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Hurra, die Chinesen kommen

von Karin Stawski
stern vom 24.10.2019

Sie sehen hier den reinen Text in der anonymisierten Form für die Jury. Bilder, Layout oder multimediale Umsetzung sind beim Deutschen Journalistenpreis kein Bewertungskriterium. Allein das Wort zählt.

Hurra, die Chinesen kommen

Der Batteriehersteller CATL baut auf dem Thüringer Land eine Fabrik. Dort ziehen nun die Superlative ein. Und die Bürgermeister fragen sich: Was braucht er, der Chinese?

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Wie viele Chinesen kommen überhaupt?
Wollen die hierbleiben?
Bringen die Kinder mit?
Mögen die unsere alten Plattenbauten?

So viele Fragen fallen den beiden Bürgermeistern ein, dass sie sich gegenseitig das Wort abschneiden. Es ist Anfang September, und sie stehen auf der riesigen Baustelle, in den Furchen eines Baggers, mit den guten Schuhen im Dreck – der lange Frank Spilling, Bürgermeister von Arnstadt, und der kürzere Uwe Möller, Bürgermeister von Amt Wachsenburg. Spilling blickt in Richtung Horizont.

„So weit geht das?“, fragt er.

„Ja, bis ganz da hinten“ , sagt Möller.

Sie schauen dem Bagger zu, der in der Ferne seine Arbeit verrichtet, zwei Thüringer Bürgermeister mit Ortswappen am Revers, in deren Gemeinden mit zusammen 35 000 Einwohnern die Superlative einziehen. „Große Chance und große Herausforderung“, murmelt Spilling, es ist ihm nicht ganz geheuer, das Big Business.

Die Chinesen kommen. Einer der weltweit größten Batteriezellenhersteller für E-Autos, „Contemporary Amperex Technology“, kurz CATL, baut im Gewerbegebiet „Erfurter Kreuz“, das in ihren Gemeinden liegt. Vor Kurzem erst hat CATL bekannt gegeben, dass man doch siebenmal so viel investieren werde, wie ursprünglich geplant. 1,8 Milliarden Euro. Wenn alles steht, sollen hier 2000 Menschen arbeiten. Es gilt als die größte Neuansiedlung eines chinesischen Unternehmens, die es in Europa je gab.

Politiker wie Wirtschaftsbosse verfolgen gespannt das Experiment, Reporter der „New York Times“ reisten schon an, und Spilling wird plötzlich gefragt, was er von der chinesischen Wirtschaftspolitik hält. „Verrückt“ , sagt er. „Nicht mein Job.“

Verrückt klingt vieles: Die Chinesen bringen die Technologie mit nach Deutschland, bislang war das umgekehrt. Und die hiesige Autoindustrie ist dringend auf sie angewiesen, muss wegen der Klimaziele auf Elektromobilität setzen, kennt sich mit Batterien aber nicht so aus.

Doch zuerst stellt sich eine ganz andere Frage: Verzweifelt CATL vielleicht schon an der deutschen Bürokratie? Bürgermeister Möller ist kein Feind der Bürokratie. Es gibt Bürger, die Angst haben, dass die Chinesen Dreck in die Luft pusten. Denen antwortet er: „Ich vertraue der ,Bimschg-Prüfung‘“ – also dem Verfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz. Erst wenn das abgeschlossen ist, darf CATL seine Produktionshallen bauen. Wann wird das sein? Weiß niemand. Kann Monate dauern.

Die Lokalpolitiker würden gern schon anfangen, an anderen Baustellen zu arbeiten: Straßen verbreitern, damit es nicht noch mehr Stau gibt; Wohnungen suchen für die chinesischen Vorarbeiter. Doch direkte Kontakte nach China haben sie nicht, die Informationen von den Wirtschaftsentwicklern des Landes tröpfeln spärlich. Dabei haben es die Chinesen doch eilig. „Wir brauchen jetzt eine Taskforce, sonst wird es kritisch“, sagt Spilling. Wenn sie nur wüssten, wer da genau kommt.

Auf alle Fälle ein Hesse. Matthias Zentgraf, der Europachef von CATL, ein Ingenieur, 56, gut gelaunt und sichtlich busy. Er steht im glänzenden Weiß des CATL-Stands auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt. Auf großen Screens laufen Videos über das Hauptquartier in Ningde, im Südosten Chinas.

Als Zentgraf 2015 bei CATL anfing, war die Firma vier Jahre alt. Jetzt, mit acht, ist sie einer der Weltmarktführer. Ein Wirtschaftsmärchen mit freundlicher Unterstützung der Kommunistischen Partei.

Gründer Yuqun Zeng hatte beim japanischen Elektrokonzern TDK Karriere gemacht und sich früh auf Lithium-Ionen-Batterien spezialisiert. Als er 2011 mit CATL anfing, fuhren nur etwa 1000 Elektroautos in China. Die Regierung will, dass es bis 2020 fünf Millionen werden. Dafür fördert sie die Branche mit Milliarden und ließ zeitweise ausländische Konkurrenz nicht mehr ins Land. 2017 setzte CATL 1,1 Milliarden Dollar um. Der Bauernsohn Zeng ist Milliardär. Die Zukunft winkt golden.

„Um was geht es dieses Jahr auf der IAA?“, fragt Europachef Zentgraf zwei Tage später am Telefon und antwortet sich selbst: „Elektro, Elektro, Elektro.“ Es ist nicht so einfach, ausführlich mit ihm zu sprechen. Alle Anfragen müssen in China genehmigt werden, über die Frau, deren Visitenkarte den schönen Titel „PR-Aufseherin“ trägt. Yilin Huang sitzt neben Zentgraf am Lautsprecher. Sie sagt, es gebe während der IAA ein „window of communication“ . Ein Fenster der Kommunikation, das allerdings schnell zuschlagen könne.

Bürokraten und Investoren

Auch für CATL ist das Projekt ein Wagnis. Bislang produzieren sie nur in China. „Viele unserer Kunden sitzen aber hier und fragen mich: Wo ist deine europäische Fabrik?“ , sagt Zentgraf. BMW, mit denen CATL schon lange zusammenarbeitet, hat zugesagt, Batterien für vier Milliarden Euro abzunehmen. Auch Bosch wird Kunde.

Es soll schnell losgehen. Doch ständig muss Zentgraf den Baubeginn korrigieren, jetzt sagt er: bestimmt vor Ende des Jahres.

Wegen der Umweltprüfung „Bimschg“? „Ja. Das ist in Deutschland normal und in China anders“ , sagt er. „Meine Kollegen respektieren das. Aber sie fragen mich auch: Wann genau eröffnet endlich euer neuer Flughafen in Deutschland?“ In Peking hat gerade einer eröffnet: nach vier Jahren Bauzeit. „Chinese-Style“ nennt es Zentgraf.

Auch die Deutschen stellen ihm Fragen, auf die er keine Antworten hat. Wie viele chinesische Arbeiter wird er mitbringen? Er weiß es noch nicht. Am Anfang vielleicht ein paar mehr, die dann die Deutschen anlernen. Er sei glücklich, dass sie hier bauen, sagt er. Natürlich hätten sie erst einmal auf die Lohnkosten, also nach Osteuropa, geschaut. Bis kurz vor Schluss sah es so aus, als würden die Ungarn das Rennen machen.

Wie Thüringen gewann, erzählt am besten Andreas Krey. Geil! und Hammer! ruft er dabei gern, der Chef der Landesentwicklungsgesellschaft, kurz LEG. Er sitzt spätabends in seinem Besprechungszimmer in Erfurt, hat die Pläne des Gewerbegebiets in der Hand und eine Heldengeschichte im Kopf.

Im Frühjahr 2016 erfuhren sie vom Bundeswirtschaftsministerium, dass die Chinesen sich in Europa umschauen. Sie hätten nicht lange gezögert, sagt Krey, „wir sind da hingedonnert mit dem Minister und haben ordentlich präsentiert“ . Die Deutschen waren beeindruckt vom riesigen Hauptwerk in Ningde, sahen, dass die Produktion teil weise schon von BMW mitgebaut wurde. Landeswirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee stellte sich vor als „früheres Mitglied von Angela Merkels Regierung“ . Als sie mit Firmenchef Zeng zusammensaßen, habe der gesagt: Ihr habt keine Chance. Drei Gründe – zu hohe Löhne, zu hohe Steuern, zu hohe Energiekosten. Aber die Thüringer stiegen in die Verhandlungen ein.

Vieles sei am Anfang umständlich gewesen, sagt Krey. Hierarchisch seien die Chinesen, man müsse jeder Ebene alles neu erklären. „Und dann hast du mit einem verhandelt, drei, vier Monate und dann ist da wieder ein neuer Mitarbeiter.“

Wann immer neue CATL-Verhandler nach Thüringen kamen, luden sie sie zum Wirtschaftsminister ein. „Immer high ranked, Politik ist für die ja wichtig. Eine halbe Stunde reicht auch.“ Auf den Tisch kam thüringische Küche: „Klar waren wir auch beim Chinesen essen. Aber die haben gerne ein Köstritzer Schwarzbier getrunken und Roulade und Bratwurst gegessen.“

Bei CATL preisen sie die zentrale Lage Thüringens in Europa, das stabile politische System, die Nähe zu den Autoherstellern, die gut ausgebildeten Arbeiter, die vielen Verkehrswege und dass erneuerbare Energien verfügbar sind. Das verbessert die Ökobilanz ihrer Batteriezellen. Und nein, beteuern die Wirtschaftsförderer, man habe keine Subventionen ausgeschüttet.

Zur Unterschrift des Vorvertrags flogen die Wirtschaftsförderer nach Shanghai und buchten sich im Luxushotel „Hyatt on the Bund“ ein. Sie machten mit den CATL-Managern eine Flasche Schampus auf, mit Blick über den Fluss. Da seien die Chinesen richtig aufgetaut, sagt Krey. „Als die Zeremonie vorbei war, sind wir da oben gesessen und haben gesagt: ,Das war ne geile Nummer.' Jetzt helfen Krey und sein Team bei fast jedem Problem. Mit der lieben „Bimschg“ zum Beispiel. „Die fragen sich: Was wollen die Deutschen denn jetzt noch alles wissen?“, sagt Krey. „Wir bieten Full Service, und das soll als gutes Beispiel laufen. Wir wollen, dass mehr chinesische Unternehmen zu uns kommen.“

Thüringens Wirtschaft ist geprägt vom Mittelstand, die Region Erfurt ist nicht der arme Osten, in dem es keine Arbeit gibt. Im Industriegebiet siedeln US-Autozulieferer, spanische Stahlbearbeiter, Triebwerkmanager von Lufthansa und Rolls-Royce. Die Arbeitslosigkeit liegt bei rund fünf Prozent. CATL wird sich strecken müssen, um qualifiziertes Personal zu bekommen.

„Das Geld ist nur woanders“

Eine Firmenzentrale haben sie schon, auf einem riesigen Gelände im Gewerbegebiet. Es wirkt ausgestorben. Man hört nur das Surren der Mähmaschine, mit der Arbeiter das Gras zwischen den leeren Gebäuden schneiden. Aus einem ganz hinten tritt lächelnd die Frau, die viele in der Region anrufen, wenn sie „die Chinesen“ sprechen wollen. Constance Ulbrich, Erfurterin, 30 Jahre alt, seit einem halben Jahr bei CATL. Mit China spricht sie Englisch. Eigentlich wurde sie eingestellt, um die ersten Angestellten zu rekrutieren. „Aber jetzt zum Start fällt viel mehr an“, sagt sie.

Sie führt hinauf in den zweiten Stock, wo sich in einem Großraumbüro ein paar junge Leute verlieren. Es wirkt wie ein Start-up, das in einem zu großen Haus gelandet ist. Etwa 20 Angestellte haben sie jetzt, an der Wand hängen Bilder von ihrer ersten Party mit blauen CATL-Luftballons. Fünf Stellen sind ausgeschrieben, gerade sucht Ulbrich einen Elektroingenieur und einen Zoll-Spezialisten.

Ein Wachmann ruft sie an den Empfang. „Da ist schon wieder so ein fahrender Verkäufer. Ein besonders aggressiver“ , sagt er. Viele Unternehmen haben gehört, dass CATL eingezogen ist, und versuchen ihr Glück. Ob sie denn Büromöbel brauchten?, fragt der Mann, der an seinem Auto wartet. Nein, sagt Ulbrich, danke. Alles stand schon so da, als sie ankamen, Tische, Stühle. Sie mussten sich nur hinsetzen und ihre Rechner aufklappen. Die Vormieter haben viel zurückgelassen – auch das gehört zu den erstaunlichen Wendungen dieser Geschichte.

Gebaut hat hier Bosch, vor elf Jahren erst. Ulbrich läuft durch hallende Flure, zeigt eine riesige Logistikhalle, Top-Zustand. Angela Merkel hatte den Grundstein gelegt, Bosch eine halbe Milliarde Euro investiert, hier Solarmodule entwickelt. Die Firma Solarworld kaufte ihnen 2013 alles ab. Ulbrich hat damals schon hier gearbeitet. Als sie in der Elternzeit war, kam 2018 die Pleite.

Warum? Weil die Chinesen so günstig Module produzierten und auf den Weltmarkt warfen, dass die Thüringer trotz staatlicher Millionensubventionen nicht mithalten konnten. Auf der CATL-Etage sitzen ganz hinten auch noch ein paar Angestellte des Insolvenzverwalters von Solarworld. Sie versuchen, die letzten Hinterlassenschaften zu verkaufen.

Das Schöne aus chinesischer Sicht ist, dass nicht nur ein Solar-Konkurrent verschwunden ist, sondern sich nun ein chinesisches Unternehmen an seinen Überbleibseln erfreuen kann.

CATL profitiert davon, dass auch die Solarindustrie eine chemische Industrie war, denn für diese Gebäude gibt es schon eine „Bimschg“-Umweltgenehmigung. Und auch davon, dass es qualifizierte Arbeiter gibt, die gern wieder für ein Unternehmen mit Zukunftstechnologie arbeiten wollen. Eine Handvoll Solarworld-Mitarbeiter haben sie schon wieder angestellt. Und obwohl sich in Arnstadt gerade herumspricht, dass die Chinesen offenbar nicht so gut zahlen wollen, haben sich einige weitere schon initiativ beworben.

Es sei wie immer, sagt der Wirtschaftsentwickler Krey dazu: „Das Geld ist ja nicht weg, es ist nur woanders.“

Genau genommen in chinesischer Hand. Wie auch bei so vielen deutschen Unternehmen, die in den vergangenen Jahren von chinesischen Investoren übernommen wurden. Vielen ist diese staatlich gelenkte Wirtschaftsmacht unheimlich.

In langen Schritten eilt der Thüringer Wirtschaftsminister den Gang entlang in sein Büro. Tiefensee ist SPD-Spitzenkandidat, am 27. Oktober wird der neue Landtag gewählt. Die SPD steht bei acht Prozent. Er grinst, schaut auf die Uhr. „Halbe Stunde reicht. Ziehen wir durch.“

„Diese Ansiedlung hat nichts zu tun mit den bisherigen Übernahmen“, sagt er. Natürlich sei der Roboterbauer Kuka ein mahnendes Beispiel, dort haben sich die Chinesen Schlüsseltechnologie gekauft, was heftige politische Debatten auslöste. „Aber CATL bringt Geld, Technologie und Arbeitsplätze mit, die es sonst in Deutschland nicht geben würde.“

Wenn Europachef Zentgraf vorgeworfen wird, die Chinesen würden mit ihrem Geld alles verschlingen, dann antwortet er: „Es braucht immer zwei. Den einen, der das Geld hat. Und den anderen, der es nimmt.“

Der „New York Times“-Reporter, der angereist war, schrieb über den Umgang der Deutschen mit China: Sie fürchten die Macht und lieben das Geld. Tiefensee räumt ein, dass die Bundesregierung zu Beginn nicht glücklich war, dass das Feld im Gewerbegebiet an die Chinesen ging.

Apartments für die Chinesen

Beinahe unbemerkt hat um den Acker ein Duell um die Batteriehoheit in diesem Lande stattgefunden. Es gab einen Konkurrenten, der der Regierung lieber gewesen wäre: Ein deutsches Konsortium zur Batteriefertigung hatte sich für die Fläche interessiert. „Doch das Projekt stagnierte leider und wurde eingestellt“, sagt Tiefensee. Er glaubt, dass die CATL-Ansiedlung das Thüringer Selbstbewusstsein stärkt. „Da wächst der Stolz der Leute“, sagt er. „Aha, jetzt sind wir auf der Weltkarte!“ Dann eilt er hinaus.

Die Arnstädter haben zumindest mit den kleinen Vorbereitungen begonnen. Der Bürgermeister lässt die Homepage ins Englische übersetzen. Dazu ein paar chinesische Schlagworte. „Herzlich willkommen“, zum Beispiel. Er will mehr Touristen ins malerische Arnstadt locken, seine Führungskräfte schickt er zum Workshop „Der chinesische Reisemarkt“.

Die Wohnungsvermittler der Region suchen möblierte Apartments für CATL. Die Chinesen brauchen schnelles WLAN – was die meist älteren Thüringer Vermieter oft nicht bieten können. Ein Vermittler wundert sich, dass CATL seinen Managern offenbar kein Dienstauto, sondern ein Fahrrad besorgt. Damit kommen die Manager zu Besichtigungen geradelt.

Auch die IG Metall in Erfurt versucht, sich zu wappnen. Gerade hat Ilko Vehlow einen Brief an den CATL-Europachef geschrieben. „Erst mal ist das positiv“ , sagt er. „Aber nicht, dass das alles Mindestlohnbeschäftigte werden. Wir werden das begleiten. Das ist hier nicht mehr der billige, wilde Osten.“ Die Erfahrungen der IG Metall mit chinesischen Eignern sind meist gut, sagt der Gewerkschafter. „Die machen, was sie müssen. Die wollen keinen Ärger.“

Doch Vehlow selbst erlebte ganz anderes: Vor einigen Jahren hatten Chinesen ein insolventes Solarunternehmen bei Frankfurt an der Oder gekauft „und dann allen nur noch Mindestlohn bezahlt“. Vehlow war für die IG Metall zuständig, es gab Warnstreiks. Der chinesische Chef rief die Polizei, sie sollte die Streikenden zur Arbeit zwingen. Vehlow hat den CATL-Europachef um ein Gespräch gebeten.

Doch erst einmal sind die Arnstädter dran. Es ist Ende September geworden, Mittwochabend. CATL hat im neuen Hauptquartier belegte Brötchen vorbereitet. Bürgermeister Spilling bringt seine Amtsleiter mit und die Fraktionsvorsitzenden. Journalisten wollte der Bürgermeister nicht dabeihaben. Deswegen muss man sich von Teilnehmern erzählen lassen, wie es war. Zentgraf habe präsentiert, wer CATL ist, gezeigt, wie schnell sie das Hauptwerk in China hochgezogen haben. Es ist so groß wie eine Stadt. Spilling pfeift durch die Zähne. „Wenn man das sieht, versteht man, wovor die Menschen Angst haben.“ Ein Herr Ma stellte sich vor, aus China. Er soll das Thüringer Werk leiten. Er habe versucht, ein bisschen Deutsch zu sprechen, was wohlwollend registriert wurde. Für viele im Raum war er der erste leibhaftige Chinese, den sie bei CATL sahen.

Vieles habe sich an diesem gelungenen Abend geklärt, sagt der Bürgermeister. Er fuhr durch die Nacht nach Hause, „bereit, aber nicht völlig euphorisch“. Wenige Tage danach kommt, pünktlich vor der Wahl, aus dem Umweltministerium die Nachricht: CATL hat die große „Bimschg“-Prüfung bestanden. Sie dürfen anfangen. Flugs wird ein Spatenstich anberaumt, die Politik braucht gute Nachrichten und schöne Fotos.

Also stehen sie am Freitag vergangener Woche akkurat in einer Reihe – der Europachef, der Minister, die Lokalpolitiker, mit den guten Schuhen im Dreck. Jeder hält einen blitzsauberen Spaten in der Hand, sie lächeln. Auch wenn auf den Bildern kein einziger Chinese zu sehen ist: Nun sind sie nicht mehr aufzuhalten.

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Kasten:

OHNE ZELLE KEINE BATTERIE

Wenn von Batterieproduktion
für Elektroautos gesprochen
wird, ist in der Regel
das Zusammenfügen
von mehreren Hundert
Lithium-Ionen- Zellen zu
Batteriepaketen gemeint. Die
Zellen selbst stammen
zumeist aus Asien – nun sollen sie
auch in Thüringen entstehen.
Theoretisch ist der Aufbau
einer Lithium-Ionen-
Batteriezelle simpel:
zwei Elektroden,
dazwischen ein Separator,
der nur Lithium- Ionen passieren
lässt. Entscheidend für
die Qualität des Akkus
ist die Reinheit der
Zellchemie sowie die
Präzision ihrer Verarbeitung.
Das Verhältnis der Stoffe
Nickel, Mangan und
Kobalt bestimmt
über die wesentlichen
Eigenschaften wie
Energie- und Leistungsdichte,
Lebensdauer,
Kosten, Temperaturfestigkeit
und letztlich auch die
Sicherheit einer Zelle.
Eine einzelne Eigenschaft
zu betonen,
geht meist zulasten
der anderen. Kobalt
gilt als besonders
kritischer Rohstoff,
der überwiegend aus
dem Kongo stammt
und dort teils unter
menschenunwürdigen
Bedingungen abgebaut
wird. Deshalb arbeitet
die Batterieforschung
daran, den Kobaltanteil
zu reduzieren,
ohne Leistung
und Lebensdauer
der Zelle zu verkürzen.
Die Autobauer entwickeln
die Steuerelektronik
für ihre Fahrzeuge selbst, zu
der auch das wichtige
Thermomanagement
gehört. Denn die
Zellen arbeiten
in einem Temperaturfenster
zwischen 35 und 45 Grad am
effektivsten. Werden
sie zu warm, müssen
sie gekühlt werden;
umgekehrt erfordern
tiefe Temperaturen
eine Erwärmung.

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Bildunterschriften:

Aufbau Fernost: Auf dem Gemeindegrund der Bürgermeister Möller (links) und Spilling wird das Werk entstehen

Big Business: Manager aus dem CATL-Hauptquartier im chinesischen Ningde (links) werden bald am Rathaus von Arnstadt vorbeispazieren

Völkerverständigung mit Thüringer Bier: Wirtschaftsförderer Andreas Krey mit zwei CATL-Mitarbeitern auf der Internationalen Automobil-Ausstellung in Frankfurt

Endlich können sie richtig loslegen: Am Freitag wurde auf der Baustelle gefeiert