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Chinas heimliche Propagandisten

von Anette Dowideit, Christina Brause, Tina Kaiser und Maximilian Kalkhof
Welt am Sonntag vom 13.06.2021

Sie sehen hier den reinen Text in der anonymisierten Form für die Jury. Bilder, Layout oder multimediale Umsetzung sind beim Deutschen Journalistenpreis kein Bewertungskriterium. Allein das Wort zählt.

Chinas heimliche Propagandisten

Staatschef Xi Jinping hat ein ehrgeiziges Ziel: Er will sein Land in der Welt als fortschrittlichen, demokratischen Staat in Szene setzen - Menschenrechtsverletzungen passen dabei nicht ins Bild. Dafür hat die Volksrepublik einiges unternommen und zahlreiche Helfer angeworben, die, teils gut getarnt, daran arbeiten. Auch in Deutschland

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Diese Geschichte handelt von einer Studentin aus Kiel, einem rheinland-pfälzischen Fernsehmacher, einem ehemaligen Bundesinnenminister und Xi Jinping, dem chinesischen Staatschef. Menschen, die auf den ersten Blick nichts verbindet.
Doch sie alle tun viel dafür, den Deutschen China als ein demokratisches, menschenfreundliches und fortschrittliches Land zu verkaufen, als attraktives Reiseziel und verlässlichen Handelspartner. Ein Bild von einem Land, in dem der Völkermord an den Uiguren eine aufgebauschte Empörung ist, die Gewalt gegen die Freiheitskämpfer in Hongkong nicht vorkommt.
Manche erhalten für ihre Dienste Geld, andere erhoffen sich davon Status und Einfluss. Sie alle sind, bewusst oder unbewusst, Teil einer weltweiten medialen Propagandastrategie.
Es ist gut acht Jahre her, dass Chinas Präsident Xi auf einer „Konferenz zu Propaganda und Ideologie“ vor Parteigenossen und Journalisten ein neues Ziel ausrief. China, sagte er, werde sich künftig nicht mehr darauf beschränken, im Rest der Welt als Wirtschaftsmacht zu gelten. Es müsse deutlich positiver wahrgenommen werden als bisher: als integre Demokratie. Das Land solle deshalb neue Wege finden, „Chinas Geschichte gut zu erzählen“. China solle also eine Soft Power werden – eine Strategie, mit der einst die USA ihre Vormachtstellung ausgebaut hatte.
Vor Jahrzehnten hatten auch die Filmfabrik Hollywood, die Popmusik und enge transatlantischen Verbindungen dazu beigetragen, dass die USA als mächtiger und freundlicher Partner wahrgenommen wurden. Seither gilt es als eine Art geostrategisches Grundgesetz, dass ein Land mächtig ist, das kulturell attraktiv ist und dem andere Länder nacheifern wollen.
Das, so Xis Idee, solle nun auch China gelingen. Und da ein gutes Image ohne Geld kaum zu haben ist, stellte Xi Jahr für Jahr rund zehn Milliarden Dollar zur Verfügung. So schätzen es Experten.

Staatsfunk und gekaufte Sendeplätze
Ein Teil dieses Geldes floss in das China Global Television Network (CGTN): ein 2016 gegründetes Sendernetzwerk, das im Ausland ein Fernsehprogramm in sechs Sprachen sendet, darunter Englisch. Das Programm macht, anders als bei Auslandssendern wie der britischen BBC World oder der Deutschen Welle üblich, keine unabhängige Redaktion, sondern die Kommunistischen Partei (KP).
Die Sendezentrale in Europa liegt in London, im hochmodernen Gewerbegebiet Chiswick Park im Westen der Stadt. Von dort aus sendet China auch in deutsche Wohnzimmer Eigenwerbung in Endlosschleife: Westliche Influencer dürfen etwa über ihre schöne Fahrradreise durch die Uiguren-Region Xinjiang erzählen.
Zwangslager? Nicht gesehen. Weil der Sender journalistische Mindeststandards nicht einhalte, entzog Großbritannien ihm im Februar die Sendelizenz. In Deutschland ist CGTN nach wie vor im Kabelnetz von Vodafone zu empfangen.
CGTN ist allerdings noch der harmlose, weil sichtbare Teil von Chinas globaler Dauerwerbekampagne. Gefährlicher wird die Propaganda dort, wo sie nicht als solche erkennbar ist.
Um sie zu enttarnen, muss man digitale Spuren verfolgen und viele Gespräche im Berliner Regierungsviertel mit Menschen führen, die später nicht zitiert werden wollen. MEDIUM hat in einer mehrmonatigen Recherche zusammengetragen, wie der chinesische Staat im Verborgenen wirkt, auch in Deutschland.
Die erste Station auf der Suche nach dem verborgenen Netz ist eine Ortsgemeinde am Deutschen Eck. Dort, wo sich Rhein und Mosel treffen, liegt Urbar, eine Ortsgemeinde am rechten Rheinufer nördlich von Koblenz. Aus einem Gebäude nahe dem Rheinufer werden seit zwei Jahren Chinas Botschaften verbreitet.
Hier sitzt die private Sendergruppe Deutsches Regionalfernsehen DRF, die zuvor ausschließlich Formate wie „Hund Katze Specht“ und „Entdecke Rhein-Lahn“ anbot. Zu sehen sind sie unter anderem auf zwei regionalen Fernsehsendern, die man im Westerwald und anderen Teilen von Rheinland-Pfalz empfängt.
Dort sendet DRF seit einiger Zeit auch ein Format namens „China Info“, das mit der Region so gar nichts zu tun hat. Eine Viertelstunde pro Tag um 18 Uhr, beste Sendezeit im Vorabendprogramm. Sie zeigt chinesische Volkstänze, idyllische Naturaufnahmen, wirtschaftliche Erfolgsmeldungen, Chinas schönes Gesicht.
Manchmal wird es allerdings auch politisch: Im vergangenen März etwa, zur ersten Hochphase der Corona-Pandemie, als die Welt erstmals darüber diskutierte, ob das Virus aus einem chinesischen Labor entwichen sein könnte, interviewte „China Info“ einen chinesischen Experten, der behauptete: Es gebe noch nicht einmal Belege dafür, dass das Virus überhaupt aus China stamme.
Chinesische Propaganda im Westerwald? Kein Grund zur Aufregung, findet der DRF-Chefredakteur Bernd Schmellenkamp. Am Telefon erklärt er in jovialem Ton, über sein Format gebe es nicht groß etwas zu berichten. Die 15 Minuten China pro Tag in seinem Programm seien für seine Firma eine Einnahmequelle, die sich nicht von „Hund Katze Specht“ unterscheide.
Hinter dem skurril anmutenden Format steht ein Konstrukt, das sich derzeit in vielen westlichen Ländern zunehmend etabliert, und eben auch in Deutschland: Firmen aus der Volksrepublik, oft staatsnah, zahlen Medienhäusern Geld dafür, ihre Inhalte zu verbreiten, unbearbeitet und vor allem unkommentiert. Im Regionalfernsehen oder in großen Zeitungen.
Chinesische Medienfirmen kaufen regelmäßig ganze Zeitungsseiten, um für sich zu werben wie Autohersteller für ihr neuestes Modell. Allerdings ist diese Werbung oft nur klein als „Sonderveröffentlichung“ gekennzeichnet, von redaktionellen Beiträgen manchmal kaum zu unterscheiden.
Solche Seiten sind in der „Süddeutschen Zeitung“ erschienen, dem „Handelsblatt“, der „Frankfurter Allgemeinen“, jedes Mal stand China toll da. Die FAZ etwa druckte im März eine Sonderseite unter der Überschrift „Zehn Fallbeispiele für Chinas Armutsbekämpfung“. Auch MEDIUM veröffentlichten 2018 und 2019 Imageanzeigen im Auftrag der staatlichen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua. 2020 lehnte die Redaktion ab, eine Anzeige zu veröffentlichen.
Selbst die Deutsche Presse-Agentur (dpa), stolz auf ihre Neutralität, lässt sich von der chinesischen staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua bezahlen – und zwar dafür, unkommentiert aus dem Chinesischen übersetzte Positivmeldungen über die dortige Wirtschaft an deutsche Zeitungsredaktion zu verschicken.
Sie hat dafür einen gesonderten Versandservice zu ihren eigenen dpa-Nachrichten aufgebaut, Name: „Xinhua Silk Road Information Service“. Im April etwa konnte man dort lesen, China „bejubele“ ein Investitionsprojekten im Zusammenhang mit der neuen Seidenstraße.
Ein dpa-Sprecher betont, die bezahlte Chinawerbung beeinflusse nicht die unabhängige Berichterstattung der eigenen Redakteure. Die berichteten weiterhin kritisch über China. Das lässt sich nachlesen. Allerdings verkauft die dpa China den Weg in deutsche Wohnungen und Büros, denn viele Zeitungen und Fernsehsender erhalten von dpa die freundlichen Nachrichten aus China.

Redaktionelle Zusammenarbeit mit dem NDR
Auch der öffentlich-rechtliche Norddeutsche Rundfunk lieh dem chinesischen Staatsfernsehen schon die Glaubwürdigkeit seiner Marke, durch eine redaktionelle Zusammenarbeit. Auf dem Digitalsender tagesschau24 strahlte der NDR ab 2017 ein Format in Kooperation mit CGTN aus: Diskussionsrunden zu „politischen und wirtschaftlichen Themen“ – 40.000 deutsche Zuschauer guckten zu, kritische Fragen zu Menschenrechtsverletzungen gab es keine.
Im Rückblick scheint dem NDR dieses Projekt selbst etwas unangenehm zu sein. Es habe sich hier nur um eine „punktuelle Zusammenarbeit“ gehandelt, Ziel sei ein unzensierter Meinungsaustausch gewesen, schreibt der NDR auf Anfrage dieser Zeitung. Seit November 2019 gebe es allerdings „keine Planungen für weitere Sendungen“ mehr.
Und dann ist da noch der Fall der Buchhandelskette Thalia: Im vergangenen Herbst fiel einer Sinologin in einer Thalia-Filiale in Berlin auf, wie ungewöhnlich viele Bücher über China in den Regalen standen: Neben Kinderbüchern, Reiseführern und Romanen gab es dort auch das Propagandawerk „China regieren“ von Staatschef Xi Jinping: Es sind sozusagen seine Greatest Hits – Reden, Interviews und Besinnungsaufsätze des „höchsten Führers“.
Die Sinologin postete Fotos des China-Regals auf Facebook, so wurde die Sache öffentlich. Schließlich gab Thalia zu, in ihrer Filiale mehrere Regalmeter an einen staatsnahen chinesischen Buchhändler vermietet zu haben. Es sei eine im Buchhandel übliche Vorgehensweise, Flächen zeitweise für Verlagskooperationen zur Verfügung zu stellen, sagt Thalia auf Anfrage. Die Vermietung an den chinesischen Staatsbuchhändler sei in einer „Testphase“ – und wenn diese ausgelaufen sei, werde man entscheiden, ob man die Kooperation fortsetze.
Das Verhalten von Thalia und deutschen Medien sei problematisch, sagt eine von Deutschlands bekanntesten China-Expertinnen: Mareike Ohlberg, Wissenschaftlerin bei der Stiftung German Marshall Fund. Ohlberg hat zu Chinas Außenpropagandastrategie promoviert.
Im vergangenen Jahr erschien ihr Buch „Die lautlose Eroberung. Wie China westliche Demokratien unterwandert und die Welt neu ordnet“. Ohlberg sagt, es gebe im Chinesischen einen Begriff für diese Art der gekauften Legitimation. Auf Deutsch übersetzt lautet er: „ein Boot ausborgen“.
„Chinesische Propaganda ist hierzulande viel wirkungsvoller, wenn sie durch renommierte Personen, Medien oder auch Firmen wie Thalia verbreitet wird“, sagt Ohlberg.
Damit soll die öffentliche Meinung im In- und Ausland verändert werden, wie auch der Historiker Glenn Tiffert, der ein Forschungsprojekt zu Chinas Machtstrategien beim Washingtoner Thinktank Hoover Institution leitet, beschreibt: „Die Kommunistische Partei füttert ausländische Medien mit prochinesischen Meldungen und zitiert dann genau diese Meldungen im Inland, um die eigene Glaubwürdigkeit zu erhöhen.“ Zunehmend scheine es China wichtiger zu werden, was die Menschen im Westen über die Volksrepublik denken.
Erst vor zwei Wochen sagte Staatschef Xi vor dem Politbüro, sein Land solle dem Ausland ein „verlässliches, bewundernswertes und respektables Bild von China“ vermitteln. China-Forscherin Ohlberg glaubt, Xi wolle damit klar auch wirtschaftliche Interessen im Ausland durchsetzen.

Einflüsterer im Auftrag Chinas
China verfolgt in Deutschland vor allem zwei große Ziele, die im Berliner Regierungsviertel und bei den Sicherheitsbehörden auf große Vorbehalte stoßen.
Das erste ist die „Neue Seidenstraße“: Die Volksrepublik will künftig Massen von Gütern per Zug nach Europa schicken, ein wichtiger Knotenpunkt soll Duisburg sein. Allerdings überwiegt in Deutschland die Angst, die Seidenstraße könnte zur Einbahnstraße werden und die heimische Industrie mit chinesischer Marktmacht überrollen.
Das zweite Projekt betrifft den chinesische Telekommunikationskonzern Huawei: Deutschland will den schnellen Internetstandard namens 5G weiter ausbauen – und China will, dass Huawei hilft, das dafür nötige Netz aufzurüsten. Kritiker befürchten, der chinesische Geheimdienst bekomme so Zugriff auf deutsche Kommunikationsinfrastruktur und könnte Politik und Wirtschaft ausspähen.
Um die öffentliche Meinung zu drehen, setzt Peking bezahlte Lobbyisten ein, die gezielt Politiker, Wirtschaftslenker und Meinungsmacher umwerben sollen. Menschen also, die über für China wichtige Gesetzesvorhaben und Investitionen entscheiden. In Berlin gibt es mehrere Dutzend Kommunikationsagenturen, die darauf spezialisiert sind, politischen Entscheidern umstrittene Projekte schmackhaft zu machen.
Es gehört zum Wesen von PR-Lobbyisten, das sie im Verborgenen agieren und nicht über ihre heiklen Aufträge reden. China ist mit seiner milliardenschweren Propagandakasse zwar ein lukrativer Auftraggeber, gleichzeitig will keine Agentur offiziell zugeben, für das totalitäre Regime in Peking oder den staatsnahen Konzern Huawei zu arbeiten.
Manchmal aber kommt doch etwas heraus, wie zum Beispiel der Fall des ehemaligen EU-Spitzendiplomaten und Lobbyisten Gerhard Sabathil. Im Januar 2020 stürmten bewaffnete Polizisten dessen Wohnung im Berliner Regierungsviertel. Der Generalbundesanwalt und der Verfassungsschutz verdächtigten Sabathil, als Informant für den chinesischen Geheimdienst zu arbeiten. Der Verfassungsschutz hatte Sabathil und seine Familie über ein Jahr abgehört.
Die Ermittler glaubten, er habe als Lobbyist chinesische Kunden beraten und gleichzeitig als chinesischer Spion gearbeitet. Sabathil hatte 2017 seine Diplomatenkarriere beendet und als Geschäftsführer bei der in Berlin und Brüssel tätigen Lobbyfirma Eutop angefangen. Sein wichtigster Kunde soll damals der chinesische Telekomkonzern Huawei gewesen sein. So hatten es mehrere deutsche Zeitungen im vergangenen Jahr berichtet, die Artikel findet man noch im Internet.
Die Bundesanwaltschaft konnte Sabathils Agententätigkeit nicht beweisen, im November stellte sie die Ermittlungen gegen ihn ein. In ihrer Begründung schrieb sie, die Vorwürfe hätten sich nicht mit „erforderlicher hinreichender Sicherheit bestätigt“ und reichten daher nicht für eine Anklageerhebung.
Sabathil will über die Sache nicht mehr reden, die Lobbyagentur Eutop hat er verlassen. Auch die Agentur hat keine Lust, über den Fall zu reden. MEDIUM fragte Eutop im April per E-Mail, ob die Agentur für Huawei tätig sei. Statt selbst zu antworten, engagierten die PR-Experten von Eutop Deutschlands bekanntesten Medienanwalt Christian Schertz. In seinem Schreiben an diese Zeitung beantwortet Schertz die Frage auch nicht, warnt aber vor rechtlichen Konsequenzen einer Falschberichterstattung.

Chinas Türöffner in Berlin
Als wichtiger Türöffner für chinesische Firmen in Berlin gilt heute nicht mehr Sabathil, sondern ein anderer prominenter Netzwerker. Sein Name taucht in vertraulichen Gesprächen mit Kennern der Branche immer wieder auf: Udo van Kampen.
Der 72-Jährige leitete viele Jahre das ZDF-Studio in Brüssel, berichtete über die EU und die Nato und stand im engen Kontakt mit Spitzenpolitikern in Deutschland und Europa. Dieses Netzwerk nützt ihm bis heute.
Nachdem er 2015 beim ZDF in den Ruhestand ging, engagierte ihn Kekst CNC, eine weltweit agierende PR-Agentur mit 13 Standorten, darunter Berlin, München, New York, London und Hongkong. Auf deren Internetseite präsentiert van Kampen sich als „Spezialist für den Bereich Reputation“.
Mehrere Insider aus der Berliner PR-Szene berichten übereinstimmend: Van Kampen habe einen mächtigen Freund, mit besten Beziehungen ins Pekinger Politbüro: Shi Mingde, der bis Ende 2019 Chinas Botschafter in Berlin war. Die beiden hatten sich bereits 1984 auf einer Journalistenreise nach China kennengelernt und seit jener Zeit Kontakt gehalten.
Kurz vor dem Beginn der Corona-Pandemie lud van Kampen offenbar eine Runde einflussreicher Politik- und Wirtschaftsvertreter zum Dinner in seine Berliner Wohnung ein – zu Ehren seines Gastes Shi. Das berichtet einer der Teilnehmer an diesem Abend. Es sei allerdings nicht um konkrete Geschäfte gegangen. Van Kampen habe sehr ausführlich von einer Reise nach China berichtet und über die Schönheit des Landes geschwärmt.
Der ehemalige Journalist van Kampen reagierte nicht auf Fragen von MEDIUM – zum Beispiel auf die, ob seine Verbindung zu Shi ihm Aufträge chinesischer Unternehmen einbrachte. Sein Arbeitgeber Kekst CNC allerdings antwortet: Zwar nehme man zu Kundenbeziehungen nicht Stellung, doch schließe man „eine Unterstützung chinesischer Unternehmen nicht kategorisch aus.“
Die Verbindungen sind offenbar eng genug, dass Huawei Sitzungen seines Deutschlandbeirats in den vergangenen Jahren häufiger in Geschäftsräumen der Agentur in Berlin abhielt. So berichten es Teilnehmer.

Druck auf politische Meinungsmacher
Selten waren die Versuche Chinas, sein Image zu polieren, so offensichtlich wie vor drei Jahren. Da bekamen mehr als 100 Bundestagsabgeordnete Pakete in ihre Wahlkreisbüros. Sie erhielten chinesische Parteilyrik in Reinform: englischsprachige Ausgaben von „China regieren II“, dem zweiten Band von Xi Jinpings gesammelten Werken.
Absender war eine Hamburger Marketingagentur namens „Special Places“, die gute Nachrichten hatte: Die Agentur freue sich, den Abgeordneten im Auftrag eines parteieigenen Verlags der KP die kommunistische Staatslehre „kostenfrei und unverbindlich“ zuzusenden.
Das Geschenk sei nur mit einer klitzekleinen Bitte verbunden. Die Herren und Damen Abgeordneten sollten die Bücher doch bitte in ihren Wahlkreisbüros auslegen und ein Foto davon an eine E-Mail-Adresse der Agentur schicken.
Der Fuldaer CDU-Politiker Michael Brand kam dieser Bitte nur zu gern nach. Allerdings nicht ganz so, wie der Verlag es sich wohl vorgestellt hatte. Denn das Foto, das Brand als E-Mail schickte, zeigt Xis Bestseller, schön drapiert in einem Regal, zwischen Büchern über chinesische Zwangslager und den Dalai Lama.
Wenn Brand heute davon erzählt, dröhnt sein Lachen durch sein Berliner Bundestagsbüro. Religionsfreiheit und der Schutz religiöser Minderheiten ist Brands Fachgebiet. In Berlin gibt es viele Politiker der Regierungsparteien, die China hinter vorgehaltener Hand als Gefahr bezeichnen. Doch es gibt nur wenige, die das so offen und laut aussprechen wie Brand.
Politiker wie er sind deswegen ein Problem für Xis Anliegen, „Chinas Geschichte gut zu erzählen“. Frei und demokratisch gewählte Abgeordnete haben auf die öffentliche Meinungsbildung in Deutschland einen großen Einfluss. Sie müssen nicht wie in China fürchten, ihren Job zu verlieren, wenn sie darüber berichten, dass chinesischen Häftlingen Organe entnommen werden, dass in Xinjiang Menschen ohne Prozess in Lagern verschwinden und Frauen zu Abtreibungen gezwungen werden.
Gerade einer wie Brand, ein Mann der wirtschaftsfreundlichen CDU, steht nicht im Verdacht, aus Ideologie und parteipolitischem Kalkül gegen China zu opponieren.
Die chinesische Botschaft hat Brand seit Jahren im Visier. Die Geschichte begann im Jahr 2013, Brand war damals zum Vorsitzenden des Menschenrechtsausschusses ernannt worden und hatte sich ein Ziel gesetzt: Der Menschenrechtsausschuss sollte nach Peking, in die Uiguren-Region Xinjiang und nach Tibet reisen. Um für die Reise zu werben, traf sich Brand in jener Zeit immer wieder mit Botschafter Shi – jenem Mann also, der so eng mit dem Lobbyisten van Kampen befreundet ist.
Brand sagt, er habe Shi als höflichen, älteren Herren kennengelernt, der dunkle Anzug elegant und unauffällig zugleich. Ein perfekter Diplomat, der 1964, im Alter von neun Jahren, für ein diplomatisches Eliteprogramm ausgewählt worden war und nahezu fehlerfrei Deutsch spricht. Als Brand an einem Aprilnachmittag in seinem Bundestagsbüro von Shi Mingde erzählt, dauert es trotzdem nicht lang, bis Brand die Faust ballt, vom Stuhl aufspringt, von Gängelung, Zensur und Erpressung redet.
Zunächst, so erzählt es Brand, wären die Gespräche mit Shi vielversprechend gelaufen, 2015 genehmigte der Volkskongress die Delegiertenreise. Dann bekam der CDU-Politiker einen Anruf vom chinesischen Botschafter. Er habe wahrgenommen, sagte Shi, dass Brand bei der Jahresversammlung der Tibet Initiative in Frankfurt sprechen wolle. Diesen Termin möge er bitte absagen. Brand sagt, er habe Shi geantwortet, sich seinen Terminkalender sicher nicht von Peking diktieren zu lassen.
Wenige Wochen vor dem Abflug sagte die Botschaft die Reise ab. Offizieller Grund: ein Erdbeben in der Himalajaregion. Nur ein unglücklicher Zufall?
Im Mai 2016 sollte die ausgefallene Reise des Menschenrechtsausschusses nachgeholt werden. Brand und seine Ausschussmitglieder hatten schon Flugtickets, der Dolmetscher war gebucht, als bei Brand wieder das Telefon klingelte: Shi Mingde erwarte Brand zu einem Vier-Augen-Gespräch in der Botschaft.
Der Diplomat habe ihn nicht in seinem Büro empfangen, sondern in einem für zwei Personen viel zu großen Raum, erinnert sich Brand: „Vor ihm auf dem Tisch lag eine Mappe mit Ausdrucken meiner Abgeordneteninternetseite.“ Shi habe ihm Bilder gezeigt. Diese Fotos solle Brand von seiner Homepage löschen. Und er las Sätze von Brands Internettexten über die Verfolgung von Tibetern, Uiguren und Christen vor, die der Politiker doch bitte umformulieren solle.
„Ich habe ihm höflich, aber sehr klar erklärt, dass das für mich nicht infrage kommt: Zensur und Selbstzensur finden nicht statt“, sagt Brand. Shi habe mit einem feinen Lächeln geantwortet, dann könne Brand leider nicht mit nach China fliegen.
Der Vorfall wurde damals zum diplomatischen Eklat. Fraktionsübergreifend erklärten sich die Ausschussmitglieder solidarisch mit Brand. Ohne ihn werde keiner der Delegierten nach China reisen. Das Bundeskanzleramt intervenierte auf höchster Ebene bei der KP-Führung, trotzdem hat der CDU-Politiker bis heute Einreiseverbot in der Volksrepublik.
Auch anderen kritischen Politikern in Deutschland verweigerte China zwischenzeitlich ein Einreisevisum, etwa der Grünen Margarete Bause, wie Brand Mitglied im Menschenrechtsausschuss. Im März setzte China zehn EU-Politiker und Wissenschaftler auf eine Sanktionsliste, darunter Reinhard Bütikofer von den Grünen und Michael Gahler von der CDU.
In den vergangenen Jahren wurden immer wieder Fälle bekannt, bei denen chinesische Vertreter auf deutschem Boden Abgeordnete oder Behördenmitarbeiter kontaktierten. So war es auch im Frühjahr 2020, als chinesische Diplomaten Mitarbeiter deutscher Bundesministerien ansprachen, damit sich diese positiv über das Corona-Management der Volksrepublik äußern sollten. Das wurde erst durch einen Bericht der MEDIUM bekannt. Die chinesische Botschaft in Berlin sprach daraufhin von „unwahren“, gar „verantwortungslosen“ Unterstellungen. Das Bundesinnenministerium dagegen bestätigte schriftlich, dass die Berichte korrekt waren.
Wer China auf der politischen Bühne kritisiert, wird eingeschüchtert. Es gehört auch unter dem neuen Botschafter Wu Ken zum Alltag von Menschenrechtspolitikern, dass sie nach Bundestagsreden Beschwerdefaxe bekommen, Absender: der Sprecher des chinesischen Botschafters. Auf mehreren Din-A4-Seiten führt er dann aus, warum er „äußert unzufrieden“ sei und fordert den Bundestag auf, sich selbst zu prüfen.
Wu Ken will sich dazu nicht äußern, Gesprächsbitten der Redaktion lehnt die Pressestelle der Botschaft ab. Auch eine Gesprächseinladung des Menschenrechtsausschusses sagte Wu Ken soeben zum wiederholten Mal ab.

Die Gründung einer „China-Brücke“
Gegenüber Parlamentariern, die großzügig über Zwangsarbeit, Zwangssterilisierung und Internierungslager in China hinwegsehen, zeigt sich China dagegen sehr gesprächsbereit. Hans-Peter Friedrich, Brands Fraktionskollege von der CSU, reiste im April 2019 in die chinesische Hauptstadt und unterhielt sich dort mit der politischen Führung. Die chinesischen Propagandisten konnten ihr Glück vermutlich da schon kaum fassen, denn Friedrich ist kein einfacher Abgeordneter, sondern Vizepräsident des Bundestages, außerdem ehemaliger Bundesinnenminister. Aber es kam noch besser.
In einem Bürogebäude am Kurfürstendamm in Berlin traf sich Friedrich ein halbes Jahr später mit zehn Männern und Frauen. Sie gründeten die „China-Brücke“, angeblich ein Pendant zur Atlantik-Brücke – jenem Verein, in dem Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft seit fast 70 Jahren die Verbindungen zwischen Deutschland und den USA stärken wollen.
Erst auf öffentlichen Druck von Menschenrechtsorganisationen und nach vielen Monaten veröffentlichte die „China-Brücke“ die Namen ihrer Vorstandsmitglieder, darunter Vertreter chinesischer Konzerne wie Alibaba oder Huawei und ein KP-freundlicher Publizist, der ebenfalls als enger Vertrauter des ehemaligen chinesischen Botschafters Shi gilt. Warum die „China-Brücke“ ausgerechnet Friedrich – eigentlich eher ein Innenpolitikexperte – zu ihrem Vorsitzenden wählte? Unklar.
Die China-Expertin Mareike Ohlberg sagt, für die chinesischen Propagandisten sei Friedrich wie ein „Jackpot“, sie benutzten den Vizepräsidenten des Bundestags als „geborgtes Boot“, eine angesehene Persönlichkeit, die für China wirbt.
Im chinesischen Staatsmedium china.org lobte Friedrich im Mai 2020 Pekings Kampf gegen Armut und Corona. Im April 2021 sagte er dem Deutschlandfunk, China sei „keine Diktatur“. Auch gegenüber dieser Zeitung wiederholte er diese Sicht im Mai. Er wolle das chinesische politische System nicht verteidigen. Eine Diktatur sei es aber nicht, sondern ein autokratisches Einparteiensystem. Wenige Tage später befand der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags in einem Gutachten, Chinas Behandlung der Uiguren erfülle den „Tatbestand des Völkermords“.
Der CDU-Politiker Brand hat kein gutes Wort für seinen Fraktionskollegen übrig. „Das ist nichts anderes als Lobbyismus für Peking. Die ‚China-Brücke‘ von Friedrich läuft Gefahr, zur Fünften Kolonne der Kommunistischen Partei Chinas zu werden.“ Als Fünfte Kolonne werden seit dem Spanischen Bürgerkrieg subversive Gruppen bezeichnet, die im Interesse einer fremden Macht agieren.

Verborgene Streitmacht im Netz
Der am besten getarnte Teil von Chinas Medienstrategie in Europa aber spielt sich im Internet ab. Die Akteure sind Influencer bei Twitter oder YouTube – und oft ist nicht klar, ob sie selbst sich dessen bewusst sind, als Teil des Propagandanetzes instrumentalisiert zu werden.
„Ich bin Navina Heyden. Ihr kennt mich vermutlich als das deutsche Mädchen, das prochinesisches Zeug auf Twitter schreibt.“ Mit diesen Worten stellt sich die 22-jährige Kielerin auf Englisch in ihrem ersten Video vor, gepostet am 14. August vergangenen Jahres.
Eine junge Frau mit langen blonden Haaren, die in ihre Selfie-Kamera spricht: Sie wollen sich im Video zeigen – weil so viele Menschen sie hier bei Twitter beschuldigen würden, eine Agentin der Kommunistischen Partei zu sein, vielleicht auch ein Bot oder ein Fake-Account. Nichts davon sei wahr, sagt sie, sie werde von niemandem bezahlt.
Heyden, die sich auf ihrem Profil als Studentin der Wirtschaftswissenschaften und Amateur-Manga-Zeichnerin vorstellt, war zuvor innerhalb weniger Monate zur wohl auffälligsten Influencerin mit China-Verständnis avanciert, weil ihre Tweets ausnehmend provokant sind: Sie bezeichnet Berichte über die Unterdrückung der Uiguren in europäischen Medien als zensiert, die deutsche Öffentlichkeit als uninformiert.
Die Studentin ist bereit, mit MEDIUM zu reden. Bei einem Videogespräch erzählt sie, sie sei während der ersten Corona-Welle in China gewesen, mit ihrem Lebenspartner, einem Chinesen. Dort sei ihr aufgefallen: In deutschen Zeitungen hätten zu der Zeit viele Falschmeldungen über das chinesische Corona-Management gestanden.
Deswegen habe sie beschlossen, bei Twitter eine andere Sicht zu bieten. Während sie erzählt, schaut sie immer wieder zur Seite. Als das Gespräch schon eine halbe Stunde dauert, offenbart sie: Neben ihr sitzt ihr chinesischer Lebenspartner, hört zu.
Heyden bietet an, den Kontakt zu Gleichgesinnten herzustellen: anderen Influencern, die ihre Motive erklären wollen. Ein paar Tage später kommt die Videokonferenz zustande. Fünf Männer und Heyden sind dabei, darunter ihr Partner Ellias Yuming Feng, bis vergangenes Jahr Forscher am Kieler Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung.
Er ist zwar nicht bei Twitter aktiv, äußert seine politischen Ansichten aber auf dem Diskussionsportal Quora: Dort schreibt er etwa, es sei Chinas gutes Recht, die Hongkonger Freiheitsrechts-Demonstrationen niederzuschlagen. Die Stimmung in der Diskussionsrunde ist rau, die Influencer fallen sich gegenseitig ins Wort.
Heydens Lebenspartner brüllt einen der Reporter an – er habe sich bei China dafür zu entschuldigen, dass er kritisch über Chinas Staatschef Xi geschrieben habe. Nach der Videokonferenz schreibt Heyden bei Twitter, sie habe eine „sehr informative und ernsthafte Diskussion mit Journalisten der MEDIUM“ geführt.
Heyden hat ihr Twitter-Konto erst im März 2020 eröffnet. Trotzdem hat sie schon mehr als 26.000 Follower. Eine bemerkenswerte Zahl für eine zuvor unbekannte deutsche Studentin. Das britische Institut für Strategischen Dialog (ISD) hat den Account für MEDIUM analysiert. Die Denkfabrik forscht zu Onlinemanipulationen, Desinformation, Hass und Extremismus und berät dazu auch Regierungen.
Die Auswertungen zeigen: Vor allem Mitte August 2020 und Ende April 2021 stieg Heydens Followerschaft sprunghaft an, zunächst um 8772 und dann um 1296 Follower. ISD schaute sich an, wann die Accounts, die Heyden folgen, angelegt wurden und fand heraus, dass auffällig viele der Profile neu geschaffen wurden: 2890 im Juli und August sowie weitere 1213 im April.
Nicht nur das ist auffällig: ISD fand auch Hinweise auf koordinierte Aktivitäten, Hinweise also, dass eine Reihe von Accounts, die Heyden folgen, prochinesische Tweets gezielt teilt, um ihnen mehr Reichweite zu verschaffen. ISD analysierte alle Tweets von Heydens Followern zwischen Januar und Ende April 2021. So teilten etwa fünf Accounts einen Tweet 2145 Mal, innerhalb von fünf Tagen. Zwischen den Retweets lagen mitunter nur fünf Sekunden.
Durch öffentliche Ausschreibungen, die chinesische Städte und Provinzen im Internet veröffentlicht haben, weiß man, dass staatliche chinesische Stellen zunehmend externe Firmen beauftragen, Onlinedebatten auf Facebook oder Twitter durch automatisierte Software zu steuern – also in sozialen Netzwerken, die in China überhaupt nicht abrufbar sind.

Spamouflage-Netzwerke und „Wolfskrieger“
Koordinierte Netzwerke, die auf Twitter, Facebook oder YouTube im Sinne Chinas agieren, sind nicht neu. In früheren Berichten haben sowohl ISD als auch Graphika, eine auf Netzwerkanalysen spezialisierte US-Firma, ein prochinesisches Propagandanetzwerk aufgedeckt: „Spamouflage“.
Beschrieben wurde es erstmals im September 2019. Damals agierte das Netzwerk über gekaperte und gefälschte Accounts, um Videos massenhaft zu verbreiten, die die Hongkong-Proteste diskreditieren sollten. Immer wieder wurden zugehörige Accounts von den Plattformbetreibern entfernt, manchmal innerhalb von Stunden. Trotzdem gelang es dem Netzwerk, aus seiner Echokammer gefälschter Konten auszubrechen und echte Social-Media-Nutzer zu erreichen.
Viele Merkmale von Spamouflage decken sich laut ISD mit Auffälligkeiten, die sie im Netzwerk rund um Navina Heyden fanden. Denn unter ihren treuesten Followern finden sich viele prominente „Wolfskrieger“: So nennt man jene chinesischen Diplomaten, die seit einiger Zeit in sozialen Medien Falschnachrichten streuen und Peking-kritische Wissenschaftler als Agenten der USA diskreditieren. Der Name „Wolfskrieger“ ist aus einer gleichnamigen Actionfilmserie entliehen, in der ein Held China im Alleingang gegen fremde Mächte verteidigt.
Der bekannteste Wolfskrieger ist Zhao Lijian, Sprecher des Außenministeriums in Peking, dem fast eine Million Accounts auf Twitter folgen. Im März 2020 verbreitete er auf Twitter das Gerücht, US-Militärs könnten das Coronavirus nach China eingeschleppt haben.
Zhao findet sich ebenso unter Heydens Followern wie fünf weitere Wolfskrieger, die bereits früher als Teil des Spamouflage-Netzwerks aufgefallen sind. Darunter der chinesische Generalkonsul von Karachi in Pakistan und der Generalkonsul von Kalkutta in Indien sowie Chinas Botschafter in Österreich.
Mehr als 94 Mal teilten oder kommentierten diese und andere Accounts chinesischer Topdiplomaten die Posts der Kieler Studentin. Auch acht teilweise hochrangige Mitarbeiter von Huawei Westeuropa retweeteten jenes auffällige Heyden-Video von August 2020. Eine weitere Parallele zum Spamouflage-Netzwerk, denn auch bei dem hatten hochrangige europäische Huawei-Mitarbeiter mitgewirkt.
Heydens Onlinenetzwerk scheint ihr auch im analogen Leben Türen zu öffnen. So gehörte sie zu der ausgewählten Zahl von „Pressevertretern“, die im Mai an einer digitalen Informationskonferenz der chinesischen Botschaft zur Uiguren-Region Xinjiang teilnehmen durfte. MEDIUM-Journalisten ließ die Botschaft nicht teilnehmen.
Und Anfang Juni tweetete Heyden dann, ihr Lebenspartner, der vor wenigen Jahren erst die Promotion beendet hat, mache jetzt Karriere: Über ein Talentprogramm habe der 33-Jährige eine Stelle als Assoziierter Professor an einer chinesischen Universität bekommen; eine Position, die man üblicherweise erst nach einer Habilitation und mehreren Jahren Lehrerfahrung erhält.
Heyden werde natürlich mit ihm nach Qingdao ziehen, einer Hafenstadt mit Wolkenkratzern, einer kolonialen Altstadt und Stränden am Gelben Meer. Über die überraschende Beförderung ihres Lebenspartners und auch über ihre illustre Twitter-Followerschaft hätte MEDIUM gern mit ihr gesprochen. Heyden antwortet auf eine Anfrage am Mittwoch, sie sei gerade in der Klausurenphase und könne daher nicht antworten.

Mit dem Beginn der Corona-Pandemie wurde noch sichtbarer, dass neben Russland nun auch China mit Desinformationskampagnen Europa angreift. Das beobachtet auch die EU-Sondereinheit East StratCom Task Force, die gegründet wurde, um die EU vor Fake-News-Angriffen aus Moskau zu schützen. Nun, heißt es, müsse sie sich zunehmend auch um China kümmern. Allein, es fehlt das Geld.
Verantwortlich für die Bekämpfung von Desinformation ist der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Der sagte am 1. März vor EU-Parlamentsmitgliedern des Sonderausschusses für ausländische Einmischung: Die EU habe versteckter Propaganda im Netz aus China kaum etwas entgegensetzen. Denn der Auswärtige Dienst der Europäischen Union (EAD), zu dem auch die Desinformationseinheit gehört, verfüge weder über die Ressourcen noch über die Befugnis, hybriden Angriffen aus China wirksam entgegenzuwirken. Eine politische Bankrotterklärung.
Ehemalige Mitarbeiter der Behörde sagen gegenüber MEDIUM, die Ressourcenknappheit sei kalkuliert: Sie glauben, der EAD gehe deshalb nicht konsequent gegen chinesische Desinformation vor, weil die EU diplomatische Verwerfungen mit China fürchte – anders als bei Russland, das wirtschaftlich weniger wichtig sei als China.
Ähnliche Vorwürfe gab es auch schon im Frühjahr 2020, als die „New York Times“ offenlegte, wie die EU auf Druck chinesischer Diplomaten einen Bericht zu chinesischer Desinformation abgemildert hatte. Tatsächlich gibt es Unterschiede zwischen dem veröffentlichten EAD-Bericht und einer vorab geleakten Version, die MEDIUM vorliegt: In der ersten Version ist noch von einer „globalen Desinformationskampagne“ Chinas die Rede, dann nicht mehr.
Peter Stano, Sprecher des EU-Außenbeauftragten, widerspricht den Anschuldigungen. Obwohl die Behörde bisher nur ein Mandat für russische Desinformation hat, habe man aus eigener Initiative begonnen, Akteure in den Fokus zu nehmen, die aus China stammen oder Verbindungen dorthin haben. „Wir bekommen von der Haushaltsbehörde aber nicht genügend neue Stellen genehmigt.“
Aktuell habe man drei Mitarbeiter, die Mandarin sprechen, die Behörde sei aber dabei, weitere Spezialisten einzustellen und ihre Kapazität in diesem Bereich aufzubauen. Laut Stano zählt die Behörde zwar nicht statistisch, wie viele Fälle chinesische Desinformation es gibt. Dennoch beobachte man die Tendenz und es sei klar, dass es sich um hybride Bedrohungen und Informationsmanipulationen aus China handele, die eindeutig ein wichtiges Problem seien. „Das Bewusstsein ist also da, ebenso wie die Erkenntnis, dass mehr getan werden muss“, sagt Stano. Allein auf EU-Ebene schaffe man das aber nicht.

Der Westen wehrlos ausgeliefert?
Experten wie der CDU-Menschenrechtspolitiker Brand oder die China-Expertin Ohlberg sehen diese Entwicklung mit Sorge: Denn Chinas Staatspropaganda wird immer aggressiver, ihre Instrumente und Vorgehensweisen immer ausgefeilter. Und in Deutschland sieht es nicht besser aus als in der EU: Hierzulande gibt es nicht mal eine Taskforce.
Zunehmend kopiert China auch eine Taktik der russischen Desinformationsstrategen, die Falschinformationen verbreiten. „Es gibt Millionen von Festangestellten und freien Mitarbeitern in verschiedenen Ministerien und Behörden, die auf Anweisung Chinas hin Kommentare posten und Inhalte teilen, die der Staat ihnen vorgibt“, sagt Ohlberg.
Das US-Recherchenetzwerk ProPublica analysierte im Dezember 2020 einen Datensatz von 3200 staatlichen Anweisungen und 1800 Memos der chinesischen Internetregulierungsbehörde, die die Hackergruppe CCP Unmasked erbeutet hatte.
Anhand der Dokumente lässt sich nachzeichnen, wie die chinesische Regierung Anfang 2020 systematisch versucht hat, Onlinediskussionen über den Corona-Ausbruch zu verhindern: Die Propagandisten sollten kritische Inhalte löschen und alternative Wahrheiten verbreiten. Demnach war es Xi höchstpersönlich, der im Februar 2020 in einer Sitzung die Direktive ausgab, zu Corona „aktiv die internationale Meinungsbildung zu beeinflussen.“ Ob die globale Pandemie zu verhindern gewesen wäre, hätte China einen freien Informationsaustausch ermöglicht?
Es geht der KP längst nicht mehr nur darum, ihre eigenen Fehler zu verschleiern. Es geht um die eigene globale Machtstellung. So erklärt es der China-Experte Tiffert von der Hoover Institution.
Mit einem Forscherteam hat er etwa dies analysiert: Als die globale Pandemie im Frühjahr 2020 ausbrach, und westliche Medien spekulierten, das Virus könne aus einem Forschungslabor in Wuhan entwichen sein, brachte das chinesische Desinformationsnetz über soziale Netzwerke eine Gegenerzählung in Gang, die sich schnell verbreitete: Demnach sei das Virus in Wahrheit in einem US-Labor gezüchtet und gezielt nach Wuhan gebracht worden.
So sei die weltweite Debatte erfolgreich umgelenkt worden, besagt Tifferts Analyse. Der gemeinsame Nenner sei nun gewesen: Es bestehe gesunder Zweifel am Ursprung des Virus in China.
Kommunikationswissenschaftler nennen diesen Effekt die „Dividende des Lügners“. Mit den Lügen werden nicht nur Zweifel an Tatsachen verbreitet. Sie untergraben auch die Glaubwürdigkeit von Institutionen. Das Kalkül: Je weniger die Menschen westlichen Regierungen trauen, desto mehr misstrauen sie auch den Vorwürfen, die diese Regierungen Peking machen. „Es geht um Zersetzung des politischen Gegners, indem man Zweifel nährt“, sagt der Washingtoner Politologe Thomas Rid, der den US-Senat zur Bekämpfung von Desinformationskampagnen beraten hat.
In politischen Umfragen der vergangenen Jahre schnitt China im Ansehen der Deutschen regelmäßig besser ab als die USA. Das Land wird als verlässlicherer Partner gesehen, als wichtigere Wirtschaftsmacht und als geringere Bedrohung für die Demokratie – das hat sich auch nach der Abwahl Donald Trumps bisher nicht geändert. Die Säer des Zweifels werden mehr, nicht weniger.

Ein ungleiches Spiel
Wenn ein vermeintlicher Experte im Westerwälder Regionalsender sagen darf, es gebe keinen Beweis, dass das Coronavirus aus China stamme, dann sät er Zweifel.
Wenn der Wolfskrieger Zhao Lijian einen Tweet teilt, laut dem in Deutschland Menschen an einer Biontech-Impfung gestorben sind, sät er Zweifel.
Wenn die Kieler Studentin Heyden die Falschbehauptung verbreitet, der Präsident des Europäischen Rates habe zugegeben, die EU werde aus politischen Gründen chinesische und russische Impfstoffe nicht zulassen, sät sie Zweifel.
Wenn die Chinesische Botschaft in Berlin auf ihrer Internetseite behauptet, der weltweit angesehenste Experte zu den Uiguren-Internierungslagern habe für seine Studien Daten manipuliert, sät sie Zweifel.
Und wenn Bundestagsvizepräsident Friedrich in Interviews sagt, China sei keine Diktatur, sondern einfach ein Staat, in dem eine Partei herrsche, sät auch er Zweifel.
Es ist ein ungleiches Spiel, die Propagandisten aus Peking und ihre Helfer haben die besseren Karten. Sie müssen niemanden überzeugen, um zu gewinnen. Sie haben schon gewonnen, wenn die Menschen nicht mehr wissen, wem sie trauen können.

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Einschübe:

"ICH HABE DEM BOTSCHAFTER
HÖFLICH ERKLÄRT, DASS ICH MICH
NICHT ZENSIEREN LASSE"
BUNDESTAGSABGEORDNETER
MICHAEL BRAND

"ERZÄHLEN SIE DIE CHINESISCHE
GESCHICHTE GUT"
CHINAS STAATSCHEF XI JINPING
AUF EINER NATIONALEN
KONFERENZ FÜR PROPAGANDA

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Bildunterschriften:

Chinas Staatschef
Xi Jinping möchte
das Image seines
Landes aufpolieren

Der ehemalige chinesische
Botschafter in Deutschland,
Shi Mingde

Zhao Lijian, Sprecher
in Chinas Außenministerium,
verbreitet Fake News bei Twitter

Der frühere Bundesinnenminister
Hans-Peter Friedrich ist
heute China-Versteher.
Er gründete die „China-Brücke“

Udo van Kampen,
früher Brüssel-Korrespondent,
heute offenbar Türöffner für
chinesische Anliegen

Der aktuelle chinesische
Botschafter in Deutschland,
Wu Ken, gilt als Hardliner –
auch, wenn es um den Umgang
mit deutschen Politikern geht

Der Politiker Michael
Brand nahm von China
übermittelte Propagandawerke
von Staatschef
Xi an – und stellte sie
demonstrativ neben
kritische Bücher

Jubelnachrichten aus China – die dpa verbreitet
sie unkommentiert in Deutschland

„China Info“: ein TV-Dauerwerbeformat
für China, das etwa im Westerwald zu sehen ist

Michael Brand (CDU) ist Mitglied
des Deutschen Bundestages
und bekannt für seine kritische
Haltung zu China

Navina Heyden twittert unkritisch
über China – und erreicht damit
viele. Eine Analyse der Accounts, die
ihr folgen, legt nahe: Sie scheint
Teil chinesischer Desinformations-
kampagnen zu sein

Der chinesische
Lebenspartner
der Kieler Studentin
Heyden schreibt im
Portal „Quora“ über
die angebliche
Meinungsmanipulation
westlicher Medien

Die Pro-China-Influencerin Navina
Heyden fühlt sich bei Twitter verunglimpft
– und erstattete deshalb auch
schon Strafanzeigen, wie sie mit
Screenshots in ihren Posts belegte