Dasselbe in Grün
von Heike Schwerdtfeger
WirtschaftsWoche vom 13.12.2019
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Dasselbe in Grün
Europäische Union und nationale Aufseher setzen auf Nachhaltigkeit, Investoren wollen ihre Portfolios vor Klimarisiken schützen. Davon profitieren Agenturen, die die Nachhaltigkeit von Unternehmen bewerten - mitunter ziemlich willkürlich und irreführend.
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Brillenkönig Günther Fielmann betreibt Biolandwirtschaft im großen Stil. Die Familie Fielmann, Großaktionärin der Optikerkette, legt Biotope und Streuobstwiesen an, unterstützt Aufforstungs- und Renaturierungsprojekte. Das Unternehmen selbst stiftet jährlich einen Baum pro Mitarbeiter. Schon vor zehn Jahren pflanzte Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Fielmann den einmillionsten Baum. Jährlich dokumentiert Fielmann die Anstrengungen auf 60 Seiten im Nachhaltigkeitsbericht. Doch vorbildlich ist das angeblich nicht.
Zumindest, wenn es nach dem Urteil von Agenturen geht, die im Auftrag von Investoren Nachhaltigkeit und Klimabilanz des Unternehmens beurteilen. "Not available" und "not scored", urteilt der wohl mächtigste Anbieter von Klimadaten, das Londoner Carbon Disclosure Project (CDP). Beim Frankfurter Daten-Fintech Arabesque landet Fielmann in der untersten Kategorie. Die Klimabilanz sei schlechter als die von HeidelbergCement und Deutsche Lufthansa. Dabei zählen die beiden Dax-Konzerne mit 73 und 33 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß 2018 zu den fünf größten CO2-Emittenten in Deutschland.
FURCHT VOR DEN "STRANDED ASSETS"
Willkommen in der widersprüchlichen Welt der Nachhaltigkeitsratings. Eine Analyse dieses noch jungen Markts zeigt: Nicht blütenreine Klimadaten, sondern die richtigen Berater entscheiden oft darüber, wie Unternehmen abschneiden. Außerdem urteilen die Ratingagenturen nach völlig unterschiedlichen Kriterien, teils mit gegensätzlichen Ergebnissen und auf der Grundlage weniger Daten. "Es gibt wenig Einigkeit darüber, wie die Nachhaltigkeitsleistung eines Unternehmens überhaupt gemessen werden kann", schreibt Kai Lehmann vom FvS Research Institute in einer Studie.
Dabei steht das Geschäft mit den Bewertungen vor einem massiven Boom. Auf 500 Millionen Dollar an Ratinggebühren schätzen Experten den Markt in einigen Jahren. Die EU soll nach dem Willen der Kommission eine Taxonomie vorlegen, eine Art Kriterienkatalog, was als nachhaltig gilt und wie Unternehmen nach Ökokriterien sortiert werden können. Nach Protesten von Frankreich und Polen muss noch mal neu über eine Klassifizierung grüner Finanzprodukte verhandelt werden. Trotzdem hat die EU nach Informationen von Harald Glander, Partner der Kanzlei Simmons & Simmons, schon im Dezember Offenlegungspflichten für Fondsverwalter erlassen. Denen blieben dann 15 Monate, um zu beschreiben, "welche Ziele sie bei Nachhaltigkeit verfolgen und wie sie die erreichen wollen." Zehntausende Fonds, die bislang weder Klima noch Nachhaltigkeit berücksichtigt haben, müssen jetzt linientreu gemacht werden, irgendwie. Ohne Ratings ist das unmöglich.
Spätestens seit Aktivistin Greta Thunberg die Welt aufrüttelt, gilt Nachhaltigkeit nicht mehr nur als Frage der Ethik, sondern als Strategie zur Risikovermeidung. Geldrettung statt Weltrettung. Die Angst ist groß, dass sich Aktien ignoranter Unternehmen zu "stranded assets" entwickeln, zu Vermögenswerten im Niedergang.
Neben der EU setzt auch die Aufsicht BaFin die Finanzbranche unter Druck, ESG-Kriterien zu beachten. Das Kürzel ESG steht für Environment, Social and Governance. Übersetzt: Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung. Weiche Begriffe, die Ratingagenturen mit Inhalten füllen wollen. Sie verkaufen, teuer bezahlt, ein Versprechen: Wer sich an ihre Urteile hält, kann regulatorische Auflagen, kritische Rückfragen und Haftungsrisiken abwehren. Auch Fonds können sich so einen grünen Anstrich geben. Etwa mit Siegeln, wie dem vom Forum für nachhaltige Geldanlage. Dafür braucht es keine Meisterleistung: von 105 Bewerbern wurden 104 ausgezeichnet.
Die BaFin verlangt von Investoren allerdings, Ratings nicht einfach zu übernehmen, sondern eine "Plausibilisierung" vorzunehmen. Was das bedeutet? "Die meisten werden schlicht mehrere Nachhaltigkeitsratings nutzen und vergleichen", sagt der Vorstand eines großen Lebensversicherers - noch mehr Geschäft für die Anbieter von Ratings.
DIE RATINGS BEWEGEN MILLIARDEN
Ob Aktien und Anleihen von Unternehmen wie Fielmann, Lufthansa oder RWE künftig von Fondsmanagern oder Pensionsverwaltern gekauft werden, entscheiden dann nicht mehr nur die Verantwortlichen dort. Viel Einfluss gewinnen Analysten von Dienstleistern wie MSCI ESG, S & P RobecoSAM, Sustainalytics oder ISS-Oekom. Sie filtern Nachhaltigkeitskriterien aus Unternehmensdaten und bereiten sie auf. Für die Nachhaltigkeit von Versorger RWE etwa interessieren sich gleich acht Agenturen.
Marktführend bei klimarelevanten Analysen ist CDP. Die gemeinnützige Gesellschaft, im Jahr 2000 von einer britischen Bankerin mitgegründet, betreibt ein globales Umweltinformationssystem. Jedes Jahr fragt CDP bei Unternehmen, Städten und Ländern Daten mit Bezug zum Klimawandel, Wasserverbrauch oder der Abholzung von Wäldern ab. Mehr als 525 Investoren mit einem verwalteten Vermögen von 96 Billionen Dollar sollen diese Daten laut CDP einsetzen. Das Fondshaus Union Investment nutzte sie kürzlich, um herauszufinden, wie stark eine CO2-Steuer die 30 Unternehmen im deutschen Aktienindex Dax belasten wird. Eine schlechte Einstufung bei CDP ist kein Schönheitsfehler, sondern ein handfestes Problem. Sie kann Milliarden bewegen.
Eines der bekanntesten Häuser in der Nachhaltigkeitsszene ist der niederländische Anbieter Sustainalytics. Auffällig: Seine Urteile weichen häufig stark von denen anderer Anbieter ab, etwa von MSCI ESG. Jeder gewichtet Kriterien unterschiedlich. MSCI bewertet Unternehmensführung eher nach Qualifikation und Bezahlung von Vorstand und Aufsichtsrat. Sustainalytics stellt den Umgang mit Umwelt- und Sozialthemen in den Vordergrund. Unterschiedliche Ergebnisse sind die Folge (siehe Grafik oben).
Zur Riege der Nachhaltigkeitstester ist jüngst Standard & Poor's gestoßen, Indexbauer des US-Leitindex S & P 500 und Marktführer bei Kreditratings. Ende November hat der US-Konzern die ESG-Ratings von RobecoSAM übernommen. Schon seit 20 Jahren hatte S & P mit SAM kooperiert, etwa bei der Zusammenstellung des DJ Sustainability Index. Der gilt als einer wenigen weltweit beachteten Nachhaltigkeitsindizes.
Und dann ist da noch Arabesque. Der Newcomer unter den Datenanbietern wurde 2013 von ehemaligen Investmentbankern in Frankfurt gegründet und liefert Nachhaltigkeitsdaten an Banken und Fondshäuser. Ihr System soll weltweit anhand von 50 000 Quellen in 15 Sprachen Daten zu Unternehmen abrufen. Das Spektrum reicht von der Bilanzqualität bis zur Müllvermeidung, von der Zufriedenheit der Mitarbeiter bis zur Qualität der Produkte. Mehr als 500 Parameter werden ausgewertet, automatisch mit eigenen Algorithmen. Neu ist ein Temperature Score, der aus Unternehmensemissionen Klimaziele ableitet. Das Land Hessen, die Allianz, die DWS und Vermögensverwalter Commerz Real haben im Sommer zusammen einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag in ein Daten-Fintech von Arabesque investiert.
BESSERE NOTEN GEGEN BEZAHLUNG
Letztlich sind alle Ratingagenturen darauf angewiesen, dass Unternehmen ihnen Daten zur Verfügung stellen. Ein Problem: Prinzipiell müssen die Unternehmen über Treibhausgasemissionen, Wasserverbrauch oder Luftverschmutzung berichten. Doch wer keine genauen Zahlen hat, darf die Vorschrift ignorieren. Eine Erklärung reicht. Die Berichte der Unternehmen ähnelten deshalb oft Imagebroschüren, meint Lehmann vom FvS Research Institute. Eine "umfassende Nachhaltigkeitsbeurteilung" sei mit freiwilligen Daten unmöglich. Und die selbst gesetzten Klimaziele von Unternehmen sagen ebenfalls wenig aus. "Wer heute sagt, dass er bis 2050 klimaneutral sein wolle, kann im Extremfall bis 2049 den CO2-Ausstoß steigern und darauf hoffen, dass danach eine Technik existiert, die den Ausstoß auf null senkt", sagt Sebastian Müller, Co-Gründer des Fintechs Right based on Science.
Aus Sicht von Investoren kommt erschwerend hinzu, dass Unternehmen ihre Ratings selbst beeinflussen können. Beispiel CDP: Deren Bewertungen stützen sich auf Fragebögen, die Unternehmen ausfüllen. Wer sich nicht beteiligt, wird als nicht bewertbar eingestuft - die Wertpapiere des Unternehmens würden von Investoren, die Wert auf Nachhaltigkeit legen, dann womöglich aussortiert. Konzerne wie BMW und Daimler haben geschulte Mitarbeiter, die solche Fragebögen ausfüllen. Kleinere Unternehmen hingegen seien bei dieser Methode überfordert,sagt Thomas Hoffmann vom Vermögensverwalter Murphy & Spitz.
DIE BERATUNGSINDUSTRIE
Rund um die Fragebögen hat sich eine Beratungsindustrie entwickelt, die Unternehmen bei der Beantwortung unterstützt und kein Interesse daran hat, das Prozedere zu vereinfachen. Oft finanzieren die Beratungen sogar die jeweilige Nachhaltigkeitsinitiative - ein sich selbst nährender Mikrokosmos. Das Münchner DFGE Institute for Energy, Ecology and Economy etwa liefert "abgabereife Texte und Daten für die Beantwortung der CDP-Fragen", und das "schlüsselfertig zum Festpreis", wie es auf der Internetseite heißt. "Durch unsere Erfahrung können wir Ihnen helfen, die richtigen Informationen für eine höhere Bewertung im CDP zusammenzustellen."
Und Fielmann? Bei CDP bekam die Optikerkette stets die Wertung "not available" und "not scored". Der Grund könnte simpel sein. In der Fielmann-Zentrale in Hamburg hat man offenbar die von CDP verschickten Fragebögen nie bekommen. Die zuständige Mitarbeiterin hat auch keine Mails im Spamordner gefunden. Einen Hinweis auf die ebenfalls mögliche CDP-Onlineabfrage hatte sie auch nicht erhalten. Bei Arabesque schneidet Fielmann allerdings ebenfalls schlecht ab, unter den deutschen Unternehmen gar mit am schlechtesten. Würden alle Konzerne so wirtschaften wie die Optikerkette, würde sich die Erde demnach irgendwann um drei Grad erwärmen. Heidelbergcement und Lufthansa bewirken dagegen nur 2,7 Grad Anstieg.
Doch auch hier steckt hinter dem schlechten Rating ein banaler Grund. Unternehmen, die ihre Emissionen nicht nach einem verbreiteten Modell veröffentlichen, bekommen automatisch den schlechtesten Temperatur Score von drei Grad - so wie Fielmann. Arabesque geht davon aus, dass Datenverweigerer sich auch beim Klimaschutz nicht anstrengen. Verbesserungen sind leicht möglich: Wer seine Emissionsziele unabhängig - in der Regel kostenpflichtig - verifizieren lasse, bekommt von Arabesque einen Zwei-Grad-Score. Obwohl sich in Sachen Klimaschutz faktisch nichts geändert hat. Der gute Wille allein zählt.
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Kasten:
INVESTMENTKRITERIEN
DER MARKT FÜR NACHHALTIGKEITSFONDS IST UNÜBERSICHTLICH. DIESE VIER KATEGORIEN SOLLTEN ANLEGER IM AUGE BEHALTEN.
FONDS MIT AUSSCHLUSSKRITERIEN
Jeder Fonds, egal, ob er als nachhaltig gekennzeichnet ist oder nicht, kann unerwünschte Branchen aus seinem Investitionsuniversum verbannen. Ein Beispiel für einen prominenten Fonds mit Ausschlusskriterien ist der Frankfurter Aktienfonds für Stiftungen. Üblich ist der Ausschluss von Produzenten von Kriegswaffen, Drogen, Pornografie oder fossiler Brennstoffe. Auch Indexfonds schließen Branchen aus. Der BNP Paribas Easy MSCI North America ex Controversial Weapons ETF kommt ohne Rüstungsaktien aus.
Fazit: Klare Regeln, aber kaum Einflussnahme auf Unternehmen, wenn über Ausschlüsse hinaus keine weitere Nachhaltigkeitsstrategie existiert.
FONDS MIT ESG-RATING
Die Kriterien bei sogenannten ESG-Fonds sind wachsweich und von Anbieter zu Anbieter verschieden. ESG steht für Environment (Umwelt), Social (Gesellschaft), Governance (verantwortungsvolle Unternehmensführung). Unternehmen, die die Umwelt übermäßig verschmutzen, von Kinderarbeit profitieren oder Frauen benachteiligen, fallen vielleicht durch das Raster, aber sicher ist das nicht. Wenn es keine konkreten Ausschlusskriterien gibt, können Unternehmen aufgenommen werden, deren Anteil umstrittener Produkte am Gesamtumsatz nicht allzu groß ist. Auch kann sich ein Unternehmen, das in seiner Branche zu den Besten im Nachhaltigkeitsrating gehört, qualifizieren ("Best-in-Class-Ansatz"). Der Indexfonds iShares MSCI World ESG Screened ETF gehört zu den "Nachhaltigen Strategien" von Blackrock. In ihm stecken umstrittene Anbieter aus Luftfahrt und Verteidigung wie Raytheon und L3 Technologies. Bei aktiv gesteuerten ESG-Fonds können die Manager eigene Akzente setzen, etwa Soziales betonen.
Fazit: Nichts für Umweltfundamentalisten, weil die Produkte beliebig werden können. Hier muss sich der Anleger vor der Auswahl intensiv mit dem Verantwortungsbewusstsein der Fondsmanager oder der Zusammenstellung der Indizes auseinandersetzen.
KLIMASCHUTZFONDS
Manche Fonds konzentrieren sich auf das Thema Klima, erneuerbare Energien oder Unternehmen mit wenig CO2-Ausstoß. Einige kaufen nur Aktien oder Anleihen von Unternehmen, die Lösungen für Klimaprobleme liefern, etwa Technik, die die Energieeffizienz steigert. Oder sie stellen Fondsdepots so zusammen, dass die viele Unternehmen enthalten, deren Ausstoß von CO2 niedrig ist. Daraus entstehen neue Aktienindizes, die mit niedrigem CO2-Ausstoß ihrer Mitglieder werben, wie der Amundi Global Low Carbon ETF. Grundlage ist der MSCI World Low Carbon Leaders Index. Die Unternehmen darin sollen nur halb so viel Kohlendioxid ausstoßen wie die im traditionellen Welt-Aktienindex von MSCI. Daten zu den Treibhausgasemissionen erfasst MSCI, heißt es bei Amundi. Falls keine Daten verfügbar sind, verwendet der Indexanbieter MSCI eine "eigene Methode".
Fazit: Wenn Ausschlüsse fehlen, finden sich in den Fonds teils umstrittene Unternehmen. Beispiel: Franzosen halten Atomkraft für sinnvoll, um das Klimaproblem zu lösen. Außerdem gibt es weitweit gar keine Klimadaten von Unternehmen in der vorgegaukelten Genauigkeit.
SCHWERPUNKT IMPACT INVESTING
Die nach dem englischen "impact" für Wirkung benannte Bewegung will in ihren Augen positive Unternehmen oder Bereiche wie Bildung fördern. Aktienfonds, die sich auf eine hohe Wirkung bei der CO2-Vermeidung konzentrieren, können aber Überraschendes enthalten, wie Volkswagen, den US-Supermarkt Walmart oder den Paketdienst UPS. Weil die sehr groß sind und beginnen, ihren CO2-Ausstoß zu drosseln, ist die Gesamtwirkung, also der Impact, sehr groß.
Fazit: Hier können alle möglichen Werte als impulsgebend definiert werden. Noch mehr als bei den anderen Klassen kommt es auf den Fondsmanager an.
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Einschübe:
Klima steigt im Kurs
Investoren sollen verstärkt grün anlegen. Doch die so getroffenen Anlageentscheidungen beruhen teils auf zweifelhaften Daten und Bewertungen
2200 Konzerne weltweit geben der wichtigen Emissionsdatenbank CDP umfassend ihre CO2-Emissionsdaten bekannt. Es gibt aber über 51 000 börsennotierte Unternehmen.