Gruber gegen Pfeiffer
von Valerie Schönian und Björn Stephan
Die Zeit vom 19.09.2019
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Gruber gegen Pfeiffer
In St. Gangloff, einem kleinen Dorf in Thüringen, kämpfen zwei Männer um neun Windräder. Der eine will sie in Betrieb nehmen, der andere will sie verhindern. Die Geschichte eines Konflikts, bei dem es nie nur um Ökostrom ging
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Die zwei Männer, die um 208 Hektar Wald, neun Windkrafträder und auch ein bisschen um die Zukunft Deutschlands streiten, sind sich das erste Mal vor zwei Jahren begegnet. So erzählen es beide, unabhängig voneinander.
Es ist ein Mittwochabend im November 2017, als sich der Landschaftsgärtner Tobias Gruber, ein kräftiger Mann mit Glatze, heute 44 Jahre alt, vor dem Vereinshaus postiert. Um ihn herum drängen sich 120 Demonstranten, die ihm gebannt zuhören.
Gruber spricht wie immer frei. Er redet vom Kampf, von 1989, er sagt, dass es seine Pflicht als Staatsbürger sei, Widerstand zu leisten, wenn die Demokratie ausgehebelt werde. Seine Zuhörer applaudieren.
Der Mann, an den seine Worte gerichtet sind, steht drinnen im Vereinshaus, zwischen Infotafeln, in einem fast leeren Saal. Gruber hatte ihn am Telefon gewarnt, dass er nicht für seine Sicherheit garantieren könne. Aber Alex Pfeiffer, heute 38, ein schlanker Windkraft-Ingenieur mit Dreitagebart und Schwiegersohnlächeln, ist dennoch aus Berlin gekommen.
Pfeiffer hat schon in vielen Teilen Deutschlands gearbeitet, im Westen wie im Osten. Überall schlug ihm Wut entgegen, aber er sagt: So etwas wie in diesem November vor zwei Jahren habe er noch nie erlebt.
Irgendwann strömten die Demonstranten in den Saal, bliesen in ihre Trillerpfeifen und brüllten "Wir sind das Volk!". Mit ihnen zu sprechen war aussichtslos. Sie verweigerten jedes ernsthafte Gespräch. Irgendwann versperrte jemand von außen die Vordertür zum Saal, sodass dort niemand mehr rein- oder rauskam. Am Ende war Pfeiffer froh, dass er in sein Auto steigen und nach Berlin fahren konnte.
Der Protest, den Tobias Gruber entfacht hat, wirkt zunächst wie eine Provinzposse. Doch wenn man ihn sich genauer anschaut, kann er helfen, ein großes Rätsel zu verstehen, an dem viele verzweifeln: Ostdeutschland.
St. Gangloff hat 1200 Einwohner und liegt, eingebettet zwischen Wiesen und Wäldern, in Ostthüringen, im Holzland, unweit von Jena und Gera. Ein hübsches Dorf, durchzogen von zwei Bächen, 753 Jahre alt und der Legende nach wie Rom auf sieben Hügeln erbaut. Bislang wurde hier keine Geschichte geschrieben, meist ist Geschichte hier eher passiert. Die DDR überstanden, die Wende überlebt, in der Bundesrepublik gelandet.
Die Gangeldorfer – wie sie sich selbst nennen – hielten sich den Staat vom Leib und regelten ihre Probleme unter sich.
Bis vor wenigen Jahren die große Politik das kleine Dorf erreichte und ein Streit entbrannte, der sich um derzeit neun Windräder dreht, jeweils 239 Meter hoch. Die Firma ABO Wind, ein international agierender Windanlagenbetreiber mit Sitz in Wiesbaden, für dessen Berliner Büro Pfeiffer arbeitet, will sie auf einer Fläche von 208 Hektar errichten, zum Teil im dichten, von Kiefern und Fichten bewachsenen Wald, der St. Gangloff im Westen umschließt.
Alex Pfeiffer und die ABO Wind wollen die Windräder 2021 in Betrieb nehmen. Tobias Gruber will das verhindern.
"Ich bin Ökoaktivist, im Notfall kette ich mich an einen Baum oder trete in den Hungerstreik", sagt Gruber. Und lacht. Er liebt Provokationen, er ist ein Mann, der sich schnell in Rage redet. Binnen Minuten springt er von Merkel zu Hitler zu Luther zu Marx zum Kapitalismus. Manches gerät dabei durcheinander, doch das Gefühl, das Gruber mit vielen Gangeldorfern teilt, ist real: dass sie allein gegen ein ganzes System stehen und niemand sie hört. "Wir Gangeldorfer sind wie die Gallier", sagt Gruber. "Wenn es gegen die da oben geht, halten wir zusammen."
Alex Pfeiffer hingegen wirkt manchmal, als sei er in ein absurdes Theaterstück geraten, in dem er nicht zu Wort kommt, obwohl er es ständig versucht. Er sagt: "Von der Art und Weise her ähnelt Herr Gruber Donald Trump. Er zitiert falsche Fakten und macht den Leuten Angst. Ich habe ihn eingeladen, mit mir zu sprechen. Aber er wollte nicht."
"Mit Herrn Pfeiffer brauche ich nicht zu reden", sagt Tobias Gruber. "Wir haben ihm gezeigt, dass er sich vom Acker machen soll."
Es ist ein ungleiches Duell: Pfeiffers millionenschwere Firma, die Windräder in Spanien, Frankreich und Argentinien baut, gegen Grubers gallisches Dorf. Doch die geplanten Windräder sind für Gruber und viele andere Gangeldorfer zu einem Symbol geworden. Einem Symbol dafür, dass man sich gegen "die da oben" zur Wehr setzen muss. Wie 89. Damals ging es darum, die Lügen der SED-Diktatur zu enttarnen, heute die der "Öko-Diktatur", wie er sie nennt.
Tobias Gruber ist gläubiger Christ. Zu DDR-Zeiten war er nicht in der Freien Deutschen Jugend, sondern in der Kirche. Mit 14 marschierte er bei einer Montagsdemonstration mit. Dann fiel die Mauer, und die Oppositionellen wurden zu Helden. Die Geschichte, so sieht Gruber das, hat ihm recht gegeben.
Heute lebt Gruber zusammen mit seiner Frau und seinen drei Kindern in einem dreistöckigen, honiggelben Haus, 180 Quadratmeter Wohnfläche, auf einer Anhöhe im Norden von St. Gangloff. Gruber nennt es seine "alte Villa".
An einem Nachmittag im Juni dieses Jahres tritt er an seinen Gartenzaun. Er schaut auf renovierte Fachwerkhäuser, die die Straßen säumen, auf gestutzte Vorgärten, auf neu getünchte Fassaden in Beige und Zartrosa. Er sieht ein Dorf, dem es eigentlich gut geht.
Zwar musste die Schule vor einigen Jahren schließen, genauso wie der kleine Lebensmittelladen und fünf der sieben Kneipen, aber es gibt in St. Gangloff noch immer eine Kita, eine Kirche, einen kleinen Gewerbepark, ein reges Vereinsleben und schnelles Internet. Der wichtigste Arbeitgeber ist Goldmännchen, ein Teehersteller. Die Einwohnerzahl ist seit 25 Jahren weitgehend stabil.
Wenn Gruber seinen Kopf nach rechts wendet, schaut er auf den Wald, über dessen Wipfeln bald Windräder thronen sollen.
Gruber macht dafür nicht nur Pfeiffer, sondern auch die CDU verantwortlich, weil sie die Energiewende eingeläutet hat, und die rot-rot-grüne Landesregierung, weil sie auf einem Prozent der Fläche Thüringens Windkraftanlagen bauen will.
Einer seiner Lieblingssprüche geht so: "Was kommt raus, wenn man Rot und Grün mischt? Na Braun!"
Es war vor dreieinhalb Jahren, als Gruber bei einer Gemeinderatssitzung von den Windrädern erfuhr. Er war entsetzt. Windräder im Wald? Bäume weghacken für den Klimaschutz? Und das in einer Region, die traditionell vom Wald lebte, wo Menschen wie Grubers Großvater sich als Leitermacher verdingt hatten? "Wahnsinn!"
Wenige Wochen später gründete Gruber, der jahrelang stellvertretender Bürgermeister gewesen war, die Bürgerinitiative "Unser Holzland – kein Windkraftland".
Anfangs waren sie zu siebt, heute hat sich die Zahl von Grubers Mitstreitern auf rund 20 eingependelt. Das sind nicht viele, aber sehr engagierte Leute. Rentner, ein Versicherungskaufmann, eine Friseurin und eine Pharmazie-Ingenieurin.
Einige von ihnen fürchten, dass die Windräder sie krank machen könnten, andere haben Angst, dass ihre Grundstücke an Wert verlieren. Manche spielen sogar mit dem Gedanken wegzuziehen.
Angeführt von Gruber haben sie sich informiert, über Wasserschutzzonen, die Gefahren des Infraschalls, über Fledermäuse, die im Wald nisten, und den Rotmilan, eine seltene Vogelart. Sie haben sich mit anderen Bürgerinitiativen in Ostthüringen beraten. Sie haben Stellungnahmen und Briefe an den Landtag und den Landrat geschrieben, Gutachten in Auftrag gegeben, Tausende Flyer verteilt und knapp 10.000 Unterschriften gesammelt. Die lokale Zeitung berichtete.
Man könnte sagen, dass die Gangeldorfer zu Experten für die Demokratie geworden sind, zu einem Teil der Zivilgesellschaft, die im Osten angeblich fehlt. Gleichzeitig misstrauen viele von ihnen der Demokratie, den Politikern, den Parteien, den Medien.
An einem Abend im April hat Grubers Bürgerinitiative in das Vereinshaus "Zum Schwan" eingeladen, einen weißen Bau mit rotem Ziegeldach. Anders als eineinhalb Jahre zuvor bei Pfeiffer sind die Stuhlreihen voll besetzt. Gruber nimmt in der ersten Reihe Platz.
Zuerst läuft eine Dokumentation, eine fast zweistündige Abrechnung mit der Energiewende, sie läuft auf Anti-Windkraft-Veranstaltungen in ganz Deutschland.
Die Kamera fliegt über mit Windrädern gespickte Felder. Begleitet von bedrohlich klingender Musik drehen sich Dutzende Rotoren. Der Zuschauer sieht tote Vögel und gerodete Wälder, er hört von "Entfremdungserfahrungen" und "Perversion". Es wirkt, als stünde die Apokalypse kurz bevor.
Als das Licht im Saal wieder angeht, steht Gruber auf. Er lässt den Blick über die rund 150 Menschen vor ihm schweifen. Er lächelt. Vor ihm Frauen in geblümten Blusen und Männer in Kurzarmhemden, die meisten über 60.
Gruber redet von "drei Jahren Kampf", von einer "Ideologie", mit der sie es zu tun hätten. Er sagt: "Es sind kleine Anfänge. Aber 89 ging es auch so los, dass man das System infrage gestellt hat." Die Gangeldorfer nicken.
Ihr Protest hat sich über die Jahre verschärft. Gruber ist mit ihnen zu Veranstaltungen des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow von der Linken gefahren und hat ihn mit Fragen bombardiert. Beim politischen Aschermittwoch der Grünen stürmte er auf die Bühne. Frauke Petry lud er, als die noch in der AfD war, zu einer Podiumsdiskussion ein.
Gruber geht es längst nicht mehr nur um die Windräder im Wald. Er ist gegen die Energiewende im Allgemeinen, gegen alle, die behaupten, es gebe einen menschengemachten Klimawandel, und gegen Angela Merkel, die er einst gewählt hat und die er nun abwechselnd die "rot-grüne Kanzlerin" oder die "FDJ-Sekretärin" nennt.
Seine Rede im Vereinshaus beendet er mit den Worten: "Der politische Druck wirkt. Die Politiker müssen Angst um ihre Posten haben. Und deshalb werde ich auch zur Kommunalwahl antreten. Es muss endlich was passieren." Die Gangeldorfer klatschen.
Ein Jahr zuvor hatte Gruber schon als Landrat kandidiert; gewählt wurde er nicht, aber er bekam mehr Stimmen als die Kandidatin der Grünen. Er erzählt, er habe Avancen von der CDU ausgeschlagen. Auch die AfD habe um ihn geworben, die einzige Partei, die sich gegen die Windkraft ausspricht und den Anti-Klimaschutz als Wahlkampftthema entdeckt hat.
Tobias Gruber kann zwar Björn Höcke mit seinem "Goebbels-Gehabe" nicht ausstehen. Aber er hat nichts gegen die AfD. Er sagt, rechts, links, das spiele für ihn keine Rolle, er rede mit jedem. Aber er würde sich niemals einer Partei anschließen.
An einem heißen Tag im Juli sitzt Alex Pfeiffer in seiner Lieblingseisdiele, dem "Chipi Chipi Bombón", in Berlin-Friedrichshain und isst eine Kugel "Limette, Koriander & Chili" für 1,80 Euro. Er sagt: "Ich kann nicht verstehen, warum Menschen die AfD wählen."
Er und Gruber scheinen aus zwei unterschiedlichen Universen zu stammen.
Der eine ist in Achern aufgewachsen, einer kleinen Stadt am Fuße des Schwarzwalds, und lebt seit Jahren in einer Altbauwohnung in Berlin-Friedrichshain, gemeinsam mit seinem Mann. Der andere ist Vorsitzender des Heimatvereins, liest die Bibel und ist gegen die Ehe für alle.
Der eine ist von "Fridays for Future" begeistert und geht selbst auf Demos gegen den Klimawandel, schon von Berufs wegen. Der andere organisiert seine Demos selbst, informiert sich auf Blogs wie Tichys Einblick und hält den Klimawandel für eine Erfindung regierungsgesteuerter Medien.
Aber: Der eine ist bereits in diesem Jahr schon mehrfach geflogen, zum Beispiel für einen Kurztrip nach Istanbul. Der andere besitzt eine Streuobstwiese und eine Schafherde, macht seine Wurst selbst und fährt in den Urlaub nach Usedom.
Der eine wählt die Grünen, der andere hält sich für einen wahren Grünen – und wählt sich selbst. Mit Erfolg.
Bei der Kommunalwahl im Mai trat Gruber auf der Liste einer lokalen Bürgerinitiative an. Sie kam auf 10,9 Prozent der Stimmen, mehr als Grüne und FDP. Nun sitzt Gruber im Kreistag. Dennoch liegt es ihm fern, sich als Politiker zu bezeichnen. Er will die Politiker vor sich hertreiben, sagt er.
Es gibt auch in St. Gangloff welche, die mit Grubers aggressivem Protest nicht einverstanden sind. Aber nur wenige widersprechen ihm öffentlich. Einer von ihnen ist Erhard Müller.
Von vielen wird er "Mittel-Müller" genannt, weil sein Hof früher eine von drei Mühlen war und eben in der Mitte lag. Müller, 77 Jahre, hat überhaupt nichts gegen die Windräder. Auch weil sie ihn reich machen könnten.
Der größte Teil des Waldes, in dem die Windräder gebaut werden sollen, gehört den Erben eines Teppich-Fabrikanten aus Baden-Württemberg. Der Rest gehört verschiedenen Waldbauern, zu denen auch Müller zählt. Er ist einer der wenigen, die in Ostdeutschland leben.
Müller hat bereits einen Vorvertrag unterschrieben, mit Primus, einem weiteren Unternehmen, das nebenan bauen will. Die Windräder könnten Müller auf einen Schlag zum Millionär machen. Das Geld betrachtet er als eine Art Wiedergutmachung. Dafür, dass er, wie fast jeder Waldbesitzer, von der SED-Regierung enteignet wurde. Er sagt, er habe einen Teil des Grunds mit seinem eigenen Geld zurückkaufen müssen.
Doch anders als man nun vermuten könnte, sind Gruber und Müller keine Feinde. "Der Mittel-Müller kann nichts dafür", sagt Gruber. "Der kriegt so viel Geld, schuld ist die Politik." Manchmal treffen sich die beiden in der Kirche, manchmal in der Kneipe. Es ist wie zu DDR-Zeiten. Damals hatte man oft keine andere Wahl, als zwischen Mensch und Meinung zu trennen. Man hält zusammen. Man muss miteinander auskommen.
All das macht es für einen, der von außen kommt, nicht leichter.
An einem Donnerstagnachmittag Anfang August parkt Alex Pfeiffer mit seinem kleinen VW vor der Gemeindeverwaltung in St. Gangloff. Zwei Frauen in einem Vorgarten heben neugierig ihren Kopf. Pfeiffer steigt aus, lehnt sich gegen sein Auto und wartet. Er weiß nicht, wie oft er schon auf diesem Parkplatz stand. Seit beinahe zweieinhalb Jahren fährt er immer wieder von Berlin hierher, um den Bürgermeister Frank Wiedenhöft zu treffen. Meist kommt Pfeiffer unangekündigt, zur Bürgersprechstunde, weil Wiedenhöft weder auf seine Briefe noch seine Anrufe reagiert. So auch heute. "Er ist ein Mann wie aus Granit", sagt Pfeiffer.
Wenig später fährt Frank Wiedenhöft in einem grauen Kastenwagen vor.
"Hallo, Herr Wiedenhöft. Sie kennen mich noch?"
"Ja, klar", sagt Wiedenhöft, und wenn er überrascht sein sollte, dann lässt er es sich nicht anmerken. 56 Jahre, ein schweigsamer Mann, von Beruf Elektriker.
Seit 15 Jahren ist er der ehrenamtliche Bürgermeister von St. Gangloff. Zuletzt wurde Wiedenhöft mit 94,9 Prozent wiedergewählt. Er vertritt eine lokale Wählergemeinschaft. Parteien spielten in St. Gangloff seit der Wende keine große Rolle.
Ohne ein Wort zu sprechen, steigen Pfeiffer und Wiedenhöft das schmale Treppenhaus empor, in Wiedenhöfts Büro in der zweiten Etage. Die Gardinen sind mit Rüschen verziert.
Wiedenhöft lehnt sich mit verschränkten Armen in seinem Stuhl zurück. "So, Herr Pfeiffer, dann legen Sie mal los."
Pfeiffer schlägt seinen Notizblock auf. Dann zählt er auf, was aus seiner Sicht alles schiefgelaufen ist in den vergangenen zwei Jahren. Er bemüht sich, öfter mal "gemeinsamer Nenner" und "konstruktiv" zu sagen, doch die Ungeduld und den Ärger in seiner Stimme kann er kaum verbergen.
Pfeiffer arbeitet seit sieben Jahren für ABO Wind. Er ist zuständig für alle Projekte in Thüringen. Für ihn ist das mehr als nur ein Job, er mache das auch aus Überzeugung, sagt er. Doch in sieben Jahren ist es Pfeiffer nicht gelungen, auch nur einen Windpark ans Netz zu bringen.
Wenn man ihn dazu fragt, wird er schnell abstrakt. Spricht von Paragrafen, Projekten, Protesten, die daran schuld seien. Aber man merkt, wie es an ihm nagt, dass er auf der Stelle tritt.
Die Energiewende in Deutschland ist ins Stocken geraten. Die Flächen für neue Windparks werden knapp, und wo es welche gibt, ziehen sich die Genehmigungsverfahren in die Länge. Auch weil die Windkraftgegner inzwischen wissen, wie sie die Projekte kippen können. Eigentlich dürfen Windräder in Deutschland fast überall gebaut werden, das Baurecht bevorzugt sie. Doch um Wildwuchs zu verhindern, beschränkten Politiker die geeigneten Gebiete in Ostthüringen in einem Regionalplan. In den vergangenen Jahren wurden, trotz Protests der Windkraftfirmen, die Fläche und die Zahl der potenziellen Windräder weiter verringert.
Während Pfeiffer spricht, schmunzelt der Bürgermeister, als fände er das alles äußerst amüsant. Seine Sätze beginnt er oft mit "Herr Pfeiffer, es ist so ..." und erklärt ihm dann, dass nicht er schuld sei an der Verzögerung, sondern die Bürokratie. Seiner Gemeinde seien leider die Hände gebunden. Nichts zu machen.
Allerdings hat Wiedenhöfts Gemeinde eine sogenannte Veränderungssperre erlassen, sie will erst einmal einen eigenen Bebauungsplan aufstellen – kommunalrechtlich darf sie das auch. Stellte ABO Wind also in diesem Moment einen Bauantrag, würde er wegen der Sperre abgelehnt werden. Solange es sie gibt, hängt das Verfahren.
Pfeiffer glaubt, Wiedenhöft und seine Gemeinde spielten auf Zeit. Für Pfeiffer aber bedeutet mehr Zeit auch: mehr Hindernisse, die sich ihm womöglich in den Weg stellen. Eine neue Vogelart könnte sich in der Gegend niederlassen, die Politik das Gebiet noch einmal verringern, oder die Konkurrenz könnte dazwischengrätschen. In den vergangenen Jahren hat sich die geplante Anzahl der Anlagen und die Größe des Gebietes immer wieder verändert. Niemand kann vorhersagen, ob die Windräder in St. Gangloff kommen werden und wenn ja, wie viele. ABO Wind hat deshalb eine Beschwerde eingelegt. Ein Gericht prüft nun, ob die Gemeinde sich rechtmäßig verhalten hat.
Und so gleicht das Gespräch zwischen Wiedenhöft und Pfeiffer im Bürgermeisterbüro einem Scheingefecht. Lange spricht keiner von beiden den Namen aus, um den es eigentlich geht. Dann sagt Pfeiffer: "Ich verstehe, dass Sie es schwer haben, Herr Wiedenhöft, aber Herr Gruber und die Bürgerinitiative, das sind doch nur Einzelne."
"Nein", entgegnet Wiedenhöft, der Gruber schon seit Schulzeiten kennt. "Die Front gegen die Windkraft ist viel breiter. Die Bevölkerung will das nicht."
Nach 45 Minuten steht Pfeiffer wieder auf dem Parkplatz. Er wirkt müde. Die Renitenz der Gangeldorfer macht ihn fertig. "Acht Hektar gerodeter Nutzwald sind im Vergleich zu dem, was verloren geht, wenn wir den Klimawandel nicht aufhalten, sehr wenig." Er steigt ins Auto, er will nach Hause. In seinem Berliner Bezirk kamen die Grünen zuletzt auf 40 Prozent.
Tobias Gruber sagt: "Sie können die Windräder doch in den Städten bauen, da, wo die ganzen Befürworter wohnen."
Ein Abend im Juni, ein Gasthof in Ronneburg, einer Kleinstadt 34 Kilometer von St. Gangloff entfernt. Gruber lehnt am Tresen, ein Bier in der Hand. Er trägt eine grüne Warnweste. Seine neueste Idee, angelehnt an die Gelbwesten in Frankreich. "Heute waschen wir der CDU den Kopf", sagt Gruber.
In der Mitte des Saals, an einem Pult, steht Mike Mohring, Vorsitzender der CDU Thüringen. Um ihn herum sitzen rund 100 Menschen an Tischen, darunter leuchten rund zwanzig grüne Westen. Wahlkampf, bürgernah, "Auf ein Wort mit Mike Mohring" nennt sich das Ganze.
Nach einer halben Stunde ist Gruber dran, er legt los und hält einen Monolog. Er redet von einer sicheren Energieversorgung und davon, dass es den Gesetzen der Physik widerspreche, nur noch auf erneuerbare Energien zu setzen. Er redet von der Gefahr eines Blackouts, weil die Windkraft nicht gespeichert werden könne. Sein Zeigefinger sticht in die Luft.
Mohring atmet schwer, er kennt Gruber schon von anderen Veranstaltungen und versucht zu beschwichtigen. Doch Gruber fährt dazwischen.
"Sie brauchen sich nicht zu wundern. Die AfD hat nicht die AfD gegründet. Die AfD haben die Volksparteien gegründet, weil sie hier jämmerlich versagen."
Gruber erntet lauten Applaus.
Als die Veranstaltung vorbei ist, kommt Mohring auf ihn zu. Er schüttelt ihm die Hand, schlägt ihm auf die Schulter, beinahe sieht es aus, als wollte er ihn umarmen.
"Gut gebrüllt, Löwe", sagt Mohring.
Zwei Tage später am Telefon hat Gruber sich noch nicht ganz davon erholt. "Ich habe den Mohring rundgemacht wie einen Buslenker. Und der umarmt mich noch. Wie will ich sie denn greifen? Was soll ich denn noch machen?"
Er klingt zum ersten Mal so, als kämen ihm Zweifel, ob er es wirklich mit einem ganzen System aufnehmen kann.
Tobias Gruber und Alex Pfeiffer kämpfen seit Jahren für ihre Sache. Der Unterschied zwischen ihnen ist, dass es Gruber um alles geht. Für Pfeiffer ist die Sache mit den Windrädern eben doch auch ein Job. Einer, hinter dem er steht, aber keiner, bei dem er permanent wütend wird, weil es gerade nicht so läuft. Oft wirkt es sogar so, als würde das Spiel mit den Paragrafen, das Klein-Klein, Pfeiffer Spaß machen.
Gruber hingegen geht es ums große Ganze. Er ist Demokrat, aber stellt infrage, wie die Demokratie gerade funktioniert. Es kommt ihm vor, als würde seine Stimme zu wenig zählen. Die Demokratie, sagt er, habe er immer für etwas gehalten, bei dem Bürger sich einbringen, etwas verändern können. Warum sollen dann Windräder in einem Dorf gebaut werden, das die Windräder nicht will? Warum sollen die Interessen eines Landschaftsgärtners weniger zählen als die der Windkraftfirmen oder des Staates? Das sind die Fragen, auf die Gruber keine Antworten findet.
Als Ostdeutscher hat Gruber erfahren, dass man ein System sogar stürzen kann, wenn man nur laut genug ist. Also ist seine Schlussfolgerung: Er muss immer noch lauter werden. Bis ihn endlich jemand hört. Wenige Wochen nach dem Treffen mit Mohring verkündet er, als unabhängiger Kandidat auch für die Landtagswahl Ende Oktober antreten zu wollen.
Der politische Druck steigt. Die AfD reklamiert als ihren Erfolg, dass 2019 noch kein einziges Windrad in Thüringen in Betrieb genommen wurde. Mike Mohring twittert: "Windrad-Wahnsinn. Schluss damit!" Er verspricht, mit ihm als Ministerpräsidenten werde es keine Windräder im Wald geben.
Es ist ein Abend im September, als Gruber und Pfeiffer sich wieder begegnen. Die CDU-Landtagsfraktion hat zum Windkraft-Forum eingeladen, 30 Kilometer von St. Gangloff entfernt. Nach einer hitzigen Diskussion, in der Pfeiffer mal wieder nicht zu Wort kommt, stehen hinterher alle am Würstchenstand. Es ist spät am Abend, als Gruber plötzlich zu Pfeiffer tritt, eine rote Plastiktüte in der Hand. Beinahe zwei Jahre sind vergangen seit ihrem ersten Treffen.
"Der Herr Pfeiffer", sagt Gruber, grinsend.
"Herr Gruber", antwortet Pfeiffer, skeptisch.
"Ich habe Ihnen etwas mitgebracht." Gruber fischt ein Geschenk aus seiner Tüte und drückt es dem verdutzten Pfeiffer in die Hand. "Eine Flasche Grappa. Wenn Ihr Projekt irgendwann gescheitert ist und wenn Sie dann einen Frust auf den Gruber haben, dann trinken Sie mal schön einen und denken, so schlecht ist der Kerl doch gar nicht."
"Und wenn wir die Windräder einweihen", sagt Pfeiffer, "dann dürfen Sie gern eine Sektflasche dagegenschlagen."
Die beiden taxieren sich einen Moment. Zwei Männer, die glauben, das Richtige zu tun. Dann reichen sie sich die Hand.
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Bildunterschriften:
»Gruber zitiert falsche Fakten und macht den Leuten Angst«
Alex Pfeiffer arbeitet als Ingenieur für das Berliner Büro der ABO Wind
»Wenn es gegen die da oben geht, halten wir zusammen«
Tobias Gruber aus St. Gangloff hat die Bürgerinitiative »Unser Holzland – kein Windkraftland« gegründet