Der Cum-Ex-Skandal
von Volker Votsmeier, René Bender, Sönke Iwersen, Andreas Kröner und Yasmin Osman
Handelsblatt vom 15.07.2019
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Der Cum-Ex-Skandal
Die nachfolgenden Artikel sind ausgewählte Beiträge aus der laufenden Berichterstaatung von [Medium] zum Cum-Ex-Skandal.
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Artikel 1: Geld, Gier und Gerechtigkeit (15.7.2019)
Shemara Wikramanayake, Chefin der australischen Bank Macquarie, steht womöglich vor einer Anklage in Deutschland. Der Verdacht: besonders schwere Steuerhinterziehung.
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Die schönen Künste, Reisen um die Welt und Dienst an der Allgemeinheit hatten Shemara Wikramanayake nicht ausgefüllt. Am 8. März, dem Weltfrauentag, gibt Australiens bestbezahlte Frau Interviews. Wikramanayake steht an der Spitze des Bankriesen Macquarie. Sie ist die einzige Frau, die auf dem Kontinent je ein Institut dieser Größe führte. Am Weltfrauentag erzählt sie von ihrem Weg an die Spitze.
"Ich war zwölf Jahre lang bei Macquarie, als ich mich fragte, ob es nicht jenseits der Finanzwelt Herausforderungen für mich gab", sagte Wikramanayake. Ihr Arbeitgeber bewilligte ein Jahr unbezahlten Urlaub. Sie besuchte ferne Länder, malte, etablierte eine Stiftung für Kinder. "Das war großartig", sagte Wikramanayake. "Aber mir fehlte die soziale und intellektuelle Stimulation bei Macquarie. Also kehrte ich zurück."
Nun erfährt die Welt mehr von dem, was sie dort tat. Der 57-jährigen Chefin von Macquarie könnte eine Anklage wegen besonders schwerer Steuerhinterziehung bevorstehen. Laut Staatsanwaltschaft Köln soll sie Aktiengeschäfte genehmigt haben, bei denen der Profit ihrer Bank auf Kosten der deutschen Steuerzahler ging. Bei Cum-Ex-Geschäften schoben Banken große Aktienpakete hin und her, um den Fiskus um die Kapitalertragsteuer zu bringen. Im Endeffekt suggerierten die Beteiligten, dass ein Papier mehreren Aktionären zuzurechnen ist. So zahlte das Finanzamt eine einmal abgeführte Dividendensteuer doppelt oder sogar mehrfach aus.
Der Blick der Ermittler richtet sich im Fall Macquarie vor allem auf das Jahr 2010. In diesem Jahr wurden die Deals der Dividendensaison 2011 minutiös vorbereitet - im vollen Bewusstsein um ihre Schädlichkeit für deutsche Steuerzahler. Neben Wikramanayake wurden zunächst 21 Mitarbeiter von Macquarie beschuldigt, darunter ihr Vorgänger, Nicholas Moore. Inzwischen gibt es mehr als 30 Verdächtige. Damit ist für die Australier genau die Situation eingetreten, die vermieden werden sollte.
Nahe genug, um den Profit mitzunehmen, aber zu weit weg, um ins Blickfeld der Steuerfahndung zu geraten - das war die Geschäftsposition, die sich die Führung von Macquarie im Sommer 2010 für den Aktienhandel ausgesucht hatte. Immer wieder rangen die Trader und die Juristen um dieselbe Frage: Was würde passieren, wenn die Beteiligung von Macquarie an Cum-Ex-Geschäften bekannt wurde?
Schwierig, schrieb der Münchener Niederlassungsleiter Axel von Rosen in einer Mail am 26. Juni 2010. Er habe zum Thema Reputationsrisiken "Erkundigungen bei einigen Playern" eingeholt, erklärte Rosen. Die Deutsche Bank sei im Markt sehr aktiv gewesen, hätte sich aber zurückgezogen. Die Schweizer UBS und Credit Suisse, die Investmentbank Merrill Lynch und die Bank of America hätten als Darlehensgeber gehandelt. Die Aktien für den Handel seien von Depotbanken beschafft worden. Die größten Namen seien dabei gewesen, berichtete Rosen: Caceis, State Street, die Apo Bank. "Die Depotbanken sind Teil der Transaktion und wissen genau, was vor sich geht, dafür nehmen sie höhere Gebühren."
Als der deutsche Gesetzgeber endlich gegen Cum-Ex-Geschäfte einschritt, wurden die Banker in Australien wütend: "Scheiße", schrieb Macquarie-Manager Rosen bereits am 23. März 2009 an seinen Kollegen Christoph D. Rosen hatte gerade eine Mail von Thomas Wiesenbart erhalten, Steuerexperte bei der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer. Der Anwalt hatte einen Entwurf eines Schreibens des Finanzministeriums zu Cum-Ex-Geschäften in die Hände bekommen. "Das Thema könnte sich schnell erledigen", schrieb Rosen.
Der Macquarie-Manager war verdrossen. Seine Bank hatte jahrelang an der "Party" teilgenommen, wie die Geldbranche die Geschäfte nannte. War sie jetzt vorbei? Cum-Ex-Handel bot jahrelang eine Garantie, nach der alle suchten: Gewinn ohne Risiko. Es war gleich, welche Aktien man handelte. Solange man Milliarden umsetzte, machten alle Beteiligten reichlich Profit.
Trotz der gesetzlichen Einschränkungen setzte Macquarie deshalb auch in der Folgezeit auf den Cum-Ex-Handel. Die Zentrale in Sydney genehmigte die Beteiligung an drei Fonds für die Dividendensaison 2011, jeder brachte 15 Millionen Euro Gewinn. Doch das Risiko lag nicht mehr bei null.
Die Steuerfahndung war aufgewacht. Ein Berliner Milliardär war mit Cum-Ex-Geschäften in einer Betriebsprüfung aufgeflogen. Steuererstattungen wurden annulliert. Ein "Nein" des Finanzamts bedeutete nicht nur weniger Gewinn für den Investor. In diesem Fall stand er sogar vor dem Totalverlust. Nicht aber die Bank, die ihm für diese Geschäfte Geld geliehen hatte.
Viel Fremdkapital
Auch Macquarie gehörte zu den Instituten, die solche Geschäfte mit viel Fremdkapital erst möglich machten. Peter Lucas, Leiter der Macquarie Funds Group, wies seine damalige Chefin Wikramanayake per Mail vom 7. Juli 2010 unverhohlen auf dieses Detail hin. Macquaries Profit würde auf diese Weise nicht davon abhängen, ob die Steuererstattung an die Besitzer der Aktien auch tatsächlich floss. Die Bank könne so das ganze Risiko an ihre Kunden auslagern.
Auch das Reputationsrisiko wurde sorgfältig besprochen. Alles bleibe im Verborgenen, selbst bei einem Scheitern, meinten die von Macquarie beauftragten Anwälte. Sogar wenn die Behörden die Geschäfte beanstandeten, dürften sie Macquaries Namen öffentlich nicht nennen, hieß es. Die australische Bank wäre durch das deutsche Steuergeheimnis geschützt.
Nicht alle waren gleich überzeugt. Roy L., Mitglied des Exekutivkomitees, fragte: Finanzieren wir hier Transaktionen, die wir selbst nicht durchführen wollen? Und Patrick U., Finanzmanager, merkte an: Die Deals seien doch illegal, wenn die Beteiligten sich kennen würden. Und man kannte sich, mahnte U. Brauchte man ein Gutachten?
Lieber nicht, meinte Bereichsleiter Lucas in Sydney. Die Transaktionen waren so organisiert, dass der Käufer den Verkäufer nicht kennen könne. "Ende der Geschichte", schrieb Lucas an U. Im Übrigen sei es Sache der Kunden, sich genau dies von einem Wirtschaftsprüfer bestätigen zu lassen. Später meldete Lucas an Wikramanayake, die Vorbehalte von U. seien ausgeräumt. U. habe wohl an einem Jetlag gelitten.
Am 28. Oktober 2010 stimmte der Macquarie-Board unter Beteiligung von Wikramanayake zu, drei Cum-Ex-Fonds zu finanzieren. Die Chefs hatten aber einen Vorbehalt. Eine "anerkannte deutsche Persönlichkeit" sollte bestätigen, dass Macquaries Ruf keinen Schaden nehme, falls die Geschäfte publik würden. Was tun? Von Rosen und andere Macquarie-Manager zerbrachen sich die Köpfe. "Geräuschlos" waren Cum-Ex-Geschäfte nicht mehr abzuwickeln, das hatten sie Wikramanayake schon gemeldet. Es waren Geschäfte auf Kosten der deutschen Steuerzahler. Welcher deutsche Patron würde sie absegnen?
Er hieß Bernd Gottschalk. Der deutsche Lobbyist, jahrelang Präsident des Verbands der Automobilindustrie, war kein Steuerexperte, saß aber als Chairman im Beirat der Macquarie Capital Europe. Gottschalk hatte zweifelsohne einen Namen in Deutschland. Seine erste Reaktion auf Macquaries Bitte schien den Bankern allerdings ungeeignet.
Macquarie könne doch einfach die Finanzaufsicht fragen, ob die Geschäfte zulässig wären, schlug Gottschalk vor. Die Banker wehrten ab und setzten sich noch mal mit Gottschalk zusammen.
Wenige Tage später gab von Rosen Entwarnung. Man habe Gottschalk klargemacht, worum es bei den Cum-Ex-Geschäften gehe und dass sie vom Bundesfinanzministerium gerade verhindert werden sollten, berichtete von Rosen nach Sydney. Gottschalk habe nun "begriffen, dass es wahrscheinlich keine gute Idee sei", die Bafin einzuschalten. Zusätzlich habe man ihn noch in eine Konferenz mit einem Steueranwalt gesetzt. Anschließend sagte Gottschalk, was Macquarie hören wollte. Er bestätigte, dass ein Reputationsrisiko zwar vorhanden, aber kalkulierbar sei. Gottschalk und von Rosen wollten sich auf Nachfrage dazu nicht äußern.
In der Dividendensaison 2011 finanzierte Macquarie Cum-Ex-Geschäfte mit einem Volumen von 5,6 Milliarden. Es ist die Saison, welche die Staatsanwaltschaft Köln inzwischen als möglichen "Tatzeitraum" bezeichnet. 462 Millionen Euro wollten sich die von Macquarie finanzierten Fonds erschleichen. Das Finanzamt machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Ein Schaden für den Steuerzahler blieb aus, ihn erlitten stattdessen Macquaries Kunden. Einige verklagen nun die Bank (siehe rechts "Anleger klagen"). Macquarie hatte offenbar darauf spekuliert, weder ein finanzielles Risiko als Geldgeber noch einen Rufschaden zu erleiden. Das zeigen die Akten. Unter dem Strich hätte für die Bank nur der Profit bleiben sollen - und die Macquarie-Führungsriege, bis hinauf zum Vorstandsvorsitzenden Nicholas Moore, segnete diesen Plan ab.
Moore trat Ende 2018 ab, seitdem führt Wikramanayake die Geschäfte. Die Frau, die liebt, was sie tut, verdiente im vergangenen Jahr mehr als elf Millionen Euro, 90 Prozent davon gewinnabhängig. Mitarbeiter beschreiben sie als eine beeindruckende Persönlichkeit, die keine Bühne braucht. 16 Stunden täglich arbeite die Bankchefin, berichtete einmal ihr Mann, der zu Hause die Kinder hütet. Das stimme gar nicht, korrigierte ihn seine Frau. Es seien nur zwölf Stunden.
Wikramanayake stehen schwierige Monate bevor. "Anonymität ist ein Luxus", sagte sie bei Amtsantritt - und schien gewillt, sich ihn auch als Vorstandsvorsitzende zu gönnen. Sie scheut das Licht der Öffentlichkeit - selbst wenn es weich ist. Nun warten ganz andere Scheinwerfer auf sie.
Prozess in Bonn möglich
Mehrmals pro Woche müsste Wikramanayake im Fall einer Anklage in einem Prozess in Bonn auftreten. Als Angeklagte würde sie ihre bisherige Vorbildfunktion verlieren.
Macquarie wollte Fragen zu möglichen Folgen einer Anklage der Bankchefin nicht beantworten. Man arbeite bezüglich der Cum-Ex-Geschäfte mit den deutschen Behörden zusammen, sagte ein Sprecher. "Macquarie war eines von mehr als 100 Finanzinstituten, die sich an diesem Markt beteiligten. Wir zogen uns 2012 davon zurück. Wie üblich erhielten wir bei den Transaktionen umfangreiche externe juristische Beratung."
Beratung schützt im Zweifel nicht vor Strafe. Die Staatsanwaltschaft Köln gibt keine Auskünfte zum Fortschritt des Verfahrens gegen Australiens mächtigste Bankerin und die Vielzahl anderer Manager, die beschuldigt sind. Die Entfernung zwischen Deutschland und Australien ist kein Hindernis - es besteht ein Auslieferungsabkommen. Wikramanayake mag in der Vergangenheit ihre Arbeit dem Reisen vorgezogen haben. Diese Einladung nach Deutschland könnte sie aber nicht ablehnen.
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Artikel 2: Prüfung auf Eignung (6.8.2019)
Die Hamburger Privatbank M.M. Warburg ist tief in den Cum-Ex-Steuerskandal verstrickt. Jetzt prüft die Finanzaufsicht, ob Aufsichtsratschef Christian Olearius und sein Vize für ihre Ämter zuverlässig genug sind.
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Die Hamburger Traditionsbank M.M. Warburg hat schon ruhigere Zeiten erlebt. Zweimal bereits durchsuchte die Staatsanwaltschaft Hamburg die Geschäftsräume der Privatbank an der Alster. Gegen zahlreiche Warburg-Manager laufen Ermittlungen wegen des Verdachts auf Betrug im Zusammenhang mit dem Cum-Ex-Steuerskandal. Zu den Beschuldigten gehört der langjährige Bankchef und heutige Aufsichtsratsvorsitzende Christian Olearius. Er bestreitet ein Fehlverhalten kategorisch. Doch nun sorgen die Vorwürfe für neue Probleme.
Nach Informationen von [Medium] prüft die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) im Zusammenhang mit dem Cum-Ex-Skandal, ob der Aufsichtsratsvorsitzende Olearius sowie sein Stellvertreter Max Warburg zuverlässig genug sind, um Aufsichtsräte zu bleiben. Das bestätigten dem [Medium] mehrere mit dem Sachverhalt vertraute Personen. Die Bafin nahm dazu nicht Stellung. Ein Warburg-Sprecher sagte, die Bank habe "keine Kenntnis von einer solchen Prüfung".
Das wäre nicht ungewöhnlich. Bei einer Zuverlässigkeitsprüfung recherchiert die Bafin häufig zunächst ohne Kenntnis des Prüflings. Sie sichtet etwa, was in Schriftsätzen zu möglichen Verfehlungen des Prüflings vorliegt, tauscht sich mit anderen Behörden aus und nutzt alle Quellen, die sie hat. Wenn die Bafin dann eine vorläufige - negative - Einschätzung zum Sachverhalt vorgenommen hat, führt sie eine Anhörung durch. Dann erst wird entschieden.
Olearius führte M.M. Warburg 28 Jahre lang und wechselte 2014 in den Aufsichtsrat. Er ist auch Gesellschafter der Bank. Nie zuvor hat jemand öffentlich an seiner Eignung gezweifelt, seinen Job zu machen. Dass sich die Bafin bei ihm nun nicht mehr sicher scheint, ist ein gravierender Einschnitt.
Anders als in einigen europäischen Ländern sind Zuverlässigkeitsprüfungen wie bei Olearius in Deutschland keine Routinevorgänge. Sie werden nur eingeleitet, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass mit einem Manager etwas nicht in Ordnung sein könnte. Die Branche spricht von einem "Fit- & - Proper-Check". Die Prüfung kann zu einer Verwarnung oder zu einer Abberufung von Vorständen und Aufsichtsräten von Banken führen.
Strafverfahren in Köln
In welchen Fällen ein Vorstand oder Aufsichtsrat nicht mehr als zuverlässig gilt, ist nicht genau geregelt. Anhaltspunkte liefert dafür ein Leitfaden der Europäischen Zentralbank. "Die Mitglieder des Leitungsorgans müssen allzeit ausreichend gut beleumundet sein, um die solide und umsichtige Leitung des beaufsichtigten Unternehmens sicherzustellen", heißt es darin. Und: "Laufende - sowie abgeschlossene - Straf- oder Verwaltungsverfahren können sich auf den Leumund des betreffenden Mitglieds und des beaufsichtigten Unternehmens auswirken."
Gegen Olearius und Max Warburg läuft ein Strafverfahren der Staatsanwaltschaft Köln. Es ist Teil der Aufarbeitung des Steuerskandals Cum-Ex. Europaweit handelten Banken Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividendenanspruch. Dabei täuschten sie den Finanzämtern vor, es gebe mehrere Besitzer ein- und derselben Aktie. Einer von ihnen führte dann die Kapitalertragsteuer für die gehandelten Aktien ab, zwei ließen sich diese Steuer erstatten. Der Schaden für den deutschen Fiskus wird auf zwölf Milliarden Euro geschätzt.
Die Finanzaufsicht hielt sich in der Sache lange zurück. Sie verortete die Verantwortung für die Aufarbeitung des Skandals in anderen Behörden. Für steuerliche Fragen sei die Finanzverwaltung zuständig, für das Strafrecht die Staatsanwaltschaften. Trotzdem sei man nicht untätig geblieben, betont eine Bafin-Sprecherin. Aufgrund von Nachforderungen der Finanzbehörden habe die Bafin bereits Institute geschlossen. Bekannt sind die Fälle der Maple Bank und der Dero Bank.
Das sind Extrembeispiele. Eine nicht so finale Maßnahme ist die Zuverlässigkeitsprüfung von Einzelpersonen, wie sie nun Olearius und Warburg widerfährt. Angaben zum Ablauf der Prüfung wollte ein Behördensprecher nicht machen. Die Bafin ist auf größtmögliche Diskretion bedacht.
Die Abberufung von Vorständen und Aufsichtsräten ist das schärfste Schwert, das die Bafin gegen Einzelpersonen richten kann. Es kommt selten zum Einsatz. Zwischen 2013 und 2018 entfernte die Finanzaufsichtsbehörde neun Vorstände und fünf Aufsichtsräte aus ihren Ämtern, zeigen die Angaben in den Bafin-Jahresberichten. Meist kommt es dabei zu keinem formalen Akt. Die Betroffenen räumen ihren Posten in aller Stille, sobald ihnen die Behörde klarmacht, was sonst passiert. Nicht jede Prüfung mündet in einen Rauswurf: 18-mal sprach die Bafin in den letzten sechs Jahren nur eine Verwarnung aus, die in etwa der gelben Karte im Fußball entspricht. In solchen Fällen sieht die Behörde Mängel, die Vorstand oder Aufsichtsrat abstellen muss. Sonst droht ihm eine Abberufung.
Wie häufig der Cum-Ex-Steuerskandal der Grund für Verwarnungen oder Abberufungen in den vergangenen Jahren war, wollte die Bafin nicht sagen. Es kam aber vor. Die Bafin "rief bereits Geschäftsführer wegen steuerstrafrechtsrelevanter Sachverhalte ab oder führte deren Ausscheiden aktiv herbei", berichtet ihre Sprecherin. Anzahl und Namen der Prüflinge sind geheim.
Die Auswahl ist groß. Dem [Medium] liegt eine Liste von 130 Banken vor, die sich an Cum-Ex-Geschäften beteiligt haben sollen. Sie ist Teil eines Datenpakets, das ein Whistleblower Ende 2014 der Steuerfahndung Wuppertal anbot. Das Finanzministerium Nordrhein-Westfalen kaufte seinen USB-Stick für fünf Millionen Euro - der höchste jemals gezahlte Preis für solche Informationen. Heute führen Staatsanwaltschaften in Sachen Cum-Ex Hunderte von Personen als Beschuldigte.
Nach Informationen von [Medium] hat die Bafin aktuell rund 15 Personen wegen der Causa Cum-Ex unter Beobachtung. Die Bafin wollte dazu zwar auf Nachfrage nichts Konkretes sagen, eine Sprecherin bestätigte allerdings: Die Aufsichtsbehörde steht im engen Austausch mit der Staatsanwaltschaft Köln.
Dort laufen in Sachen Cum-Ex viele Fäden zusammen. Die Beamten sollen ein Netzwerk aus den beteiligten Leerverkäufern, Käufern, Brokern, Depotbanken, Fremdfinanzierern, Fondsgesellschaften, Beratern und Investoren aufgedeckt haben. Inzwischen gibt es mehr als 50 Ermittlungskomplexe, zahlreiche Kronzeugen und Tausende von Aktenordnern.
Eine stattliche Zahl davon gehört zum Fall M.M. Warburg - mit den prominenten Beschuldigten Christian Olearius und Max Warburg. Bruchstücke der Geschäfte, die in ihrer Bank liefen, sind bereits bekannt. Mehr wird in wenigen Wochen publik.
Am 4. September startet am Landgericht Bonn das erste Strafverfahren in Sachen Cum-Ex. Angeklagt sind Martin S. und Nickolas D., zwei ehemalige Aktienhändler aus Großbritannien. Sie haben in rund 40 Vernehmungen bei der Staatsanwaltschaft ausgepackt und zahlreiche Details über Absprachen zwischen den Akteuren und die Verteilung der Gewinne aus der Steuerkasse offenbart.
In der Anklageschrift spielen M.M. Warburg und ihre Tochter Warburg Invest zentrale Rollen. Sie gehörten zu den besten Kunden der beiden Angeklagten, die zunächst für die Hypovereinsbank arbeiteten und dann eine eigene Firma gründeten: die Ballance Gruppe. Mit ihr hatte Warburg ein "Profit Split Agreement" - eine Vereinbarung darüber, wie Gewinne aus den Cum-Ex-Geschäften aufzuteilen waren.
Allein für Eigenhandelsgeschäfte in den Jahren 2009 bis 2011 überwies die Hamburger Bank knapp 27 Millionen Euro an die Ballance-Gruppe. Deren Leistung war nach den Erkenntnissen der Ermittler, für Warburg den Zugang zu sogenannten Leerverkäufern im Markt herzustellen. Sie spielten beim Cum-Ex-Handel eine zentrale Rolle.
Warburg nahm nicht nur am Eigenhandel teil, sondern legte über ihre Tochter Warburg Invest auch Cum-Ex-Fonds auf. An ihnen beteiligten sich hochvermögende und institutionelle Kunden. In der Anklageschrift sind die Fonds BC German Equity, BC German Hedge und BC Pro Rendite aufgeführt. Über die Kapitalanlagegesellschaft Seriva, die ebenfalls Teil der Anklageschrift ist, beteiligten sich die Warburg-Miteigentümer Christian Olearius und Max Warburg selbst an den Deals. In diesem Fall kam es aber nicht zu einer Steuerhinterziehung. Das Finanzamt stoppte die Erstattung, es blieb beim Versuch.
Showdown im Gerichtssaal
Das Landgericht Bonn prüft, ob Warburg und drei andere beteiligte Institute an dem Strafprozess beteiligt werden. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft machte allein Warburg 166,5 Millionen Euro Gewinn mit den Geschäften, die vor dem Landgericht zur Sprache kommen. Der Hamburger Bank droht deshalb eine Vermögensabschöpfung in gleicher Höhe. Laut Geschäftsbericht 2018 betrug ihre Eigenkapitalausstattung 275 Millionen Euro. Auf Fragen von [Medium] verwies Warburg-Sprecher Martin Wehrle auf frühere Stellungnahmen der Bank: "Es bleibt dabei: Wir haben uns nichts vorzuwerfen. Etwaige wirtschaftliche Risiken sind im Jahresabschluss 2018 vollständig berücksichtigt."
Gleichwohl wird der Prozess in Bonn zur wichtigen Bühne. Auch die Bafin schickt einen Gesandten ins Gericht. Eine Sprecherin bestätigte dem [Medium]: "Wir werden den aktuellen Prozess beim Landgericht hinsichtlich der Strafbarkeit von Cum-Ex aktiv beobachten."
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Artikel 3: Die Spinne im Geld-Netz (28.8.2019)
Die Deutsche Börse und ihre Tochter Clearstream wurden am Dienstag durchsucht. Ermittler haben den Konzern bereits seit Jahren im Blick. Nun haben sich die Hinweise auf mögliche Beteiligung an schwerer Steuerhinterziehung verdichtet.
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Für Theodor Weimer war es eine Art Déjà-vu. Am Dienstagmorgen standen Ermittler vor seiner Unternehmenszentrale, einem mächtigen Würfel aus Stahl und Glas. Weimer führt die Deutsche Börse und indirekt deren Tochter Clearstream in Eschborn nahe Frankfurt. Rund 50 Beamte verlangten Einlass. Es war eine Szene, die an den 28. November 2012 erinnerte, als die Hypo-Vereinsbank in München durchsucht wurde. Auch sie wurde damals von Weimer geführt. Auch bei ihr fahndeten die Ermittler nach Beweisen für illegale Steuergeschäfte der Marke Cum-Ex. Bei diesen Geschäften ließen sich Anleger die einmal gezahlte Kapitalertragsteuer auf Aktiendividenden mithilfe von Banken mehrfach erstatten. Dazu verschoben sie um den Stichtag der Dividendenzahlung herum untereinander Aktien mit (lateinisch: "cum") und ohne ("ex") Dividendenanspruch.
Damals wie heute war Weimer nicht verantwortlich für den Betrug an der Allgemeinheit, den die Behörden vermuten. Damals wie heute muss Weimer ihn abarbeiten. Bei der Hypo-Vereinsbank kostete die Affäre damals mehr als 100 Millionen Euro, zuzüglich Anwaltskosten in ähnlicher Höhe. Die Bank verklagte ehemalige Vorstände auf Schadensersatz - die juristischen Kämpfe sind noch immer nicht ausgestanden.
Dass Weimer von einem unter Cum-Ex-Verdacht stehenden Institut zum nächsten wechselte, spricht nicht gegen ihn. Die heftig umstrittenen Aktiendeals waren jahrelang in ganz Europa beliebt. Weit mehr als 100 Geldhäuser sollen sich daran beteiligt haben, der Schaden wird allein in Deutschland auf zwölf Milliarden Euro geschätzt. Doch wenn auch nichts gegen Weimer persönlich spricht, so haben die Strafverfolger doch sein Tochterunternehmen im Visier, das am Dienstag ungebetenen Besuch erhielt.
Ohne Clearstream ist Aktienhandel kaum denkbar - auch nicht solcher zum Schaden des Steuerzahlers. Die Deutsche-Börse-Tochter wickelt die Geschäfte ab und fungiert zugleich als Zentralverwahrer für Wertpapiere. Die blanken Zahlen zeigen, welche Bedeutung Clearstream hat: Im Jahr 2015 verwahrte das Institut im Schnitt Wertpapiere mit einem Volumen von über 13 Billionen Euro und führte 138 Millionen Transaktionen aus.
Dienten davon welche dem Betrug am Steuerzahler? Um solche und andere Fragen zu beantworten, musste sich Mathias Papenfuß 2016 in Berlin einfinden. Als Vorstandsmitglied der Clearstream Banking AG (CBF) und der Clearstream Banking Luxemburg (CBL) war er vor den Cum-Ex-Untersuchungsausschuss des Bundestags geladen. Eine gute Dekade lang hatte die Politik das Problem der doppelten Steuererstattungen ignoriert - massive Berichterstattung drängte die Volksvertreter schließlich zur politischen Aufarbeitung des Skandals.
Papenfuß, ein Mann mit raspelkurzen Haaren und einer Vorliebe für Fliegen, räumte bei seiner Befragung in Berlin eine gewisse Erfahrung mit den Geschäften auf Kosten des Steuerzahlers ein. Schon 2002 sei ihm das Thema Cum-Ex begegnet. Erst 2009 allerdings habe man "ein bisschen mehr Augenmerk" darauf gelegt. Das Bundesfinanzministerium schickte damals ein Rundschreiben an die Branche, erste Presseartikel erschienen.
Kein Augenmerk auf Steuerschäden in Milliardenhöhe - womöglich auch abgewickelt über die Handelssysteme seines eigenen Hauses? Die Politiker fragten nach. Papenfuß blieb dabei. Vor 2009 habe man "mit einer anderen Brille draufgeguckt". Mehr Fragen musste der Manager nicht beantworten. Als der Ausschuss seinen Kollegen Thomas R. vorlud, war dessen Auskunft noch kategorischer. Clearstream habe nicht erkennen können, was da geschah.
Zweifel der Staatsanwälte
Die Staatsanwaltschaft zweifelt. Thomas R. ist inzwischen Beschuldigter in dem Steuerskandal. Inzwischen zählt die Staatsanwaltschaft mehr als zehn mögliche Mittäter - auch dies war Anlass für die Razzia am Dienstag. Die Ermittler vermuten, Clearstream habe Kunden systematisch geholfen, sich an der Allgemeinheit zu bereichern, die Börsentochter sei die Spinne im Netz. Genau dies wurde bisher dementiert. Auf der Bilanzpressekonferenz der Börse betonte Vorstandschef Weimer, dass sich sein Tochterunternehmen Clearstream in Sachen Cum-Ex nichts vorzuwerfen habe. "Clearstream berät nicht in Steuerfragen, spricht keine Empfehlungen aus zu steuerlichen Angelegenheiten", sagte Weimer. Das Unternehmen führe auch keine derartigen Transaktionen auf eigene Rechnung durch und erhebe somit auch keinerlei Anspruch auf Steuererstattungen.
Beteiligt waren Clearstream-Mitarbeiter am Cum-Ex-Skandal trotzdem - und ihr Unternehmen auch, vermutet die Staatsanwaltschaft. In den zwei Jahren, die seit der letzten Durchsuchung vergangen sind, hat sich viel getan. Ermittlungsverfahren wurden vorangetrieben, in ganz Deutschland haben sich Staatsanwälte untereinander und mit der Finanzaufsicht ausgetauscht. Banken haben schon mehrere Hundert Millionen Euro zurückgezahlt. Um ihre Chancen auf milde Urteile zu erhöhen, haben sich viele Beschuldigte von Schweigern zu Kronzeugen gewandelt.
Das [Medium] hat Einblick in Dokumente, die das Zusammenspiel von Clearstream und der britischen Großbank Barclays illustrieren, das exemplarisch sein soll. Die Bank hatte seit Jahren Geschäftsbeziehungen zur Deutsche-Börse-Tochter in Frankfurt. Am 19. Februar 2007 kam es dann zu einem wegweisenden Treffen.
Die Dividendensaison stand an. Deutsche Unternehmen schütten ihre Gewinne in der Regel im April und Mai aus. Barclays hatte für das Jahr 2007 große Cum-Ex-Pläne, brauchte aber Anleitung. Das deutsche Jahressteuergesetz war geändert worden. Was bedeutete das für das Vorhaben? Barclays schickte gleich sieben Mitarbeiter zu einem Informationsgespräch mit den Deutschen.
Umweg über Luxemburg
Clearstream stellte fünf Spezialisten ab, um die Fragen der Barclays-Abordnung zu beantworten. Das Kundengespräch, so zeigten interne Unterlagen, war minutiös vorbereitet. Die Deutschen legten Präsentationen vor, machten Beispielrechnungen auf, prognostizierten Gewinne. Ab sofort, so erklärten sie ihren britischen Gegenübern, sei es nicht mehr ratsam, Cum-Ex-Handel über Konten von Clearstream in Frankfurt abzuwickeln. Wenn ein Kunde dann nämlich eine Steuererstattung beantrage, müsse er nachweisen, dass diese Steuer vorher auch gezahlt wurde.
Das war ungünstig für jeden Cum-Ex-Akteur, basierte doch der Gewinn vor allem darauf, Kapitalertragsteuern einmal zu zahlen, aber mehrfach erstattet zu bekommen. In dem Treffen am 19. Februar 2007 zeigte Clearstream einen Ausweg auf: Luxemburg.
Auch dort, berichteten die Deutschen, hatte die Börse nutzbare Konten. Für Luxemburg galten aber andere Regeln als für Frankfurt. Wortreich beschrieben die Clearstream-Mitarbeiter die technischen Details. Ihre Präsentation "Customer Tax Guide - Germany" enthielt ein Kapitel mit dem Titel "Short Sales and Manufactured Dividends".
Der Wortführer jenes Tages aufseiten von Clearstream ist heute Beschuldigter. Begriffe wie Short Sales (Leerverkäufe) und Manufactured Dividends (gefertigte Dividenden) sind für Steuerfahnder und Staatsanwälte längst zu Warnlampen geworden. Sie weisen den Ermittlern den Weg zum nächsten Verdächtigen - und zur nächsten Bank, die zur Vermögensabschöpfung gebeten werden könnte. Gewinne aus illegalen Aktiengeschäften sollen auch von denen zurückgeholt werden, die selbst keine Aktien handelten. Das macht die Lage für Clearstream möglicherweise brenzlig. Gespräche wie mit Barclays sollen Mitarbeiter auch mit der australischen Bank Macquarie geführt haben. Dort zählen heute mehr als 20 aktive und ehemalige Mitarbeiter zu den Beschuldigten, darunter die amtierende Vorstandschefin und ihr Vorgänger.
Die Staatsanwaltschaft macht keine Angaben dazu, wie viele dieser Beispiele sie noch kennt. In den Unterlagen, die [Medium] einsehen konnte, fällt immer wieder der Begriff "Shunting". Das "Rangieren" von Handelsströmen - immer so, wie es steuerlich am günstigsten war, wurde zum Verkaufshit.
Clearstream ist nach der Derivatetochter Eurex die zweitwichtigste Sparte der Deutschen Börse. Im vergangenen Jahr fuhr das Tochterunternehmen Nettoerlöse von 718 Millionen Euro ein und trug damit rund ein Viertel zum Umsatz von Deutschlands größtem Börsenbetreiber bei.
Clearstream hatte Hunderte von Kunden. Entscheiden die Ermittler, mögliche Steuerschäden durch jeden einzelnen bei der Tochter der Deutschen Börse abgewickelten Deal abzuschöpfen, könnten Milliardenbeträge zustande kommen. Die Bank bleibt dabei: Sie ließ sich nichts zuschulden kommen. Rückstellungen für mögliche Strafen hat der Konzern Finanzkreisen zufolge bislang nicht gebildet. Bei Investoren kamen die Neuigkeiten über die Durchsuchung schlecht an. Nach ihrem Bekanntwerden am Dienstagmittag sackte die Deutsche-Börse-Aktie ab und verlor zeitweise rund zwei Prozent.
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Artikel 4: Ein System vor Gericht (5.9.2019)
Die Anklage der Staatsanwaltschaft Köln im Cum-Ex-Prozess liest sich wie eine Generalabrechnung mit der Finanzbranche. Besonders im Fokus: M.M. Warburg, die Société Générale, BNY Mellon, die Deutsche Bank und die Hypo-Vereinsbank.
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Drei Frauen sitzen rechts von Roland Zickler, dem Vorsitzenden Richter der 12. Großen Strafkammer des Landgerichts Bonn. Zwei kommen von der Staatsanwaltschaft, eine vom Bundeszentralamt für Steuern. Rund 400 Millionen Euro beträgt der Schaden, für den sie die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen wollen.
Gegenüber den Frauen sitzen die beiden Angeklagten, ihre fünf Anwälte und zwei Übersetzer. Die weiteren Verfahrensbeteiligten haben in der zweiten langen Stuhlreihe direkt hinter den Angeklagten Platz genommen. Fünf Finanzinstitute hat das Landgericht an dem Prozess "beteiligt", wie es heißt. Die Hamburger Privatbank M.M. Warburg, deren Tochter Warburg Invest, das US-Institut BNY Mellon, die französische Großbank Société Générale sowie die Fondsgesellschaft Hansa Invest haben bei den Geschäften mitgemacht, die zu dem gewaltigen Schaden für den Steuerzahler führten. Nun sitzt ein Dutzend ihrer Anwälte mit im Gericht.
Der Strafprozess hat begonnen. Er ist der erste seiner Art, ein Meilenstein in der deutschen Rechtsgeschichte. Zwölf Milliarden Euro sollen dem Fiskus entgangen sein, weil Banken, Steuerberater und vermögende Privatpersonen vor rund 20 Jahren ein System mit unwiderstehlichem Reiz etablierten: hohe Gewinne bei null Risiko.
Durch Handel von Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividendenanspruch wurde Finanzämtern vorgespielt, es gebe zwei Eigentümer ein- und derselben Aktie. Einer führte eine Dividendensteuer ab, zwei ließen sie sich "erstatten". Ganz gleich, ob die Aktie stieg oder fiel - Gewinn gab es für die Beteiligten immer. Den zahlte der Fiskus.
Nach mehr als sechs Jahren Ermittlungen sitzen zwei Vertreter dieser Geschäfte nun vor dem Richter. Sie sind einerseits Angeklagte, andererseits Stellvertreter der Branche, und deshalb ist der Sitzungssaal 11 des Landgerichts Bonn an diesem ersten Prozesstag fast bis auf den letzten Platz gefüllt.
Kooperation zugesichert
Dem [Medium] liegt eine Liste von mehr als 130 Banken vor, die ein Whistleblower Ende 2014 an die Steuerfahndung Wuppertal verkaufte. Nun haben zahlreiche Banken ihre Beobachter - Anwälte und Stenografen - nach Bonn geschickt.
Die beiden Beschuldigten sagen zunächst kein Wort. Martin S. und Nicholas D., zwei britische Staatsbürger im Alter von 41 und 38 Jahren, machen einen seriösen Eindruck. Beide tragen dunkle Anzüge und weiße Hemden, beide haben neben ihren Anwälten einen Dolmetscher an ihrer Seite, der ihnen gleich jedes Wort der langen Anklage übersetzen wird.
Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker hat das Wort. Die zierliche Frau mit ihrem schmalen Gesicht, der braunen, ovalen Hornbrille und der schwarzen Robe ist die Heldin dieses Verfahrens - wenn auch nicht aus Sicht der betroffenen Banken. Seit Jahren ermittelt sie. Martin S. und Nicholas D. hat sie dabei "umgedreht", wie Juristen das nennen: Die beiden Investmentbanker haben volle Kooperation zugesichert. In dem Prozess geht es um viel mehr als ihre persönliche Schuld. Es geht um die Offenlegung eines Systems.
Brorhilker hat Manager aus Großbanken in aller Welt als Verdächtige identifiziert. Jedes Wort, das sie spricht, wird in Dutzenden von Rechtsabteilungen studiert. Es wird eine gruselige Lektüre.
Die Beschuldigten Martin S. und Nicholas D., liest Brorhilker vor, sollen in der Zeit von Mitte des Jahres 2006 bis Frühjahr 2011 in 34 Fällen die Finanzbehörden getäuscht und dadurch nicht gerechtfertigte Steuervorteile in großem Ausmaß erlangt haben. "Die Angeschuldigten fassten spätestens ab 2006 den gemeinsamen Tat-Entschluss, die nächsten Jahre Cum-Ex-Geschäfte mit deutschen Aktiengeschäften zu tätigen."
Cum-Ex. Die fünf Buchstaben fallen in den nächsten Stunden immer wieder. "Der Profit dieser Geschäfte wird nicht über Marktchancen generiert, sondern basiert auf der betrügerischen Erlangung von Steuergeldern", referiert Brorhilker. Die Geschäftsabläufe seien von den Tätern genau festgelegt worden. Im Endeffekt hätten die Akteure "großvolumige Aktienkreisgeschäfte" getätigt, die allein auf die Steuerkasse zielten.
Wer genau zielte da? Brorhilker spart nicht mit Namen. "Der Angeschuldigte Martin S. war hier in erster Linie für die Gesellschaft Ballance Principals Ltd. tätig", trägt die Oberstaatsanwältin vor. Damit sind die Zuhörer schon im Zentrum des Geschehens. Die Ballance-Gruppe wurde 2008 von Shields und Paul Mora gegründet. Der Neuseeländer arbeitete vorher für die Hypo-Vereinsbank. Dann merkte er, dass er mit Cum-Ex noch viel mehr verdienen konnte als die Million Euro, die er gewöhnlich pro Jahr einstrich.
Ballance ging eine Investment-Partnership mit der M.M. Warburg Bank aus Hamburg ein. Ein Banksprecher sagte vor Kurzem dem [Medium]: "Von den Partnern wurde uns stets vermittelt, dass die Geschäfte einwandfrei waren." Nun sitzen Anwälte der Warburg im Gerichtssaal in Bonn. Mora ist nicht da, auch er hat zwei Anwälte geschickt.
Der Beschuldigte Martin S. war Gründungspartner von Ballance, Nicholas D. kam 2009 dazu. Die Firma stellte mehrere ehemalige Mitarbeiter der Deutschen Bank ein, sagt Brorhillker. Es ist mehr als ein Wink mit dem Zaunpfahl. Je länger die Oberstaatsanwältin vorliest, desto klarer wird das Ausmaß dessen, was an Prozessen folgen mag. Auch mit der Deutschen Bank, referiert Brorhilker, hatten die Beschuldigten eine Vereinbarung darüber, wie Gewinne aus Cum-Ex-Geschäften aufzuteilen waren. "Eine derartige Vereinbarung ist der Deutschen Bank nicht bekannt", erwidert ein Sprecher.
Streng vertrauliche Chats
Es ist die Detailtiefe dieser mutmaßlichen Absprachen, die den Zuhörern im Saal 11 besondere Unruhe vermitteln mögen. Absprachen nämlich, so argumentierten Cum-Ex-Apologeten, gab es gar nicht. In dem komplizierten Handel, bei dem Aktien verkauft wurden, die der Verkäufer noch gar nicht besaß, dann lieh und später wieder verkaufte, gab es zwischen den Akteuren angeblich null Kontakt. Kommt das Gericht zu einer anderen Erkenntnis, bricht eine wesentliche Verteidigungslinie weg.
Gerne berufen sich die Cum-Ex-Verfechter auch auf eine Gesetzeslücke. Doch "die gab es bei Cum-Ex-Geschäften mit Leerverkäufen zu keinem Zeitpunkt. Eine Doppelerstattung hat das Gesetz niemals zugelassen. Der deutsche Staat wurde betrogen", sagt Steuerprofessor Christoph Spengel von der Uni Mannheim dazu. Es ist eine Sichtweise, die auch Finanzgerichte bestätigen. So wie vor Kurzem Benno Scharpenberg, der Präsident des Finanzgerichts Köln. Als Richter hatte er über einen Fall zu entscheiden, bei dem ein Cum-Ex-Investor mit dem Vorhaben scheiterte, in die Steuerkasse zu greifen, und dann darauf klagte, dass der Fiskus ihm seinen "Gewinn" nachträglich auszahlen sollte. "Denk-logisch unmöglich", nannte Scharpenberg das Geschäftsprinzip, eine einmal abgeführte Steuer zweimal einzufordern. Dass es zuvor so oft doch gelang, bezeichnete er als "kriminelles Glanzstück".
Seine Richterkollegen in Bonn sind von einem Urteil noch weit entfernt. Zunächst 32 Verhandlungstage haben sie für den ersten Cum-Ex-Prozess veranschlagt. Dass die Anklägerin freilich schon am ersten Termin von streng vertraulichen Chats berichtet, in denen sich die Beschuldigten mit ihren vielen Geschäftspartnern über die Details und die Gewinnaufteilung ihrer Details besprachen, ließ weder für die zugeladenen Banken noch für die vielen Beobachter im Gerichtssaal viel Hoffnung.
Das bisschen Hoffnung, das übrig war, zerstörte dann der Anklagte selbst. "Unser Mandant hat in zahlreichen Vernehmungen durch die Staatsanwaltschaft Köln bereits einen entscheidenden Beitrag zur Aufklärung geleistet", las seine Anwältin Hellen Schilling vor. "Diesen eingeschlagenen Weg wird Herr S. in der Hauptverhandlung fortsetzen."
Dieser Prozess, sagte seine Anwältin, kann nur ein Anfang sein. "Herr Martin S. ist nicht die einzige und auch nicht die zentrale Figur von Cum-Ex." Er hat sich im größten Steuerskandal Deutschland dazu entschieden, nicht mehr Teil des Problems zu sein, sondern Teil der Lösung. Der Bankenwelt stehen unruhige Prozesstage bevor
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Artikel 5: Die Erpressung des Meisters (10.10.2019)
Das erste Strafurteil im Cum-Ex-Steuerskandal ist ergangen. Es trifft einen Erpresser.
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Er plante ein Millionenverbrechen und benahm sich dabei wie ein alberner Junge. "Sehr geehrter Herr Dr. Fettsack", begann ein Schreiben, mit dem Rolf Zahn* am 12. April 2011 einen Frankfurter Steueranwalt erpressen wollte.
Auf drei Absätze Vorrede folgte der Kern: 1,5 Millionen Euro verlangte Zahn als "finale Einmalzahlung". Sein Brief sei als "letztmalige Aufforderung" zu verstehen. Zahn behalte sich vor, über die "von Ihnen initiierten Cum-Ex-Strukturen (...) sämtliche Beteiligte und betroffene Behörden zu informieren."
Die Mail war das Ergebnis einer Absprache zwischen Zahn und seinem Komplizen Hans-Michael Palm*. Den ganzen Abend hatten die beiden sich Entwürfe ihres Erpresserschreibens hin- und hergeschickt, drei Minuten vor Mitternacht den letzten.
Zwei Tage später änderten sie die Anrede von "Dr. Fettsack" in "Dr. Berger" und schickten die Mail ab. Heute ist Zahn dafür wegen Erpressung verurteilt.
Die Cum-Ex-Affäre, Deutschlands größter Steuerskandal, bietet immer neue Abgründe. Auf zwölf Milliarden Euro wird der Schaden geschätzt, den Banken und Investoren mit dem trickreichen Handel von Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividendenanspruch verursachten.
Dem Fiskus wurde vorgegaukelt, es gebe mehrere Eigentümer ein und derselben Aktie. Einer von ihnen führte dann eine Kapitalertragsteuer ab, mehrere ließen sie sich "erstatten". Der Präsident des Finanzgerichts Köln nannte diese Praxis jüngst eine "kriminelle Glanzleistung".
"Draft an den Meister"
Einer der aktivsten Betreiber der Cum-Ex-Geschäfte war Hanno Berger. 1951 als Sohn eines Pastors geboren, begann Berger seine Karriere als Staatsdiener. Er ging in die Finanzverwaltung, promovierte und stieg zum höchsten Bankenprüfer der Oberfinanzdirektion Hessen auf.
1996 wechselte er die Seiten, nahm das Angebot einer internationalen Spitzenkanzlei an und machte sich 2010 selbstständig. Berger beriet die Crème de la Crème deutscher Unternehmen und ihre Eigentümer. Sein Spitzname: "der Meister".
"Draft an den Meister" lautete folgerichtig der Entwurf des Schreibens, das Zahn im April 2011 an Berger richtete. Zahn fühlte sich von Berger um seine Provision geprellt.
Er hatte dem Anwalt einen Kontakt zu einem Mann vermittelt, der in Cum-Ex-Geschäfte investieren könnte. Berger habe zugesichert, Zahn dafür eine Provision in Höhe von fünf Prozent des vermittelten Eigenkapitalvolumens zu überlassen, dann aber nicht gezahlt.
Zahn wollte nun eigentlich nicht zum Erpresser werden, sondern zum Tippgeber. Im November 2011 meldete er sich unter dem Alias "Jürgen A. Schmidt" beim Bundesfinanzministerium in Berlin. Er habe Informationen über Geschäfte, die den Steuerzahler um Milliarden brächten. Wäre das Ministerium daran interessiert?
Nicht so richtig. Das Bundesministerium verwies Zahn an die hessischen Landesfinanzbehörden. Zahn und sein Kompagnon Palm boten dort ihr Wissen an - für eine Provision. 300 Millionen Euro seien die Informationen wert, schrieben die Tippgeber, denn so hoch sei der Schaden, den Bergers Geschäfte verursachten. Zahn und Palm forderten dafür ein halbes Prozent: 1,5 Millionen Euro.
Das Angebot war selten, aber nicht einmalig. Hessens Nachbarland Nordrhein-Westfalen kaufte schon seit 2006 Steuersünder-CDs - und hatte mit diesen Daten ein Vielfaches des Kaufpreises in die Steuerkasse geholt.
Hessen aber lehnte ab. Das "Risiko, dass sich Bedienstete der Finanzverwaltung der Gefahr eigener strafbarer Handlungen aussetzen würden", sei zu hoch, hieß es in einem Brief an das Bundesfinanzministerium.
Zahn und Palm wählten deshalb Variante B des Plans, um endlich an die 1,5 Millionen Euro zu kommen. Zehn Tage gab der falsche Schmidt Berger nun Zeit, um das Geld auf ein Schweizer Konto zu überweisen. Andernfalls werde er nicht nur die Behörden über die Cum-Ex-Geschäfte Bergers und des übermittelten Kunden informieren, sondern auch den Aufsichtsrat der Schweizer Bank Sarasin. Mit ihr hatte Berger das Geschäft abgewickelt.
Berger war besorgt. "Die Angelegenheit muss alsbald endgültig erledigt werden, um eine dramatische Eskalation von äußerst unangenehmen Konsequenzen für eine Reihe von Personen und Banken zu vermeiden", schrieb der Jurist am 15. April 2011 an einen Geschäftspartner.
An den Erpresser schrieb Berger, er sei zu einer Zahlung von 250 000 Euro bereit. Nach weiterem Hin und Her einigten sich die Parteien auf eine runde Million, die nach Erkenntnissen der Staatsanwälte über zwei Fonds flossen, für die Sarasin quasi treuhänderisch handelte.
Kurz vor Weihnachten 2011 wechselten die letzten 150 000 Euro den Besitzer. Dann war die Sache ausgestanden, dachten die Beteiligten.
Die Ruhe dauerte nur gut ein Jahr. Anfang 2013 waren Cum-Ex-Geschäfte für die Geldbranche von einem Fest zu einem Fiasko geworden. Reihenweise weigerten sich Finanzämter, doppelte Kapitalertragsteuern auszuschütten. Die Banken hatten ihre Provisionen zwar schon abgerechnet, doch die Investoren standen im Regen - oft mit Totalverlust.
Einer von ihnen hieß Erwin Müller. Der Drogeriekönig hatte mehrfach in Cum-Ex investiert, aber immer ohne Kenntnis, wie die Geschäfte eigentlich funktionierten - so sagt er.
2013 stand Müller nach einem erneuten Investment plötzlich vor einem Verlust von 50 Millionen Euro - und verklagte die Bank, die ihm das Geschäft angedient hatte: Sarasin.
Das Pech für die Bank: Müller hatte einen ungewöhnlichen Anwalt. Eckart Seith setzte alle Hebel in Bewegung, um seinem Mandanten zum Geld zu verhelfen. Seiths Bemühungen gingen so weit, dass er dafür später in der Schweiz wegen "Anstiftung zum mehrfachen Vergehen gegen das Bankengesetz" verurteilt wurde. Seith nannte dies ein Skandalurteil und ging in Berufung.
Teil von Seiths Aktivitäten jedenfalls war die Enttarnung von Zahn. Nachdem er sich durch ganze Ordner von Korrespondenz gewühlt hatte, gab Seith Ermittlern den Tipp, hinter dem Decknamen "Jürgen A. Schmidt" stecke wohl Rolf Zahn.
Razzia in München
So wurde die Erpressung, an der sich niemand störte, doch noch justiziabel. Berger hatte seinen Erpresser nie beschuldigt. Für die deutschen Beamten galt aber das Legalitätsprinzip: Jede Straftat, von der sie Kenntnis erlangten, mussten sie verfolgen.
Am 14. Oktober 2014 besuchten sie Zahn in seinem Haus bei München. Die Razzia dauerte Stunden. Die Ermittler stellten Zahns Akten, sein Handy und Speichermedien sicher. Zahn selbst nahmen sie auch gleich mit - wegen Verdunkelungsgefahr. Sechs Wochen später war er geständig und wurde aus der Untersuchungshaft entlassen.
Seit Mitte September ist Zahn rechtskräftig verurteilt - zu elf Monaten auf Bewährung. Das ungewöhnlich milde Urteil erklärt das Amtsgericht Fürstenfeldbruck damit, dass Zahns Verteidiger dessen Tat "vollumfänglich eingeräumt" haben. "Insbesondere im Hinblick auf das Geständnis wurde von allen Verfahrensbeteiligten eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr auf Bewährung mit Einziehung des Wertersatzes als tat- und schuldangemessen angesehen."
"Einziehung des Wertersatzes" bedeutet, dass Zahn seine Beute wieder hergeben musste - allerdings weder an Sarasin noch an deren Fonds, die damals zahlten. Das erpresste Geld bekommt der Staat.
Auf den anderen Teil des Geldes, das von Sarasin-Seite floss, kann der Fiskus aber wohl nicht mehr zugreifen. Zahns Kompagnon Palm hat es noch - und es sieht so aus, dass niemand eine Rückzahlung verlangt. Die Bank Sarasin wollte nicht sagen, ob sie Geld zurückfordert, und auch sonst keinen Kommentar abgeben.
Die Zeit spielt für Palm. Genau wie Berger lebt er seit Jahren in der Schweiz - mit Sicherheitsabstand zu den deutschen Ermittlern. Diese brauchen deshalb Hilfe von ihren eidgenössischen Kollegen - und bekommen sie nicht. Nach dem ersten Rechtshilfeersuchen aus Deutschland vom Februar 2015 rührten sich die Schweizer nicht, ebenso wenig nach weiteren. Auf Nachfrage heißt es: "Dieses Rechtshilfeersuchen ist bei der Zürcher Staatsanwaltschaft noch in Bearbeitung."
Vier Jahre lang hält das Patt nun an. Dauert es noch zwei Jahre mehr, hat sich der Fall erledigt. 2021 wäre eine Erpressung endgültig verjährt.
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Artikel 6: "Wir fühlten uns wie die Größten" (1.11.2019)
Im ersten Cum-Ex-Prozess Deutschlands erzählt der Hauptzeuge an Tag drei von Gier und Größenwahn - und von Lobbyismus in seiner schmutzigsten Form.
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Benjamin Frey* hat viel gebeichtet in dieser 44. Kalenderwoche 2019. Er gab seine Teilnahme am wohl größten Steuerbetrug der deutschen Wirtschaftsgeschichte zu. Er beschrieb den Richtern am Landgericht Bonn, wie die blanke Gier alle Grundsätze übertrumpfte, die er als Jurist je verinnerlicht hatte. Es dauerte allerdings bis zum dritten Verhandlungstag, bis dem Kronzeugen die Schilderung seiner eigenen Schuld die eigene Fassung raubte.
'Für das, was ich dieser Person angetan habe, möchte ich mich entschuldigen', sagt Frey. Vieles, was er in den vielen Stunden seiner Aussage vorgetragen hat, wirkte einstudiert. Nun stockt ihm die Stimme. Die Person, von der Frey spricht, heißt Jana S. Sie war Sachbearbeiterin im Bundeszentralamt für Steuern, als ein Geschäft von Frey auf ihren Tisch geriet - und sie in sein Visier. Frey und seine Kollegen erklärten Jana S. zur Zielscheibe.
Die Sachbearbeiterin hatte Steuererstattungen in dreistelliger Millionenhöhe gestoppt. Sie schob damit einen Keil in die Maschine, mit der Frey für sich und seine Geschäftspartner Unsummen verdiente. Die Maschine hieß Cum-Ex. Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividendenanspruch wurden dabei so gehandelt, dass die Beteiligten sich das Mehrfache dessen von den Finanzämtern 'erstatten' ließen, das sie abführten. Eine ganze Dekade lang kamen schwerreiche Investoren, ihre Steuerberater, Rechtsgutachter und Banken damit durch. Dann stellte sich Jana S. quer.
'Wir haben ihr gedroht', sagt Frey. Es sind Worte, deren Tragweite die Richter nach drei Tagen seiner Aussage gut einschätzen können. Frey war 2011 Partner einer der einflussreichsten Kanzleien Deutschlands. Ihre Kundenliste umfasste viele der vermögendsten Deutschen, sie hielt Verbindungen zu den größten Banken. Frey baute gegen die Sachbearbeiterin Jana S. den größten Druck auf, den er konnte. 'Wir sagten, wir würden sie persönlich auf Schadensersatz verklagen', sagt Frey. Es ging um Summen, die ihre finanzielle Existenz komplett zerstören würden.
Dann geschah etwas, womit weder Frey noch seine Partner rechneten. Die Beamtin ließ sich nicht einschüchtern. Mochten die Juristen, die pro Stunde mehr verdienten als Jana S. in der Woche, noch so viele Drohungen ausstoßen und Fristen setzen. Die Sachbearbeiterin weigerte sich, Steuern zu 'erstatten', die gar nicht abgeführt worden waren. Eine Selbstverständlichkeit eigentlich, doch damals ein Novum. Der Streit, in dem Jana S. standhaft blieb, wurde Auslöser eines Ermittlungsverfahrens, eine Keimzelle für die Aufklärung eines riesigen Skandals.
Zwölf Milliarden Euro soll der Schaden betragen, der durch Cum-Ex-Geschäfte entstand. Geld, mit dem Brücken hätten saniert und Kindergärten gebaut werden können, floss stattdessen an Banken, hochvermögende Investoren und ihre Berater. Männer wie Frey. Er selbst ist in mehreren Strafverfahren Beschuldigter. Gleichzeitig ist Frey einer der ersten, der bei der Aufarbeitung der Cum-Ex-Affäre auspackten. Ein Insider, der sich der Staatsanwaltschaft öffnete und das System entschlüsselte, mit dem er und andere reich wurden. Der Prozess in Bonn hätte ohne Frey vielleicht gar nicht stattgefunden - sicher nicht in der Form, Geschwindigkeit und Wucht, die er nun hat.
Ein Prozess als Schablone
Seit drei Tagen spricht Frey in Bonn als Kronzeuge. Zwei britische Aktienhändler sind wegen ihrer Beteiligung an Cum-Ex-Geschäften angeklagt, die Staatsanwaltschaft legt ihnen die Verantwortung für einen Schaden von rund 400 Millionen Euro zur Last. Das Besondere an diesem Prozess ist nicht nur der Auftritt Freys. Die zwei Beschuldigten sind geständig und machten ihrerseits umfangreiche Angaben zu Details und Beteiligten am Cum-Ex-Skandal. Der Nordrhein-Westfälische Justizminister Peter Biesenbach nannte den Bonner Prozess schon 'eine Schablone' für alle weiteren Cum-Ex-Verfahren.
Davon gibt es viele. Quer durch die Republik ermitteln Staatsanwaltschaften in mehr als 70 Komplexen gegen rund 500 Beschuldigte. Dem [Medium] liegt die Aufstellung eines Whistleblowers vor, der sich zwischen 2014 und 2015 intensiv mit der Steuerfahndung Wuppertal austauschte. Seine Liste enthält die Namen von 130 Banken, die an Cum-Ex-Geschäften beteiligt gewesen sein sollen. Es gibt kaum ein Geldhaus, das darauf fehlt.
Details dieser Art ließen in der Vergangenheit die Dimension erahnen, die der Cum-Ex-Skandal umfasst. Im Bonner Gerichtssaal fließen nun eine Unmenge von Informationen zusammen, die das bisherige Dunkel ausleuchten. Die Zahl von zwölf Milliarden Euro ist nur eine Schätzung des entstandenen Schadens für die Allgemeinheit. Folgt man den Ausführungen von Frey, war der wahre Abfluss von Steuergeldern deutlich größer.
Frey erzählt vor Gericht eine Geschichte von Gier und Größenwahn, von Lüge und Erpressung, von Lobbyismus in seiner schmutzigsten Form. Frey arbeitete früh in seiner Karriere als Anwalt in einer US-amerikanischen Sozietät, später machte er sich zusammen mit Partnern selbstständig. Ihre Kanzlei wurde in Cum-Ex-Kreisen zu einer Art Zentrale. Sein Schreibtisch stand im 32. Stock des Frankfurter Bürohochhauses Skyper. Frey: 'Wir fühlten uns wie die Größten.'
Ab 2006 gehörten Frey und seine Partner zu den nach gefragtesten Namen in der Cum-Ex-Beratung - und akquirierten selbst häufig neue Investoren. Viele zufriedene Kunden brachten neue in die Kanzlei, das Geschäft brummte.
Dann störte das Justizministerium. Der Gesetzgeber erkannte, dass Kapitalertragsteuern doppelt erstattet wurden. In der Hoffnung, das abzustellen, reagierten Politik und Verwaltung mit einer Mischung aus Unverstand und Tollpatschigkeit. Sie führten Regelungen ein, die deutschen Banken vorschrieben, bei Aktienhandel der Marke Cum-Ex für eine korrekte Versteuerung zu sorgen.
'Das war ein Brandbeschleuniger', sagt Frey. Natürlich sei den Juristen klar gewesen, dass der Gesetzesgeber die doppelten Steuererstattungen ganz abstellen wollte. Aber weil in den entsprechenden Paragrafen nur inländische Banken genannt wurden, wickelten die Cum-Ex-Akteure ihre Geschäfte fortan eben über ausländische Banken ab. Frey erinnert sich an das Credo seines ehemaligen Partners Hanno Berger: Was nicht ausdrücklich im Gesetz steht, gilt nicht.
Störgefühle nicht erlaubt
Der Versuch, den Schaden für den Steuerzahler abzustellen, wurde für Männer wie Frey zum Ansporn. 'Diese Gesetzesänderung feuerte die Cum-Ex-Geschäfte erst richtig an', erzählt der Kronzeuge. Unter Aktienhändlern, Juristen und Steuerberatern, die daran beteiligt waren, entstand eine Art Korpsgeist. 'Störgefühle' ist ein Wort, das Frey nun mehrfach gebraucht. Wer Zweifel an der Maschine Cum-Ex äußerte, wurde von Berger scharf angegangen. Frey erinnert sich an die Worte des Star-Juristen: 'Wer ein Problem damit hat, das wegen unserer Arbeit weniger Kindergärten gebaut werden: Da ist die Tür!'
Berger duldete keinen Widerspruch. Anweisungen aus dem Bundesfinanzministerium habe er vom Tisch gewischt, sagt Frey. Wenn jemand kritische Themen ansprach, habe Berger mit rhetorischer Wucht erklärt, warum dieses oder jenes Verwaltungsschreiben nicht greife. Gab es immer noch Widerstand, wies Berger wieder auf die Tür. Kaum jemand ging.
Auch die Kunden blieben. Solange Berger Steuer-Geschäfte orchestrierte, die allen Beteiligten mehr Gewinn lieferten als praktisch jedes andere Geschäft, hatte er Zugang zu den allerersten Adressen in Wirtschaft und Finanz. Besonders gut liefen laut Frey die Cum-Ex-Geschäfte mit der Hamburger Traditionsbank M.M. Warburg. Die Führung der Privatbank bestreitet ein Fehlverhalten. Frey sagt, es sei in Hamburg genau bekannt gewesen, wie die Cum-Ex-Deals funktionierten - und woher der Gewinn dabei stammte. Gegen gut ein Dutzend Mitarbeiter, darunter Aufsichtsratschef und Gesellschafter Christian Olearius, laufen Ermittlungen.
Belegt ist, dass Warburg Cum-Ex-Geschäfte auf eigene Rechnung betrieb und über ihre Tochter Warburg Invest auch Fonds auflegte, die Kunden die Möglichkeit bot, hohe Summen in solche Geschäfte zu investieren. Einer von ihnen war Klaus-Peter Schulenberg, der Gründer des Event-Veranstalters CTS Eventim. Über eine Liechtensteiner Stiftung steckte Schulenberg zweistellige Millionenbeträge in solche Fonds.
Heute läuft auch gegen Schulenberg ein Ermittlungsverfahren. 'Seine Berater wussten genau, wie die Struktur funktionierte', sagt Frey. Schulenberg bestreitet das. 'Ich kann beweisen, dass wir es nicht wussten', sagt er dem [Medium]. 'Wir haben explizite Fragen gestellt und die wurden uns explizit beantwortet: Es waren keine Cum-Ex-Geschäfte. Den Begriff Cum-Ex habe ich erst Jahre später zum ersten Mal gehört.' Zu Berger sagt Schulenberg: 'Er hat uns mit einer unglaublichen Frechheit belogen.'
Lüge ist ein wiederkehrendes Motiv in dieser Affäre. Viele Investoren behaupten bis heute, sie hätten nie gewusst, woher die sagenhaften Gewinne bei der Cum-Ex-Methode stammten. Die einen beteuern, sie hätten auch nie gefragt, die anderen sagen, man habe sie auf Nachfrage falsch informiert. Frey berichtet freilich auch von einem Fall, wo ein Kunde seiner Kanzlei genau nachrechnete, und sich gerade deshalb beschwerte. Dann drohte er mit Gewalt.
'Wo bist du? Wir werden erpresst!'
'Das war im Frühsommer 2009, meine Frau und ich waren gerade auf dem Weg in den Urlaub', berichtet Frey. 'Ich hatte mein Handy ausgeschaltet. Als ich es morgens wieder anschaltete, waren da 13 verpasste Anrufe von Berger.' Als er seinen Anrufbeantworter anwählte, sagt Frey, habe er dies gehört: 'Wo bist du? Ruf mich zurück! Wir werden erpresst!'
Bergers Kunde, ein Unternehmen, der seine Firma verkauft hatte und viel Geld zum Anlegen besaß, fühlte sich betrogen. Zwar verdiente er bei Cum-Ex in wenigen Monaten zweistellige Renditen. Aber andere, so merkte er, verdienten mit seinem Geld noch viel besser. 'Der Mann wollte zehn Millionen Euro Nachschlag', erinnert sich Frey. 'Andernfalls würde er eine bekannte Rockergang einschalten.'
Wurden die Hells Angels zum Cum-Ex-Treiber? Hanno Berger kann sich nicht mehr erinnern. 'Ich dementiere das nicht, ich weiß aber nicht mehr, welche Rockerbande es war', sagt Berger dem [Medium]. 'Ich habe jedenfalls bei keiner Erpressung etwas gezahlt.'
Das bestätigt auch Frey. Gemeinsam hätten Berger und er einen ebenfalls an dem fraglichen Cum-Ex-Geschäft beteiligten Investmentbanker in London angesprochen. Der habe schließlich am meisten Geld aus der Sache gezogen - und es sei doch keinem geholfen, wenn man ständig nach einer Rockerbande Ausschau halten müsse. Nach Freys Erinnerung flossen schließlich 2,5 Millionen Euro an den erbosten Kunden. Die Episode sei ein Beispiel dafür gewesen, wie die Akteure bei den Steuerdeals versuchten, sich gegenseitig zu übervorteilen. Das sei auch ein Cum-Ex-Prinzip gewesen, sagt Frey: 'Jeder bescheißt jeden.'
Frey und Berger arbeiteten lange Seite an Seite. Berger als Steuerpapst, Frey als Aufsichtsrechtler. 'Er war wie ein Vater für mich', sagt der Kronzeuge. Zum Bruch sei es gekommen, als sich Berger am Tag der ersten Cum-Ex-Durchsuchung Ende 2012 in die Schweiz absetzte. Frey: 'Ich fühlte mich allein gelassen.'
2012 ist ein Jahr, zu dem Roland Zickler eine Nachfrage hat. Der Vorsitzende Richter des 12. Großen Strafsenats in Bonn möchte von Frey wissen, wie es zu den vielen juristischen Fachaufsätzen kam, die nach 2012 geschrieben wurden und in der Regel Cum-Ex-Geschäfte als legal einstuften.
Frey bestätigt: 'Als die Cum-Ex-Fonds liefen, gab es solche Aufsätze nicht. Aber dann gab es haarige Betriebsprüfungen und unsere Kanzlei gab solche Aufträge an geeignete Experten.' Frey nennt Namen wie Marc Desens und Joachim Englisch, beide bekannte Jura-Professoren. Auch einige renommierte Anwälte hätten sich gefunden, um gegen gutes Honorar Aufsätze zu publizieren, die positiv für die Cum-Ex-Geschäfte seiner Kanzlei ausfielen. Dass sie dafür von Cum-Ex-Profiteuren bezahlt wurden, stand nicht unter den Aufsätzen. Frey: 'Das war letztlich alles Mietschreiberei.'
Wichtig sei auch die Lobbyarbeit gewesen. Frey beschreibt Berger als Netzwerker, der Kontakte in die Finanzverwaltung, die Justiz und in Ministerien pflegte. Bergers Selbstverständnis war laut Frey, alle Gesetzesänderungen schon zu kennen, bevor sie stattfanden. Auch vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband sei er mit Informationen versorgt worden. Einmal sei es ihm sogar gelungen, mithilfe des Deutschen Aktieninstituts ein BMF-Schreiben in seinem Sinne zu ändern.
Bruch mit dem Steuer-Guru
Bergers Kampf auf allen Fronten habe ihn letztlich trotzdem nicht überzeugen können, sagt Frey. Auf ihre örtliche Trennung folgte die inhaltliche. Zwar habe er sich zunächst noch in die Berger-Phalanx eingereiht. Berger habe die Strafverteidiger für viele Cum-Ex-Beschuldigte orchestriert und Gegenschläge entwickelt. Eine Ermittlungsbeamtin sollte mit Anzeigen überzogen werden. Frey erinnert sich an die Worte eines Anwalts von Berger: 'Wenn wir so weitermachen, werden wir siegen. Die Staatsanwältin steht erst am Anfang ihrer kriminellen Karriere.'
Doch für Frey hatte Berger seine Strahlkraft verloren. In der Kanzlei war Bergers Wort Gesetz gewesen. Nun stand Frey echten Gesetzeshütern gegenüber. Er entschied sich, reinen Tisch zu machen. Stellte sich gegen Berger, schlüpfte in die Rolle des Kronzeugen und hoffte, seine Auskunftsfreudigkeit möge ihm helfen, falls er doch selbst auf die Anklagebank gerate. Das ist nicht unwahrscheinlich.
Berger ist seinerseits heute auf Frey nicht mehr gut zu sprechen. 'Was dieser Herr da abzieht, ist ungeheuerlich', sagt Berger dem [Medium]. 'Vieles, was er sagt, ist falsch. Wir werden das belegen und unsere Konsequenzen ziehen. Es ist noch nicht aller Tage Abend.'
Damit wiederum hat Berger Recht. Drei Tage hatte das Gericht für die Aussage von Frey vorgesehen. Als am Donnerstag langsam die Sonne unterging, war das Gericht mit seiner Befragung des Kronzeugen kaum fertig geworden. Am kommenden Dienstag ist Frey deshalb ein viertes Mal geladen.
Dann dürfen ihn auch die Anwälte der fünf Finanzinstitute befragen, die das Gericht dem Bonner Verfahren hinzugezogen hat: die Hamburger Privatbank M. M. Warburg, deren Tochter Warburg Invest, das US-Institut BNY Mellon, die französische Société Generale sowie die Fondsgesellschaft Hansa Invest. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen die Zusammenarbeit mit den beiden Angeklagten bei Cum-Ex-Geschäften vor - und den daraus entstandenen Gewinn.
Im Raum steht eine mögliche Vermögensabschöpfung von rund 389 Millionen Euro. Die fünf davon bedrohten Banken verwehren sich gegen dieses Ansinnen des Gerichts. Vor allem die Vertreter der Warburg-Gruppe haben angekündigt, den Zeugen Frey nun ins Verhör zu nehmen.
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Artikel 7: Abschied in letzter Sekunde (25.11.2019)
Die Privatbank M.M. Warburg ist tief in den Cum-Ex-Skandal verstrickt. Auf Druck der Bafin treten zwei Aufsichtsräte ab.
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Es klingt wie ein Rückzug in den Ruhestand: "Christian Olearius und Max Warburg haben entschieden, den 2014 eingeleiteten Generationswechsel in der Bank abzuschließen. Dazu werden sie ihre Mandate zum Ende des Jahres 2019 niederlegen", teilte die Hamburger Privatbank M.M. Warburg am Freitagabend mit.
Olearius war lange Jahre Chef der Bank, zuletzt führte er den Aufsichtsrat. Dem Gremium gehörte auch Max Warburg an, beide sind Hauptgesellschafter der Bank. Künftig, so teilte die Bank mit, "werden sie sich verstärkt ihrem gesellschaftlichen und sozialen Engagement widmen".
Das idyllische Bild verdeckt für Brancheninsider nur notdürftig die wahren Hintergründe der Abgänge. Nach Informationen von [Medium] hatten Olearius und Warburg gar keine andere Wahl mehr, als das Schiff zu verlassen, das sie beide so lange steuerten. "Der Druck der Bafin war zuletzt so groß, dass sie die Flucht nach vorn antreten mussten", sagt ein enger Beobachter der Bank.
Insbesondere Christian Olearius sah sich vor der dramatischen Alternative: Entweder er trat zurück oder die Bankenaufsicht Bafin würde ihm wohl die Eignung absprechen, sein Amt auszuüben. In der gerade in Hamburg besonders feinen Bankenwelt wäre das ein unvorstellbarer Gesichtsverlust.
Ausgerechnet in Hamburg geschahen allerdings in den vergangenen Jahren ausgesprochen viele Dinge, die sich kaum jemand vorzustellen wagte. Olearius und Warburg werden verdächtigt, an einem massiven Betrug zulasten der Steuerzahler beteiligt gewesen zu sein.
Bei sogenannten Cum-Ex-Geschäften mischte die Hamburger Privatbank demnach im großen Stil mit. Der Begriff steht für den Handel von Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividendenanspruch. Die Beteiligten ließen sich dabei mehrfach eine Kapitalertragsteuer auszahlen, die sie nur einmal abgeführt hatten. Der Cum-Ex-Skandal beschäftigt Steuerfahnder und Staatsanwälte seit Jahren. In Köln hat der Justizminister für diese Fälle gerade eine Sondereinheit eingerichtet und neue Stellen geschaffen.
Sowohl Christian Olearius als auch Max Warburg werden in Köln als Beschuldigte geführt. Warum das so ist, ließ sich in den vergangenen Wochen am Landgericht Bonn beobachten. Dort läuft das erste Strafverfahren in Sachen Cum-Ex. Angeklagt sind zwei britische Aktienhändler.
Die Warburg-Gruppe und die Tochter Warburg Invest sitzen quasi mit auf der Anklagebank, das Gericht hat sie und drei weitere Geldhäuser zu Einziehungsbeteiligten gemacht. Damit drohen ihnen Forderungen in dreistelliger Millionenhöhe.
Der Prozess ist gerade für die Warburg Bank bisher ein einziges Desaster. Die Angeklagten sind weitgehend geständig. Sie arbeiteten zunächst bei der Hypo-Vereinsbank und machten sich dann mit der Ballance-Gruppe selbstständig. Nach ihrer Aussage gehörte die Warburg Bank zu ihren besten Kunden. Auch ein als Kronzeuge fungierender Steueranwalt gewährte tiefe Einblicke in die Abläufe des Cum-Ex-Handels. Allein seine Aussage dauerte vier Tage und wiederholte wieder und wieder die Worte "Warburg".
Der Prozess in Bonn warf lange Schatten voraus. Sowohl die Aussagen der Angeklagten als auch mehrerer Zeugen lagen der Staatsanwaltschaft seit vielen Monaten, teils Jahren vor. Die Behörden tauschten sich untereinander aus, bei der Bankenaufsicht in Bonn keimte die Überzeugung, ein Exempel statuieren zu müssen. Sie plante, Christian Olearius und Max Warburg die Eignung abzusprechen, ihre Ämter zu führen.
"Fit und Proper Check" bei Warburg
Fit and Proper", also geeignet und integer, müssen Personen sein, die im Topmanagement von Kreditinstituten arbeiten wollen. Noch im August teilte Warburg dem [Medium] auf Nachfrage mit, dass die Bank keine Kenntnis davon habe, dass Christian Olearius und Max Warburg einem solchen "Fit and Proper Check" unterzogen wurden. Die Bafin äußert sich nicht zu solchen Prüfungen, doch in den vergangenen Wochen verdichteten sich die Anzeichen: Die Bonner Aufsichtsbehörde hielt die beiden Manager offenbar für nicht länger tragbar.
Am Freitag, so bestätigen es Bankinsider, kam es in Bonn zu einem letzten Gespräch. Christian Olearius und Max Warburg waren selbst nicht anwesend, doch "geeignete und autorisierte Personen" überbrachten der Bafin die Botschaft, die sie hören wollte: Die beiden Ikonen der hanseatischen Bank werden ihre Mandate abgeben.
Die Aufmerksamkeit, die der "Fit and Proper Check" in Hamburg fand, ist selten. Die Abberufung von Vorständen und Aufsichtsräten ist das schärfste Schwert, das die Bafin gegen Einzelpersonen richten kann. Es kommt aber kaum zum Einsatz. Zwischen 2013 und 2018 entfernte die Finanzaufsichtsbehörde neun Vorstände und fünf Aufsichtsräte aus ihren Ämtern, zeigen die Angaben in den Bafin-Jahresberichten. Meist kommt es dabei zu keinem formalen Akt. Die Betroffenen räumen ihren Posten in aller Stille, sobald ihnen die Behörde klarmacht, was sonst passiert.
Diesen Luxus konnten sich Christian Olearius und Max Warburg nicht mehr leisten. Ihr Abgang ist begleitet von lautem Krachen, und auch künftig wird es nicht stiller. Der Prozess in Bonn läuft dank der geständigen Angeklagten und auskunftsfreudigen Zeugen in hohem Tempo und mit maximaler medialer Begleitung ab. Verurteilungen scheinen sicher - und zugleich Auftakt für einen ganzen Reigen weiterer Anklagen. Olearius und Warburg stehen auf der Liste weit oben.
Strafrechtler sehen die Verteidigungslinie für Cum-Ex-Beteiligte kaum noch zu halten. Die Warburg Bank betonte in der Vergangenheit zwar stets, nur im Rahmen des gesetzlich Erlaubten gehandelt zu haben. "Die Vorwürfe sind unbegründet. Bei allen unseren Geschäften haben wir alle Vorschriften eingehalten", erklärte ein Sprecher immer wieder. Doch im Prozess in Bonn werden alle Argumente der Cum-Ex-Händler von der Justiz geschreddert - und die Staatsanwaltschaft sieht sich dabei von den Cum-Ex-Angeklagten und ihren Geschäftspartnern selbst bestätigt.
Vor allem Olearius wurde in dem Bonner Prozess bereits schwer belastet. Ein als Zeuge geladener Anwalt berichtete ausführlich, wie er und ein Kollege 2007 nach Hamburg fuhren, um Olearius persönlich die Idee von den Geschäften auf Kosten der Steuerzahler vorzustellen. Die Warburg Bank, zuvor schon bei Cum-Ex aktiv, weitete ihre Beteiligung aus. Als Gruppe mischte sie im Eigenhandel mit und legte später Cum-Ex-Fonds für vermögende Privatanleger auf.
Zu den strafrechtlichen Problemen der verantwortlichen Manager gesellen sich die finanziellen Belastungen. Für die Jahre 2010 und 2011 forderte das Finanzamt schon hohe Summen zurück, für weitere Jahre drohen Einziehungen und Bußgelder. Die Bafin beauftragte für den Fall Warburg eigens einen Sonderprüfer - offenbar geht es auch um die Solvenz der Bank. In dem Bericht beziffern die Prüfer von Deloitte das finanzielle Risiko für Warburg auf mehr als 300 Millionen Euro.
Laut Geschäftsbericht 2018 betrug ihre Eigenkapitalausstattung 275 Millionen Euro. Auf Fragen von [Medium] im August nach dem Verhältnis zwischen finanziellen Möglichkeiten und finanziellen Risiken verwies die Bank auf frühere Stellungnahmen: "Es bleibt dabei: Wir haben uns nichts vorzuwerfen. Etwaige wirtschaftliche Risiken sind im Jahresabschluss 2018 vollständig berücksichtigt."
Die Bank mag nun hoffen, dass der Abgang von Christian Olearius und Max Warburg etwas Druck vom Hamburger Traditionshaus nimmt. An ihre Stellen treten Männer, von denen keine persönliche Verwicklung in Cum-Ex-Geschäfte bekannt ist.
Dr. Bernd Thiemann, seit 1998 Mitglied des Aufsichtsrats von M.M. Warburg & CO., soll neuer Vorsitzender des Aufsichtsrats werden. Als neue Mitglieder in dem Kontrollgremium sind Burkhard Schwenker und Claus Nolting vorgesehen. Schwenker war lange Jahre Geschäftsführer sowie Aufsichtsratsvorsitzender der Unternehmensberatung Roland Berger. Nolting ist Rechtsanwalt und war Mitglied im Vorstand und Aufsichtsrat mehrerer Banken. Die Bestellung der neuen Mitglieder des Aufsichtsrats steht unter dem Vorbehalt der Zustimmung durch die Bafin.
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Artikel 8: Berater geraten in den Cum-Ex-Strudel (4.2.2020)
Dubiose Aktiengeschäfte führten die Maple Bank geradewegs in die Pleite. Der Insolvenzverwalter Michael Frege fordert nun Millionen von den ehemaligen Managern zurück - und von der Beratungsgesellschaft Ernst & Young.
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Ihr Rat war teuer, aber nicht gut. Jahrelang attestierten die Experten der Beratungsgesellschaft Ernst & Young (EY) ihrem Kunden, dass alles in Ordnung sei. Die Maple Bank in Frankfurt ließ sich auf Aktienhandel der fragwürdigsten Sorte ein: Cum-Ex. "Denklogisch unmöglich", nannte das Finanzgericht Köln später die Grundannahme, auf der diese Geschäfte beruhten: Das Finanzamt sollte eine Steuer, die einmal abgeführt wurde, zweimal erstatten. Jahrelang ging dies trotzdem gut, nicht zuletzt dank hochbezahlter Prüfberichte der vermeintlich renommierten Adresse EY. Dann flog der Schwindel auf.
Fast 300 Staatsanwälte, Steuerfahnder und BKA-Ermittler durchsuchten im Herbst 2015 die Frankfurter Dependance der Maple Bank. Der Verdacht der Beamten lautete auf Steuerhinterziehung im großen Stil - die Behörden bezifferten den Schaden auf 450 Millionen Euro. Im Februar 2016 verhängte die Finanzaufsicht ein Moratorium über die Bank. Das Geldinstitut war damit für den Kundenbetrieb geschlossen, wenig später übernahm der Insolvenzverwalter Michael Frege das Sagen.
Frege ist vor allem einer Gruppe verpflichtet: den Gläubigern der Maple Bank. Gewaltige 2,7 Milliarden Euro an Forderungen standen offen, als sie unterging. Im August 2019 meldete Frege, er habe fast zwei Milliarden Euro eingesammelt. Das meiste stammte von den Schuldnern der Maple Bank. Doch Frege war noch nicht fertig.
Der Insolvenzverwalter verklagte die vermeintlich renommierte Kanzlei Freshfields. Ohne deren Gutachten, so Frege, hätte die Maple Bank die Cum-Ex-Geschäfte niemals durchführen können. Und diese Gutachten wurden gerade von der Staatsanwaltschaft zerpflückt. Frege forderte von Freshfields 95 Millionen Euro Schadensersatz.
Die Kanzlei wollte nicht zahlen. "Für Ansprüche gegen uns sehen wir keine Grundlage", sagte ein Freshfields-Sprecher. Die Spitzenanwälte wollten sich "vollumfänglich verteidigen".
Freshfields zahlte 50 Millionen
Es kam anders. Insolvenzverwalter Frege und Freshfields einigten sich auf einen Vergleich. "Wir sind weiterhin der festen Überzeugung, dass unsere Beratung der geltenden Rechtslage entsprach", sagte ein Kanzleisprecher. Der Vergleich bedeute keine Anerkennung von Schuld. Freshfields zahlte trotzdem 50 Millionen Euro.
Nun klagt Frege gegen EY. Der Insolvenzverwalter sieht die Beratungsfirma als mitverantwortlich für den Schaden, der durch die Maple-Pleite entstand. Eine Sprecherin des Landgerichts Stuttgart bestätigte dem [Medium]: "Der Insolvenzverwalter hat die Beklagte auf Schadensersatz in Höhe von rund 95 Millionen Euro in Anspruch genommen." Stuttgart ist der Sitz der Deutschlandzentrale von EY.
Frege spricht nicht über seine Klage. Nach Informationen von [Medium] wird er vermutlich verschiedene Leistungen von EY für Maple ins Feld führen. Diese werden auch von Staatsanwälten moniert, die in Sachen Cum-Ex ermitteln. EY-Berater sollen die Finanzverwaltung gezielt irreführend über den Sinn und Zweck der Cum-Ex-Geschäfte informiert haben, die bei der Maple Bank liefen. Außerdem habe EY offenbar falsche Bescheinigungen über das Verhältnis und den Kenntnisstand verschiedener Beteiligter bei dem Aktienhandel rund um den Dividendenstichtag ausgestellt. EY fertigte anscheinend auch positive Prüfbescheide für die Jahresabschlüsse der Maple Bank. Parallel soll EY bei der Erstellung und Abgabe falscher Steuererklärungen geholfen haben.
Für eine Beratungsgesellschaft wie EY sind dies ungeheuerliche Vorwürfe - im Kern das Gegenteil des Auftrags, dem sie sich verpflichtet fühlt. "Bei EY setzen wir alles daran, dass die Welt besser funktioniert." So beginnt die Selbstdarstellung von EY unter der Überschrift "Unser Unternehmenszweck". Das Kapitel lässt für Steuerhinterziehung keinen Platz. "Mit unserem umfassenden Wissen und der Qualität unserer Dienstleistungen stärken wir weltweit das Vertrauen in die Kapitalmärkte und Volkswirtschaften."
Für Frege sind dies Worte mit einem vertrauten Klang. Die Kanzlei Freshfields, die ihm 50 Millionen Euro zahlte, schlug in ihrer Selbstbeschreibung ganz ähnliche Töne an. Freshfields, so behauptet die Kanzlei, sei inspiriert von der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948. Alles Tun ihrer Anwälte sei einem Ziel verpflichtet: Es möge einen langfristigen positiven Effekt auf die Gesellschaft haben.
Steueranwalt in Untersuchungshaft
Die Cum-Ex-Geschäfte, bei denen Freshfields der Maple Bank half, hatten einen anderen Effekt. Die Staatsanwaltschaft schätzt den Schaden für die Gemeinschaft auf 400 Millionen Euro. Zwei ehemalige und ein aktiver Anwalt von Freshfields stehen auf der Beschuldigtenliste der Staatsanwaltschaften Frankfurt und Köln. Ulf Johannemann, bis vor Kurzem weltweiter Steuerchef der Kanzlei, kam für sechs Wochen in Untersuchungshaft. Kurz vor Weihnachten durfte er wieder aus seiner Zelle - nach Zahlung einer Kaution von vier Millionen Euro und Abgabe seines Reisepasses.
Welche Spuren wird der Skandal bei EY hinterlassen? Ein Sprecher der Gesellschaft wollte sich zur Rolle seines Arbeitgebers bei Cum-Ex-Geschäften im Detail nicht äußern: Zur Schadenersatzklage des Insolvenzverwalters Frege in Höhe von 95 Millionen Euro sagte er: "Die Vorwürfe des Insolvenzverwalters weisen wir zurück. Wir bitten Sie um Verständnis, dass wir uns in einem laufenden Verfahren nicht weiter äußern."
Frege hat derweil eine weitere Klage auf den Weg gebracht. Vor dem Landgericht Frankfurt fordert er auch Schadensersatz von drei früheren Führungskräften der Maple Bank, darunter Wolfgang Schuck, ihr ehemaliger Vorstandsvorsitzender. "Die Klage ging vor dem Jahreswechsel ein. Der Streitwert beläuft sich auf einen hohen zweistelligen Millionenbetrag", bestätigte eine Sprecherin des Gerichts dem [Medium] auf Nachfrage. Frege habe die drei Personen gesamtschuldnerisch verklagt. Das heißt: Jeder einzelne von ihnen könnte für den Gesamtbetrag in Anspruch genommen werden.
Bislang wehren sich die Manager gegen die Forderungen. Der Anwalt von Schuck ließ Anfragen von [Medium] zu dem Fall unbeantwortet.
Ex-Vorstände sollen Millionen zahlen
Frege wollte sich dem [Medium] gegenüber auch zu seiner Klage gegen die ehemaligen Vorstände der Maple Bank nicht äußern. Auf der jüngsten Gläubigerversammlung berichtete der Insolvenzverwalter, die drei hätten persönlich sehr von den Cum-Ex-Geschäften profitiert und Millionenboni erhalten. Sie seien aber nicht bereit, diese zurückzuzahlen. Mit einigen Ex-Maple-Geschäftsführern habe sich Frege dagegen außergerichtlich verständigen können.
Eine solche Einigung gelang Frege auch mit den Hauptgesellschaftern der Maple Bank, der National Bank of Canada, dem Ontario Teachers Pension Plan und der Familie Chan. Sie halten jeweils rund 30 Prozent der Anteile und sollen insgesamt rund 20 Millionen Euro in der Kasse des Insolvenzverwalters eingezahlt haben.
All das sind Nachrichten, über die sich die Gläubiger der Maple Bank freuen können. Insolvenzverfahren sind üblicherweise ein Trauerspiel für diejenigen, die offene Rechnungen beim Insolvenzfall haben. Im Durchschnitt liegt das, was am Ende für die Gläubiger übrig bleibt, die sogenannte "Quote", zwischen zwei und fünf Prozent der ursprünglichen Forderung. Bei der Maple Bank wird die Quote deutlich über 60 Prozent betragen, das zeichnet sich schon jetzt ab. Von den dann mehr als zwei Milliarden Euro, die der Insolvenzverwalter eingesammelt hat, wird auch er einen stattlichen Anteil erhalten. Wie stattlich genau, ist eine Frage, zu der Frege bei all seinen Mandaten schweigt
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Artikel 9: Diener zweier Herren (17.2.2020)
2013 war der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki noch über den Cum-Ex-Handel erschüttert. Nun verteidigt der Bundestagsvizepräsident einen Hauptangeklagten in dem Steuerskandal.
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Es gab eine Zeit, da funktionierte der juristische Kompass von Wolfgang Kubicki einwandfrei. Erschüttert zeigte sich der FDP-Politiker im Juni 2013 über die HSH Nordbank. Sie hatte sich auf den berüchtigten Cum-Ex-Handel eingelassen, bei dem sich Beteiligte ihre Gewinne aus der Steuerkasse nahmen. "Die Geschäfte erfüllen ohne jeden Zweifel den objektiven und subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung", so Kubicki. "Das muss jedem klar sein!"
Heute verteidigt Kubicki einen Mann, der noch viel tiefer im Cum-Ex-Sumpf steckt als damals die HSH Nordbank. Vor dem Landgericht Wiesbaden wird in einigen Wochen ein Strafprozess gegen Hanno Berger beginnen. Kaum jemand tat mehr, um die Geschäfte auf Kosten der Steuerzahler salonfähig zu machen. Als Steueranwalt beriet Berger Kunden in der Sache, und er trieb sein Team an, immer mehr Investoren dafür zu finden. Berger wurde selbst reich mit Cum-Ex-Geschäften. Und Kubicki ist sein Anwalt.
Wie sehr sich dessen Ansichten doch geändert haben! Damals, im Juni 2013, war die HSH Nordbank noch nicht privatisiert und gehörte zu 20 Prozent dem Bundesland Schleswig-Holstein. Kubicki, seinerzeit FDP-Landesvorsitzender, polterte gegen Finanzministerin Monika Heinold von den Grünen. Sie sagte, die HSH Nordbank müsse sicherstellen, dass so etwas wie Cum-Ex-Handel nicht passiere. Kubicki fand das viel zu weich. Die Finanzministerin nehme die Bank mit verharmlosenden Worten in Schutz, kritisierte der FDP-Politiker. "Eine Bank, die mit solchen Deals auf Kosten der Steuerzahler Profite macht und sich um die korrekte Zahlung von Steuern drückt." Deshalb sei Heinolds Zurückhaltung "unerhört und durch nichts zu rechtfertigen", so Kubicki damals.
Und nun vertritt Kubicki eine Person, die von der Staatsanwaltschaft für einen Schaden von 120 Millionen Euro durch Cum-Ex-Geschäfte mitverantwortlich gemacht wird. Die Frage darf erlaubt sein: Hat Kubicki eine gespaltene Persönlichkeit? Der FDP-Politiker, als Bundestagsvizepräsident der Stellvertreter von Wolfgang Schäuble, wollte auf Anfrage keine Auskunft zum Fall Berger geben. Dies verbiete ihm das Gesetz. Wie sich sein politisches Mandat mit der Verteidigung von Berger vereinbaren lasse, wollte das [Medium] wissen. Kubickis Antwort: "Ihre Sorge um meine generelle zeitliche Inanspruchnahme teilen Sie mit meiner Frau."
Der aktuelle Fall ist nur einer von vielen. Weitere Anklagen der Staatsanwaltschaften Köln und München gegen Berger könnten folgen, die Beamten beziffern die Schäden insgesamt auf Hunderte Millionen. Schon beim bereits laufenden Strafverfahren in Bonn wurde Bergers Name häufig genannt. Sein ehemaliger Partneranwalt schilderte ihn als rechthaberischen Anwalt, der moralische Zweifel an den Geschäften auf Kosten der Steuerzahler schon im Keim erstickte.
Trotz der Größe des Cum-Ex-Skandals hat Berger eine Alleinstellung. Banken und Investoren, die von der Staatsanwaltschaft erwischt wurden, haben schon Hunderte von Millionen Euro zurückgezahlt. Selbstanzeigen wurden gestellt, Mitarbeiter entlassen. Die Hypo-Vereinsbank, die Cum-Ex-Geschäfte für den Berger-Mandanten und Immobilieninvestor Rafael Roth abwickelte, hat drei ehemalige Vorstände auf Schadensersatz verklagt. Allein Berger zeigt keine Reue, er hält die Geschäfte für rechtmäßig.
Kontakt über die FDP geknüpft
Seit die Staatsanwaltschaft im November 2012 Bergers Kanzlei durchsuchte, zog er sich in die Schweiz zurück. Vom malerischen Bergdorf Zuoz aus wettert der heute 69-Jährige, dass Deutschland ein Unrechtsstaat geworden sei. Als Vergleich fällt ihm die Zeit des Nationalsozialismus ein: Auch unter Hitler sei das niedergeschriebene Recht durch ein angebliches Volksempfinden ersetzt worden, um Urteile zu sprechen, die dem Regime passten. So sei das heute auch mit Cum-Ex, meint Berger.
Sein Anwalt passt sich dem an. "Gesinnungsstrafrecht" nennt Kubicki das, was seinem Mandanten widerfährt. Berger heuerte den Politiker noch in der zweiten Jahreshälfte 2013 an - nur wenige Monate nachdem Kubicki Cum-Ex-Geschäfte "ohne jeden Zweifel" als Steuerhinterziehung bezeichnet hatte.
"Herrn Kubicki habe ich verpflichtet, weil ich ihn als FDP-Mitglied gut kannte", so Berger. Sein Anwalt verortet das Problem seit der Mandatsannahme völlig anders. Diejenigen, die sich Steuern zweimal "erstatten" ließen, waren für Kubicki nun nicht mehr Steuerhinterzieher, sondern Opportunisten, Menschen also, die eine Gelegenheit nutzen. Opportunismus ist nicht strafbar. Der "eigentliche Skandal" sei, dass der Fiskus sein "eigenes Versagen auslagern" wolle, so Kubicki. Dieses Versagen, sagte er in einem Interview im März 2014, sei das Zulassen einer Gesetzeslücke.
Bei einer bestimmten Art, Aktien zu handeln, gebe es eben zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht nur einen Eigentümer einer Aktie, sondern zwei. Wenn sich dann beide eine Steuererstattung ausstellen lassen, habe der Staat gewissermaßen selbst schuld. Genau dieses Argument hat das Finanzgericht Köln jüngst energisch zurückgewiesen. Ein Investor, der Gewinne aus Cum-Ex-Geschäften einklagen wollte, wurde geradezu gemaßregelt. Doppelte Erstattungen einer Steuer seien "denklogisch unmöglich".
Für Kubicki aber ist nichts unmöglich. "Juristen können im Zweifel alles begründen", schreibt er in seinem Buch "Sagen, was Sache ist". Diese Weisheit gab ihm schon ein Ausbilder mit auf den Weg. "Gründe gibt es wie Früchte am Baum", zitiert Kubicki. "Ein wunderbarer Satz!" Einer, von dem sich der FDP-Politiker seitdem leiten ließ. "Man muss sich klarmachen, dass der Gesetzgeber eigentlich immer etwas Vernünftiges möchte. Und solange man entlang dessen argumentiert, was vernünftig ist, steht man auf der richtigen Seite."
Heute steht Kubicki an der Seite von Berger - einem Mann, der wie kein Zweiter ein Geschäftsmodell orchestrierte, das das Landgericht Bonn jüngst als "kollektiven Griff in die Staatskasse" bezeichnete. Cum-Ex-Geschäfte, sagte Kubicki einmal, wären so, "als würde der einfache ehrliche Steuerzahler künftig Erstattungen für Steuern beanspruchen, die zuvor gar nicht gezahlt wurden". Und dann kam der Tag, an dem Berger ihn mandatierte
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Artikel 10: Überforderte Justiz (26.5.2020)
NRW-Justizminister Peter Biesenbach hat die Tragweite der Cum-Ex-Ermittlungen unterschätzt. Mangels Personal drohen bei mehreren Verfahren jetzt Verjährungen.
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Eine juristische Jahrhundertaufgabe wartet und das Landgericht Bonn ist bereit. "Wir wussten, was auf uns zukommt, darauf haben wir uns technisch und personell eingestellt", sagt Gerichtspräsident Stefan Weismann. Die Aufarbeitung des Cum-Ex-Skandals umfasst eine Steueraffäre mit mehr als 100 verwickelten Banken auf vier Kontinenten und letztlich wohl gut 1 000 Verantwortlichen. Speerspitze der Aufklärung ist die Staatsanwaltschaft Köln. Ihre Anklagen liefert sie ans Landgericht Bonn - doch genau an der Stelle hakt es. Das Gericht hat sich seit zwei Jahren auf eine nie da gewesene Serie von Hauptverhandlungen vorbereitet. Eine eigene Strafkammer wurde eingerichtet, ein ganzes Team von Richtern arbeitete sich in die komplizierte Materie um Aktienhandel, Leerverkäufe und grenzüberschreitende Termingeschäfte ein. "Für den Rechtsstaat ist es immens wichtig, auch solchen komplexen Verfahren gewachsen zu sein", sagt Gerichtspräsident Weismann.
Der Anfang ist gemacht. Im März sprach die 12. Große Strafkammer das erste Urteil in Sachen Cum-Ex, ihre Berichterstatter und Beisitzer könnten künftig eigenen Kammern vorstehen. "Wir sind mit unserem Personalkonzept in der Lage, in der Spitze bis zu zehn Strafkammern für Cum-Ex-Verfahren zu eröffnen und mehrere Hauptverhandlungen parallel zu führen", sagt Weismann. "Aber das scheint im Moment schwierig zu sein. Wenn die Dinge nicht beschleunigt werden, droht in einigen Fällen die absolute Verjährung." Viele der Verantwortlichen in Deutschlands größtem Steuerskandal würden dann ohne Anklage davonkommen.
Wie konnte das passieren? Seit Jahren wettert die deutsche Politik gegen die Banken, Investoren und Steueranwälte, die ihrer Ansicht nach bandenmäßig in die Steuerkasse griffen. Bei Cum-Ex-Geschäften gaukelten die Beteiligten den Finanzämtern vor, es gebe zwei Eigentümer derselben Aktie. Einer von ihnen führte die Kapitalertragsteuer ab, zwei ließen sie sich "erstatten". Der Schaden für die Steuerzahler wird auf zwölf Milliarden Euro geschätzt. "Frech, dreist und verachtenswert" nannte Bundesfinanzminister Olaf Scholz die Methoden der Finanzelite. Sein Vorgänger Wolfgang Schäuble sagte, Cum-Ex-Geschäfte seien "rechtswidrig, um das zu erkennen, muss man nicht viele Semester Jura studiert haben". Die Verantwortlichen, so der politische Konsens, müssten für ihr Handeln zur Verantwortung gezogen werden. Doch die Männer, die als Tiger der Aufklärung sprangen, wirken heute wie Bettvorleger.
Peter Biesenbach war ganz beseelt von seinem Angriffsplan. Der Justizminister von Nordrhein-Westfalen empfing am 17. September 2019 Journalisten zu einer Pressekonferenz; an seiner Seite der Chef der Kölner Staatsanwaltschaft Joachim Roth und Hauptabteilungsleiter Torsten Elschenbroich. Gemeinsam kündigten sie eine "drastische Verschärfung im Kampf gegen Steuerkriminalität" an. Die Abteilung in der Staatsanwaltschaft Köln, die sich mit Cum-Ex-Geschäften befasste, würde verdoppelt. Er werde nichts unversucht lassen, um den Skandal aufzuklären, sagte Biesenbach. Er habe "Cum-Ex zur Chefangelegenheit erklärt".
Es hatte eine Weile gedauert. Biesenbach war seit Juni 2017 Justizminister. Als er sein Amt antrat, war das Ausmaß der Cum-Ex-Affäre längst publik.
Das [Medium] berichtete im Januar 2016 von einem USB-Stick, den das NRW-Finanzministerium für fünf Millionen Euro von einem Insider gekauft hatte. Darauf enthalten: Details von Cum-Ex-Geschäften von mehr als 130 Finanzinstituten aus aller Welt, eine von ihnen gleich um die Ecke von Biesenbachs Büro: die WestLB, inzwischen in Portigon umbenannt. Fast vier Jahre lang bestritt die Bank dann eine Beteiligung an Cum-Ex-Geschäften. Ende 2019 aber bildete Portigon mehrere Hundert Millionen Euro an Rückstellungen - für "in Vorjahren möglicherweise unbegründet angerechnete Kapitalertragsteuer sowie damit im Zusammenhang stehende Zinszahlungen". Auf Nachfrage ergänzte ein Sprecher, dies betreffe "ausschließlich Cum-Ex-Geschäfte".
Gefürchtete Oberstaatsanwältin
Ein bisschen weiter weg von Biesenbachs Schreibtisch, aber immer noch in seinem Machtbereich, hatte sich 2017 die Staatsanwaltschaft Köln einen Namen gemacht. Aus einem baufälligen Gebäude in Köln-Sülz heraus betrieb ein kleines Team von Ermittlern ein Cum-Ex-Verfahren nach dem anderen. Vor allem Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker, so hörte man in betroffenen Banken und Kanzleien, war dank ihrer Akribie und ihres Arbeitseinsatzes bundesweit, ja weltweit gefürchtet. Ihr oberster Dienstherr Biesenbach lobte die Staatsanwaltschaft Köln in höchsten Tönen, hatte aber Schwierigkeiten zu erklären, warum er ihr nicht half. Die Beamten nahmen es mit den bekanntesten Geldhäusern der Welt auf. Die Deutsche Bank, die spanische Santander, die britische Barclays, die französische Société Générale, die australische Macquarie, der US-Finanzriese Blackrock. 56 Verfahrenskomplexe mit 400 Beschuldigten mussten bearbeitet werden, darunter ehemalige und sogar aktive Vorstände. Alle verteidigten sich energisch und bestritten eine Schuld. Der Kölner Personalplan für den Versuch, das Gegenteil zu beweisen: 4,7 Ermittlerstellen. Im September 2019 sollten es fünf mehr werden. Justizminister Biesenbach feierte das als Machtdemonstration des Rechtsstaats, seine Adjutanten pflichteten ihm bei.
Es sei schon ganz richtig gewesen, den größten Steuerskandal Deutschlands mit einer minimalen Personalstärke anzugehen, erklärte Oberstaatsanwalt Elschenbroich. Lange Zeit sei es erst einmal ums Verstehen der komplexen Fälle gegangen. Es hätte daher "nichts gebracht, wenn zehn Staatsanwälte Akten gewälzt hätten, ohne zu wissen, wonach sie suchen sollten". Behördenchef Joachim Roth ergänzte: "Es kam darauf an, einen Faden zu entwirren und das Knäuel dann neu zu ordnen. Da nützt es nichts, wenn 100 Leute an dem Faden ziehen oder einer das macht und 99 schauen zu." An jenem Tag wurde deutlich, dass sich das Prinzip der Arbeitsteilung, immerhin einige Hundert Jahre alt, nicht bis ins NRW-Justizministerium herumgesprochen hatte. Heute ist klar: So richtig wichtig nimmt die Landesregierung den massenhaften Griff in die deutschen Steuerkassen wohl noch immer nicht. Auf dem Papier arbeiten laut Justizministerium aktuell 8,7 Staatsanwälte und eine Abteilungsleiterin an den Cum-Ex-Fällen. Doch Abgänge stehen bevor.
Viel problematischer allerdings: Die Arbeit wird immer umfangreicher. Waren im September 2019 noch 56 Verfahrenskomplexe mit 400 Beschuldigten aufzuklären, so sind es heute 61 Verfahrenskomplexe und mehr als 800 Beschuldigte. In dieser Statistik nicht einmal enthalten: Zwei Ermittlungsverfahren wurden gerade von der Steuerfahndung Düsseldorf nach Köln geschickt, fünf weitere von der Staatsanwaltschaft Düsseldorf nach Köln übertragen. "Insgesamt handelt es sich insoweit um etwa 80 Beschuldigte", sagt ein Ministeriumssprecher auf Nachfrage. Darunter Großbanken und der Skandalfall WestLB, von dem schon 2016 in der Zeitung stand.
Die Idee, all die Arbeit nach Köln zu schicken, kam aus Düsseldorf. Am 17. Februar, so erklärt das Justizministerium, habe der Leitende Oberstaatsanwalt in Düsseldorf "eine Anregung" gegeben. Die Cum-Ex-Fälle seiner Behörde mögen doch nach Köln übertragen werden, seine eigene sei hochbelastet. Der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf habe diesen Vorschlag am 26. Februar begrüßt. Die Bündelung sämtlicher Cum-Ex-Verfahren in Köln sei "im Interesse eines unmittelbaren und zeitnahen Informationsaustausches zweckmäßig und zielführend". Das [Medium] fragte in der vergangenen Woche das NRW-Justizministerium, wie das funktionieren soll. 48 Stunden später kam die Antwort. Eine Bewertung der aktuellen Zahlen könne "mit Rücksicht auf Komplexität und Bedeutung der Cum-Ex Verfahren in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht erfolgen".
Wie ein Miniteam aus Köln es zeitnah mit fast 900 Beschuldigten aus vier Kontinenten aufnehmen soll, bleibt also das Geheimnis des NRW-Justizministeriums. Ein "Durchbruch" sei es gewesen, die Beschuldigten im ersten Cum-Ex-Prozess zum Reden zu kriegen, frohlockte Justizminister Biesenbach im September 2019. Nun gebe es eine Blaupause für alle weiteren Verfahren. Und all denen, die da auf die Anklagebank kommen, riefe er zu: "Unser Rechtsstaat ist stark!"
Er ist aber nur langsam. Das erste Urteil im Cum-Ex-Skandal liegt zwei Monate zurück. Die Staatsanwälte bereiten nun die nächste Anklage vor. Das Strafverfahren betrifft vier aktuelle und ehemalige Banker der M.M. Warburg Gruppe. Anders als im ersten Prozess bestreiten die Beschuldigten eine Schuld - das macht das Verfahren nicht kürzer. Frühestens im Herbst, schätzen Insider, könnte eine dritte Anklage folgen. Würde weiterhin jeder Fall sukzessive abgehandelt, wären noch sehr viele Jahre erforderlich.
Absurde Situation
Die "Anklagen im Akkord", die Justizminister Biesenbach im September versprach, sind nicht zu erkennen. Sein Verantwortungsbereich steckt damit in einer absurden Situation. Kaum je zuvor hat sich ein deutsches Gericht so auf die Aufarbeitung eines Wirtschaftsskandals vorbereitet wie das Landgericht Bonn. Das Auftaktverfahren war ein voller Erfolg, die Beschuldigten weitgehend geständig. Das - noch nicht rechtskräftige - Urteil versprach dem Steuerzahler 176,5 Millionen Euro Schadensersatz. Zehn solcher Verfahren gleichzeitig könnte das Gericht nun bearbeiten - ein Novum in der deutschen Rechtsgeschichte - und ein Signal an all jene senden, die den Steuerzahler "beschissen", wie es Roland Zickler ausdrückte, der Vorsitzende Richter der Bonner Strafkammer. Doch die Staatsanwaltschaft Köln kann die alten Fälle gar nicht so schnell anklagen, wie ihr neue zugeschoben werden.
Insider berichten von einem Stimmungswechsel unter den Steuersündern. Habe es angesichts des Aufmarsches in Bonn vor einem Jahr noch die Neigung gegeben, mit der Justiz zu kooperieren, würden mehrere Beschuldigte auf Konfrontation und Verzögerung umschalten. Ihre Botschaft an den Rechtsstaat: Ihr werdet ja doch nicht rechtzeitig fertig. So kommt zu dem Schaden, den der Steuerzahler schon hat, nun auch noch der Spott. "Weil es um bandenmäßigen Betrug geht, beträgt die Verjährungsfrist 20 Jahre", sagt Stefan Weismann, der Präsident des Bonner Landgerichts. Das sei im Prinzip eine lange Zeit. Aber die Mehrheit der Cum-Ex-Geschäfte, die es zu bewerten gelte, lag zwischen 2007 und 2009. Die erste Verjährung wäre also 2027. Weismann: "Bei der Vielzahl und Komplexität der Fälle ist das nicht mehr allzu fern."
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Artikel 11: Hauptangeklagter meldet sich krank (29.6.2020)
Im Oktober soll am Landgericht Wiesbaden der nächste Strafprozess in Sachen Cum-Ex beginnen. Wie es aussieht, wird der Hauptdarsteller fehlen.
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Hanno Berger ist unschuldig, daran ließ er seit der Razzia in seiner Kanzlei 2012 nie einen Zweifel. 'Blanken Unsinn' nannte der Steueranwalt die Vorwürfe derjenigen, die ihn der Steuerhinterziehung bezichtigten. Die Behauptung, er habe den Staat im Steuerskandal Cum-Ex um Millionen betrogen, sei eine 'bösartige, dümmliche Hetze'. Selbst Menschen mit einer mittelmäßigen Intelligenz müssten verstehen, dass es sich bei seinem angeblichen Vergehen um ein 'Wahndelikt' handele.
Wer Berger über die Jahre zuhörte, bekam den Eindruck, er brenne geradezu auf den Tag, an dem er all dies in einem öffentlichen Gerichtssaal richtigstellen dürfe. Dem [Medium] sagte Berger im Mai 2017: 'Ich bin ein Mann des Rechts.'
Ein Jahr später klang dies etwas anders. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt hatte die Anklageschrift gegen Berger fertiggeschrieben. Auf 948 Seiten warfen die Ermittler ihm Beihilfe zur schweren Steuerhinterziehung vor, mit einem Schaden von 120 Millionen Euro. Würde sich Hanno Berger stellen?
Das sei unnötig, sagte Berger dem [Medium] im Mai 2018. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft seien völlig unbegründet, die Anklage gar nicht zulässig. Und wenn das Gericht sie doch zuließe? 'Dann werde ich mich der Sache stellen, selbstverständlich', sagte Berger. 'Aber so weit wird es nicht kommen.'
Im Dezember 2019 kam es dann doch so weit. Das Landgericht Wiesbaden ließ die Anklage gegen Berger zu. Im April 2020 sollte eine Vorbesprechung zu den Verfahrensabläufen stattfinden - sie fiel Corona-bedingt aus.
Der wahrscheinliche Verfahrensbeginn verzögerte sich so auf den 20. Oktober. Die Verteidiger sollten sich diesen Tag für den möglichen Beginn der Hauptverhandlung freihalten. Es ist der Tag, an dem sich Berger der Welt erklären könnte.
Nun kann Berger nicht mehr. Ihr Mandant sei krank, sagen seine Anwälte und verweisen auf ein entsprechendes Attest seiner Ärzte. Bergers Gesundheitszustand mache ihn dauerhaft verhandlungsunfähig. Ihr Vorschlag: Das Landgericht möge das Verfahren, das 2012 begann, einstellen. Auf Nachfrage von [Medium] zu dem Vorgang reagierte sein Verteidiger nicht.
Vom Bankenprüfer zum Steuertrickser
Es wäre ein seltsames Ende einer seltsamen Geschichte. Hanno Berger war in Kreisen von Banken und vermögenden Privatanlegern lange Zeit geradezu berühmt. Geboren 1951 südlich von Fulda in Elm und aufgewachsen in einem Pastorenhaushalt, ging Berger nach seinem Abitur in die Finanzverwaltung.
Er promovierte, stieg auf zum höchsten Bankenprüfer der Oberfinanzdirektion Hessen, dann wechselte er die Seiten. Berger arbeitete für verschiedene Topkanzleien, bevor er sich 2010 selbstständig machte.
Das, was ihm die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt vorwirft, war da schon geschehen. 2006 investierte der Berliner Immobilieninvestor Rafael Roth im großen Stil in sogenannte Cum-Ex-Geschäfte.
Roth verließ sich dabei auf den steuerlichen Rat von Berger und seiner Bank, der Hypo-Vereinsbank (HVB) in München. Das Geschäft sei bombensicher, meinte die HVB und lieh ihrem Kunden 500 Millionen Euro, um es durchzuziehen.
Innerhalb weniger Monate handelte die HVB für Roth Aktien im Wert von 3,6 Milliarden Euro. Im Folgejahr waren es 5,8 Milliarden, dann 6,4 Milliarden Euro. Roth verdiente 25 Millionen Euro, dachte Roth. Dann kam die Steuerprüfung.
Die Gewinne seiner Geschäfte, rechneten die Finanzbeamten nach, kamen aus der Erstattung von Steuern, die gar nicht abgeführt worden waren. Aufgrund der Struktur der Geschäfte - und weil viele andere Beteiligte daran verdienten - war der Schaden viel größer als der Gewinn von Roth.
Die Behörde forderte 113 Millionen Euro zurück - zuzüglich zehn Millionen Euro Zinsen. Roth verklagte seine Bank, seine Bank ihn. Es dauerte eine lange Zeit, bis alle Seiten sich wieder geeinigt hatten. Für Roth mussten dies seine Erben tun, er starb 2013.
Die Beteiligten, die noch leben, sollen vor Gericht. 'Gemeinschaftlichen Tatentschluss', nennt die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt das, was Roth, Berger, der HVB-Investmentbanker Paul Mora und vier andere Anfang 2006 miteinander vereinbarten: Cum-Ex-Geschäfte im großen Stil.
Ihren 'Tatplan' hätten die Angeschuldigten in den Jahren 2006 bis 2008 erfolgreich umgesetzt. Berger wird dabei als 'Spiritus Rector' bezeichnet. Ihm oblag die rechtliche und steuerliche Beratung von Roth, einschließlich der Erstellung von Gutachten, mit dem Ziel, die Cum-Ex-Geschäfte nach außen als rechtlich unbedenklich erscheinen zu lassen.
Präzedenzfall in Bonn
Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt hätte eigentlich die erste sein müssen, die einen Cum-Ex-Fall bis zur Anklage bringt. Ihre Anklageschrift trägt das Datum 27. September 2017. Aus unerfindlichen Gründen kam es immer wieder zu Verzögerungen, 2019 wurden die Frankfurter von ihren Kollegen aus Köln überholt.
Die dortige Staatsanwaltschaft trieb ein Verfahren gegen zwei Männer voran, die auch im Fall Roth beschuldigt sind: Nicholas D. und Martin S. Im September 2019 begann vor dem Landgericht Bonn ihr Prozess. Im März 2020 wurden sie verurteilt.
Nun kommen sie in Wiesbaden wieder vor Gericht. Unter dem Vorsitz von Richterin Kathleen Mittelstorf sind bis Januar 2021 zwölf Verhandlungstage angesetzt. Zeugen sind erst einmal nicht eingeladen. Beobachter erwarten, dass sich das Gericht zuerst die Einlassungen der Beschuldigten Nicholas D. und Martin S. anhört.
Beide Männer waren schon beim ersten Prozess weitgehend geständig. Weil sie Zusammenhänge aufdeckten, die ohne ihre Hilfe vielleicht nicht aufgeklärt worden wären, erhielten sie in Bonn milde Strafen. Es scheint, als könnte sich dies vor dem Landgericht Wiesbaden wiederholen.
Hanno Berger, so meint sein Anwalt, wird dann aber fehlen. Der Mann, der sich für unschuldig hält, ist einfach nicht gesund genug, um seine Unschuld zu erläutern. Sollte das Gericht daran zweifeln, müsste es deutsche Amtsärzte auf eine Reise in das Schweizer Bergdorf Zuoz schicken.
Satte grüne Wiesen, eingerahmt von dichten Tannenwäldern, Kuhglocken und ein Bergbach, der sich ins Tal schlängelt. In dieses Postkartenidyll setzte sich Hanno Berger ab, als er am 27. November 2012 am Telefon von der Razzia in seiner Kanzlei erfuhr.
Er verhielt sich seitdem sehr vorsichtig. Soweit bekannt, hat er die Grenze nach Deutschland nicht mehr überschritten.
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Diverse Einschübe und Bildunterschriften