiedete Anfang Mai eine Mehrheit von 98 Prozent der Aktionäre eine Resolution, die vom Vorstand einen detaillierten Fahrplan zur Emissionsfreiheit verlangt. Beim Chemiekonzern DuPont forderten sie mehr Einsatz für die Vermeidung von Plastikmüll. Beim US-Ölmulti Exxon-Mobil setzte ein kleiner Hedgefonds gegen den Willen der Chefs Kandidaten für den Aufsichtsrat durch, die den Konzern schneller grün ausrichten wollen. Ein historischer Erfolg für die aktivistischen Investoren, vielleicht sogar ein Wendepunkt: Erstmals kommt der Druck nicht nur von Politik oder Gerichten, sondern von den Eigentümern.

Das Beispiel P&G zeigt allerdings auch, welche Widersprüche sich dabei auftun. So ist Blackrock über seine Indexfonds nicht nur an P&G beteiligt, sondern auch an Palmölfirmen in Asien, also Lieferanten jener Inhaltsstoffe, um die es im Antrag von Green Capital ging. Zu diesen Unternehmen blieb Blackrock bisher jedoch öffentlich stumm. War die viel beachtete Beteiligung an der P&G-Rebellion also ein eher symbolischer Akt? Wie schnell und konsequent können Investoren ihre Anlagepolitik überhaupt umstellen? Und welche Verantwortung haben Verwalter von Indexfonds wie Blackrock bei den Unternehmen, in denen das Geld ihrer Anleger steckt? Es sind Fragen, die zeigen: Die grüne Revolution, die längst auch die Finanzmärkte erfasst hat, ist kompliziert – auch wenn immer mehr Menschen nachhaltig investieren wollen.

Aus der Luft sehen große Teile Indonesiens heute aus wie eine einzige Plantage. Auf einer Fläche fast so groß wie Deutschland reiht sich Ölpalme an Ölpalme. In den vergangenen Jahrzehnten ist das Land in Südostasien zum führenden Palmöl-Exporteur aufgestiegen, der den Durst der Welt nach dem günstigen Pflanzenöl stillt. Der Rohstoff, gewonnen aus den fetthaltigen Früchten der Ölpalme, steckt in vielen Supermarktprodukten wie Lebensmitteln und Kosmetika, aber zunehmend auch in Autotanks. Durch den Boom der grünen Treibstoffe schoss die Nachfrage nach Palmöl zuletzt regelrecht in die Höhe.

DRAMA IM REGENWALD

Die Kehrseite des Booms: Für die Monokulturen müssen gigantische Flächen Regenwald weichen – wertvolle Ökosysteme, die als Lebensraum für bedrohte Tierarten wie Orang-Utans und Sumatra-Tiger dienen. Oft kommt es dabei zu illegalen Brandrodungen, die nicht nur Tiere und Menschen vertreiben, sondern auch Unmengen an CO2 freisetzen. Mehr als zehn Prozent des weltweiten Treibhausgasausstoßes gehen auf die Zerstörung von Wäldern zurück. Auch deshalb rangiert Indonesien unter den weltweiten Klimasündern auf Platz drei.

Nur wenige Konzerne benötigen für ihre Produkte so viel Palmöl wie der weltgrößte Konsumgüterhersteller P&G. Mehr als 300 000 Tonnen verarbeitet er pro Jahr – zu Shampoo, Waschmittel, Rasierschaum oder Babywindeln. Schon länger bemängelten Umweltschützer, dass einzelne Firmen aus der Lieferkette des Konzerns Palmöl auf illegal gerodeten Flächen produzierten. Vor einigen Jahren versprach P&G dann, ab 2016 nur noch Palmöl zu verwenden, das nachweislich aus nachhaltigen Quellen stammt. Diese strikte „Null-Entwaldungspolitik“ sollte für alle Firmen in der Lieferkette gelten.

In der Praxis aber stammt zwar das Palmöl für die P&G-Produkte mittlerweile komplett von Lieferanten, die Zertifikate nachweisen können. Anders sieht es jedoch bei einem ähnlichen Rohstoff aus, von dem P&G viel mehr benötigt: Palmkernöl, das aus den Kernen der Palmfrüchte gewonnen wird. Lediglich zehn Prozent davon stammten bei P&G 2019 aus zertifizierten Quellen, ermittelte die auf Nachhaltigkeit spezialisierte US-Analysefirma Chain Reaction Research, die Banken und institutionelle Investoren berät. Darüber hinaus wälze P&G die Kontrolle, ob die Standards in der Lieferkette eingehalten würden, auf seine Zulieferer ab, die offenbar nicht immer genau hinschauten.

Durch die lückenhafte Überwachung entstehe dem Konzern ein „Reputationsrisiko“, das sich auf 41 Mrd. Dollar summiere, berechneten die Experten von Chain Reaction Research. Dagegen würde es lediglich 175 Mio. Dollar im Jahr kosten, wenn P&G das Monitoring selbst übernähme – inklusive der Mehrkosten für zertifiziertes Palmkernöl.

EINE ZEITENWENDE?

Man könnte meinen, Larry Fink habe das Beispiel P&G vor Augen gehabt, als er im Januar 2020 die neue Zeit bei Blackrock einläutete. In einem Brief an die Konzernchefs der Welt kündigte der CEO an, der Fondsgigant mit seinen rund 8 Billionen Dollar verwaltetem Vermögen werde künftig strenger mit Unternehmen sein, die beim Schutz von Umwelt und Klima hinterherhinkten. Blackrock sei überzeugt, „dass Nachhaltigkeit unser neuer Investmentstandard sein sollte“, erklärte Fink – weniger für das gute Gewissen, sondern weil Konzerne, die nachhaltig wirtschaften, nach seiner Ansicht das Risiko künftiger staatlicher Eingriffe reduzieren und langfristig mehr Werte für Geldgeber schaffen. Man sei der Überzeugung, dass sich die Finanzwelt in einer „tektonischen Verschiebung“ befinde, heißt es bei Blackrock: Immer mehr Geld von Investoren fließt in Anlagen, die Wert auf Umwelt-, Sozial- und Governance-Standards (ESG) legen.

Um das P&G-Management unter Druck zu setzen, brauchte der Gigant die Initiative eines Zwergs: Green Century Capital Management aus Boston verwaltet nur rund 1 Mrd. Dollar, das Geld gehört vor allem Non-Profit-Organisationen aus dem Umwelt- und Gesundheitsbereich. Green-Century-Vertreterin Jessye Waxman argumentierte bei der P&G-Hauptversammlung, die Palmöl- und Zellstoff-Strategie des Konzerns stelle „systemische Risiken für unser Portfolio“ dar. Dem Antrag schloss sich nicht nur Blackrock an, sondern zur Überraschung der Initiatoren auch noch der US-Konkurrent State Street.

Unter Umweltaktivisten, die von den großen Investoren schon lange fordern, ihren Einfluss auf die Konsumgüterriesen und deren Zulieferer zu nutzen, schlug der Präzedenzfall hohe Wellen. Die Organisation Friends of the Earth nannte das Votum gar eine „Zeitenwende“, die es zu feiern gelte. Einerseits.

Andererseits stieß Blackrocks Abstimmungspolitik in der Szene auch auf Kritik. Die Unterstützung des Green-Century-Antrags bei P&G sei nur „ein Babyschritt“, erklärte etwa die NGO Amazon Watch, die sich für den Schutz von Regenwäldern und Klima einsetzt. Auch andere warfen dem Fondsriesen vor, sich „inkonsistent“ und opportunistisch zu verhalten. Denn Blackrock ist an unzähligen Unternehmen mit fragwürdiger Klimastrategie beteiligt. Die Forderung der Aktivisten: Wenn es Blackrock ernst meine, müsse sich der Konzern auch dort einmischen.

Doch mit der Rolle einer Art Weltpolizei auf den internationalen Finanzmärkten tut sich der US-Gigant schwer. So hält Blackrock als drittgrößter Aktionär nämlich auch einen Anteil von rund 1,8 Prozent am indonesischen Industriekonglomerat Astra International, das in den Bereichen Automobilbau, Infrastruktur und Rohstoffe sein Geld verdient. Dessen Tochter Astra Agro Lestari zählt zu den größten Palmölproduzenten des Landes und beliefert über Großhändler auch P&G. Immer wieder haben Aktivisten diesem Unternehmen vorgeworfen, sich auf fragwürdige Weise Land von Bauern anzueignen. Zudem ist der Konzern kein Mitglied des Roundtable on Sustainable Palm Oil, einer Allianz der Palmölindustrie, deren Mitgliedsfirmen sich verpflichtet haben, Nachhaltigkeitsstandards einzuhalten.

An Astra Agro Lestari hält Blackrock – wie übrigens auch der US-Konkurrent Vanguard – aktuell einen Anteil von 0,5 Prozent. Als Aktionär des indonesischen Zulieferers kommt es dem amerikanischen Fondsriesen also entgegen, dass P&G seine Lieferkette bislang nicht komplett kontrolliert. Die Klima-NGO Reclaim Finance kritisiert, es sei inkonsequent, wenn Blackrock P&G dränge, seine Lieferkette zu säubern, aber zugleich von den Mängeln der Lieferkette profitiere. Der Finanzkonzern solle konkrete und mit Fristen versehene Forderungen an die beteiligten Unternehmen richten – und mit einem Ausstieg aus dem Investment drohen, falls diese nicht erfüllt würden.

Genau das ist allerdings nicht so einfach. Denn den größten Teil seiner Beteiligungen hält Blackrock über ETFs, also passive Fonds, die automatisiert Börsenindizes nachbilden, weshalb Blackrock auf ihre Zusammensetzung keinen Einfluss hat. Rund drei Viertel der verwalteten Vermögen von insgesamt mehr als 9 Billionen Dollar stecken in Unternehmen, bei denen der Finanzkonzern nicht einfach aussteigen kann, wenn er mit der Geschäftspolitik unzufrieden ist – anders als aktive Investoren, die ihre Beteiligungen gezielt auswählen. An den indonesischen Partnerfirmen von P&G etwa ist Blackrock über ETFs auf den Index MSCI Emerging Markets beteiligt, in denen sowohl der Konzern Astra International als auch dessen Palmöltochter vertreten sind.

ÖFFENTLICHER DRUCK

Dass Beteiligungen an solchen Unternehmen mit den selbst definierten grünen Ansprüchen kollidieren, räumt Blackrock ein. Man sei sich der „Bedenken bewusst“, erklärt der Konzern. Auf die Frage, ob man ähnlich wie bei P&G auch auf die indonesischen Partnerfirmen Druck ausüben wolle, heißt es bei Blackrock vage, man sei mit zahlreichen Unternehmen aus der Palmölbranche in Südostasien „in den Dialog getreten“, um eine „strenge Kontrolle der Nachhaltigkeitsrisiken zu fördern“. Wo Produzenten Umwelt- und Sozialrisiken nicht zufriedenstellend angingen, „ziehen wir die Aufsichtsräte zur Verantwortung, indem wir gegen ihre Wiederwahl stimmen“.

Solche Erklärungen sind sicher nicht das, wovon Umweltaktivisten träumen. Andererseits lässt sich eine global vernetzte Wirtschaft auch nicht von heute auf morgen komplett umkrempeln. Immerhin setzt Blackrock nicht mehr allein auf stille Diplomatie, sondern übt öffentlichen Druck auf Unternehmen aus, die nicht schnell genug umsteuern.

Im Juli 2020 beschloss der Fondsriese, mehr Aktionärsanträge zu Nachhaltigkeitsthemen wie den von Green Century bei P&G zu unterstützen. Im ersten Quartal 2021, heißt es bei Blackrock, habe man drei Viertel aller Anträge mitgetragen, bei denen es um Umweltschutz oder soziale Fragen ging. Ein Jahr zuvor hatte das Unternehmen die meisten Anträge dieser Art noch abgeblockt. Zuletzt half Blackrock etwa dabei, kritische Aufsichtsräte beim US-Ölkonzern Exxon durchzuboxen, und unterstützte beim Rivalen BP die Forderung von Anteilseignern, deutlich mehr zu tun, um die CO2-Emissionen schneller zu senken.

Nicht nur bei den Ölmultis haben solche Revolten der Investoren eine hohe Symbolkraft. Ob die Aktionäre ihre Unternehmen tatsächlich schneller zu Änderungen drängen können, als es etwa die Politik vermag, hängt aber davon ab, was aus ihren Initiativen wird. Bei P&G etwa ist es nach dem spektakulären Coup auf der Hauptversammlung erst einmal ruhig geworden. Im Auftrag des Konzerns untersucht derzeit der Großhändler Wilmar International seine Lieferanten und sammelt Belege für mögliche Umweltsünden. Auf den geforderten Rechenschaftsbericht des Vorstands aber warten die Aktionäre bis heute.

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Bildunterschriften:

Geschäft mit Schräglage:
Ein Lkw in Sumatra verlädt
Palmfrüchte, aus denen Öl
gewonnen wird

Frisch geerntet:
Palmfrüchte einer
Plantage auf Borneo

Frisch gerodet:
Unter dem Palmölgeschäft
leidet der Regenwald

Zerstörungswerk:
gerodete Regenwaldfläche
auf Borneo