Finanzaufsicht Bafin stoppt dubiose goldgedeckte Kryptowährung
von Jakob Blume und Lars-Marten Nagel
Handelsblatt vom 11.11.2019
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Finanzaufsicht Bafin stoppt dubiose goldgedeckte Kryptowährung
Der Unternehmer Harald Seiz wollte mit einer angeblich goldgedeckten Digitalwährung das Finanzsystem revolutionieren. Nun schreiten die Behörden ein.
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Rhythmisches Klatschen, laute Pfiffe, aufgekratztes Johlen. Das Publikum brodelt wie bei einem Rockkonzert, als Harald Seiz auf die Bühne tritt. Der 56-Jährige streckt sein Boxerkinn vor, unter seinem Anzug wölben sich Muskeln. Unter dem Jubel der Menge kündigt er die Revolution der Finanzwelt an. Er wolle mit seinem auf Gold basierten Bezahlsystem „das Leben für alle Menschen besser machen“.
Es ist Mitte September 2019. Seiz hat die Partner seiner Goldhandelsgruppe Karatbars ins Beurs van Berlage eingeladen, das ehemalige Gebäude der Amsterdamer Börse. Hunderte sind angereist. Sie haben die vergangenen Jahre damit verbracht, Abnehmer für Seiz‘ Kryptowährungen Karatgold Coin (KBC) und Karatbank Coin (KCB) zu finden. Auf der Bühne verteilt ihr Idol Rolex-Uhren an die Fleißigsten im Vertrieb. Seiz formt die Arme, als halte er ein Lenkrad. Auf der Leinwand erscheint der Preis für den Besten der Besten. Seiz schreit ins Publikum: „Hier ist ein Lamborghini!“
Knapp zwei Monate später kühlt sich die Stimmung in der Karatbars-Gruppe deutlich ab. Die Finanzaufsicht Bafin hat am Montag angeordnet, die Ausgabe des KBC „einzustellen und abzuwickeln“. Begründung: Das E-Geld-Geschäft werde in Deutschland „ohne Erlaubnis“ betrieben.
Seiz geht auf Konfrontationskurs. Er werde der Bafin nicht folgen, kündigt er an. „Niemand kann hier einen KBC rückabwickeln.“ Deutschen Anlegern sei der KBC nicht verkauft worden, erklärt Seiz. Die Coins hätten lediglich als Bonus anderen Karatbars-Produkten beigelegen. Das Ausland gehe die Bafin nichts an: „Die können doch nicht über die ganze Welt entscheiden.“
Es ist wieder passiert: Anleger, in Zeiten von Minuszinsen auf der Suche nach renditestarken Anlageoptionen, haben ihr Geld in einen Bereich investiert, der schwach reguliert ist, dafür aber reich an Skandalen. Im November 2018 ordnete ein Gericht die Auflösung der Envion AG an. Die Hintermänner des Unternehmens, das ebenfalls eine Kryptowährung ausgab, sehen sich Schadensersatzklagen gegenüber. Vor wenigen Wochen ging PIM Gold nach einer Razzia pleite. Die Firma hatte Anleger mit Zinsen auf Goldinvestments gelockt.
Seiz ist mit seiner Karatbars-Gruppe gelungen, Gold und Kryptowährungen zu verbinden. Sein KBC sollte digital und universell sein und versprach zugleich die Sicherheit des Goldes. Nun droht ein internationaler Finanzskandal, dessen Ausmaße nicht abzusehen sind. Offizielle Geschäftszahlen gibt es seit 2015 nicht. Die Karatbars-Gruppe habe 750.000 Kunden und Vermittler, ihre Monatsumsätze sollen 20 Millionen Euro betragen, sagt Seiz.
Seine Geschichte beginnt in Calw, einer Kreisstadt westlich von Stuttgart. Harald Seiz wird dort im April 1963 in einfachen Verhältnissen geboren. Der Junge wächst bei seiner Mutter und Großmutter auf, die beide mit Alkoholproblemen zu kämpfen haben, wie Seiz selbst erzählt. Er schlägt sich als Staubsaugervertreter durch. Immer wieder kommt er auch mit dem Gesetz in Konflikt.
Dann hat Seiz eine goldene Idee. 2011 gründet er den Goldhändler Karatbars und beginnt, Goldbarren in kleiner Stückelung zu verkaufen. Seiz baut ein mehrstufiges, provisionsbasiertes Vertriebssystem auf. Er erfindet Fantasie-Geldscheine, genannt „Cashgold“. Darin sind kleine Goldplättchen von 0,1 Gramm eingewoben.
Die Geschäfte laufen, aber es gibt bessere. 2017 kann Seiz jeden Tag in der Zeitung lesen, wie eine andere Geldidee die Welt erobert. Der Kurs der Kryptowährung Bitcoin, Anfang 2017 bei 800 Dollar notiert, steigt auf 20.000 Dollar. Es beginnt eine massenhafte Nachahmungswelle neuer Kryptowährungen. Im Frühjahr 2018 ist Seiz mit seinem Karatgold Coin (KBC) dabei.
Er gründet eine Stiftung im Karibikstaat Belize, sie emittiert den Coin. Seiz kann nach eigenen Angaben in zwei Monaten mehr als 40 Millionen Euro einsammeln. Weil bei seinem ersten virtuellen Versuch alles so gut klappt, legt Karatbars im September 2018 nach. KCB heißt die zweite Kunstmünze.
Seiz geht dazu über, Verkaufspakete zu schnüren. Sie enthalten wenige Gramm Gold in Form von Grußkarten oder „Cashgold“-Scheinen, Broschüren, Sticker sowie Rabattkarten, mit denen neue Verkäufer geworben werden können. Die Pakete heißen „Bronze“, „Silber“, „Gold“ und „VIP“. Wer sich beteiligt, erhält auch die Kryptowährung.
Vertriebsdokumenten zufolge liegen dem 3.000 Euro teuren „Vip-Package“ KCBs im Wert von angeblich 4800 Euro bei. Das klingt wie ein gutes Geschäft, aber nur wenn der KCB wirklich werthaltig ist. Überprüfen lässt sich das nicht, denn noch wird der neue Token nirgends gehandelt.
Luxusleben bei Instagram
Um Investoren den KCB schmackhaft zu machen, behauptet Seiz, eine „voll lizenzierte Bank“ in den USA gekauft zu haben. Das Geldhaus in Miami stehe künftig im Zentrum des Karatbars-Universums. In einem Whitepaper ist festgehalten: „Die Bank wurde mit Absicht in einem der am strengsten regulierten Länder platziert.“ Seiz selbst sagt: „Mit dieser Bank sind wir die erste Kryptobank der Welt.“ Gold, um seine Digitalwährung zu unterlegen, sei auch genug vorhanden.
Die Bank in Miami habe eine Mine auf Madagaskar gekauft. Ein Wirtschaftsprüfer-Gutachten beziffert den Wert der dort vorhandenen Bodenschätze auf mehr als 900 Millionen Euro. Einmal gefördert, werde das Gold in einem „Security House“ gelagert. Es erfülle die gleichen Sicherheitsstandards wie Fort Knox, jener legendäre Goldspeicher in den USA.
Auch Seiz freilich plant etwas Legendäres. Seine Kryptowährungen sollen ein weltweit akzeptiertes Zahlungsmittel werden. Bis es so weit ist, kriegt der Geschäftsführer sein Gehalt aber in herkömmlicher Währung. Er verdiene 150.000 Euro, sagt Seiz – im Monat.
Auf der Fotoplattform Instagram präsentiert er, was er sich davon leistet. Ein Bild zeigt ihn auf der Motorhaube eines Lamborghini. Daneben, in der Garageneinfahrt seiner Villa, steht ein Bentley. Das Anwesen in Sindelfingen war schon Thema in der örtlichen Lokalzeitung. Kürzlich stand es für zehn Millionen Euro zum Verkauf, nun feiert Seiz hier seinen Geburtstag.
Die sozialen Medien nutzt Karatbars auch für Werbung. Im April 2019 reist Seiz mit zwei seiner Geschäftspartner nach Hongkong. In einem Youtube-Video steht Seiz mit Josip Heit und Alex Borga (Name geändert) in einem Tresorraum mit dicker Panzertür, hinter der angeblich 1,4 Tonnen Gold lagern.
Der Kroate Heit tritt als „Chairman of the Board“ bei Karatbars-Veranstaltungen auf. Er ist Chef der Gold Standard Banking Corporation (GSB) mit Sitz in der Düsseldorfer Königsallee und trägt gerne eine 700.000 Euro teure Uhr. Laut Handelsregister geht die GSB auf die Firma GCC Gazella Corporate AG zurück, deren wesentliches Asset ein Steinbruch in Kroatien zu sein scheint. Fragen zu seiner Rolle bei Karatbars hat Heit nicht beantwortet.
Die Nummer zwei bei der GSB ist Borga, ein muskelbepackter Rumäne. Es gibt Aufnahmen der beiden im Privatjet und halbnackt im Rooftop Pool in Singapur, Bildunterschrift: „Brothers for Live“. In rumänischen Klatschblättern ist Borga wegen einer Beziehung zu einem TV-Sternchen ein Dauerthema. Dort findet man aber auch Fotos, auf denen er mit rumänischen Milieugrößen zu sehen ist.
Im Mai 2019 muss Seiz einen ersten Rückschlag einstecken: Die Nationalbank von Namibia verbietet Karatbars als „Pyramidenspiel“. Das System sei darauf ausgelegt, dass Teilnehmer neue Mitglieder werben und damit Geld verdienen, sagt ein Sprecher. Seiz beteuert, Karatbars sei kein „Pyramidenspiel“, renommierte Wirtschaftsprüfer hätten das sogar in einem Bericht bestätigt. Er verspricht, das Papier [Medium] zu schicken, bleibt es aber bis zum Montagnachmittag schuldig.
Zweifel an Goldmine
Trotz des Rückschlags finden 2019 fast im Monatsrhythmus Events an exotischen Orten statt. Im März stellt das Unternehmen in Dubai ein Smartphone vor, im Juni wirbt Seiz in Kapstadt vor 4000 Vertriebsmitarbeitern für seine Coins. Für den 4. Juli kündigt der Unternehmenschef einen „Independence Day“ an. Die Besitzer seiner virtuellen Münzen sollen für 100 KBC ein Gramm pures Gold erhalten können. Der Wert des KBC steigt auf ein Allzeithoch von zwölf US-Cent.
Doch der Unabhängigkeitstag fällt aus. Am 4. Juli lassen sich nur vereinzelt KBCs gegen winzige Mengen Gold eintauschen. Der Wert des KBC bricht um mehr als 80 Prozent ein. Es ist der Wendepunkt. Von nun an häufen sich im Internet böse Kommentare. Das Krypto-Branchenportal „Coindesk“ berichtet erstmals über Widersprüche. Es wird bekannt, dass die Finanzaufsicht in Florida gegen Karatbars ermittle, weil die angebliche Kryptobank in Miami keine Lizenz habe – was die US-Behörde und die Bafin [Medium] bestätigen.
Hat Seiz‘ Bank keine Lizenz, so ist fraglich, ob seine Goldmine überhaupt Gold hat. Im Whitepaper wird sie „Fort Dauphin“ genannt. Laut Fachportal miningdataonline.com gibt es auf Madagaskar zwar eine Mine mit dem Namen Fort Dauphin. Dort baut der Konzern Rio Tinto aber Titan und Zirkon ab. Auch das Gutachten, das die Goldreserven auf 900 Millionen Euro beziffert, wirft Fragen auf.
Das Papier gleicht teils bis aufs Wort der Expertise einer schweizerischen Autorin über die Kupferminen-Gruppe Antofagasta. Offenbar wurden die Minennamen ausgetauscht. Die Autorin des Originals sagt, dass sie Harald Seiz und Karatbars wegen des „unfassbaren Plagiats“ angezeigt habe.
Seiz scheut kritische Nachfragen nicht und lädt [Medium] zum Gespräch ein. Er empfängt in einem weitläufigen Büro, dessen Einrichtung ein Designkritiker als Gelsenkirchener Barock beschreiben könnte: Boden in Marmoroptik, in einer Ecke steht die Nachbildung einer griechischen Statue, an der Wand hängen Porträts von Harald Seiz. Für seine Verteidigungsrede nimmt er auf einem wuchtigen roten Ledersessel Platz.
„Ich mache keine krummen Sachen oder so“, sagt er. Die vielen Vorwürfe, der Absturz des KBC – all das sei Teufelswerk eines ehemaligen Geschäftspartners, der die Karatbars-ICOs technisch organisiert haben soll, dann jedoch im Streit ausgeschieden sei. „Der hat seinen Fokus darauf gerichtet, uns zu zerstören.“ Seiz wirft dem einstigen Partner vor, bis zu zehn Millionen Euro unterschlagen zu haben. Er hat ihn angezeigt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Ex-Partner.
Allerdings ist Karatbars bislang auf zivilrechtlichem Wege erfolglos. Eine Klage auf Herausgabe angeblich unterschlagener Kryptocoins wurde vom Landgericht Mainz und vom Oberlandesgericht Koblenz rechtskräftig abgewiesen. Der Anwalt des Ex-Partners, der Strafrechtler Michael Heuchemer, sagt: „Das sind alles unhaltbare Behauptungen.“
Gefälschtes Gutachten
Die Richter hätten nur keine Ahnung von Coins gehabt, grollt Seiz. Am Anfang des zweistündigen Gesprächs ist er energisch. Dann gerät er in die Defensive. Er muss einräumen, dass die Karatbars-Tochter in Florida anders als behauptet bis heute keine Banklizenz hat. Er sei in der Kommunikation wohl ein wenig vorschnell gewesen. „Dass es jetzt nicht geklappt hat in diesem Zeitrahmen, ist eben so, da habe ich mich verschätzt.“
Das Gutachten, das den Wert der Mine auf Madagaskar belegen soll, sei gefälscht – das sieht mittlerweile Seiz selbst ein. Doch dafür verantwortlich sei der Ex-Partner. Der Mann weist das zurück.
Auch ohne Gutachten beharrt Seiz darauf, dass seine Goldreserven mehr als 900 Millionen Euro wert seien. Geradezu hilflos wirkt er, als er die Beteiligung an der Mine in Madagaskar nachweisen soll. Auf einem großen Flachbildschirm öffnet er Dokumente in französischer Sprache. Es handelt sich um ein Gutachten zu einem Claim.
Dort werden 2,3 Tonnen Gold im Boden vermutet. Dann zeigt er eine „Abbaugenehmigung“ der Zollbehörde Madagaskars, die Rubin, Saphir und Kupfer umfasst – aber kein Gold. Ein Beweis für die Existenz einer aktiven Mine ist beides nicht.
Seiz starrt auf den Monitor. Er scrollt runter, er scrollt hoch. Irgendwo muss doch stehen, dass da eine Mine ist, die ihm gehört. Schließlich sagt er, dass er gar kein Französisch spreche. Und ja, er habe die Mine nie persönlich besucht. „Ich kann nicht alles nachvollziehen bis ins Letzte.“ Den Kauf habe sein Partner Heit geregelt.
Ärger mit den Behörden, unbrauchbare Belege, gefälschte Gutachten: Seiz redet immer leiser. Nichts erinnert an den Einpeitscher aus Amsterdam. Als er seine Verkäufer zu Höchstleistungen antrieb, waren ihm die Behörden längst auf den Fersen. Seine Vertriebsleute wussten davon nichts – und wohl auch nicht die Star-Gäste des Events. Der einstige niederländische Wunderstürmer Patrick Kluivert erklärte: „Karatbars und der Kryptocoin sind die Zukunft!“
Und der deutsche Rekordnationalspieler Lothar Matthäus brachte das Geheimnis eines großen Erfolgs auf den Punkt: „Das Wichtigste ist, dass du daran glaubst.“
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